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"Der Klimawandel könnte die Ursache der nächsten systemischen Finanzkrise sein" - Interview mit Thomas Jorberg

Thomas Jorberg, Foto: Stephan Muennich

Die Klimakrise hat das Zeug dazu, die nächste Finanzkrise auszulösen, sagt Thomas Jorberg. Darauf ist die Finanzbranche bisher nur unzureichend vorbereitet - vor allem in Deutschland. Mit einer intensiven Detailregulierung für Banken lässt sich das Problem seiner Einschätzung nach jedoch nicht lösen. Wichtiger sind klare Rahmenbedingungen für mehr Klimaschutz in der Realwirtschaft. Dann beinhaltet die Klimathematik auch Chancen für die Kreditwirtschaft. Denn die Transformation der Gesellschaft in Richtung mehr Nachhaltigkeit erfordert beträchtliche Investitionen, die finanziert werden müssen. Red.

Weshalb hat die Klimakrise auch das Zeug zur Bankenkrise?

Zum einen durch physische Risiken. Die Auswirkungen der Klimakrise werden immer konkreter: Stürme, Überschwemmungen, Trockenheit und Flächenbrände nehmen global zu. Man denke aktuell nur an Australien. Diese Naturkatastrophen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Land-, Holz- und Lebensmittelwirtschaft. Sie gefährden auch den Gebäudebestand, den globalen Verkehr, letztendlich die ganze Wirtschaft. Die Schäden und die damit einhergehenden Risiken werden immer höher.

Globale Schätzungen gehen davon aus, dass alleine in den letzten 20 Jahren laut Klima-Risiko-Index von Germanwatch eine Schadenshöhe von 3,5 Billionen US-Dollar erreicht wurde. Eine gigantische Summe. Und diese wird in den nächsten Jahren noch steigen. Neben den Versicherungen wird dies zunehmend auch Unternehmen betreffen - und wiederum die Banken, die diese Unternehmen finanziert haben und finanzieren.

Zum anderen wirkt sich die Klimakrise auf die Banken durch transitorische Risiken aus: Um ein Fortschreiten der Klimakrise zu bremsen, ist 2015 das global geltende Pariser Klimaschutzabkommen getroffen worden. Dies beinhaltet eine Reduktion der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 von 37 Milliarden auf dann nur noch 5 Milliarden Tonnen weltweit.

Der Zielkorridor ist bis heute noch nicht eingehalten. Die EU-Kommission, die meisten Länder, wie auch Deutschland haben sich zur Einhaltung dieses Ziels verpflichtet. Viele kleine und große Unternehmen haben sich zu selbstverpflichtenden und entsprechenden Zielen zur Erreichung der Klimaneutralität entschieden. Da die bisherige Transformation stark verzögert wurde, wird sie nun in Zukunft in kürzerer Zeit vollzogen werden müssen.

Es ist zu erwarten, dass die Regierungen in den nächsten Jahren gesetzliche Verpflichtungen durch CO2-Bepreisung, Verbote und Gebote erlassen werden, um die Einhaltung der CO2-Neutralität bis 2050 sicherstellen.

Das Herbeiführen einer CO2-neutralen Wirtschaft, die notwendigerweise kommen muss, erfordert eine Erneuerung fast sämtlicher Industrie-, Kraftwerks- und Mobilitätsanlagen, vieler Systeme und Infrastrukturen. Dies bedeutet: Sämtliche CO2 -emittierende Anlagen und Technologien werden in den nächsten 10 bis 15 Jahren nicht mehr betrieben werden können. Kredite an Unternehmen, die sich nicht frühzeitig auf diese Umstellung aktiv eingestellt haben, sind zunehmend ausfallgefährdet.

Bei weiterer Verzögerung der Transformation werden sowohl die physischen als auch die transitorischen Risiken zunehmen. Physische Risiken durch die nicht gebremste Erderwärmung und die Transformation werden später noch schneller und damit disruptiver ablaufen.

Inwieweit sind die Banken und auch die Aufsicht auf diese Risiken schon eingestellt?

Sowohl bei der Aufsicht auf globaler Ebene als auch auf europäischer Ebene bei der EZB und der nationalen durch die BaFin wird an Regelungen, Messkriterien und klimabezogenen Stresstests für Banken gearbeitet. Dabei werden physische wie auch transitorische Risiken zu berücksichtigen sein. Mark Carney, Gouverneur der Bank of England äußerte im Oktober 2019: "Companies and industries that are not moving towards zero-carbon emissions will be punished by investors and go bankrupt."

Ähnliche Inhalte findet man auch in der Studie der Internationalen Bank für Zahlungsausgleich (BIZ), in der davor gewarnt wird, dass der Klimawandel, insbesondere durch das vermehrte und verstärkte Auftreten extremer Wetterereignisse, unvorhergesehene Konsequenzen und unwiderrufliche finanzielle Verluste mit sich bringen wird.

Die Studie beschäftigt sich auch mit der Frage, welche Rolle Notenbanken und Finanzaufseher beim Kampf gegen den Klimawandel einnehmen sollen. Die Autoren plädieren darin für eine aktive Rolle der Zentralbanken. Das Kernargument der BIZ: Der Klimawandel ist eine existenzielle Gefahr - und ohne eine effektive Politik gegen die Erderwärmung werden Notenbanken schlicht nicht mehr in der Lage sein, Preis- und Finanzstabilität zu sichern. Sprich der Klimawandel könnte die Ursache der nächsten systemischen Finanzkrise sein.

Wie gut ist die Finanzbranche in Deutschland dafür aufgestellt?

Leider ist festzustellen, dass Deutschland keine Vorreiterrolle inne hat auf dem Weg, die hier geschilderten Probleme zu lösen. So gibt es zwar PACTA, das "Paris Agreement Capital Transition Assessment", das Investoren und Finanzinstitutionen ein Instrument zur Verfügung stellt, um in Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zu investieren. Aber es sind keine deutschen Banken dabei. Credit Suisse, ING oder UBS und viele mehr sind dort unter sich. Dabei stellt PACTA die notwendigen Daten zusammen, die benötigt werden, um die Finanzströme an den Zielen des Pariser Übereinkommens auszurichten.

Und auch an PCAF (Partnership for Carbon Accounting Financials), das gegründet wurde, um den CO2-Fußabdruck des Anlage- und Kreditportfolios einer Bank zu ermitteln, sind außer der GLS Bank und der Umweltbank keine deutschen Banken beteiligt. Dabei richtet sich dieses Netzwerk sowohl an kleinere als auch größere Banken - und die ABN Amro und viele bekannte internationale Institute sind hier vertreten. Nur eben keine deutschen Banken von relevanter Größe.

Welche Rolle spielt der Finanzierungsbereich bei der Transformation der Gesellschaft? Wie lässt sich das Thema auch im Kreditgeschäft umsetzen - im Firmenkunden- wie auch im Privatkundengeschäft? Müssten sich Banken konsequenterweise weigern, beispielsweise SUVs zu finanzieren oder dies nur zu höheren Konditionen tun?

Der Finanzmarkt wird eine ganz entscheidende Rolle bei der Transformation spielen. Sowohl bei der Bewältigung der Risiken als auch bei der Umsetzung der Chancen. Milliarden an Risiken stehen auch Milliarden an Chancen gegenüber. Die EU-Kommission schätzt ein jährliches Investitionsvolumen von 240 Milliarden Euro, um die Transformation möglich zu machen. Diese gilt es zu finanzieren.

Was Banken tun werden, hängt von ihrer Geschäftspolitik ab. Es wird Banken geben die, solange die Rendite stimmt, auch weiterhin fast alles finanzieren werden. Diese Banken werden nur verzögert auf die zunehmenden Risiken reagieren. Und es wird Banken geben, die zunehmend proaktiv bestimmte Verfahren und Technologien ausschließen. Und dann gibt es noch Banken wie die GLS Bank, die noch konsequenter auf soziale und ökologische Kriterien achten.

Dies bedeutet für uns in der GLS Bank nicht, dass wir künftig nur noch 1,5-Grad-kompatible Unternehmen finanzieren werden. Aber wir werden nur noch Unternehmen finanzieren, die dieses Ziel anstreben und mit unserer Beratung und Finanzierung erreichen wollen.

Zusammen mit dem Wuppertal Institut und right. based on science haben wir eine Herangehensweise entwickelt, um sowohl den CO2-Ausstoß als auch den Beitrag zur Erderwärmung unseres Kreditportfolios zu berechnen. Auf diese Weise können wir sagen, um wie viel Grad Celsius sich die Erde erwärmen würde, wenn alle Unternehmen so emissionsintensiv wirtschaften würden, wie die, die wir finanzieren. Gleichzeitig gibt uns die Kennzahl einen Überblick darüber, wie hoch die transitorischen Risiken der von uns finanzierten Unternehmen und damit auch von uns ausfallen.

Eine solche Transparenz sollte jeder für sich schaffen. Nur, wenn der Ausgangspunkt bekannt ist, können die dringend notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um die Erderwärmung auf deutlich unter 2°C zu begrenzen.

Inwieweit ist auch das Nullzins-Umfeld eine Chance für die Transformation?

Der Nullzins ist nicht das Umfeld, sondern das marktwirtschaftliche Ergebnis der Tatsache, dass mehr Kapital angeboten als nachgefragt wird. Dieses Umfeld zeigt, dass die Transformation nicht am mangelnden Investitionskapital auf den Finanzmärkten scheitern kann. Es ist eine Chance, dass die Finanzierung der Transformation günstiger zu realisieren ist als bei einem höheren Zinssatz.

Wie stark hat die GLS Bank zum Trend zu mehr Nachhaltigkeit profitiert?

Wir merken an unserem Wachstum, dass die Nachfrage deutlich zunimmt. Die GLS Bank hatte im letzten Jahr ein Wachstum von 18 Prozent ihrer Bilanzsumme beziehungsweise in Summe rund 1 Milliarde Euro mehr als noch 12 Monate vorher. Allein im Januar haben wir rund 5 000 neue Kunden hinzugewonnen und sind nun bei einer viertel Million Kundinnen und Kunden. Und wir sind in allen Bereichen deutlich gewachsen, nicht nur bei den Bankeinlagen und Krediten, sondern insbesondere auch bei nachhaltigen Investmentfonds.

Wie groß schätzen Sie das Potenzial in Ihrer wachsenden Nische ein?

Das ist keine Frage die mich, bei mittelfristiger Betrachtung, noch beschäftigt. Nachhaltigkeit im Finanzmarkt wird keine Nischenfrage mehr sein.

Was bedeutet es für Ihre Wettbewerbsfähigkeit, wenn die Branche insgesamt mehr auf Nachhaltigkeit setzt?

Wie in jedem Markt gilt für jeden Teilnehmer: Unsere Wettbewerbsfähigkeit hängt davon ab, ob unsere Kunden den Eindruck und die Sicherheit haben, dass wir als Ganzes im Kern unseres Geschäftsmodells, soziale und ökologische Kriterien leben und umsetzen. Und ob unsere spezifischen Angebote und unser Service das zu vertretbaren Preisen widerspiegeln.

Wir konnten uns in der Vergangenheit nicht auf Erreichtem ausruhen und werden das erst recht nicht in der Zukunft können und wollen. Aber einen Wettbewerb um die Qualität der Nachhaltigkeit im Bankbereich begrüßen wir außerordentlich. Er wird uns Ansporn sein, auch unsere Qualität ständig zu verbessern.

Wie viel Regulierung braucht Green Finance, um wirklich voranzukommen? Was ist in diesem Kontext von der Taxonomie der EU bei Fonds zu halten und was wären Ihre Wünsche an die Politik?

Der Finanzbereich braucht zunächst sehr klare Rahmenbedingungen für den Klimaschutz in der Realwirtschaft. Die Rahmenbedingungen müssen so sein, dass CO2-emittierende Technologien mit Teilen der Kosten der Schäden belastet werden, die sie verursachen. Um eine Lenkungswirkung zu erzielen, bedeutet das einen CO2-Preis von heute mindestens 50 bis 60 Euro pro Tonne CO2, unwiderruflich ansteigend. Damit würden sich gleichzeitig Investitionen in CO2-neutrale Technologien rechnen und könnten finanziert werden.

Fehlende Rahmenbedingungen in der Realwirtschaft werden niemals ersetzt werden können durch Detailregulierung für Banken. Gleichwohl ist begleitend die Integration der Nachhaltigkeit in die Regulatorik im Finanzmarkt wichtig.

Die Lösung der existenzbedrohenden Klimakrise wird aber nur gelingen, wenn sich in Banken, der Politik, der Bankenaufsicht, in Unternehmen und beim Bürger sich gesundender Menschenverstand durchsetzt und wir zukünftig die Realwirtschaft und den Finanzmarkt nicht mehr gegen sondern nur noch für und mit den Menschen und der Natur ausrichten. Dies ist möglich, denn unsere sozialen, wirtschaftlichen Systeme sind Menschengemacht und von uns veränderbar. Die Naturgesetze und Systeme sind das nicht.

Thomas Jorberg, Sprecher des Vorstands, GLS Bank eG, Bochum

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