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Kontextabhängiges Banking - Herausforderung und Notwendigkeit

Antti-Jussi Suominen, Foto Holvi

Contextual Banking ist das Zauberwort, wenn es um positive Nutzererfahrungen im Umfeld der Digitalisierung geht. Es geht dabei um Produkte, die für einen bestimmten Kundentyp und einen bestimmten Kundenbedarf entwickelt wurden - dabei aber keineswegs Nischenanwendungen sein müssen. Als Beispiel nennt Antti-Jussi Suominen Freiberufler, die mit Finanzprodukten oft unterversorgt sind. Kontextabhängiges Banking setzt allerdings Kooperationen voraus, so der Autor. Banken mahnt er hierbei zu mehr Mut. Für die meisten etablierten Anbieter, so seine Prognose, ist es heute schon zu spät, um den Wandel einzuleiten. Red.

Customer Experience ist ein bekanntes Schlüsselwort für viele Unternehmen, die Services und Dienstleistungen anbieten und sie für ihre Kunden optimieren wollen. In einigen Branchen zeigen sich dahingehende Bemühungen beispielsweise in der Personalisierung von Angeboten. Ganz nach ihren Präferenzen erhalten Kunden Vorschläge für Filme oder Musik auf Streaming- Plattformen oder bekommen im Online-Shop nur das angezeigt, was sie auch interessiert.

Personalisierung vielfach noch in den Kinderschuhen

Unternehmen nutzen ihr vorhandenes Wissen, sie verstehen anhand der vorhandenen Kundendaten inzwischen nicht nur, was ihre Kunden beschäftigt, sondern auch, in welchem Kontext und vor welchem Hintergrund sie agieren.

In der Consumer-Branche mag das inzwischen zum Kerngeschäft gehören, in anderen Bereichen jedoch steckt der Gedanke der Personalisierung und der Kontextualisierung noch in den Kinderschuhen.

Seit einiger Zeit kommt Bewegung in die Finanzbranche: Fintech-Unternehmen arbeiten kundenorientiert und konzentrieren sich zunehmend auf ein bestimmtes Problem oder eine Reihe von Anforderungen für ein bestimmtes Kundensegment. Diese versuchen sie dann so gut wie möglich zu lösen.

Bei enger gefassten Kundensegmenten können Algorithmen helfen, sie erkennen Verhaltensmuster leichter und können daraus lernen. Aktionen werden in einen Kontext gesetzt, entsprechende Angebote angezeigt und empfohlen.

Das Banking-Erlebnis für die Kunden wird besser und entspricht eher ihren persönlichen Motiven und Intentionen. Services werden qualitativ hochwertiger und zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereitgestellt. Das ist essenziell, denn gerade Bankgeschäfte sind in hohem Maße Kontextabhängig. Ein Freiberufler möchte zum Beispiel schnell und überall Rechnungen erstellen und seine Geldströme vorausplanen können, ein junges Paar mit Hauswunsch ist eher an den Rahmenbedingungen für einen Kredit interessiert.

Durch Fokussierung erfolgreich

Das heißt, je mehr Finanzservices einzelne Kundensegmente fokussieren, desto leichter fällt auch die Umsetzung von Contextual Banking. Diejenigen, die nah am Kunden sind und sich mit unmittelbaren und konkreten Verbraucher-Problemen befassen - beispielsweise mit Auslandsüberweisungen - sind bereits heute sehr erfolgreich.

So löst Transferwise das Problem hoher Gebühren für den Geldtransfer ins Ausland und ermöglicht es Kunden, das Geld über seine Plattform bis zu achtmal billiger zu überweisen als bei einer traditionellen Bank. Das Unternehmen umgeht teure internationale Zahlungen vollständig, indem es zwei lokale Überweisungen anstelle einer internationalen Transaktion ausführt.

Freiberufler und Mikro-Unternehmer sind unterversorgt

Während Fintechs das Banking für Privatkunden durch solche Spezialisierungen inzwischen gut bedienen, sieht die Welt der Geschäftskunden anders aus: Sie ist stärker reguliert und ungleich komplexer. Insbesondere im Small-Business-Bereich, das heißt in den Angeboten für Freiberufler und Mikro-Unternehmer, sind die Banken häufig nicht gut genug aufgestellt. Das Segment aus freiberuflichen Webdesignern, Friseuren, selbstständigen Beratern et cetera ist unterversorgt. Ihre Bedürfnisse fließen nur allzu selten in die Konzeption neuer Produkte und Services mit ein - und das, obwohl sie einen großen Teil zur Wirtschaft beitragen.

An diesem Beispiel lässt sich das Konzept des Contextual Banking gut beschreiben. Contextual Banking ist ein Produkt, das für einen bestimmten Kundentyp entwickelt wurde, es ist ein Produkt, das versteht, was diesen Kundentyp antreibt, was seine Herausforderungen sind und was ihn am Erfolg hindert. Contextual Banking meint, dass Produkte und Services konsequent auf die persönlichen Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sind.

Contextual Banking in der Praxis

Ein konkreter Anwendungsfall: Freiberufler haben immer wieder Schwierigkeiten mit zahlungsunwilligen Kunden und diesen gegenüber professionell sowie rechtlich sicher aufzutreten. Mit einer elektronischen Rechnungsstellung und integrierten Rechnungsvorlagen in einer Banking-App wird dies einfacher. Kunden können professionelle digitale Rechnungen erstellen, die Zahlungsdetails automatisch ausfüllen und erhalten Push-Benachrichtigungen, wenn das Geld eingegangen ist.

Um größere Bedürfniskomplexe der Kunden bedienen zu können, müssen Unternehmen über den eigenen Tellerrand hinaus blicken und sich Partner suchen, die näher an einem bestimmten Lebens- und Geschäftsumfeld ihrer Kunden sind als sie selbst. Warum nicht also als Bank für Freiberufler und Mikrounternehmer auch Schnittstellen zu Steuerberatern oder Buchhaltungssoftware schaffen und so den tatsächlichen Arbeitsabläufen der Kunden entgegenkommen?

Kooperation ist der Schlüssel zum Erfolg

Die EU-Zahlungsrichtlinie PSD2 forciert teilweise diese Formen der Zusammenarbeit. Sie verpflichtet Banken unter anderem dazu, Schnittstellen zu den Girokonten ihrer Kunden anzubieten. Diese können dann anderen Unternehmen erlauben, Kontodaten auszulesen oder Zahlungen auszulösen. Die Unternehmen benötigen allerdings eine BaFin-Lizenz als Kontoauskunfts- oder Zahlungsinitiierungsdienst.

Banken sollten den Mut haben, Strategien für Contextual Banking auf Grundlage offener Banksysteme und in Zusammenarbeit mit Partnern zu entwickeln, die den Alltag ihrer Kunden kennen und Arbeitsabläufe erleichtern können.

Einheitslösungen sind der falsche Weg

Contextual Banking liegt in der DNA von Fintechs, die ihr Geschäftsmodell und die Entwicklung der Services eng am Kunden orientieren und eine stark kundenzentrierte Sichtweise haben. Sollen aber nun klassische Banken dieses Modell übernehmen? Bisher machen traditionelle Banken eher das Gegenteil: Sie bauen Lösungen nach dem Gießkannenprinzip und rüsten diese nach Bedarf nach; zum Beispiel, um bestimmte demografische Kundengruppen anzusprechen.

Große Banken wenden sich sowohl dem Privat- als auch dem Geschäftskundengeschäft zu und bieten eine Einheitslösung an. Die angebotenen Lösungen sind selten personalisiert. Hier kann den Banken die Zusammenarbeit mit innovativen Partnern und Fintechs helfen. Gemeinsam sind sie in der Lage, den Kundenstamm mit spezielleren Angeboten und Services zu kombinieren, die dann besser auf die Bedürfnisse bestimmter Kundensegmente abgestimmt sind.

Maßgeschneiderte Angebote sind kein Nischenthema

Der Begriff "Kontext" in Contextual Banking bedeutet jedoch nicht nur, einen Nischendienst anzubieten, sondern auch, diese Dienste für Kunden in verschiedenen Regionen maßgeschneidert anzubieten - gerade bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen. In Europa wird der Kontext zum Beispiel nicht nur durch das Kundensegment definiert, er ist oft von lokalen Gegebenheiten geprägt.

Während beispielsweise die EU-Rechnungsrichtlinie die Mindestanforderungen an die auf einer Rechnung geforderten Informationen vorgibt, haben einzelne Länder unterschiedliche Standards dafür. In Deutschland sehen Rechnungen anders aus als Rechnungen in Finnland. Auf diese Herausforderungen benötigen Banken die passenden Antworten. Strategische Partnerschaften und Kooperationen können dies ermöglichen und den Weg zu kundenfreundlichen Lösungen ebnen.

Für die Kunden ist das Gefühl, dass ihre Bank nicht genügend auf ihre Bedürfnisse eingeht, einer der Hauptgründe für Unzufriedenheit. Für die meisten Player ist es für den Wandel schon zu spät.

Neben dem fehlenden Willen zu fehlenden Partnerschaften, besteht die Herausforderung für alteingesessene Banken auch darin, Daten effektiv und über verschiedene Silos hinweg zu verwalten. Sie sollten Daten aus allen Quellen und Kanälen nutzen - aus Tablets, Smartphones, Geldautomaten und Online-Banking-Portalen.

Für die meisten Player wird es heute schon zu spät sein, einen Wandel einzuleiten. Die Konkurrenz wächst täglich, die Wettbewerber sind teils wendiger als die alteingesessenen Player und bieten die passenden Angebote schon heute an.

Antti-Jussi Suominen, CEO, Holvi Payment Services Oy, Helsinki
Antti-Jussi Suominen , CEO, Holvi Payment Services Oy, Helsinki

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