VERBUNDSTRATEGIE

Potenziale agiler Projektentwicklung für Sparkassen und Volksbanken

Frank Hummel, Foto: P3N

Bei der Neuausrichtung des Vertriebs gibt es bei der Verzahnung von Vertrieb und Service oftmals noch Defizite, sagt Frank Hummel. Um zu einem ganzheitlichen Ansatz zu kommen, sollte der Service- in das Vertriebskonzept integriert und dafür zuerst definiert werden. Am Beispiel der Bargeldversorgung heißt das: Die Bargeldlogistik muss dem Bargeldvertrieb folgen. Realisieren lässt sich ein solcher ganzheitlicher Ansatz - Hummel zufolge - am schnellsten mit agilen Projektmethoden. So lasse sich die Projektlaufzeit um etwa die Hälfte verkürzen. Ein Patentrezept ist die agile Projektentwicklung allerdings nicht. Der Autor hält fest: Die Methode muss immer zum Ziel passen. Red.

Gewohnte Vertriebswege müssen angesichts der Digitalisierung neu justiert und Ressourcen kritisch auf Fehlallokationen und Optimierungspotenziale hin überprüft werden. Sparkassen und Genossenschaftsbanken bieten das DSGV-Konzept "Vertriebsstrategie der Zukunft" (VdZ) und das BVR-Konzept "Kundenfokus" eine willkommene Orientierung für die vertriebliche Neuausrichtung.

Ein Blick in die Praxis zeigt jedoch, dass in entsprechenden Projekten die Verzahnung mit den Serviceleistungen oftmals unbeachtet bleibt oder lediglich auf Basis von Annahmen erfolgt. Die daraus resultierenden Folgen sind ebenso weitreichend wie unerwünscht. Fehlende Servicekapazitäten etwa gehen zulasten der Beratungsressourcen - die Sparkassen und Volksbanken allerdings dringend brauchen. Ebenso ist es notwendig, die Filialausstattung an den aktuellen und auch zukünftigen Kundenbedürfnissen möglichst flexibel auszurichten. Erfolgt dies nicht, droht auf Mitarbeiter- und/oder Kundenseite ein hohes Maß an Unzufriedenheit - mit allen erdenklichen Konsequenzen.

Um hier schneller optimale Lösungswege zu finden, setzen Finanzinstitute vermehrt auf agile Projektentwicklungsmethoden. Der Vorteil: Projektschritte, die in der Regel mehrere Monate beanspruchen, können innerhalb von nur wenigen Wochen bearbeitet werden. Auf diese Weise gelingt nicht nur eine zeitnahe Realisierung der Optimierungspotenziale, sondern auch die rechtzeitige Verzahnung beziehungsweise Synchronisierung mit den notwendigen Veränderungen im Servicebereich.

Damit die Verzahnung von Vertrieb und Service gelingen kann, gilt es zunächst einmal die Frage zu klären, was überhaupt unter Serviceleistungen zu verstehen ist? Gibt es hier eine Deutungsart, die allen verständlich ist? Oder hat jede Bank oder Sparkasse eine unterschiedliche Definition? Die Antworten darauf sind erwartungsgemäß komplex, denn die Vertriebsschnittstellen zum Service sind extrem inhomogen. Damit stehen auch scheinbar eindeutige und standardisierte Konzepte wie "Beraterbank" oder "Servicebank" zur Diskussion.

Eine Frage der Definition: Vertrieb und Service

Um eine klarere Definition der Schnittstellen sowie eine stärkere Abgrenzung von Service und Vertrieb zu schaffen, gilt es, die jeweiligen Leistungen und Tätigkeiten konkret zu benennen. Die P3N AG hat hier beispielsweise einen Tätigkeitenkatalog erstellt, der über 150 Vorgänge nur für Serviceleistungen (mit und ohne Kundenkontakt) in den Filialen enthält. Er bietet damit die Grundlage für eine bessere Abgrenzung und Strukturierung beider Bereiche.

Eine dieser Tätigkeiten ist beispielsweise die Kundenansprache (Terminvereinbarung) beziehungsweise der Verkauf von (Service-)Produkten. Auch hier müssen die Zuständigkeiten und der Umfang der Aufgabe klar abgegrenzt sein und die Ursache-Wirkungsketten ganzheitlich bearbeitet werden. Wer spricht den Kunden wann an? Der Vertriebler, also Kundenberater oder doch der Servicemitarbeiter?

Ein weiteres Beispiel: Ist eindeutig definiert, wo die Schnittstelle im Bereich Zahlungsverkehr liegt? Reicht es, wenn der Berater über entsprechendes Fachwissen verfügt oder muss auch der Servicemitarbeiter eine gewisse Expertise mitbringen? Oder ab wann übergibt der Servicemitarbeiter im Zweifel an einen Berater, wenn sein Fachwissen nicht ausreicht? Auch beim Barzahlungsverkehr für einen Großkunden stellt sich die Frage, ob es sich um ein Servicethema handelt oder der Firmenkundenberater zuständig ist?

Servicekonzept zuerst definieren

All diese Einzelthemen fordern Antworten, bevor sie zu einem gelungenen Ganzen werden - beispielsweise auf die grundsätzliche Frage, ob ein maßgeschneidertes Servicekonzept der Vertriebsorganisation folgen sollte oder umgekehrt.

Die Empfehlung aus der Praxis zeichnet hier ein klares Bild: Das Servicekonzept sollte in das Vertriebskonzept einfließen. Es ist also idealerweise vorher definiert. Die gängige Lösung in der Praxis ist allerdings leider eine andere: Häufig gehen Sparkassen und Banken in dem guten Glauben voran, das Richtige zu tun und müssen dann im Rahmen der praktischen Umsetzung feststellen, dass sie in eine Sackgasse geraten sind. Dann folgen in der Regel zeit- und kostenaufwendige Nachjustierungen oder Reparaturen.

Dieser augenscheinliche Nachteil muss jedoch nicht die Regel sein. Es kann an dieser Stelle helfen, das potenzielle Vorgehen im Vorfeld mit allen Beteiligten zu diskutieren. Bewährt haben sich hierbei sowohl ein klassischer Top-Down als auch ein Bottom-up-Ansatz (siehe Abbildungen 1 und 2). Welcher Ansatz am erfolgversprechendsten ist, hängt natürlich von dem jeweiligen Kreditinstitut und dessen geschäftspolitischen Zielstellungen ab.

Der Bottomup-Ansatz entspricht eher einem "evolutionären" Vorgehen, beginnend mit der Analyse der Ausgangssituation. Es folgt eine Diskussion über die Strategie sowie die Erstellung eines Konzeptes, in welchem die strategischen Grundüberlegungen aufgehen, bevor es an die Umsetzung geht - hierbei ist durchaus eine agile Konzeptarchitektur möglich, die die Projektgeschwindigkeit deutlich erhöhen kann.

Der Top-Down-Ansatz beginnt hingegen mit einer Diskussion über das Zielbild, also quasi auf der "grünen Wiese" und fixiert ein langfristiges Vorgehen. Der Zielbilddiskussion schließt sich eine Analyse potenzieller GAP's an, also den "Hindernissen" zwischen Ist- und Sollzustand. Das ausgearbeitete Konzept setzt dort an, wo sich jene überwinden lassen - auch hier mit einem sinnvollen agilen Ansatz.

Ganzheitliche Lösungen forcieren

Derzeit stehen viele Institute vor grundsätzlichen Herausforderungen, die die gesamte Kreditwirtschaft betreffen, ob demografischer Wandel, verändertes Kundenverhalten oder ineffizienter Umgang mit Ressourcen. Der Vielfalt dieser Veränderungen wird keine Bank oder Sparkasse mit einzelnen, isolierten Lösungen gerecht, sondern nur mit einem ganzheitlichen Ansatz, der bestehende Konzepte neu definiert.

Einige Institute haben hier bereits reagiert, etwa bei der Bargeldlogistik, der Serviceabwicklung und dem Zahlungsverkehr. Die Lösung: Eine schlanke und zentrale Organisation. So gelingt es manchen Banken und Sparkassen beispielsweise, die Kostenstruktur für die Versorgung mit SB-Geräten zu optimieren. Doch häufig bleiben dann andere Herausforderungen auf der Strecke. Denn wenn vonseiten der Kunden bestimmte Leistungen weiterhin gefragt sind, etwa solche, die eine persönliche Betreuung oder Abwicklung erfordern, müssen auch die dafür notwendige Infrastruktur (technisch/personell) und entsprechende Prozessketten bestehen bleiben. An dieser Stelle realisieren die meisten Institute, dass nur ein ganzheitlicher Ansatz alle Anforderungen erfüllt. Die Erkenntnis: Viele der vorhandenen Probleme lassen sich allein dadurch lösen, dass das Serviceangebot auf den tatsächlichen Bedarf des Kunden ausgerichtet und gleichzeitig steuernd bepreist wird.

Fundierte Analysen durchführen

Die Voraussetzung für die Konzeption eines ganzheitlichen Lösungskonzepts ist jedoch die Transparenz von Prozessen und Kundenströmen. Nur auf diese Weise werden Effizienzpotenziale sichtbar. Hier schafft beispielsweise eine Tablet-gestützte Analyse der Filialservices die Grundlage. Auf diese Weise ist es möglich, bestehende Abhängigkeiten zwischen den angebotenen Services in der Filiale und den Aufwänden im Front- und Backoffice zu analysieren - und somit die Hauptelemente für die Optimierung sichtbar zu machen.

Bei vielen Banken und Sparkassen zeigt sich dabei schnell, dass zum Beispiel die Bargeldlogistik dem Bargeldvertrieb nachfolgen muss und dass die identifizierten Optimierungspotenziale nicht allein im Hintergrund stattfinden sollten, sondern dort, wo sie für den Kunden sichtbar und somit spürbar sind.

Gleichzeitig sollten auch die Risiken eines ganzheitlichen Ansatzes Beachtung finden. Geschehen Veränderungen in einem solchen Ausmaß, dass sie bisherige Serviceleistungen dadurch stark negativ beeinflussen, wirkt sich das im Zweifel nicht nur toxisch auf das Image aus, sondern auch für die Motivation der Mitarbeiter - mit nachteiligen Folgen im Endergebnis.

Projektkonzeption mit allen Beteiligten

Ein Lösungsansatz kann an dieser Stelle eine agile Projektkonzeption sein, bei dem in diesem Themenfeld erfahrene Berater den Transfer in die Praxis und den Arbeitsalltag moderieren und überprüfen. Dabei sind nicht nur die Mitarbeiter aus der Filiale einzubinden, sondern alle am Prozess Beteiligten, wie beispielsweise die Datenmanagement-Experten der Bank. Den Rahmen steckt selbstredend der Vorstand indem er klare Zielvorgaben macht.

Zur Wahrheit solcher agiler Lösungen gehört allerdings auch, dass zahlreiche Herausforderungen bestehen bleiben, insbesondere mit steigender Anzahl der Beteiligten. Mit wachsender Diversität muss jeder Mitarbeiter, der in die (agilen) Workshops zur Konzeption eingebunden ist, schließlich über die gleiche Diskussionskultur verfügen, auch wenn diese kontrovers sein mag. Dabei gilt es sowohl hierarchische Grenzen zu überwinden als auch Offenheit und Transparenz zu pflegen. Trotzdem ist eine Diskussion zu derart grundlegenden Überlegungen nie frei von Überraschungen.

Der Entwurf einer geeigneten Konzeption kann insbesondere dann gelingen, wenn die Projektumgebung agilen Methoden folgt. In einem norddeutschen Kreditinstitut beispielsweise erstellte das Projektteam auf Basis einer agilen Projektmethodik in drei sogenannten "Sprints" und einer "Retrospektive" innerhalb kürzester Zeit eine innovative Service- und Bargeldstrategie.

Für jeden dieser Sprints kamen die erstellten Ziele in ein Backlog, wo sie weiterentwickelt wurden. Die involvierten externen Berater fungierten im gesamten Prozess als Moderatoren und sorgten dafür, dass der ganzheitliche Ansatz für das Sortiment-Management nicht aus dem Blick geriet.

Im Rahmen von Workshops sollten dabei im ersten Schritt Antworten grundlegender Fragen zur Konzeption gesammelt werden, beispielsweise welche Kundengruppen über die Filiale und die SB-Technik künftig bedient werden sollten, welche Leistungen die Filiale künftig anbieten möchte, welche Leistungen die Mitarbeiter selbst übernehmen könnten und welche Kunden von potenziellen Veränderungen betroffen wären sowie die Frage, welche Alternativen diesen Kunden zur Verfügung stehen sollten.

Agile Projektierung mündet in messbaren Ergebnissen

Innerhalb des ersten "Sprints" legten die Workshop-Teilnehmer dann die Zielgruppe für verschiedene Kanäle fest, mit interessanten Ergebnissen: Großkunden, die erfahrungsgemäß bargeldintensiv sind, sollten zum Beispiel zukünftig über einen Wertdienstleister betreut werden und "Standardkunden" über die Filiale und SB-Systeme. Kriterien für diese Einstufung waren unter anderem das Volumen an Banknoteneinzahlungen sowie die Häufigkeit von Transaktionen und der Bedarf an Münzgeld.

All diese Erkenntnisse flossen schließlich in den zweiten "Sprint" ein, in dessen Backlog definierte Leistungstypen für Bargeld und die Leistungsgestaltung standen - abhängig vom Filialtyp. Die Agilität machte es hier geräuscharm möglich, ein klar definiertes Leistungsangebot zu schaffen, das den wesentlichen Anforderungen entsprach. Die Projektgruppe definierte zwei Filialtypen mit verschiedenen Leistungsbestandteilen: Filialen mit vollem Service, und solche mit Basis-Services. Eine Retrospektive bildete den Abschluss des Prozesses und schuf die Möglichkeit letzter Anpassungen, die vor allem im Bereich der Kommunikation notwendig waren. Immerhin können nur motivierte und überzeugte Mitarbeiter den Kunden die Veränderungen "verkaufen".

Methoden müssen zum Ziel passen

Agilität ist jedoch kein Selbstläufer. Die Methodik setzt eine Kultur der Offenheit und Transparenz voraus, die ein agiles Denken und auch Handeln möglich macht. Wenn elementare Hürden wie lange Abstimmungswege, Hierarchiedenken und Absicherungsmentalität die Köpfe der Beteiligten beherrschen, wird jedes noch so gute Konzept nicht aufgehen. Wichtig ist es daher, dass die Methoden zum Ziel passen. Ein komplexes Serviceprojekt lässt sich beispielsweise auch erfolgreich gestalten, wenn ein Baustein der klassischen und ein anderer der agilen Vorgehensweise entspricht. Entscheidend ist, dass alle Lösungen ganzheitlich gedacht werden und Insellösungen die Ausnahme sind.

Agile Projektentwicklungsmethoden helfen Banken und Sparkassen dabei, die Herausforderungen von heute und morgen zu meistern. Innerhalb kurzer Zeit kann es gelingen, komplexe, zeitkritische Aufgaben zukunftsfähig zu lösen. Die Ergebnisse sprechen für sich: Die Institute können die Laufzeit entsprechender Projekte um bis zu 50 Prozent verkürzen und somit auch die "Time-to-Market" zeitgemäßer Leistungen für ihrer Kunden auf ein Minimum reduzieren.

Gerade im Bereich Serviceoptimierung schlummern hier erhebliche Potenziale, die Sparkassen und Banken heben wollen. Mit der passenden Methodik und dem Anspruch, die Themen ganzheitlich anzugehen, können sie hier schnell messbare Erfolge feststellen. Die intelligente Verzahnung von Service und Vertrieb ist dabei ein entscheidender Baustein.

Frank Hummel, Mitglied des Vorstands, P3N AG , Werdau
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Frank Hummel , Mitglied des Vorstands, P3N AG , Werdau

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