ALTERSVORSORGE

"Es muss Schluss damit sein, die Menschen zu bevormunden" Interview mit Til Klein

Til Klein, Foto: Vantik

Erst im Februar 2019 ist das Berliner Insurtech-Unternehmen Vantik an den Start gegangen. Das Ziel: die erste komplett Smartphonebasierte Altersvorsorge Europas anzubieten. Flexibilität wird dabei großgeschrieben: Ein- und auch Auszahlungen sind jederzeit möglich, feste Sparraten gibt es nicht. Dem Sparziel Altersvorsorge ist das nicht abträglich, meint Til Klein. Trotz dieser Flexibilität werden Kunden auch in schwierigen Phasen Spardisziplin üben, so seine Prognose. Als Fintech-Vertreter im Expertenbeirat für die Europarente PEPP will er dazu beitragen, innovative Lösungen voranzubringen und dabei die Interessen der jungen Generation zu vertreten. Red.

Vantik bezeichnet sich als "Mobile Altersvorsorge". Weshalb muss ein dermaßen auf Langfristigkeit angelegtes Thema unbedingt mobil sein?

Wir bieten eine Altersvorsorge für Millennials, eine Generation, die ihr Leben mit dem Smartphone organisiert. Es war höchste Zeit, dass dies auch für ein so wichtiges Thema wie Altersvorsorge möglich ist. Altersvorsorge ist zwar ein langfristiges Thema, aber zukünftig kein passives Thema mehr. Denn Altersvorsorge hat einen erheblichen Einfluss auf das tägliche Leben hier und heute.

Diese Generation lebt in einer Arbeitswelt mit häufigen Jobwechseln, Wechseln zwischen Anstellung und Selbstständigkeit sowie Eltern- und Auszeiten. Das sind komplett neue Anforderungen an die Altersvorsorge. Daher braucht diese Generation eine Altersvorsorge, die sich an unser Leben anpasst und nicht umgekehrt. Das Smartphone wird damit zum Cockpit, mit dem die Kunden ihre finanzielle Zukunft planen, die Sparrate anpassen, mal pausieren oder sich bei Bedarf Geld auszahlen lassen können.

Wie verträgt sich der mobile Ansatz mit regulatorischen Vorgaben?

Da gibt es keinen Widerspruch. Mobile Technologie erlaubt heute einen vollständigen KYC-Prozess und kann zugleich alle Anforderungen des Datenschutzes erfüllen. Da unterscheidet sich Altersvorsorge nicht vom Girokonto. Technologie ist schon heute dem menschlichen Berater bei der Einhaltung regulatorischer Vorgaben weit überlegen. Auch eine MiFID II-konforme Angemessenheits- und Geeignetheitsprüfung ist vollständig digital möglich. Neue Vorgaben können ohne Verzögerung sofort umgesetzt werden. Der Computer macht keinen Fehler und dokumentiert automatisch den kompletten Prozess.

Wie flexibel kann eine Altersvorsorgelösung sein, ohne das Ziel einer ausreichenden Altersversorgung zu gefährden? Schwankende Einzahlungen - je nachdem, wie viel Geld gerade verfügbar ist - sind eine Sache. Aber auch Auszahlungen?

Ganz im Gegenteil: Flexible Ein- und Auszahlungen tragen positiv zur ausreichenden Altersversorgung bei. Unsere Erfahrungen zeigen: Kunden entscheiden sich für höhere monatliche Sparraten, wenn sie diese Raten jederzeit und kostenfrei anpassen oder bei Bedarf über ihr Geld verfügen können.

Außerdem ist verhaltenspsychologisch sehr wichtig, dass die Kunden die potenziellen Auswirkungen jeder ihrer Handlung direkt sehen können. Die Kunden erfahren sofort, wie eine höhere Sparrate oder eine Einmalzahlung ihre künftige Rente erhöht oder eine niedrigere Sparrate oder Auszahlung die Rente absenkt. Die Flexibilität und Transparenz des mobilen Produktes motivieren die Kunden offenkundig dazu, mehr für ihre Altersvorsorge anzusparen.

Wie viele Kunden haben Sie mittlerweile gewonnen? Und wie flexibel sparen diese Kunden tatsächlich? Oder überwiegt letztlich doch das stetige Sparen?

Wir haben inzwischen mehrere Tausend Nutzer. Die meisten Kunden sparen ganz klassisch einen monatlichen Betrag. Aber wir sehen zwei interessante Entwicklungen:

Erstens starten viele Kunden mit einer moderaten Monatsrate und erhöhen diese nach einigen Monaten deutlich.

Zweitens machen sehr viele Kunden von der Möglichkeit Gebrauch, neben einer festen Monatsrate flexibel Einmalzahlungen zu tätigen. Damit passen sie sich meistens einer variablen Einkommenssituation oder schlicht ihrem individuellen Liquiditätsverlauf auf dem Girokonto an. Dies sind Rücklagen für die Altersvorsorge, die ein klassisches Produkt niemals erhält.

Birgt der flexible Ansatz nicht das Risiko, dass Kunden aussteigen, wenn ihnen gerade andere Themen wichtiger scheinen oder wenn die Rendite nicht so aussieht wie erhofft? Wie wollen Sie die Sparer bei der Stange halten?

Die Kunden sind nicht so dumm, wie viele Banken und Versicherungen behaupten. Die Menschen wissen genau, dass sie fürs Alter sparen müssen und ihr Erspartes nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen dürfen. Sie finden aber bislang bei Banken und Versicherungen keine Produkte, die ihre Bedürfnisse berücksichtigen und zu ihrer Lebenswirklichkeit passen.

Genau hier bietet Technologie die notwendige Transparenz und Unterstützung, damit die Kunden selbstbewusst entscheiden und verantwortungsbewusst handeln können. Digitale Technologie erlaubt es, Produktinformationen für den Kunden zu individualisieren. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz lässt sich die individuell beste Lösung finden, die Situation im Alter simulieren und alle Renteneinkommen inklusive der staatlichen Rente zu erfassen und zu aggregieren.

Wir können unseren Kunden die Folgen ihrer Entscheidungen über ihre Altersvorsorge in Realtime aufzeigen. Auf diese Weise wird der Kunde entscheidungsfähig. Er versteht sofort, was er da fürs Alter tut. Wir sind davon überzeugt, dass die Bereitschaft zur ausreichenden Altersvorsorge deutlich steigt, wenn die Finanzbranche ihre Kunden endlich befähigen statt bevormunden würde.

Staatliche Förderung gibt es nur, wenn gewisse Laufzeiten eingehalten werden. Entgeht Ihnen da nicht einiges an Potenzial?

Betrachten wir doch einmal die Fakten: Die Riester-Rente ist die einzig staatlich geförderte Rente, aber vielfach mit hohen Kosten und schlechter Performance verbunden. Der Rest ist nur eine aufgeschobene Versteuerung. Wir sehen, dass den Kunden das Mehr an Flexibilität und Verfügbarkeit wesentlich wichtiger ist als die nachgelagerte Versteuerung.

Für die Politik gilt daher wie für Versicherer und Banken: Es muss Schluss damit sein, die Menschen zu bevormunden. Es braucht funktionierende Anreize. Ich würde es sehr begrüßen, wenn endlich ein gesetzlicher Rahmen für ein separates Vorsorgekonto kommt, auf das jeder flexibel sparen kann. Jeder kann das Produkt wählen, das am besten zu ihm passt, zum Beispiel Tagesgeld, Lebensversicherung oder Anlage.

Wenn der Bundesfinanzminister und sein Kollege im Sozialministerium private Altersvorsorge wirklich fördern wollen, sollten sie die Rentenzahlung im Alter komplett steuerbefreien. Vorzeitige Entnahmen sollten möglich, aber dann steuerpflichtig sein, um einen Anreiz zur Altersvorsorge zu geben.

Mit "Vantik to go" haben Sie eine Altersvorsorge als Geschenkgutschein entwickelt. Werden diese Gutscheine tatsächlich als Grundlage zum Vorsorgesparen genutzt? Oder greifen die Beschenkten rasch wieder auf das Guthaben zurück?

Die Guthaben werden nur ganz selten direkt wieder ausgezahlt. Der Gutschein hat für uns zwei gleichermaßen wichtige Aspekte:

- Einerseits gewinnen wir neue Kunden.

- Andererseits setzt sich der Beschenkte nochmals ganz anders mit mobiler Altersvorsorge auseinander.

Übrigens zeigt sich, dass dieses Geschenk meist im engen Familien- und Freundeskreis gemacht wird und genau dieses Nachdenken über die eigene Rente auslösen soll.

Wie ist bei Vantik der Übergang von der Erwerbs-/Ansparphase in den Ruhestand/die Auszahlphase geregelt? Wie sieht der Sicherheitpuffer aus?

Vantik-Kunden werden sich ihr angespartes Vermögen entweder als Einmalzahlung, als lebenslange Rente oder flexibel auszahlen lassen können. Auch bei Rentenbeginn spielt Flexibilität also eine wichtige Rolle. Gerade junge Menschen glauben nicht daran, dass sie an einem Stichtag in den Ruhestand mit fester Rentenzahlung gehen. Für sie ist Rente ein Prozess, in dem immer mehr aktives Einkommen durch passives Einkommen ersetzt wird. Wir entwickeln hier aktuell gerade neue, innovative Lösungen.

Menschen haben eine hohe Verlustaversion - gerade in der Altersvorsorge. Angesichts des anhaltenden Niedrigzinsniveaus funktionieren klassische Absicherungsmechanismen nicht mehr. Beim Sicherheitspuffer handelt es sich um einen innovativen Ansatz, das Verlustrisiko bei Rentenbeginn zu mitigieren. Durch den kollektiven Ansatz sind die Absicherungskosten sehr gering und es gibt keinen Renditeverlust durch Portfolioumschichtungen im Alter. Die Europäische Union hat für die neue Europarente explizit innovative Risikomitigierungsideen eingefordert. Bisher ist Vantik damit einziger Vorreiter in Europa.

Sie wollen Kunden in die Produktentwicklung einbinden. Um welche Themen/Anregungen geht es dabei?

Ehrlich gesagt: Wir wollen das nicht nur, wir machen es. Jede Woche aufs Neue sitzen wir mit unseren Kunden zusammen und reden über unsere Produkte und wie wir sie besser machen können. Dafür ist es notwendig, die Kunden sehr gut zu verstehen und von Anfang an in die Lösungsentwicklung einzubinden.

Unsere Kunden sind ganz entscheidend daran beteiligt, neue Features zu entwickeln und das Produkt kontinuierlich zu verbessern. Die Möglichkeit, den Zeitpunkt der Abbuchung festzulegen, ist zum Beispiel auf expliziten Wunsch unserer Kunden realisiert worden. Auch bei der Einführung neuer Features helfen uns unsere Kunden, versteckte Fehler so schnell wie möglich zu finden.

Nachhaltige Anlage ist eines der Themen, die Sie herausstellen. Das wird aber ohnehin vom Regulator stark vorangetrieben. Verlieren Sie damit ein Differenzierungsmerkmal?

Das Thema Nachhaltigkeit liegt uns persönlich sehr am Herzen. Daher unterstützen wir jede Initiative des Regulators, das Thema stärker voranzutreiben. Es gibt heute keinen Grund mehr, nicht nachhaltig zu investieren. Nachhaltige Anlagen unterscheiden sich nicht in der Rendite, dem Risiko und bei den Kosten.

Für unsere Umwelt und unser Klima ist es entscheidend, dass die riesigen Finanztöpfe der Pensionsfonds umgelenkt und damit industrielle Dinosaurier systematisch finanziell ausgetrocknet werden. Darum hoffen wir auch, dass das Thema Nachhaltigkeit so bald wie möglich kein Differenzierungsmerkmal mehr ist, sondern zum Marktstandard wird.

Als einziges Fintech ist Vantik im Expertenbeirat für die Europarente PEPP vertreten. Welche Forderungen und Ideen wollen Sie dort einbringen?

Die Berufung hat mich sehr gefreut, da ich zu 100 Prozent hinter dem Konzept des Pan-European Pension Product (PEPP) stehe. In vielen Dimensionen, wie zum Beispiel Verbraucherschutz, Kostendeckel und innovativer Absicherungsmechanismen setzt die EU dabei neue Maßstäbe für fortschrittliche Vorsorgeprodukte in Europa. Ich will im Expertenrat vor allem drei Dinge voranbringen:

- Erstens, die Schaffung von mehr Transparenz und Verständlichkeit durch Nutzung digitaler Technologien.

- Zweitens, innovative Lösungen voranzutreiben. Mit der Europarente schafft die EU eine Plattform für innovative neue Produkte in einem Bereich, in dem es bisher sehr wenige Innovationen gegeben hat.

- Und drittens sehe ich meine Aufgabe auch darin, die Perspektive unserer Kunden, der jungen Generation, einzubringen.

Til Klein, Gründer und CEO, Vantik GmbH, Berlin

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