INSOLVENZ UND INKASSO

"Das ESUG hätte man nicht zwingend gebraucht" Interview mit Frank Klomfaß

Frank Klomfaß, Foto: Volksbank Mittelhessen

Im Fall von Unternehmenskrisen zahlt sich die Bankenregulierung nach Einschätzung von Frank Klomfaß aus. Dadurch findet schneller ein Betreuerwechsel in die Intensivbetreuung statt, die wiederum im günstigsten Fall dazu führen kann, das Unternehmen wieder zu stabilisieren. Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) hätte es hingegen nicht zwingend gebraucht. Auch beim vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren sieht Klomfaß dies ähnlich. Wichtiger sei es, die Regelungen zur Insolvenzverschleppung zu überdenken und größere Handlungsspielräume zu ermöglichen. Red.

Die Insolvenzzahlen in Deutschland waren in den letzten Jahren rückläufig. In welchem Maß war die Volksbank Mittelhessen von Insolvenzen betroffen?

Was bundesweit sichtbar ist, war bei uns genauso. Insgesamt gab es sehr wenige Insolvenzen. Pro Jahr waren wir von maximal zehn bis fünfzehn Unternehmensinsolvenzen betroffen, und das waren dann meist sehr kleine Unternehmen. Die Gründe waren nur sehr selten konjunkturbedingt.

Wird sich das schon 2019 ändern?

Es wird sich ändern, aber ich glaube nicht, dass das schon 2019 der Fall sein wird. Denn die Unternehmen haben in den letzten Jahren ihr Eigenkapital gestärkt und noch ist die Liquidität gut. Das heißt: Auch wenn 2019 hier und da ein Verlustjahr wird, wird das nicht gleich zur Insolvenz führen, zumal die Banken beim Thema Kreditvergabe immer noch ziemlich "bullish" agieren. 2020 werden wir aber vermutlich schon deutliche Spuren sehen.

Derzeit ist viel von Zombie- Unternehmen die Rede, die nur dank des niedrigen Zinsniveaus noch überleben ...

Zombie-Unternehmen sind Unternehmen mit hoher Verschuldung. Denn wenn die Verschuldung niedriger ist, ist der Zins nicht so entscheidend. Bei vernünftiger Eigenkapitalausstattung und angemessener Verschuldung habe ich noch nie erlebt, dass ein Unternehmen allein aufgrund des Zinsniveaus insolvent geworden ist oder umgekehrt, dass ein Unternehmen nur deshalb überlebt. In unserem Kreditportfolio kenne ich kein Zombie-Unternehmen. Vermutlich spricht man da über wesentlich größere Unternehmen, die typischerweise nicht Kunde einer Volks- und Raiffeisenbank sind.

Wie wichtig ist in kritischen Phasen der Firmenkundenbetreuer als Begleiter? Und wie hat sich dessen Rolle verändert?

In den letzten 15 Jahren hat sich dies durch die Regulatorik - Stichwort Intensivbetreuung - deutlich verändert. Wenn sich Krisensignale zeigen, ist jede Bank gezwungen, sich das Kreditengagement genauer anzuschauen. In diesem Kontext findet schneller als früher ein Betreuerwechsel statt. Zuständig ist dann nicht mehr der eigentliche Firmenkundenbetreuer, sondern ein anderer Mitarbeiter, der anders ausgebildet ist und den Fokus stärker auf Risiko und Stabilisierung legt.

Aus meiner Sicht ist das eine sehr positive Regulatorik. Denn ein erfolgreicher Firmenkundenbetreuer, der vielleicht schon die Gründung und Wachstumsphase eines Unternehmens begleitet hat, hat üblicherweise seine Stärken nicht darin, Krisensignale hart anzusprechen und mit dem Kunden auch einmal über härtere Maßnahmen im Unternehmen zu diskutieren.

Was für spezielles Know-how braucht derjenige, der in Krisenzeiten übernimmt?

Er muss in jedem Fall juristisch beschlagen sein, zum Beispiel im Insolvenzrecht. Gut gemeinte Hilfe kann, wenn es zur Insolvenz kommt, sehr negativ gesehen werden - Stichwort Insolvenzverschleppung. Hier braucht es das nötige Basiswissen, um keine Fehler zu machen und auch die Geschäftsführung richtig zu beraten. Viel wichtiger ist aber noch, kritische Punkte in aller Deutlichkeit und Klarheit anzusprechen. Meistens sind die Unternehmer von der Grundstimmung her optimistisch. Hier braucht es die Gabe, auch einmal ein kontroverses Gespräch zu führen und auch einmal Nein zu sagen.

In welchem Ausmaß reicht der Betreuerwechsel aus, um das Unternehmen wieder in stabiles Fahrwasser zu bringen?

Es kommt darauf an. Es gibt Unternehmen, bei denen die Marktgängigkeit deren Produkte oder Dienstleistungen schlicht nicht mehr gegeben ist oder die Branche ein massives Problem hat, so wie vor einigen Jahren beispielweise die Solarbranche. In diesen Fällen ist es sehr schwer, ein Unternehmen wieder ins richtige Fahrwasser zu bringen. Auch gegen eine einbrechende Konjunktur lässt sich von Beraterseite nicht ankämpfen.

Einfluss nehmen können wir allerdings auf den Unternehmer selbst. Meistens hat dieser die Probleme auch längst selbst erkannt und es fehlt "lediglich" an der Entscheidungs- und Umsetzungsfähigkeit oder -bereitschaft. Sanierung tut nun einmal zunächst weh, bevor man die Linderung spürt.

Zur Unterstützung holen wir auch gerne sanierungserfahrene Unternehmensberater ins Boot. Wenn dann alle an einem Strick ziehen, können beachtliche Erfolge erzielt werden. Dies sind dann die Sanierungsfälle, auf die wir stolz sind, weil es nur Gewinner gibt. Die emotionale Verbindung zum Unternehmer wird in diesen Phasen zudem sehr gestärkt, wie immer, wenn man gemeinsam durch eine schwere Zeit gegangen ist.

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem ESUG gemacht?

In der Praxis hat es bei uns bis heute keine Rolle gespielt. Wir hatten keine Insolvenz in Eigenverwaltung und keinen Insolvenzplan - nicht, weil wir es abgelehnt hätten, sondern weil es bei den wenigen Insolvenzen, die wir seit der Einführung des Gesetzes hatten, bei unseren Kunden überhaupt kein Thema war.

Generell ist die anfängliche Euphorie ziemlich verflogen. Bei der Insolvenz in Eigenregie ist ja der gleiche Unternehmer tätig wie zuvor. Hier stellt sich schon die Frage, warum das Unternehmen dadurch erfolgreicher werden soll als zuvor. Das Insolvenzplanverfahren hat den Grundvorteil, dass sich die Gläubiger auf gewisse Quoten verständigen und dadurch die Voraussetzung schaffen, dass es weitergehen kann. Aus meiner Sicht ist das ein besseres Instrument als die Insolvenz in Eigenverwaltungen - aber man hätte beide Instrumente nicht zwingend gebraucht.

Die EU treibt vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren voran. Wie ist das zu bewerten?

Na ja, ob es wirklich hilft, die Restschuldbefreiung früher zu erteilen oder dem "sanierungswilligen" Unternehmer die Kontrolle weiterhin zu belassen, wird sich zeigen. Ich sehe dies eher kritisch.

Wirkungsvoller wäre es meiner Meinung nach, § 613a BGB (Rechte und Pflichten beim Betriebsübergang) und die Re gelungen zur Thematik "Insolvenzverschleppung" zu überdenken. In Sanierungsfällen würde ich mir hier einen größeren Spielraum wünschen. Dies könnte die eine oder andere Sanierung erleichtern beziehungsweise Insolvenz verhindern und Arbeitsplätze erhalten.

Sind im jetzt vorliegenden Text die Interessen der Gläubiger ausreichend gewahrt? Die Stellungnahme der Deutschen Kreditwirtschaft war ja eher kritisch ...

Nicht jeden Aufschrei in diesem Kontext kann ich verstehen. Möglicherweise hängt das aber auch davon ab, welches Kreditgeschäft eine Bank betreibt. Themen wie das Moratorium spielen in unserem Tagesgeschäft nicht die große Rolle.

Generell begrüße ich Möglichkeiten, die Entwicklung im Krisenfall aktiv zu gestalten. Im Zweifelsfall verliert man bei einer Insolvenz sehr viel mehr Geld. Argumentativ kann es in den einzelnen Häusern jedoch schwieriger sein, aktiv Entscheidungen zu treffen, anstatt einfach hinzunehmen, was sich im Insolvenzverfahren ergibt.

Unter dem Strich heißt das: Aus unserer Sicht bestand kein Handlungsdruck für eine Regulierung. Ich sehe allerdings auch keine Verschlechterung unserer Möglichkeiten. Ob die Regulierung letztlich Vorteile bringt, wage ich nicht zu prognostizieren. Zulasten regionaler Banken - wie andere Regulierungsmaßnahmen - geht sie jedoch nicht.

Wie wirkt es sich auf die Kundenbeziehung aus, wenn ein Betreuerwechsel in die Intensivbetreuung zu einer Stabilisierung des Unternehmens führt?

Der Wechsel in die Intensivbetreuung ist für Unternehmen nicht einfach. Wenn es allerdings gemeinsam gelingt, die Unternehmenskrise zu überwinden, stärkt dies das Vertrauen enorm. Eine bessere Kundenbindung gibt es nicht. Wenn die Gesundung gelungen ist und das Unternehmen aus der Intensiv- in die Normalbetreuung zurückkehrt, erleben wir es nicht selten, dass der Kunde gern beim Betreuer aus der Risikoabteilung geblieben wäre.

In Sachen Kundentreue erleben wir indessen ein anderes Phänomen. Einzelne Banken - die Sparkassen nehme ich hier ausdrücklich aus - tun sich damit hervor, zu Kampfkonditionen Kreditlinien in Unternehmen hineinzubringen. Wenn sich ein Unternehmen in anfänglichen Schwierigkeiten befindet und die Hausbank anfängt, kritischer zu werden, dann können die wenigsten Unternehmen solchen Angeboten widerstehen.

Oftmals ziehen sich die gleichen Banken im Fall einer Krise jedoch genauso schnell brutal wieder zurück und kündigen die Kreditlinie, häufig ohne, dass dem Unternehmen noch einmal ein Gespräch angeboten wird. Dieses Phänomen gab es früher so nicht. Und ein solches Verhalten kann schnell einmal zu einem Insolvenzgrund werden. Für diese Problematik fehlt den Unternehmen oftmals die Sensibilität. Deshalb ist es wichtig, darüber zu sprechen.

Frank Klomfaß, Bereichsleiter Individualkreditmanagement, Volksbank Mittelhessen eG, Gießen

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