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"Wir wollen uns unseren eigenen Markt schaffen" - Interview mit Martin Daut

Martin Daut, Foto: Sven Serkis

Der Begriff Robo Advisor ist nicht ganz zutreffend, aber mehr "sexy" als "digitale Vermögensverwaltung". Doch auch diesen Begriff empfindet Martin Daut nicht als ideal, da er elitär klingt und Kunden somit abschrecken kann. Quirion spricht deshalb von digitaler Geldanlage. Und die soll die Vermögensanlage demokratisieren. Die Kooperation mit Retailbanken ist für Martin Daut keine Option. Stattdessen will sich Quirion einen eigenen Markt schaffen. Eine Kombination aus Robo Advisor und Beratungsangebot, wenn das Vermögen gewachsen ist, sieht Daut dabei als Alleinstellungsmerkmal. Red.

Um die digitalen Vermögensverwalter in Deutsch land ist es in letzter Zeit vergleichsweise still geworden. Woran liegt das? Sind die Robo Advisor schon Normalität geworden?

So lieb uns das wäre, Robo Advisor sind absolut noch keine Normalität geworden. Die Vorteile sind so groß, dass eigentlich Millionen Kunden die Robos nutzen müssten. Aber wie immer bei neuen oder innovativen Produkten folgt der Markt einem bestimmten Zyklus:

Phase 1: erste große Awareness, die innovativen Nutzer versammeln sich, der Untergang des bestehenden Geschäftes wird prognostiziert.

Dann kommt Phase 2 - der erste mediale Hype legt sich, die Anbieter wachsen weiter, es kommt zu ersten Konsolidierungen.

In Phase 3 trennt sich die Spreu vom Weizen, und wenn die "Massenfähigkeit" hergestellt ist, geht es erst richtig los.

Phase 4 - die etablierten Anbieter wachsen und gedeihen.

Ich würde sagen, wir befinden uns im Robo-Markt derzeit in Phase 2.

Welchen Begriff ziehen Sie vor "Robo Advisor" oder "digitaler Vermögensverwalter"? Weshalb?

Digitaler Vermögensverwalter ist die echte Funktion, aber Robo Advisor klingt mehr sexy. Aber bei Quirion sprechen wir immer von digitaler Geldanlage - Vermögensverwalter hört sich elitär und ausschließend an, es klingt nach großen Vermögen, die einfach nicht jeder hat. Wir wollen aber genau das bieten: eine professionelle Geldanlage für alle, auch für kleine Vermögen. Das soll sich auch im Begriff widerspiegeln, auch wenn Vermögensverwalter rechtlich korrekter wäre.

Ist der Begriff "digitaler Vermögensverwalter" für Normalsparer ohne das, was man landläufig als "Vermögen" bezeichnet, abschreckend - und insofern vielleicht nicht weniger irreführend als der Begriff Robo Advisor?

Ich würde schon sagen, dass er ein wenig abschreckt. Unter Vermögen versteht man ehre große Geldbeträge, reiche Menschen, Private Banking und so weiter. Aber der Begriff ist nicht volumensabhängig. Es gibt große und es gibt kleine Vermögen, eben die Vermögen, die jeder hat.

Eine digitale Geldanlage wie Quirion bietet nun nahezu jedem die Möglichkeit, sein Vermögen professionell verwalten zu lassen, nach Kriterien, die bisher großen Vermögen vorbehalten waren. Man benötigt nicht mehr sechsstellige Mindestanlagesummen, um eine professionelle Vermögensverwaltung in Anspruch nehmen zu können.

Das geht schon mit Beträgen ab 1 000 Euro. Das ist das, was wir unter der "Demokratisierung" der Vermögensanlage verstehen.

Wie sieht der Markt der digitalen Vermögensverwalter in Deutschland aktuell aus - auch im internationalen Vergleich?

Wie so oft bleibt die Entwicklung in Deutschland hinter der anderer Länder zurück. Wie fast immer bei Finanzgeschäften führen die USA aufgrund des großen homogenen Marktes und der Adoptionsfreudigkeit der Bevölkerung sowie der schlechteren staatlichen Altersvorsorge den Markt an. Danach eroberten Robos - auch aufgrund einfacherer Regularien - Großbritannien und schwappten dann auf Kontinentaleuropa über.

In Deutschland stehen wir auch nach fünf Jahren noch relativ weit am Anfang, aber das Wachstum ist da - zumindest bei Quirion.

Hat MiFID II den Robos einen Kundenzulauf beschert, weil Banken sich aus der Beratung zurückziehen?

Schwer zu sagen. Fakt ist aber, dass immer mehr Menschen erkennen, dass aktives Fondsmanagement unnötig viel Geld kostet und die Performance, die sie dafür erwarten, nicht höher oder nachhaltiger ist, als wenn sie ETFs kaufen. Deshalb suchen sie nach Alternativen.

Die meisten Robos setzen auf ETF - der Großteil der Sparer und Anleger ist damit deutlich besser beraten. Provisionsfinanzierte Banken müssen eigene, oft maßlos überteuerte Produkte vermarkten. Das wird mit Blick darauf, dass die Zinsseite als Einnahmequelle der Banken nicht mehr existiert und auch die nächsten Jahre nicht mehr existieren wird, tendenziell noch zunehmen.

Die Kreditplattformen in Deutschland haben unlängst einen eigenen Verband gegründet. Brauchen die "Robos" auch einen Verband? Wenn nein - warum nicht?

Gute Frage. Ich glaube, das liegt einfach daran, dass der Markt noch jung und relativ klein ist. Konsumentenkredite sind ein "100de" Milliardengeschäft, Robo Advisor haben heute ein Volumen von etwa 4 Milliarden Euro an Assets under Management. Mit Sicherheit wird sich im Laufe der Zeit ein Verbandswesen bilden.

Die Einstiegsschwelle bei Quirion betrug zu Beginn 10 000 Euro. Weshalb wurde sie vorübergehend auf 1 000 Euro gesenkt? Was bringt der niedrigere Mindestanlagebetrag? Und wollen Sie möglicherweise auf Dauer dabei bleiben?

Niedrigere Einstiegshürden dienen der Demokratisierung - jeder soll von den Vorzügen einer professionellen Vermögensverwaltung, wie sie bisher eben nur sechststelligen Volumina vorbehalten waren, profitieren. Das muss aber bezüglich der Abwicklung kostenmäßig und abwicklungstechnisch umsetzbar sein. Und das erfordert konsequente Digitalisierung. Hier werden wir immer besser und können dies an die Kunden weitergeben.

Quirion hat den Anspruch, der führende Robo Advisor in Deutschland zu werden. Wo stehen Sie heute auf dem Weg dahin?

Wir stehen - wie der gesamte Robo-Markt - am Anfang. Aber wir wachsen stetig und sind von unserem Ansatz und unserem Produkt überzeugt. Mittlerweile betreuen wir 12 500 Kunden, Ende letzten Jahres waren es etwas mehr als 5 000. Und das Management-Team hat umfassende Erfahrungen in der Finanzbranche, um zu wissen, wie man dieses Geschäftsmodell erfolgreich voranbringt.

Lässt sich dieses Ziel ohne die Partnerschaft mit einer großen Retailbank überhaupt erreichen?

Wir wollen unseren eigenen Markt schaffen. Keine kundenorientierte Retailbank sollte ihre Kunden über Kooperationen "rausgeben", außer sie schafft so ein Angebot nicht selbst.

Das "Mitverdienen" am Kunden, dem man ein anderes Angebot anbietet, weil man es selbst nicht anbieten kann, zeigt doch nur

a) ich kann es nicht oder

b) ich schau erstmal, ob es grundsätzlich funktioniert und hole es mir dann zurück oder

c) mir macht es nichts aus, die Position, wofür ich stehe, zu verwässern.

Quirion ist eine Tochter der Quirin Privatbank. Wie wird der Robo Advisor im Verhältnis zur Mutter gesehen - als komplementäres Angebot für eine völlig andere Zielgruppe, als Instrument zur Neukundengewinnung, indem Einsteiger zunächst mit Robo Advice anfangen und dann später - wenn das Vermögen größer ist - in die Beratung überwechseln, oder möglicherweise auch ein Stück weit als Kannibalisierung des Beratungsgeschäfts?

Ganz klar Ersteres. Der Einstieg in die professionelle Vermögenanlage über den Robo - und wenn die Vermögensstrukturen dann komplexer werden oder die Lebensumstände es erfordern, kann der Kunde sich für mehr und mehr Beratung entscheiden.

In dieser Konsequenz können das nur Quirion und Quirin Privatbank anbieten, weil sie aus einem Haus kommen, weil beide Modelle auf dem Prinzip der "Honorarberatung" basieren und weil die Angebote aufeinander aufbauen und ohne die üblichen organisatorischen Restriktionen umgesetzt werden. Das können herkömmliche Banken so niemals umsetzen.

Außerdem noch eine ehrliche, aber unpopuläre Anmerkung: Kannibalisierung existiert nur, wenn ein Geschäftsmodell schwächer ist als das anderen. Nur ein schwacher Berater wird durch eine digitale Vermögensverwaltung kannibalisiert, ein guter niemals.

Wofür braucht Quirion einen eigenen CEO, der nicht zugleich CEO der Quirin Privatbank ist?

Es gab bei Quirion als AG schon immer einen CEO. Dieser war aber in Personalunion auch CEO der Quirin Privatbank AG. Da beide Marken stetig wachsen und das so bleiben soll, mussten wir uns verstärken.

Angesichts der Geldpolitik der EZB sind die Rahmenbedingungen für das Wertpapiersparen gut. Der Lackmustest für die Robo Advisor bei längeren Verwerfungen an den Märkten steht damit noch aus. Was glauben Sie: Werden die Kunden auch dann bei der Stange bleiben - oder dem Kapitalmarkt genauso den Rücken kehren, wie es die Beratungskunden der Banken in der Vergangenheit getan haben, wenn die Depots im Minus waren?

Ende 2018 gab es schon einmal stärkere Kursänderungen auf den Kapitalmärkten. Diese haben die Robo Advisor je nach Investmentphilosophie unterschiedlich gut weggesteckt. Für die anderen kann ich nicht sprechen, aber die Kunden von Quirion sind definitiv bei der Stange geblieben, wir machen ja auch keine unsinnigen Versprechungen.

Wie können Sie dem Ausstieg von Kunden im Fall einer Krise begegnen?

Die Kunden werden im Robo darauf hingewiesen, dass die Anlagen am Kapitalmarkt mit Risiken verbunden sind. Sie müssen eine entsprechende Eigeneinschätzung vornehmen, wissen also, worauf sie sich einlassen. Kurzfristig schwanken die Märkte immer mal, langfristig hat das kaum Auswirkungen. Darüber klären wir immer wieder auf.

Und wenn doch Nervosität entsteht, dann kommt der Ertrag über weitaus geringere Kosten gegenüber aktiven Fonds oder teuren Beratungsgeschäften.

Martin Daut, CEO, quirion AG, Berlin
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