Vorsorge im Nebel

Swantje Benkelberg, Chefredakteurin, Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

Die Bundesregierung hat ihre Geschenke schon verteilt: Rente mit 63, Mütterrente, Erwerbsminderungsrente und - vorausgesetzt, die Koalition bricht nicht aus einander - die Grundrente. Die Koalitionspartner haben allerdings nicht für jeden ein Geschenk im Sack - vor allem nicht für Normalverdiener, die noch ein gutes Stück Lebensweg bis zum Eintritt in den Ruhestand vor sich haben. Entsprechend skeptisch sind die Bundesbürger, wenn es um ihre Einkommenserwartungen im Alter geht. Neue Zahlen dazu hat die Deutsche Bank in ihrem Vorsorgereport Anfang Dezember vorgelegt. 70 Prozent der Befragten sind demnach überzeugt, dass die gesetzliche Rente künftig nicht mehr als eine Grundsicherung sein wird. Mehr als jeder Zweite erwartet sogar über kurz oder lang den Zusammenbruch des gesetzlichen Rentensystems in Deutschland. Daran, dass die "doppelte Haltelinie" längerfristig Bestand haben könnte, glaubt also nur eine Minderheit. Diese Erkenntnis muss bitter sein für eine Bundesregierung, die sich die Bekämpfung von Altersarmut auf die Fahnen geschrieben hat. Es scheint, als verfügten die Bürger über mehr Realitätssinn als die Koalition in Berlin, was die Finanzierung der jüngsten Leistungsausweitungen der gesetzlichen Rentenversicherung und die längerfristige Perspektive betrifft. Die Entscheidung der Bundesregierung, eine Grundrente einzuführen, beurteilen zwar zwei Drittel der Befragten (67 Prozent) als richtig - doch nur 22 Prozent sehen damit das Problem einer ausreichenden Altersvorsorge gelöst.

Problem erkannt - Problem gebannt? Das gilt dennoch bei den Bürgern genauso wenig wie bei den politischen Entscheidungsträgern. Mehr als zwei Drittel der Bürger (69 Prozent) sind zwar der Meinung, die Notwendigkeit, sich mit der eigenen Altersvorsorge zu beschäftigen, höre niemals auf. Dennoch gibt nur jeder Zweite (49 Prozent) an, in Sachen Altersvorsorge selbst schon tätig geworden zu sein, Männer (55 Prozent) häufiger als Frauen (44 Prozent). 28 Prozent sind über das Nachdenken über die Thematik noch nicht hinaus gekommen, 12 Prozent verweigern sich vollständig. 37 Prozent der Befragten geben an, sich mit dem Thema Altersvorsorge nur dann zu beschäftigen, wenn es unbedingt nötig ist. Die Übersetzung der Angst vor Altersarmut in konkretes Handeln gelingt also nur unvollkommen. Ebenfalls gut jeder Dritte schiebt das Thema vor sich her, weil man sich nicht langfristig finanziell binden will. Wenn es darum geht, selbst etwas zu tun, denken die Bürger also genauso kurzfristig wie die Politik. Und die Unsicherheit darüber, welche Weichen die Regierung noch in dieser oder eher in der nächsten Legislaturperiode noch stellen wird, trägt sicher nicht dazu bei, daran etwas zu ändern. Der Bericht der Rentenkommission wird erst für März 2020 erwartet. Dass danach rasch Entscheidungen getroffen werden, ist eher unwahrscheinlich. Sondern dann beginnt erst der Beratungs- und Diskussionsprozess. Also wieder einmal abwarten.

Die Studie zeigt aber auch, was Verbraucher sich wünschen: Ganz oben stehen hier ein persönliches Gespräch mit einem Experten und eine Website oder App, die jederzeit darüber Auskunft gibt, ob die gesamte bisherige Altersvorsorge ausreicht oder wie viel noch fehlt. 41 Prozent plädieren für eine Pflicht zur privaten Vorsorge, wollen also zu ihrem Glück gezwungen werden. Das geht vermutlich am besten durch eine Opt-Out-Lösung in Verbindung mit einem Standardprodukt. Der Verbraucher muss dann - anders als bisher - nicht tätig werden, um vorzusorgen, sondern nur dann, wenn er in ein Vorsorgesystem nicht einbezogen werden will. Darin zumindest scheinen sich diejenigen, die sich im November erneut mit zahlreichen Vorschlägen für ein Standardprodukt zu Wort gemeldet haben, großenteils einig zu sein. Der Teufel steckt allerdings auch hier im Detail der konkreten Ausgestaltung.

Die "Nebelwand", vor der Verbraucher in Deutschland nach den Worten von Dr. Thomas Hoerter, Leiter Marktforschung der Deutschen Bank, in Sachen Vorsorge stehen, wird sich deshalb so schnell wohl nicht lichten. Das macht Beratung nicht einfacher, aber umso dringlicher. Denn Abwarten ist die schlechteste Lösung. Mit flexiblen Lösungen, die sich an wechselnde persönliche Umstände anpassen lassen, kann der Aversion gegenüber der Langzeitperspektive begegnet werden. Aktiensparen ist "alternativlos", um ein Wort von Angela Merkel zu bemühen. Doch auch die Absicherung des biometrischen "Langlebigkeitsrisikos", so absurd das Wort klingen mag, gehört zu einer Vorsorgeplanung dazu. Wer sich breit aufstellt, der kann am wenigsten falsch machen.

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