Wertpapiergeschäft

MiFID II und PRIIPs - Verbraucherschutz versus Verbraucher?

Marcus Mecklenburg, Leiter Recht, Bundesverband Investment und Asset Management e.V. (BVI), Frankfurt am Main
Quelle: BVI

Ziel von MiFID II und PRIIPs war ein verbesserter Verbraucherschutz. Dieses Ziel wird aber nicht nur verfehlt, sondern teilweise in sein Gegenteil verkehrt, betont Marcus Mecklenburg. Ursächlich dafür ist teilweise die Mehrfachregulierung, die für den Kunden nicht nur zu mehr, sondern überdies zu widersprüchlichen Informationen führt. Als weiteres Beispiel für Regulierungsmängel führt der Autor die Berechnungsmethode an, die in vielen Fällen zum Ausweis negativer Transaktionskosten führt. Der Forderung der Fondsbranche, die PRIIPs-Überprüfung schnellstmöglich anzustoßen, haben sich sogar die Verbraucherschützer angeschlossen. Red.

"... allein die Dosis macht's, dass ein Ding kein Gift sei." Der von Paracelsus beschriebene gleitende Übergang von der heilenden Medizin zum schädlichen Gift lässt sich auch in der Finanzmarktregulierung beobachten. Das gilt insbesondere dann, wenn es um den Verbraucherschutz geht. MiFID II und PRIIPs, die seit Anfang des Jahres anzuwenden sind, starteten als überaus ambitionierte Regulierungsprojekte, unter anderem mit dem Ziel, den Privatanleger besser zu schützen und zu informieren. Inzwischen wissen wir, dass dieses Ziel in weiten Teilen nicht nur verfehlt, sondern in sein Gegenteil verkehrt wurde - vor allem, weil die Regulierung auf unterschiedlichen Ebenen das rechte Maß vermissen lässt.

Von MiFID II allein heißt es, sämtliche Regelungstexte beliefen sich auf den fünffachen Umfang von Tolstois "Krieg und Frieden". Das klingt plausibel: Jeweils 4 Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte, 20 Technische Regulierungsstandards und 11 Technische Implementierungsstandards scharen sich nach der jüngsten Aufstellung der EU-Kommission um die eigentliche Richtlinie. Daneben gibt es derzeit von der ESMA 10 Q& As, 6 Leitlinien sowie unzählige Opinions zu Einzelfragen.

All dies muss die Finanzindustrie umsetzen - mit enormem Kosten- und Ressourcenaufwand, vieles davon im Dienste des Verbraucherschutzes. Gerade der blieb aber auf der Strecke, wie sich am Beispiel Anlegerinformation zeigt - insbesondere hinsichtlich der Produktkosten.

Natürlich soll der Anleger erfahren, was er für ein Anlageprodukt bezahlen muss. Nur so kann er eine informierte Anlageentscheidung treffen. Kosten und Gebühren sind in Zeiten zunehmender Preissensibilität auch ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. Sind die Informationen dazu lückenhaft und enthalten in Abhängigkeit von der Produktgattung unterschiedliche Kostenpositionen, kann dies die Anlageentscheidung zugunsten des vermeintlich, aber nicht unbedingt wirklich günstigeren - geschweige denn besser geeigneten - Produkts beeinflussen.

Doppelt- und Dreifachregulierung

Fondsgesellschaften und Berater stellen Privatanlegern seit Mitte 2011 "wesentliche Anlegerinformationen" für Investmentfonds zur Verfügung. Diese beruhen auf der Europäischen Fondsrichtlinie OGAW, die ein "Key Investor Information Document" fordert, kurz: OGAW-KIID. Das OGAW-KIID enthält übersichtliche und vergleichbare Informationen unter anderem zu Anlagestrategie, vergangener Wertentwicklung, Risiken und Chancen des jeweiligen Fonds. Außerdem stellt es die Produktkosten nach dem europäischen OGAW-Standard dar, und zwar aufgeschlüsselt nach Einstiegskosten (Ausgabeaufschlag), laufenden Kosten, Ausstiegskosten und erfolgsabhängiger Vergütung. Die Angaben erfolgen jeweils als Prozentsatz des investierten Betrages.

Bei der MiFID II stand der EU-Gesetzgeber vor der Herausforderung, neben den Kosten des Produktes, auf das sich eine Mi-FID-Dienstleistung bezieht, auch die Kosten der Dienstleistung selbst zu erfassen und in einer Kostenangabe zu bündeln. Das führt zu einer weiteren Kostenangabe, die völlig anderen Regeln folgt: Die Produktkosten umfassen - anders als nach dem OGAW-Standard - auch die anlassbezogenen Transaktionskosten im Fonds und Kosten für Leihgeschäfte, und der Ausweis erfolgt sowohl als Prozentsatz als auch in Euro und Cent, bezogen auf die Investitionssumme.

Die dritte Variante des Kostenausweises ereilt uns in Gestalt der PRIIPs-Verordnung. Mit einem neuen Basisinformationsblatt, dem PRIIPs-KID, verfolgte der europäische Gesetzgeber das sinnvolle Ziel, den Anlegern vergleichbare Informationen über konkurrierende Anlagemöglichkeiten zu bieten. Die EU-Verordnung hat dazu einen neuen Informationsstandard für alle verpackten Anlageprodukte (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products) geschaffen. Als "verpackt" gelten Produkte, die das Geld der Kunden indirekt am Kapitalmarkt anlegen oder deren Rückzahlungsanspruch in sonstiger Weise an die Wertentwicklung bestimmter Papiere oder Referenzwerte gekoppelt ist. Dazu gehören insbesondere Investmentfonds, kapitalbildende Lebensversicherungen und Zertifikate.

Das neue einheitliche Basisinformationsblatt, das PRIIPs-KID, ist den wesentlichen Anlegerinformationen zu Fonds nachempfunden. Da diese selbst erst seit einigen Jahren europarechtlich vorgegeben sind, müssen Fonds die Basisinformationsblätter nach PRIIPs erst ab dem Jahr 2020 bereitstellen. Betroffen sind Investmentfonds trotzdem schon heute, wenn sie - was häufig der Fall ist - im Rahmen von fondsgebundenen Lebensversicherungen zum Einsatz kommen. Dann müssen diese Fonds entsprechende Informationen beisteuern, die im PRIIPs-KID des Versicherungsproduktes erscheinen.

Die Inspiration durch die OGAW-KIIDs bedeutet allerdings nicht, dass eine Kostendarstellung nach PRIIPs zu denselben Ergebnissen führt wie im OGAW-KIID. Auch bei PRIIPs sind die Transaktionskosten und die Kosten der Wertpapierleihe enthalten. Dennoch gibt es auch Abweichungen gegenüber den Kosteninformationen nach MiFID. Die Kostenbestandteile sind zwar unter MiFID II und PRIIPs ähnlich definiert, sie werden jedoch unterschiedlich berechnet. Die ausgewiesenen Zahlen können deshalb sehr unterschiedlich aussehen.

Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in Deutschland ein weiteres Produktinformationsblatt für Altersvorsorgeverträge, die sogenannten Riester-Renten existiert. Für Fonds, die einem solchen Riester-Vertrag zugrunde liegen, wird wiederum eine andere Kostenangabe vorgegeben. Dafür kann der EU-Gesetzgeber nichts, aber das Ergebnis wird dadurch noch bizarrer: Je nachdem, ob man ein und denselben Fonds direkt, über eine MiFID-Firma, in einer fondsgebundenen Versicherung oder als Riester-Rente erwirbt, unterscheiden sich die Kostenangaben, während die tatsächlichen Kosten natürlich gleich bleiben.

Unsinnige Berechnungsmethoden

Für und wider die meisten der genannten Methoden zur Kostendarstellung lassen sich gute Argumente finden - schön wäre es gewesen, wenn sich der Gesetzgeber für MiFID, PRIIPs et cetera auf eine davon festgelegt hätte.

Völlig unverständlich wird es allerdings, wenn die Regulierung für die Kostenberechnung eine Methodik vorschreibt, die zwangsläufig zu offensichtlich falschen Ergebnissen führt. Genau dies tun die Technischen Regulierungsstandards zu PRIIPs im Hinblick auf die impliziten Transaktionskosten. Diese werden vom Broker beziehungsweise dem Handelsplatz nicht gesondert ausgewiesen, sondern sind in der Geld-Brief-Spanne, also dem Unterschied zwischen An- und Verkaufskurs enthalten.

Zur Ermittlung des Kostenanteils der Geld-Brief-Spanne gibt der Technische Regulierungsstandard die sogenannte "arrival price"-Methode vor. Der für die Transaktion abgerechnete Kurs wird dabei mit einem zuvor festgelegten Referenzwert verglichen. Da zwischen der Festlegung des Referenzwertes und der eigentlichen Transaktion mehrere Stunden liegen können, fließen Kursänderungen während dieses Zeitraums in das Berechnungsergebnis ein. Folge ist, dass die eigentlichen Transaktionskosten durch die Kursbewegungen verfälscht werden. Dies führt durchaus nicht selten sogar zu negativen Ergebnissen, die als negative Transaktionskosten, sprich Gewinne, auszuweisen sind.

Da die "arrival price"-Methode auch im Rahmen der Kostenberechnung nach MiFID zum Einsatz kommt, können wir mittlerweile auf einige praktische Erfahrungen zurückgreifen. Nach unseren Berechnungen weisen rund 10 Prozent der in der EU vertriebenen Fonds-Anteilklassen, die nach dieser Methode die Transaktionskosten berechnen, ein negatives Ergebnis aus - beachtlich, wenn man bedenkt, dass Transaktionskosten begrifflich wie faktisch grundsätzlich nicht kleiner Null sein können.

Negative Transaktionskosten sind nur die Spitze des Eisbergs

Negative Transaktionskosten sind auch nur die Spitze des Eisbergs: Man erkennt sofort, dass sie nicht stimmen können. Das lässt jedoch nicht den Umkehrschluss zu, dass positive Werte richtig sind. Negative Werte machen vielmehr die Dimension deutlich, in der die Berechnungsmethode zu Abweichungen von den tatsächlich entstandenen Transaktionskosten führen kann.

Diese Abweichungen sind in beide Richtungen möglich, können also sowohl positiv als auch negativ sein. Viele - wenn nicht gar alle - Transaktionskosten dürften demnach in ähnlicher Größenordnung von der Realität abweichen und deutlich zu hoch oder zu niedrig ausgewiesen werden, auch wenn sie nicht die "Nulllinie" durchbrechen.

Kakophonie der Basisinformationen

Der besondere Reiz eines Basisinformationsblatts liegt darin, einen umfassenden Überblick über die wesentlichen Merkmale eines Produktes zu erhalten. Kompakte, standardisierte Fakten sollen eine informierte Anlageentscheidung ermöglichen. Diesem Ziel ist das OGAW-KIID verpflichtet, und das PRIIPs-KID erhebt denselben Anspruch - mit dem Unterschied, neben Investmentfonds auch andere Anlageprodukte für Privatanleger vergleichbar zu machen. Konsequenterweise sieht die PRIIPs-Verordnung vor, dass das OGAW-KIID nach einer Übergangsfrist durch das PRIIPs-KID ersetzt wird.

Dieser Mechanismus ist in der PRIIPs-Verordnung indes nur lückenhaft umgesetzt.

- OGAW und vergleichbare Publikumsfonds profitieren zwar von einer befristeten Ausnahmeregelung, wonach sie nicht der PRIIPs-Verordnung unterliegen, da sie wesentliche Anlegerinformationen nach der OGAW-Richtlinie bereitstellen. Diese Ausnahme läuft zum Jahresende 2019 automatisch aus.

- Allerdings fehlt bislang eine Regelung, die die Pflicht zur Erstellung wesentlicher Anlegerinformationen nach der OGAW-Richtlinie ab diesem Zeitpunkt aufhebt. Das führt dazu, dass Fondsgesellschaften auf Grundlage des geltenden Rechts ab dem Jahr 2020 für alle vertriebenen Fonds sowohl ein OGAW-KIID als auch ein PRIIPs-KID erstellen müssten.

Die Absurdität dieser Situation liegt auf der Hand: Zwei Basisinformationsblätter mit unterschiedlichem Aufbau und abweichendem, teils widersprüchlichem Inhalt verbessern nicht die Information der Anleger, sondern konterkarieren alle Bemühungen um verständliche und vergleichbare Produkttransparenz. Insofern muss dieser Fehler in der Regulierung repariert werden, bevor er Schaden anrichten kann.

Ausnahme für Fonds bis zur PRIIPs-Überprüfung verlängern

Gesetzestechnisch wäre das eine Kleinigkeit: Die Ausnahme für Fonds müsste einfach um einen angemessenen Zeitraum, beispielsweise weitere zwei Jahre, verlängert werden. In dieser Zeit steht ohnehin die turnusmäßige Überprüfung der PRIIPs-Verordnung an, mit der Defizite der Vorgaben beseitigt werden sollten. Erst wenn dies geschehen ist und die PRIIPs-Informationen tatsächlich durchgängig den erwünschten Mehrwert für den Anleger bieten, ließe sich die Ausweitung des Anwendungsbereichs ins Auge fassen.

Umso unverständlicher ist es, dass die EU-Kommission sich bislang schwertut, eine entsprechende Gesetzesänderung auf den Weg zu bringen. Dem Vernehmen nach sucht sie stattdessen nach Wegen, wie dem Anleger die doppelte Produktinformation verständlich gemacht und wie die widersprüchlichen Angaben erläutert werden können.

Damit erweist sie sich und der EU insgesamt einen Bärendienst. Wenn den mindestens 50 Millionen europäischen Fondsanlegern ab dem 1. Januar 2020 zusätzlich zu den wesentlichen Anlegerinformationen ein PRIIPs-KID ausge händigt wird, die beiden Dokumente für denselben Fonds abweichende Informationen enthalten und ihnen zur Erklärung der Unterschiede womöglich noch ein drittes Dokument überreicht wird, dann werden sie ihren Berater fragen, was das soll. Der wiederum wird sich mit dem korrekten Hinweis aus der Affäre ziehen, er finde das auch unsinnig, aber die EU-Regulierung verpflichtete ihn dazu. So droht der EU einmal mehr ein selbst gemachter Reputationsschaden, der an die Zeiten der legendären Gurkenkrümmungsverordnung erinnert.

Kein Verband hat so früh und so heftig die Mängel von PRIIPs angeprangert wie der BVI. Zusammen mit der Deutschen Kreditwirtschaft und dem Deutschen Derivate Verband haben wir die EU-Kommission aufgefordert, die Überprüfung der PRIIPs-Verordnung noch im laufenden Jahr anzustoßen. Gemeinsam mit dem italienischen Fondsverband Assogestioni haben wir zuletzt die Kommission an ihr eigenes Ziel der "Better Regulation" erinnert, das bei der PRIIPs-Verordnung klar verfehlt wurde. Auch die Verbraucherschützer sind bei unseren Kernanliegen auf unserer Seite. Spätestens das sollte die Kommission misstrauisch werden lassen, ob sie die Probleme mit PRIIPs auf die lange Bank schieben kann.

Zum Autor Marcus Mecklenburg, Leiter Recht, Bundesverband Investment und Asset Management e.V. (BVI), Frankfurt am Main
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