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Mittelstand nach Corona - Finanzierung verändert sich

Dr. Rosemarie Kay, Foto: IfM Bonn

Flexibilität hat sich bei mittelständischen Unternehmen in der Pandemie als wichtiger Resilienzfaktor erwiesen, so die Autorin. Um Unternehmen, die es dennoch nicht geschafft haben, den Neustart zu erleichtern, plädiert sie dafür, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nicht über längere Zeit fortzusetzen. Spuren hinterlassen hat die Pandemie auch in der Unternehmensfinanzierung. Hier haben digitale Finanzierungen einen Schub erhalten, nicht nur, aber häufig über Fintechs, bei denen Unternehmen Kleinkredite und Betriebsmittelfinanzierungen häufig leichter erhalten als bei ihrer Hausbank. Das könne sich als langfristiger Trend erweisen. Red.

Im März 2020 haben wir in Deutschland eine Situation erlebt, die es bis dato kaum jemals gegeben hat: Wie schon in anderen Ländern zuvor traf mit der Corona-Pandemie die Unternehmen ein unerwarteter exogener Schock, auf den sich die Unternehmen kaum vorbereiten konnten.

Um die Gesundheit der Bevölkerung nicht zu gefährden und langfristige negative volkswirtschaftliche Folgen zu verhindern, handelte die Politik sofort: Sie erließ einerseits antipandemische Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen, Schul- und Kindergartenschließungen und (Teil-)Lockdowns ganzer Wirtschaftszweige. Andererseits unterstützte sie sogleich weite Teile der Wirtschaft mit verschiedenen Maßnahmen, weil in vielen Unternehmen das unternehmerische Risiko sowohl durch die Folgen der Pandemie als auch durch die antipandemischen Maßnahmen auf ein existenzbedrohendes Maß stieg.

Maßnahmen, die die Unternehmen bei der Bewältigung familiärer Herausforderungen unterstützten, gaben ihnen den notwendigen Spielraum für zielorientiertes unternehmerisches Handeln. Zugleich trugen die finanziellen Unterstützungsmaßnahmen auf Bundesund Länderebene, die im Laufe der Zeit immer wieder an den asynchronen Pandemieverlauf angepasst wurden, maßgeblich zur Sicherung der Liquidität der Unternehmen bei. Dies lässt sich unter anderem daran ablesen, dass es weder 2020 noch 2021 zu den erwarteten Wellen von Betriebsschließungen gekommen ist. Im Gegenteil: Während der Pandemie schieden weniger Unternehmen aus dem Markt aus als in den Vorjahren.

Flexibilität als Resilienzfaktor

Neben den staatlichen Unterstützungsmaßnahmen und einer grundsätzlich guten Kapitalausstattung der Unternehmen waren es nach einer aktuellen Studie des IfM Bonn vor allem die Unternehmer selbst, die mit ihrem Handeln maßgeblich dazu beigetragen haben, wie das eigene Unternehmen die plötzlich auftretende Krisensituation bewältigen konnte. So erwies es sich als hilfreich, wenn sie die neue Situation schnell akzeptierten und lösungsorientiert darauf reagierten. Flexibilität, Kundennähe und Kreativität wurden in der Pandemie in vielen Bereichen des Mittelstands zu einem wichtigen Resilienzfaktor.

Wesentliche Voraussetzungen dafür, die negativen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern, waren zudem ein bereits hoher Digitalisierungsgrad, die Möglichkeit, Geschäftsabläufe (noch weiter) zu digitalisieren sowie die Möglichkeit, das jeweilige Geschäftsmodell zu diversifizieren oder neu zu gestalten. Dabei erleichterten die flachen Strukturen, die in vielen mittelständischen Unternehmen zu finden sind, es den Unternehmen, schnell auf die veränderten Rahmenbedingungen zu reagieren.

Abbildung 1: Monatliche Anzahl der gewerblichen Unternehmensschließungen 2017 bis 2021 Quelle: Statistik der gewerblichen Existenzgründungen und Liquidationen des IfM Bonn (Basis: Gewerbeanzeigenstatistik des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden)

Den Neustart erleichtern

Aber auch, wenn Unternehmer ihr Unternehmen im Zuge der Pandemie schließen mussten: Dies ist nach Untersuchungen der IfM-Wissenschaftler innen und Wissenschaftler nicht automatisch mit einem Scheitern gleichzusetzen. Vielmehr kann es sein, dass sie durch die Erfahrungen während der Krise an individueller Resilienz gewonnen haben. Aus diesem Grund ist es unserer Ansicht nach sinnvoll, diesem Personenkreis den Neustart zu erleichtern, anstatt die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht über längere Zeit fortzusetzen.

Viele mittelständische Unternehmer haben in den vergangenen Monaten aktiv nach Wegen gesucht, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern. Sie haben dabei ganz im Sinne von Ludwig Erhard gehandelt, der es gerade als ein Kennzeichen der sozialen Marktwirtschaft hervorhob, dass Unternehmer in Krisenzeiten "ein fast unglaubliches Maß an Anpassungsfähigkeit besitzen, und dass es gerade dieses 'Sich-bewähren-Müssen' im Markte ist, welches den wirtschaftlichen Fortschritt verbürgt".

Durch diese Anpassungsfähigkeit an die jeweilige Situation wirkten die mittelständischen Unternehmen während der vergangenen Monate stabilisierend auf Gesellschaft und Wirtschaft: Denn sie vermittelten dadurch Verbindlichkeit und Verlässlichkeit - Werte, die in Krisenzeiten die Unsicherheit aller Marktteilnehmer verringern. Dies ließ sich auch schon während der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 beobachten: So suchten die mittelständischen Unternehmen damals wie heute ihre Mitarbeiter so lange wie möglich (auch unter Nutzung des Kurzarbeitergeldes) zu halten. Dies zahlte sich beispielsweise für die großen Familienunternehmen aus: Sie konnten wachsende Auftragseingänge in der Zeit der Konjunkturerholung schnell abarbeiten, sodass die Unternehmen schnell wieder auf Erfolgskurs kamen. So erzielten sie verglichen mit den großen managergeführten Unternehmen sowohl 2010 als auch 2011 höhere Umsätze.

Doch der Mittelstand leistet nicht nur in Krisenzeiten einen wichtigen Beitrag für Wirtschaft und Gesellschaft. Er ist generell das Rückgrat unserer Wirtschaft: Allein die kleinen und mittleren Unternehmen - und dies ist nur ein Teil des Mittelstands - beschäftigen fast 55 Prozent aller abhängigen Erwerbstätigen und mehr als 71 Prozent aller Auszubildenden.

Die mittelständischen Unternehmen sind über ganz Deutschland verteilt und gerade in den eher ländlichen Räumen stark mit ihrem lokalen Umfeld verbunden. Daher war es angesichts der enormen Folgen der Pandemie wichtig, die mittelständischen Unternehmen in ihrer Vielfalt mithilfe von staatlichen Unterstützungsmaßnahmen zu erhalten. Auf diese Weise können sie weiterhin ihren Beitrag zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, zur Entwicklung der Regionen und zur Teilhabe der Erwerbstätigen und ihrer Angehörigen an der Gesellschaft leisten.

Anders ausgedrückt: Hätten in einzelnen Regionen viele mittelständische Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit beenden müssen, hätten die dortigen Erwerbsstätigen nicht mehr im gewünschten Umfang am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Dies kann zur Folge haben, dass die Lebensqualität der Einzelnen sinkt - und die Unzufriedenheit mit der Demokratie steigt. Dass die Gesellschaft das Engagement der Mittelständler während und außerhalb von Krisenzeiten honoriert, hat sich in der aktuellen Corona-Pandemie deutlich gezeigt: Als Beispiel seien hierfür nur die zahlreichen "Kauf-vor-Ort"-Initiativen in der akuten Krise genannt.

Schub für die digitale Kreditvergabe

Blickt man auf die vergangenen Monate zurück, so stellt man zum einen fest: Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie haben die Unternehmen unterschiedlich getroffen: Ein Großteil von ihnen konnte unter Einhaltung eines Hygienekonzeptes weitestgehend unbehindert weiter agieren, manche Teile der Wirtschaft profitierten sogar von der Krise, ein dritter Teil kämpft(e) ums Überleben. Zum anderen zeigt sich aber auch, dass die Pandemie zu nachhaltigen Veränderungen geführt hat: Sie hat nicht nur bereits bestehende strukturelle Trends - beispielsweise im Hinblick auf die Digitalisierung - verstärkt, sondern auch das Konsumverhalten verändert. Während der Online-Handel beispielsweise zuletzt beim Weihnachtsgeschäft 2021 ein Plus von 20 Prozent verzeichnen konnte, blieben die Umsätze im stationären Nicht-Lebensmittelhandel laut Handelsverband Deutschland gut 35 Prozent hinter dem Vorkrisenniveau zurück.

Ein anderes Beispiel ist die digitale Kreditvergabe, wie eine andere Studie des IfM Bonn belegt: Auch wenn kleine und mittlere Unternehmen in den vergangenen Pandemiemonaten notwendige Investitionen offenkundig vorrangig über Förderkredite beziehungsweise ihre Hausbank finanziert haben, könnte die digitale Kreditvergabe im Zuge der Pandemie langfristig einen Schub erhalten haben. Schließlich haben viele kleine und mittlere Unternehmen positive Erfahrungen mit Dienstleistungen gemacht, die in diesen Monaten ausschließlich digital stattfanden.

Kleinkredite eher über Fintechs

Da digitale Finanzierungsplattformen oftmals Lösungen mehrerer Kreditgeber anbieten, reduzieren sich für Mittelständler die Kosten der Suche nach Finanzierungsanbietern. Auch erhalten insbesondere kleine und besonders innovative Unternehmen über Fintechs eher Kleinkredite und kurzfristige Betriebsmittelfinanzierungen als bei einer etablierten Bank - selbst wenn sie nicht die banküblichen Sicherheiten vorweisen können.

Daneben bieten Fintechs den Unternehmen häufig auch innovative Analysetools, um die eigene Finanzsituation besser durchleuchten zu können. Dadurch können sie ihr Liquiditätsmanagement optimieren und Möglichkeiten der Innenfinanzierung verbessern.

Die digitale Finanzierung wird daher zukünftig im Zuge der steigenden Bedeutung der Blockchain-Technologie eine größere Rolle bei der KMU-Finanzierung spielen wird. Ebenso dürften innovative Finanzierungsmethoden wie Pay per Use an Nachfrage gewinnen: Statt eine Maschine zu kaufen, zahlen die Unternehmen jeweils für deren Nutzung.

Aus der Krise auf die Überholspur

Zweifellos waren massive sektorale und betriebsbezogene Unterstützungsleistungen in den vergangenen Monaten aufgrund der Schwere der Pandemiefolgen unumgänglich. Nun sollte sich die Mittelstandspolitik jedoch wieder auf ordnungspolitische Grundsätze konzentrieren und mittelständische Unternehmen in ihrer gesamten Vielfalt dazu befähigen, die aktuellen und künftigen Herausforderungen aus eigener Kraft zu bewältigen. Anderenfalls besteht erstens die Gefahr, dass Unternehmen mit fehlender Zukunftsfähigkeit am Markt verbleiben. Dies verzerrt den Wettbewerb zulasten zukunftsfähiger Neugründungen - und behindert den Strukturwandel. Oder wie es Ludwig Erhard ausdrückte: "Ebenso wie der Schiedsrichter nicht mitspielen darf, hat auch der Staat nicht mitzuspielen."

Auch würde durch eine längerfristige Stützung mittelständischer Unternehmen das Bild früherer Tage reaktiviert, dass der Mittelstand ein hilfsbedürftiger Wirtschaftsbereich sei, der es eigenständig nicht schafft, aus Krisensituationen herauszukommen.

Abbildung 2: Monatliche Anzahl der gewerblichen Existenzgründungen 2017 bis 2021 Quelle: Statistik der gewerblichen Existenzgründungen und Liquidationen des IfM Bonn (Basis: Gewerbeanzeigenstatistik des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden)

Existenzgründungsgeschehen nicht dauerhaft ausgebremst

Dass die generellen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland Unternehmertum befördern, belegt jedoch auch die Tatsache, dass die Entwicklung des Existenzgründungsgeschehens während der Pandemie nicht dauerhaft ausgebremst wurde: So hat sich gezeigt, dass der zweite Lockdown ab November 2020 und der dritte Lockdown ab April 2021 das Gründungsgeschehen im gewerblichen Bereich deutlich weniger beeinflussten als der erste Lockdown im Frühjahr 2020.

Zwischen Januar und Oktober 2021 wurden rund 200 000 gewerbliche Existenzgründungen angemeldet - das sind 0,7 Prozent mehr als in den ersten zehn Monaten des Jahres 2020. Hervorzuheben ist, dass die Anzahl der Gründungen von Hauptniederlassungen im Vergleich zum Vorjahr deutlich zugenommen hat. Mehr noch: Sie liegt auch über dem Niveau der Vorpandemiejahre. Diese Gründungen sind aus volkswirtschaftlicher Perspektive besonders bedeutsam, weil in diesen Betrieben meist weitere Arbeitsplätze eingerichtet werden. Der Anteil der Kleingewerbegründungen an allen Existenzgründungen sank erstmals seit vielen Jahren auf 50 Prozent.

Angesichts der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen - demografischer Wandel (Fachkräftesicherung), digitale Transformation und Klimawandel - ist es für die mittelständischen Unternehmen wichtig, dass Mittelstandspolitik mehr noch als bisher als Querschnittspolitik gesehen wird: Schon im Vorfeld der Gesetzgebung sollte darauf geachtet werden, dass die Belange des Mittelstands in allen beteiligten Ressorts berücksichtigt werden. Maßstab sollte sein, dass mittelständische Unternehmen jeglicher Größe die Gesetzesvorgaben ohne übermäßige finanzielle Belastungen umsetzen können.

Wenn mittelständische Unternehmen die Anforderungen des Klima- und Umweltschutzes wie auch der Digitalisierung als Chancen für das eigene Unternehmen erkennen - und nutzen, wird dies ihre (internationale) Wettbewerbsfähigkeit stärken. Allerdings benötigt der Mittelstand dafür gut ausgebildete Fachkräfte. Bereits heute besteht jedoch ein Mangel an qualifiziertem Personal. Diese Situation dürfte sich mittelfristig noch verschärfen, sollte es der Bundesregierung nicht gelingen, ihren im Koalitionsvertrag dargelegten Maßnahmenkatalog umzusetzen.

Dr. Rosemarie Kay , stellvertretende Geschäftsführerin , Institut für Mittelstandsforschung, Bonn

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