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Patente für die Videoidentifikation: Was heißt das für die Praxis? Standpunkte der Kontrahenten

Sebastian Bärhold, Geschäftsführer, IDnow GmbH, München

Quelle: IDnow GmbH

Ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf in einem Patentstreit in Sachen Videoidentifikation hat die Finanzbranche verunsichert. Schließlich geht es um die Frage, inwieweit die implementierten Verfahren Patente verletzen und weiterverwendet werden können. Stimmen aus der Kreditwirtschaft finden sich bislang nicht. Denn Klarheit ist mit dem Urteil offenbar noch nicht erreicht. Beide Parteien, IDnow und WebID Solutions sind sich sicher, das Patent in Sachen Videoidentifikation zu haben. Die IDnow rät Kreditinstituten indirekt dazu, den Anbieter zu wechseln, um auf der sicheren Seite zu sein. Die in Düsseldorf unterlegene WebID Solutions beruhigt hingegen: Die beanstandeten technischen Details wurden inzwischen geändert, sodass das Verfahren jetzt unangreifbar sei. Gleichzeitig hat das Unternehmen gegen IDnow Strafanzeige wegen Falschinformationen erstattet und gegen das Düsseldorfer Urteil Berufung eingelegt. Ein Einspruch gegen das Patent von IDnow liegt bereits seit 2016 vor. Und das Unternehmen wurde wegen Falschinformationen verklagt. Red.

IDnow: Rechtliche Klarheit erreicht

Von Sebastian Bärhold - Am 18. Mai 2016 wurde das EU-Patent für das selbstentwickelte Videoidentifikationsverfahren von IDnow veröffentlicht. Seitdem kamen immer mehr Anbieter mit sehr ähnlichen Verfahren auf den Markt. Da ist es oft nicht leicht, den Überblick darüber zu bewahren, welches sowohl in der Handhabung als auch im Hinblick auf die Rechtssicherheit die beste Lösung ist. Doch in einem so stark regulierten Umfeld wie der Finanzbranche ist gerade die rechtliche Klarheit äußerst wichtig. Deswegen ließ IDnow prüfen, ob Mitbewerber die durch das Patent geschützte Erfindung verletzen. Nach gründlicher rechtlicher Prüfung war klar, dass einer der Mitbewerber das Patent verletzt. Um auch auf Wunsch einiger Kunden besagte Klarheit im Markt zu schaffen, reichte IDnow im Sommer 2016 am Landgericht Düsseldorf Klage ein.

Am 31. August 2017 fiel das Urteil durch das Landgericht Düsseldorf. Es wurde entschieden, dass der Mitbewerber WebID Solutions GmbH den deutschen Teil des europäischen IDnow-Patents (EP 2 948 891 B1) verletzt. Er hat zwar gegen das Urteil Berufung einlegt, aber dennoch besteht seit dem 31. August 2017 für den Patentinhaber IDnow bereits ein Unterlassungsanspruch, der vorläufig gegen Sicherheitsleistung mit Wirkung in Deutschland vollstreckbar ist.

IDnow ging es darum, mit dem Urteil bestehende Unsicherheiten aus der Welt zu schaffen. Bei der Ident-Lösung handelt es sich schließlich um einen hochsensiblen Service, weshalb die Kunden sicher sein müssen, eine langfristig verlässliche Lösung einzusetzen. Obwohl der Mitbewerber spätestens seit vergangenem Jahr von der Existenz des Patents wusste, hat er das Videoidentifizierungsverfahren, das Gegenstand des Patentverletzungsverfahrens ist, weiter betrieben und keine Anstrengungen unternommen, den Rechtstreit gütlich beizulegen.

Es geht um die Bilddaten

Bei dem Patentprozess ging es um Anspruch 9 (EP'891). Dieser betrifft unter anderem den Datenaustausch zwischen dem Endgerät des Nutzers und dem Ident-Anbieter, vor allem im Hinblick auf die Bereitstellung von Bilddaten, die für die Identifizierung des Nutzers erforderlich sind.

Denn nur mit hoher Bildqualität können die Sicherheitsmerkmale auf dem Ausweisdokument korrekt erkannt und entsprechend den Vorgaben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überprüft werden. Besagter Anspruch umfasst das Verfahren zum Bereitstellen von Bilddaten, die ein Identifizieren eines Benutzers ermöglichen, wobei das Verfahren umfasst:

- Empfangen von Validierungsdaten von einem Identifizierungsserver, wobei die Validierungsdaten mindestens zwei unterschiedliche Perspektiven einer erste Bilddaten erfassenden Kamera eines Endgeräts eines Benutzers zu einem Identifizierungsdokument indizieren;

- Erfassen von ersten Bilddaten mittels einer Kamera, wobei die ersten Bilddaten ein Identifizierungsdokument mit einem Lichtbild des Benutzers abbilden und mindestens zwei Bilder umfassen, die das Identifizierungsdokument aus unterschiedlichen Perspektiven abbilden,

- Erfassen von zweiten Bilddaten mittels der Kamera, wobei die zweiten Bilddaten eine Gesichtspartie des Benutzers abbilden;

- Senden der ersten Bilddaten und der zweiten Bilddaten von dem Endgerät des Benutzers an den Identifizierungsserver für das Identifizieren des Benutzers,

- wobei das Identifizieren auf einem Vergleich der ersten mit den zweiten Bilddaten beruht, um eine Ähnlichkeit des Lichtbilds des Benutzers aus den ersten Bilddaten mit der Gesichtspartie des Benutzers aus den zweiten Bilddaten zu bestimmen,

- wobei das Identifizieren weiterhin auf einem Bestimmen von Identifizierungsdaten des Benutzers aus den ersten Bilddaten anhand des Identifizierungsdokuments beruht;

- dabei umfasst das Verfahren weiterhin das Empfangen von Steuerdaten von dem Identifizierungsserver, wobei die Steuerdaten das Endgerät instruieren, die ersten Bilddaten und/oder die zweiten Bilddaten mit bestimmten Bildparametern zu erfassen.

Die Verletzung des Patents in allen Punkten mit Ausnahme des Empfangens von Steuerdaten wurde erst gar nicht bestritten. Das Gericht sah es aber auch als erwiesen an, dass auch Letzteres durch das angegriffene Verfahren verwirklicht wurde.

Wie geht es weiter?

Das beklagte Unternehmen hat Berufung eingelegt. Und es behauptet, durch eine Anpassung ihres Verfahrens die Patentverletzung umgehen zu können. Inwieweit das realisierbar ist, wird sich in den nächs ten Monaten zeigen. Zudem hat der Mitbewerber Einspruch gegen das IDnow-Patent eingelegt. Dieser führte bislang nicht zum Erfolg.

Fakt ist, dass IDnow zum Schutz seines Patents den Unterlassungsanspruch entsprechend dem Urteil gegen den Mitbewerber jederzeit durchsetzen kann. Damit wird sich wahrscheinlich für viele Banken die Frage stellen, auf welchen Anbieter sie langfristig setzen wollen.

Deutschland mit Vorreiterrolle

Zugelassen ist die Online-Identifizierung in Deutschland seit 2014. Damit war die Bundesrepublik das erste Land, das es Unternehmen, die dem Geldwäschegesetz unterliegen, ermöglichte, ihre Kunden auch über das Internet völlig rechtskonform zu legitimieren.

Inzwischen hat sich das Videoidentifikationsverfahren in der Finanzbranche fest etabliert und das Kundenerlebnis revolutioniert. War man früher an die Öffnungszeiten von Banken oder der Postfiliale gebunden, um sich zu identifizieren, ist es mittlerweile problemlos möglich, am Wochenende online ein Konto zu eröffnen oder spätabends einen Kredit zu beantragen. Immer mehr Branchen entdecken inzwischen die Vorteile der Videoidentifikation für sich, oft auch in Verbindung mit der elektronischen Vertragszeichnung. Damit lassen sich Verträge einfach online mittels einer qualifizierten elektronischen Signatur (QES) unterzeichnen, die genauso rechtsicher ist wie eine handschriftliche Unterschrift. Seit der eIDAS-Verordnung vom 1. Juli 2016 besitzt die QES sogar europaweite Gültigkeit.

Deutschland hat nicht nur mit der Einführung der Videoidentifikation eine Vorreiterrolle in Europa übernommen, sondern sorgt mit regelmäßig aktualisierten Vorgaben durch die BaFin auch dafür, dass das Verfahren hierzulande höchste Sicherheit bei gleichbleibender Nutzerfreundlichkeit bietet. Erst im April 2017 hat die BaFin die Sicherheitsstandards für das Verfahren nochmals erhöht, um es stärker gegen potenzielle Betrugsversuche und Hacker-Attacken abzusichern.

Neben der Sicherheit, dass ein Kunde korrekt identifiziert wurde, profitieren Finanzinstitute, die eine Online-Identifizierung einsetzen, auch von deutlich gesteigerten Konversionsraten. Dies zeigt, dass Kunden komfortable und rein digitale Prozesse schätzen, die es ihnen ermöglichen, Geschäftsvorgänge ohne Medienbruch und so flexibel wie möglich abzuwickeln. Allein in der Finanzbranche werden in Deutschland jedes Jahr mehrere Millionen Identifizierungen durchgeführt, mit deutlich steigender Tendenz. Umso wichtiger ist es, dass gerade in diesem sensiblen Umfeld Klarheit über die eingesetzten Lösungen herrscht.

Sebastian Bärhold, Managing Director, IDnow GmbH, München

WebID Solutions: Erfinder und Patentinhaber

Von Frank Stefan Jorga - Das Landgericht Düsseldorf hat am 31. August 2017 in erster Instanz das Urteil gesprochen, demzufolge WebID Solutions mit einem kleinen Teil ihres Videoidentifikationsverfahrens ein entsprechendes Patent der IDnow verletzt haben sollen. Das Urteil halten wir für falsch und haben dagegen am 31. August 2017 Berufung eingelegt. Es entstehen zudem keine Handlungskonsequenzen für die Kunden.

Dennoch hat der Richterspruch den Markt verunsichert. Besonders Banken stellen sich die Frage, wie es weitergeht. Daher sollen in diesem Artikel die Hintergründe des Urteils und die Innovation, vor allem aber die Chronologie des Erfindungsprozesses der vergangenen Jahre beleuchtet werden.

Bereits im Jahr 2011 kam ich auf die Idee der "GwG-konformen, höchst sicheren Online-Identifikation per Videocall". In Gesprächen mit Juristen, Bankern und Behörden erkannte ich die Möglichkeit, das Konzept erfolgreich im Markt umzusetzen und sprach hierfür potenzielle Mitgesellschafter an. Daraufhin wurde im Jahr 2012 die WebID gegründet. Noch im Jahr der Gründung wurden Gespräche mit dem Bundesfinanzministerium in Berlin eröffnet, nachdem die BaFin in Hinblick auf die Geschäftsidee auf dessen Entscheidungshoheit des Bundesfinanzministeriums verwiesen hatte.

Im Januar 2014 genehmigt

Die Gründungsgesellschafter finanzierten die Innovation mit rund einer Million Euro aus eigenen Mitteln. Dabei wurde vor allem in den hohen technologischen und rechtlichen Aufwand investiert. Diese Entwicklungs- und Anpassungsphase erstreckte sich über etwa zwei Jahre. Am 12. August 2013 konnte dann der gesamte Prozess der Videoidentifizierung als Patent beim Deutschen Paten- und Markenamt angemeldet werden, und zwar mit dem Titel: "Verfahren zum Verifizieren der Identität eines Nutzers". Das Patent wurde schließlich am 2. Juni 2016 offiziell vom Deutschen Paten- und Markenamt erteilt und war damit das erste Patent dieser Art.

Parallel wurden die Gespräche zur Genehmigung des Videoidentifizierungsverfahrens in Deutschland mit dem Bundesfinanzministerium (BMF) fortgesetzt. Bereits im Januar 2014 hat Michael Findeisen, bis Mitte 2016 der zuständige Ministerialrat im Bundesfinanzministerium, mündlich die Genehmigung erteilt und diese schriftlich im Februar 2014 nachgereicht. Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik ist damit ein alternatives Identifikationsverfahren genehmigt worden - und es beruht auf eigenen Entwicklungen und den Verhandlungen mit dem Finanzministerium.

Die Gespräche, Verhandlungen und die Genehmigung der Innovation bildeten schließlich die Grundlage für das einschlägige BaFin-Rundschreiben 1/2014 (GW), direkt veröffentlicht zwei Monate nach der Genehmigung des Verfahrens, das in diesem Jahr mit dem BaFin-Rundschreiben 3/2017 seine Fortsetzung gefunden hat. Damit ist das Patent von WebID Solutions inhaltlich das einzige der Branche, das mit den einschlägigen Verfahrensschritten der Erfindung die Basis für gleich mehrere BaFin-Rundschreiben darstellte und darstellt - und an diese Vorgaben muss sich die gesamte Branche halten.

Die weltweit erste Bank, die die Videoidentifizierungstechnologie einsetzte, war die SWK Bank. Das Kreditinstitut ging mit der Lösung im April 2014 live auf den Markt.

Die meisten großen Banken in Deutschland arbeiten heute mit WebID zusammen, darunter die Deutsche Bank, Deutsche Kreditbank (DKB), Barclaycard, Targobank, ING-Diba, Consors Finanz, Bawag P.S.K., BNP Paribas, Santander und viele mehr. Zudem ist es gelungen, die Erfindung auf andere Märkte zu bringen, und zwar über Tochtergesellschaften in Österreich, der Schweiz, Indien und bald auch in den USA.

Zu den Innovationen zählt ebenfalls, dass die Technologie auf neue Branchen übertragen wird, etwa bei der Identifikation von SIM-Kartenbesitzern für Mobilfunkunternehmen oder auch beim Online-Autoleasing (Tesla Motors). So setzen große Telekommunikationsunternehmen (Vodafone, Lebara, Lycamobile, Congstar (Deutsche Telekom) und andere auf WebID.

Technische Details umgestellt

Das Urteil des Landgerichts Düsseldorf macht deutlich, dass es sich bei dem Rechtsstreit nicht um die WebID-Erfindung "Videoidentifizierung" handelt, sondern um technische Feinheiten bei den Steuerungsdaten der Videoübertragung. Diese Parameter sind nichts Besonderes, sondern waren bereits vor den Patenten der IDnow und der WebID in der Videotelefonie enthalten und damit längst Stand der Technik. Dieser Aspekt lässt sich also gar nicht durch ein Patent oder ein Urteil schützen. Deshalb wurde umgehend Berufung eingelegt.

Um dem zwar nicht rechtskräftigen, aber bis zur Berufungsentscheidung gültigen Richterspruch zu folgen, hat WebID die im Urteil angesprochenen technischen Elemente umgestaltet. Über alle technischen Details zur Umgestaltung und den Umstand, dass WebID nicht gegen das Patent der IDnow verstößt, wurden die Kunden informiert, sodass sich die Aufregung nun wieder gelegt hat.

Rechtliche Schritte

Dennoch hat auch WebID rechtliche Schritte eingeleitet, obwohl bislang trotz des rechtskräftigen Patents noch kein Wettbewerber verklagt wurde. Bereits am 12. August 2016 wurde Einspruch gegen das IDnow-Patent eingelegt. Denn bei der Patenterteilung an IDnow ist es aus unserer sowie der Sicht der Patentkanzlei Boehmert & Boehmert zu gravierenden Fehlern gekommen. Auch die Deutsche Post AG hat gegen dieses Patent Einspruch eingelegt.

Zudem wurde am 13. Juli 2016 eine Einstweilige Verfügung gegen eine IDnow-Informationsmail erwirkt, da klar wurde, dass das Unternehmen dadurch den Markt und die Medien unvollständig und damit fehlerhaft informiert hat. Danach wurde es ruhiger. Nun wiederholt sich dies jedoch. Es bleibt daher erneut nichts anderes übrig, als mit rechtlichen Mitteln gegen IDnow vorzugehen. Hierzu gehört, das Unternehmen nun wegen der Verletzung unseres Patents zu verklagen. Und aufgrund des Verbreitens unvollständigen und damit von fehlerhaften Informationen an Kunden von WebID wurde am 7. September 2017 Strafanzeige und Strafantrag gegen die Geschäftsführer von IDnow erstattet.

Das soll natürlich nicht heißen, dass der Weg für eine Gesprächsebene verbaut ist. WebID ist stets an außergerichtlichen Einigungen interessiert und sieht gute Chancen, dass aufgrund von Gesprächen eine neue Basis geschaffen werden kann, um solche Konflikte für die Zukunft endgültig zu vermeiden. Zudem ist WebID mit dem neuen, automatischen Identprüfprozess WebID 2.0 wieder einmal Innovationsvorreiter, sodass es sogar vorstellbar erscheint, die Wettbewerber an den technischen Innovationen über Kooperationen teilhaben zu lassen.

Frank Stefan Jorga, Geschäftsführer, WebID Solutions GmbH, Berlin

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