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"Bigtechs werden auch Bankdienstleistungen anbieten" / Interview mit Julian Grigo

Julian Grigo , Foto: Bitkom

Als größte Herausforderer der Banken sind heute nicht mehr Fintechs, sondern die Bigtechs zu bewerten, meint Julian Grigo. Ein Szenario, in dem Banken zu bloßen Infrastrukturanbietern degradiert werden, ist im Zahlungsverkehr ansatzweise bereits zu erkennen. Trotzdem glaubt Grigo nicht, dass Filialbanken gänzlich verschwinden werden und der persönliche Kontakt zum Kunden vollständig verloren gehen wird. Der Kreditwirtschaft bescheinigt er, in Sachen Digitalisierung aktiv zu sein und die Chancen und Risiken der Plattformökonomie erkannt zu haben. Sein Rat: Auch die PSD2 sollte in diesem Sinne als Chance wahrgenommen werden. Red.

Wie steht es um die Digitalisierung im deutschen Markt für Finanzdienstleistungen?

Hier muss man differenzieren: Wie digital sind die Banken und was wird generell im deutschen Markt von deutschen Fintechs oder fortschrittlichen Banken angeboten? Bei den meisten Banken gibt es noch sehr viel Aufholpotenzial, aber auch bei etablierten Banken sieht man sehr fortschrittliche Initiativen. Das gilt für den Bereich der privaten Banken, aber auch für die genossenschaftlichen Banken und die Sparkassen. Alle haben verstanden, dass es notwendig ist, sich in vielen Bereichen zu digitalisieren. Das soll ausdrücklich nicht heißen, dass Filialbanken vom Aussterben bedroht sind. Denn für gewisse Bankdienstleistungen werden große Teile der Bevölkerung zumindest mittelfristig immer noch lieber mit einer echten Person sprechen. Daran ändert die Digitalisierung nichts.

Selbstverständlich wird der Marktanteil von Fintechs oder Ferndienstleistungen wachsen. Das heißt aber nicht, dass es in x Jahren überhaupt keine Filialen mehr geben wird und Bankmitarbeiter nur noch virtuell mit den Kunden kommunizieren. Entsprechenden Prognosen möchte ich ausdrücklich widersprechen.

Fintechs fehlt häufig der Kundenzugang. Haben sie ohne Zusammenarbeit mit Banken überhaupt die Chance auf den großen Durchbruch?

Auch hier würde ich unterscheiden. Es gibt B2B- und B2C-Fintechs. B2C-Geschäftsmodelle müssen einer breiten Masse bekannt werden, um möglichst viele Kunden auf ihre skalierbare Plattform zu bekommen. Das gelingt längst nicht allen und nur denjenigen, die ein ausreichendes Marketingbudget haben, um in breit angelegte Kampagnen zu investieren.

Es gibt auch B2C-Geschäftsmodelle, die ganz klar auf Kooperation angewiesen sind und das auch wahrnehmen - teilweise in einem zweigleisigen Ansatz mit Eigengeschäft und Partnerschaften mit etablierten Banken. Die B2B-Fintechs schließlich leben ausschließlich von der Kooperation mit etablierten Playern. Das muss nicht zwingend eine Bank, sondern kann zum Beispiel auch ein Zahlungsdienst oder eine Versicherung sein. Wir dürfen Kooperation aber nicht ausschließlich als Zusammenarbeit von zwei Partnern denken. Digital Banking und Open Banking bedeutet, dass sehr viele heterogene Player gemeinsam modulare Services entwickeln und verbinden. Dieses neu entstehende Ökosystem aus verschiedensten Playern macht den neuen Finanzmarkt aus.

Welche Rolle spielen Fintechs bei dieser Entwicklung? Sind sie ein Stück weit Katalysator?

Ganz sicher. Die Phase, in der man Fintechs nur als Gegenspieler der Banken gesehen hat, ist heute vorbei. Heute sieht man die sogenannten Bigtechs, die häufig aus den USA oder China kommen, als die größten Herausforderer der Banken. Insofern bewegen sich Fintechs und Banken beide in einem stark umkämpften Finanzmarkt und sind stark an Kooperation interessiert. Aus gutem Grund.

Beide Seiten können sehr viel voneinander lernen. Es gibt interessante Deals, bei denen das Fintech durch die Kooperation mit der Bank einen Kundenstamm aufbauen und Traktion auf ihre Plattform bekommen kann. Gleichzeitig hat die Bank die Möglichkeit, ihren Bestandskunden neue Services anzubieten, die sie so schnell allein nicht hätte realisieren können. Fintechs sind dabei sozusagen Katalysator des Prozesses, sie machen den Banken gewissermaßen schnelle Beine.

Dabei ist das stark vereinfachte Bild, dass die Banken die Digitalisierung verschlafen, schon lange überholt. Viele Banker sind beim Thema Digitalisierung absolut wach, kommen zum Teil aus Technologieunternehmen und treiben die Digitalisierung von innen an.

Führt der Wettbewerb durch die Bigtechs dazu, dass Banken und Fintechs noch stärker zusammenrücken, weil sie es alleine schwer haben den Technologiegiganten etwas entgegenzusetzen?

Das ist ein interessanter Gedanke. Ich glaube jedoch nicht, dass es in diesem Sinne eine Verbrüderung von Banken und Fintechs gibt. Sie kooperieren, wo es sinnvoll ist, und lassen es, wo es nicht sinnvoll ist. Wenn es sinnvoll ist, mit den Bigtechs zu kooperieren, würden sie auch das tun - das gilt für Fintechs wie auch für Banken. Und das ist auch richtig so. Alles andere wäre kartellrechtlich schwierig und auch nicht förderlich für Innovationen.

Ein Beispiel ist die Partnerschaft von Google mit Paypal. Google Pay als Bigtech nutzt hier Paypal als (wenn auch großes) Fintech. Beide bieten ihren Kunden einen Mehrwert an. Interessant an diesem Deal ist, dass die Banken von ihren Erlösquellen abgeschnitten werden, aber dennoch die Infrastruktur mit ihren Girokonten zur Verfügung stellen. Diese Kooperation lohnt sich für die Partner und vor allem auch für die Endkunden.

Werden Banken bald nur noch Infrastukturanbieter sein, an deren Infrastruktur andere andocken?

Es wird eine Tendenz in diese Richtung geben. Aber wir werden auf absehbare Zeit keinen Punkt erreichen, an dem der Bankenmarkt sich so konsolidiert, dass Banken nur noch das Konto stellen und sich um die Regulatorik kümmern, während die Produkte darum herum von neuen Anbietern kommen.

Das heißt aber auch: In Teilen wird die Entwicklung in diese Richtung gehen. Ansätze dazu sind im Zahlungsverkehr bereits zu beobachten. Hier verlieren die Banken an Markenvisibilität und Monetarisierungsmöglichkeiten.

In Bereichen wie Wertpapier- oder Kreditgeschäft, Corporate Banking oder Investmentbanking ist diese Entwicklung noch nicht so stark zu beobachten - was natürlich nicht heißt, dass hier nicht ein ebenso großes Disruptionspotenzial besteht. Im Übrigen gibt es Banken, die sich die Entwicklung extrem gut zunutze machen und gerade durch die digitale Transformation erfolgreich sind.

Setzen neue Wettbewerber nicht auch in den von Ihnen genannten Bereichen neue Maßstäbe für Prozesse, mit denen Banken vielleicht nur schwer mithalten können - zum Beispiel Paypal im Firmenkreditgeschäft?

Da haben Sie völlig Recht. Hier sehen wir ein strukturelles Problem. Wenn man das Frontend verliert (oder im eCommerce nie richtig hatte) und das Kunden verhalten nicht mehr tracken kann, dann wird es schwierig, darauf basierende Angebote zu machen. Hier sind Paypal oder Amazon den Banken weit voraus. Sie können auf Grundlage der vorhandenen Daten genau erkennen, welcher Händler wann etwas braucht. Diese Daten hat die Bank nicht zur Verfügung.

Ich glaube allerdings nicht, dass die Kredite, die Paypal oder Amazon vergeben, den Marktanteil der Banken momentan verringert. Diese Kredite wären ansonsten wahrscheinlich einfach nicht vergeben worden. Aber aus dieser Position heraus lässt sich natürlich noch mehr entwickeln.

Die großen Technologieunternehmen haben sicher nicht vor, Banken zu werden - einfach deshalb nicht, weil der regulatorische Aufwand hoch und der Ertrag pro eingesetzten Euro sehr viel geringer ist als in ihrem Hauptgeschäft. Sie würden damit nur ihre eigenen und zumeist sehr hohen Margen verwässern. Der Vollangriff auf die Banken wäre deshalb nicht sinnvoll.

Zusammenfassend könnte man sagen: Bigtechs wollen keine Banken werden, sie werden aber definitiv stärker im Bereich Bankdienstleistungen aktiv.

Bieten die regulatorischen Rahmenbedingungen gleiche Bedingungen für alle?

Hier gibt es immer die Diskussion darüber, ob es eine regulatorische Sandbox geben sollte, in der sich Fintechs erst einmal austoben dürfen. Der Bitkom stellt sich entschieden gegen so eine Regelung. Denn wir gehen nicht davon aus, dass es wirkliche Vorteile bringt.

Der Grundsatz sollte vielmehr lauten: same Business, same risk, same rules. Mit anderen Worten: Wenn ein Fintech Zahlungsdienste anbieten, dann braucht es eine ZAG-Lizenz. Will es Kredite vergeben, dann braucht es eine Banklizenz. Ich sehe nichts, was dem entgegenstehen würde. Warum sollte es Bereichsausnahmen geben, wenn doch das übergeordnete Ziel der Regulatorik darin besteht, die Stabilität des Finanzmarkts zu gewährleisten? Im Übrigen gilt für Fintechs das gleiche wie für Banken: Die wichtigste Währung ist das Vertrauen der Kunden.

Für das eine oder andere Fintech stellen regulatorische Anforderungen eine große Hürde dar. Es sind auch schon Start-« ups deshalb gescheitert, weil Investorengelder früher verbrannt waren, als eine Lizenz vergeben wurde. Das ist zweifellos eine Markteintrittshürde - aber eine, die ihre Berechtigung hat. Wenn ein Unternehmen es nicht schafft, eine Lizenz zu erhalten, dann hat das seine Gründe.

Wie bewerten Sie das Screenscraping-Verbot durch die PSD2?

Die PSD2 ermöglicht einen ganz neuen Markt. Sie fordert, dass Banken Schnittstellen entwickeln, auf die Zahlungsauslösedienste oder Kontoinformationsdienste zugreifen können. Liegt keine zuverlässige und performante Schnittstelle vor ist Screenscraping als sogenannte "Fallback"-Option immer noch möglich. Mit diesem Fallback ist ein Druckmittel in Richtung Banken gegeben, entsprechende Schnittstellen zu schaffen. Screenscraping sollte aber auch ein Fallback bleiben, denn sowohl für Banken als auch für Fintechs sind Schnittstellen die bessere Lösung.

Ist die PSD2 insofern auch ein Katalysator für Innovation?

Davon gehe ich aus. Wir stehen hier noch ganz am Anfang. Viele Fintechs sind gerade dabei, Lizenzen zu beantragen. Viele Geschäftsmodelle, die durch die PSD2 neu entstehen, lassen sich momentan noch nicht ausmachen. Ich gehe aber davon aus, dass sie entstehen werden und wir in zwei bis vier Jahren die ersten Entwicklungen sehen werden, die sich klar auf die PSD2 zurückführen lassen.

Für die Verbraucher in der Europäischen Union ist die PSD2 ein großer Gewinn, weil durch sie viele neue Dienstleistungen rund um das Konto entstehen können, die Banken bisher nur bedingt entwickeln konnten oder auch wollten. Die PSD2 richtet sich ja nicht gegen die Banken, sondern sie sollte von allen als Chance betrachtet werden. Es wird viele europäische Player geben, die diese Chance zu nutzen » verstehen. Vielleicht werden so aus Europa heraus sogar neue globale Player entstehen.

Kann es also durch die PSD2 zu einem europäischen Global Player kommen, wie ihn EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch im Payment-Bereich vermisst?

Die PSD2 macht das nicht nur möglich, sondern wahrscheinlicher. Ein Grund dafür, dass wir in Europa weniger global skalierende Banken oder Finanzdienstleister haben als in den USA oder in China, ist der regulatorisch stark fragmentierte Markt mit 28 unterschiedlichen Jurisdiktionen. Die PSD2 führt zumindestens rund ums Zahlungskonto zu mehr Harmonisierung. Das ist eine Chance, europäische Big Player wachsen zu lassen.

Ist die EU-Regulierung hinreichend technologieneutral?

Es gibt klare Hürden in der Regulatorik. An vielen Stellen merkt man, dass sich Regulatorik an einem Filialbankmodell orientiert. Ein Problem in Deutschland ist zum Beispiel das Schriftformerfordernis. Es ist nicht mehr zeitgemäß.

Die EU-Kommission hat 2018 eine Expertengruppe eingerichtet, die Expert Group on Regulatory Obstacles to Financial Innovation. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Kommission erkannt hat, dass es regulatorische Hindernisse gibt, die für die Finanzmarktstabilität nicht zwingend erforderlich sind. Damit werden solche Probleme hoffentlich in naher Zukunft ausgeräumt.

Sind deutsche Banken ausreichend auf die Zukunft der Plattformökonomie vorbereitet?

Das Disruptionspotenzial von Plattformen ist so groß, dass man am besten nicht glaubt, darauf vollständig vorbereitet zu sein. Das Risiko, dieses zu unterschätzen, ist zu groß.

Banken und Sparkassen sind in jedem Fall aufmerksam und haben Bedeutung, Risiken und Chancen von Plattformen für ihr eigenes Geschäftsmodell erkannt. Bei einzelnen großen Finanzinstituten sieht man, dass sie sich selbst in diese Richtung entwickeln werden.

Welche Chancen haben Banken, sich als Marktplätze zu etablieren?

Mit der Zahlungshistorie, über die die Banken durch das Girokonto verfügen, haben sie einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Fintechs, aber auch gegenüber Bigtechs. Die Frage ist, inwieweit sie es schaffen, dies zu nutzen und auf dieser Basis Mehrwertdienste anzubieten. Wenn ihnen das gelingt, dann haben Banken ein enormes Potenzial. Der Startschuss in diese Richtung ist bereits gefallen.

Viele Bankdienstleistungen, wie zum Beispiel das reine Girokonto oder Zahlungsverkehr, allein ist eine Commodity. Kunden werden künftig zu dem Anbieter wechseln, der ihnen die relevantesten Mehrwertdienstleistungen und eine gute Bedienbarkeit anbietet.

Das funktioniert vor allem über Kooperationen. Stimmen dafür die regulatorischen Rahmenbedingungen?

Hier kommen vor allem die MaRisk und die Outsourcing-Guidelines der EBA zum Tragen. Spannend ist dabei vor allem das Thema Cloud-Auslagerun gen. Auch hier sind Cloud-Dienstleister und Finanzdienstleistungsunternehmen enormen Regulierungsanforderungen ausgesetzt. Aber viele dieser Regelungen haben ihre absolute Berechtigung und vermeiden systemische Risiken. Nicht selten bekommt man übrigens auch den Eindruck, dass nicht allein die Regulatorik, sondern oft auch die Innenrevisionen der Finanzinstitute unnötig hohe Hürden für Kooperationen aufstellen.

Wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf?

Das besondere an der Cloud ist, dass es eine Multi-Tenant-Umgebung ist. Das heißt, dass viele Anwender zu einem Cloud-Anbieter auslagern. Hier fordern wir als Bitkom mehr Rechtssicherheit bei sogenannten. pooled audits, also gemeinsamen Prüfungen.

Julian Grigo, Referent Digital Banking & Financial Services, Bitkom e.V, Berlin
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