Neue Schuldner

Swantje Benkelberg

sb - Zum ersten Mal seit 2015 ist die Wirtschaft in Deutschland im dritten Quartal 2018 leicht geschrumpft. Diese Nachricht hat Deutschland aufgeschreckt. Denn obgleich Ökonomen diese Entwicklung als wenig dramatisch bezeichneten, hat die wirtschaftlich schon so lange heile Welt der Deutschen einen Sprung bekommen. Die zeitgleiche Veröffentlichung des "Schuldnerkompass 2018" von Boniversum Creditreform gab dazu die düstere Kulisse mit der Botschaft: Die Überschuldung von Privatpersonen in Deutschland sei seit 2014 zum fünften Mal hintereinander angestiegen. Die Überschuldungsquote zum Stichtag 1. Oktober 2018 bleibt mit 10,04 Prozent nahezu konstant, da die Bevölkerung durch Zuwanderung und Migration leicht zugenommen hat. Sie liegt jedoch zum dritten Mal in Folge über 10 Prozent. Damit sind über 6,9 Millionen Bürger über 18 Jahre, rund 19 000 mehr als vor einem Jahr, überschuldet und weisen nachhaltige Zahlungsstörungen auf.

Auch für die nahe Zukunft, so die Prognose, ist nicht mit einer echten Entspannung der privaten Überschuldungslage in Deutschland zu rechnen. Vielmehr könne von einer weiteren Zunahme der Überschuldung ausgegangen werden. Das heißt nicht zwangsläufig, dass eine neue Welle von Privatinsolvenzen wie in den Jahren 2005 bis 2008 zu erwarten ist. Denn die Anzahl der Personen mit "weichen" Negativmerkmalen, also nachhaltigen Zahlungsstörungen, hat zwar um 3,9 Prozent zugenommen, gleichzeitig aber ist die Quote derer mit "harten" Negativmerkmalen (juristische Sachverhalte) erstmals seit 2008 gesunken, nämlich um 2,1 Prozent. Doch die Erfahrung zeigt, dass aus weichen Merkmalen schnell harte werden können, wenn sich die Rahmenbedingungen des Schuldners etwa durch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Scheidung verschlechtern. Und wenngleich die Situation auf dem Arbeitsmarkt weiterhin gut ist und Arbeitslosigkeit deshalb 2018 nur noch für 20 Prozent der Überschuldungsfälle als Auslöser gilt, kann sich das unter Umständen schneller wieder ändern als gedacht, wenn sich die Konjunkturerwartungen weiter eintrüben.

Beachtenswert sind die Erkenntnisse der Untersuchung jedoch primär aus anderen Gründen: Die bewährten Überschuldungsmuster, auf denen auch die Kreditvergaberichtlinien der Kreditwirtschaft basieren, verschieben sich. Grob gesprochen geht der Trend in Richtung Angleichung - zwischen Ost und West, zwischen Jung und Alt sowie zwischen den Geschlechtern. Bei Frauen, traditionell weit weniger häufig überschuldet als Männer, nimmt die Schuldenproblematik zu, während die Quoten bei Männern sinken. Fast alle neuen Fälle von Überschuldung betreffen 2018 Frauen. Ebenso ist die Überschuldungsrate von Menschen unter 30 Jahren deutlich zurückgegangen, während gleichzeitig die Altersüberschuldung immer weiter zunimmt. Gerade beim letztgenannten Punkt zeigt sich die politische Brisanz der statistischen Daten - offenbaren sich doch hier die Folgen der vergangenen Rentenreformen und der Handlungsbedarf in Sachen Altersvorsorge, damit sich dieser Trend nicht weiter verschärft. Dann wäre man auch schnell wieder beim Stichwort "Altersdiskriminierung" bei der Kreditvergabe.

Defizite werden weiterhin in Sachen Finanzbildung deutlich. Eine "unwirtschaftliche Haushaltsführung" ist inzwischen für 13 Prozent der Überschuldungsfälle - ein Drittel mehr als 2008 - ursächlich. Und die Korrelation zwischen Schulbildung und Überschuldungsquote ist unübersehbar. Je geringer die formale Bildung, desto häufiger tritt Überschuldung ein. Last, but not least gibt der Schuldnerkompass auch der Wohnungspolitik Aufgaben mit, wenn sie feststellt, dass die Wohnkosten in Großstädten zunehmend zum Überschuldungsrisiko werden. Und der fast in allen Bundesländern beinahe durchweg zu beobachtende Zusammenhang zwischen Wohnlage und Überschuldung hat das Zeug dazu, auch die Diskussion um das in Deutschland nicht erlaubte "Geoscoring" - das Einbeziehen der Wohngegend in die Bonitätsbewertung - wieder aufflammen zu lassen.

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