BANKKARTEN-FORUM

Die deutsche Kreditwirtschaft muss ihre Stärken bündeln

Gregor Roth, Foto: DZ Bank AG

Die Antwort auf die Herausforderungen im Payment kann nur in einer europäischen Lösung erfolgen, so Gegor Roth. Die deutsche Kreditwirtschaft verfügt mit der Girocard über die Voraussetzung, dabei strategisch, planerisch und technologisch eine Führungsposition einzunehmen. Sie muss aber dringend eine gemeinsame, omnikanalfähige Bezahllösung aufbauen, anstatt wie bislang jedes Verfahren für sich unter eigener Marke weiterzuentwickeln, fordert Roth. Der Flickenteppich der Verfahren müsse endlich ein Ende haben. Red.

Die digitale Transformation ist in nahezu jeden unserer Lebensbereiche eingedrungen und hinterlässt deutliche Spuren - und das mit zunehmender Geschwindigkeit. Ob das generell positiv ist oder sich als negativ herausstellt, kann niemand genau bestimmen. Fakt ist jedoch, dass es stattfindet. Außerdem ist zu konstatieren, dass sich das Kundenverhalten hinsichtlich der Funktion "Bezahlung" stark in Richtung "Bequemlichkeit" ausrichtet - ohne bürokratischen Aufwand, schnell, sicher und am besten in Echtzeit.

Megatrend Globalisierung

Die Herausforderungen der Paymentbranche machen längst nicht mehr an nationalen Grenzen halt, sondern erstrecken sich mittlerweile weit darüber hinaus. Auch wenn die Zeiten der Hyperglobalisierung seit Beginn der Finanzkrise 2008 vorbei sind, so bewegen sich die Finanzströme und der Zahlungsverkehr doch über ein globales Netzwerk.

Ohne die treibenden Globalisierungskräfte der USA wäre es nicht soweit gekommen. Heute versucht der amerikanische Präsident Donald Trump, seine Interessen gegenüber unbequemen Gesprächspartnern gern mit Handelshemmnissen oder anderen Restriktionen durchzusetzen. Auch im internationalen Zahlungsnetz spielt er die amerikanische Führungsposition ohne Wenn und Aber aus: So läuft der weltweite Zahlungsverkehr per Swift System über die USA und die Abhängigkeit vom US Dollar ist groß, da weit über die Hälfte des globalen Handels über die Weltwährung Nummer 1 abgewickelt wird.

Auch der weltweite Kartenzahlungsverkehr ist fest in amerikanischer Hand: An den beiden US-Unternehmen Visa und Mastercard führt in puncto Kreditkarten und Transaction-Banking kaum ein Weg vorbei. Mehr internationale Unabhängigkeit wäre durchaus wünschenswert.

Trotz Trumps unablässiger Versuche, die schnell wachsende chinesische Handelsstärke empfindlich zu schwächen, zeigt sich China relativ wenig beeindruckt und werkelt kräftig weiter in vielen Bereichen an der Vormachtstellung in der Welt. Chinas großer Vorteil steckt in Wahrheit im technologischen Vorsprung.

Je mehr Handelsbarrieren aufgebaut werden, desto stärker konzentrieren sich die innovativen Kräfte in China auf die Erreichung der technologischen Führerschaft auf den internationalen Märkten in allen erdenklichen Branchen. So auch im Zahlungsverkehr. Noch befürchtet man bei chinesischen Angeboten Industriespionage. Allerdings wie lange noch?

Den Bigtechs Paroli bieten

Demnach ist es nicht verwunderlich, dass die europäische Politik die Banken auffordert, ein von internationalen Anbietern unabhängiges europäisches Bezahlsystem zu etablieren, um den Branchengrößen Paypal, Google, Facebook oder chinesischen Unternehmen wie Alibaba und Tencent ernstzunehmend Paroli bieten zu können.

Unabhängige Girocard

In Deutschland haben wir mit der Girocard bereits ein von internationalen Anbietern (weitestgehend) unabhängiges System, das auf offenen Standards basiert. Im Jahr 2018 wurden etwa 3,8 Milliarden Transaktionen mit Girocard abgewickelt - mit einem Umsatz von insgesamt etwas mehr als 187 Milliarden Euro. Das kontaktlose Bezahlen boomt, der Privatkunde findet zu nehmend Gefallen daran. Somit haben wir es hier mit einem eindeutigen Mehrwert zu tun, der sich zum Standard entwickelt.

Außerdem erfreut sich die Girocard eines anhaltend großen Wachstums: Die Anzahl der Transaktionen stieg im ersten Halbjahr 2019 um knapp 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, der Umsatz konnte in derselben Zeit einen Zuwachs von annähernd 16 Prozent verzeichnen.

Erfolgsgeschichte reicht nicht mehr aus

Diese Erfolgsgeschichte allein reicht aber in der globalen Betrachtung nicht mehr aus. Dies lässt sich an drei Aspekten festmachen:

1. Weg von rein nationalen Lösungen, hin zur immer weiter fortschreitenden Europäisierung. Ein Vorhaben der EU, das sich in der Vergangenheit nur durch strenge Regulation in diversen Branchen durchsetzen ließ, unabhängig von den Herausforderungen für die Finanzinstitute oder den Handel. Sowohl die wirtschaftlichen Interessen der Anbieter im Vorfeld als auch die negativen wirtschaftlichen Konsequenzen in der Folge nach der Durchsetzung bleiben in der Regel unberücksichtigt. Ich erinnere dazu nur an die Abschaffung der Roaming-Gebühren im Mobilfunkbereich.

2. Der Kunde freut sich an den digitalen Möglichkeiten - sie erscheinen unerschöpflich und versprechen weitgehend die Aufhebung so mancher Grenze. Geht nicht, gibt es nicht. Der Kunde ist digital und vernetzt und es ist für ihn selbstverständlich, dass ihm seine Bank nicht nur folgt, sondern seine Bedürfnisse sogar antizipiert. Er erwartet vom Angebot seiner Bank smarte Technik, individuell und persönlich in ihrer Ausprägung, allseits und allzeit hohen Komfort, immer online, uneingeschränkt mobil mit nahtloser Integration in seinen digitalen Alltag - und das alles möglichst in Echtzeit von einem Moment auf den anderen.

3. Wer das Konto zur Verfügung stellt, hat die Macht - denkt man zumindest. Die zunehmende Regulierung und die Öffnung der Bankeninfrastrukturen "machen den Weg frei" für Drittunternehmen und damit für Bigtechs, auf unsere wichtigsten Assets zuzugreifen: das Girokonto und die Kundendaten. Perspektivisch wird der Umfang immer größer und der Markteintritt immer leichter. Der Schlüssel dafür ist die "zweite EU-Zahlungsdiensterichtlinie", kurz PSD2, die die Finanzinstitute zwingt, über die Öffnung der PSD2-Kundenschnittstelle Drittanbietern wie Finanz-Start-ups, anderen Banken und Finanzdienstleistern zu erlauben, auf die Zahlungskonten der Bankkunden zuzugreifen. Auf Wunsch des Kunden können Drittanbieter Zahlungsdaten auslesen oder Zahlungen abbuchen - und sich auf diese Weise in die angestammte Bank-Kunden-Beziehung empfindlich einmischen.

Der Kunde ist überfordert

Fakt ist, dass die deutsche Kreditwirtschaft mit ihren Bezahllösungen bereits heute alle für den Kunden relevanten Kanäle abdeckt: PoS, online, mobil, Peer-to-Peer. Wenn der Kunde alle Möglichkeiten ausschöpft, ist er - zumindest innerhalb Deutschlands - bezahltechnisch komfortabel unterwegs.

Für den Kunden ist der übergreifende Antritt allerdings schwer erkennbar: Girocard, Paydirekt, Giropay, Kwitt. Die Gesamtsituation des deutschen Markts für Bezahlsysteme ist unübersichtlich und erklärungsbedürftig. Nicht nur unterschiedliche Marken, sondern auch teilweise unterschiedliche Infrastrukturen und nicht immer synchrone Weiterentwicklungspfade prägen das Bild. Der Kunde ist schlicht und ergreifend überfordert, wenn er Transaktionsablauf, Technik und Kosten auf einen Blick erfassen will.

Ausgehend von der Erkenntnis, dass ein Kunde seine Bezahlgewohnheit erst dann ändert, wenn sie ihm einen Mehrwert verspricht und ihn auch einhält, wird es an dieser Stelle schwierig.

Bigtechs und Fintechs mit extremer Kundenorientierung

Anders der Wettbewerb, sprich die Bigtechs und Fintechs dieser Welt, die mit ihren Bezahlanwendungen Zugang zum deutschen Markt suchen: Mit ihrer Trial-and-Error-Philosophie agieren sie effektiver. Der Erfolg tritt insbesondere deswegen ein, weil sie eine extreme Kundenorientierung an den Tag legen und die Kundenbedürfnisse kritiklos bedienen, ja, sie sogar fördern. Sie besetzen jede nur erdenkliche Produkt- und Leistungsnische mit grundlegend neuen Ideen. Sie hangeln sich dabei in jeder Hinsicht an den Touchpoints der Customer Journey entlang und punkten dabei ungemein.

Dies alles und ihre "Omnikanalangebote" aus einer Hand machen es den Fintechs ungemein leicht, sich an der Kundenschnittstelle zu platzieren. Noch sind die Marktanteile gering, aber die Tendenz ist signifikant steigend.

Rasch auf die eigenen Stärken besinnen

Wie stellt sich die Situation generell dar? Die rasch fortschreitende Digitalisierung macht die Geschäftswelt schneller und effektiver. Dadurch drängen innovative Fintechs und Start-ups auf den Finanzmarkt und treffen mit ihren neuen Ideen auf relativ starre Banken aus einer tradierten Welt, denen gleichzeitig die Niedrigzinsphase bezüglich des Profits zu schaffen macht. Es ist für die etablierten Banken schwierig, in dieser neuen Wirklichkeit innovative, profitversprechende Geschäftsmodelle zu generieren.

Kurzum: Angesichts der zunehmenden Präsenz von Nichtbanken auf unserem Spielfeld und des hohen Regulierungsdrucks haben wir nicht mehr viele Chancen, uns zukunftsfähig auszurichten, wenn wir nicht schnell und zielorientiert (re)agieren. Wir sollten uns also unbedingt auf unsere Stärken besinnen: Starke zukunftsfähige Grundlagen für eine europafähige, internationale, kanalübergreifende Lösung besitzen wir. Es gibt also keinen Zweifel, dass wir auf den jeweiligen Kanälen gut aufgestellte Verfahren bereits im reibungslosen Einsatz haben.

IT-Potenziale gemeinsam nutzen

Die deutsche Kreditwirtschaft ist auf einem guten Weg; jetzt muss sie ihre starken Grundlagen nur richtig ins Spiel bringen. Ganz oben auf der Agenda steht hierzu die gemeinsame Nutzung von einschlägigen IT-Potenzialen, insbesondere bei technologischen Weiterentwicklungen, die in gemeinsamen Labors exakt aufeinander abgestimmt werden müssen, um die größtmögliche Wirkung in Richtung Technikführerschaft zu erreichen. Damit wird auch ein kanalübergreifendes Produktangebot für die Kunden wahrnehmbar.

Sichtbarkeit und Akzeptanz sind die beiden Ziele, die kommunikativ hervorzuheben sind - aufmerksamkeitsstark und zwingend. Andere Länder haben die Problematik erkannt und zufriedenstellend gelöst. Die deutsche Kreditwirtschaft braucht schon deshalb ein eigenes, gut funktionierendes Online-Bezahlverfahren, um an der Kundenschnittstelle präsent und relevant zu bleiben. Außerdem bedeutet das eine deutliche Positionierung im digitalen Zahlungsverkehr, der beispielsweise für den Online-Handel unverzichtbar ist - und der wiederum wächst schließlich kräftig.

Dreh und Angelpunkt in der Beziehung zum Kunden bleibt das Girokonto, das das Herzstück der Bankverbindung ausmacht. Die Finanzinstitute der Deutschen Kreditwirtschaft müssen zielgerichtet zusammenarbeiten, ihre Stärken bündeln und rasch handeln, um in einem prospektiven gemeinsamen europäischen Bezahlsystem eine tragende Rolle einnehmen zu können.

Insellösungen bündeln

Es muss zu schaffen sein, dass die deutsche Kreditwirtschaft - wie die Finanzwirtschaften anderer Länder bereits gezeigt haben - in diesem Zusammenhang mit einer konzertierten Strategie auftritt. Jedenfalls ist der Wunsch zu spüren, dass die verschiedenen Initiativen, Maßnahmen und Insellösungen der deutschen Kreditwirtschaft im Payment endlich gebündelt werden, um in der Lage zu sein, schlagkräftige, zeitgemäße und bedarfsgerechte Angebote gegen neue Player anzubieten. Genau das wäre ein klares und unübersehbares Zeichen in Richtung paneuropäische Gesamtlösung im Paymentsektor.

Aber ist es dafür nicht bereits zu spät? Aktuell existieren starke treibende Kräfte in einer Pan-European Payment Solution (PEPS). Aber wie soll eine europäische Bezahllösung aussehen? Mit welcher Infrastruktur, welchem Payment Scheme, und insbesondere: mit welchem Produkt? Jedenfalls muss es sich um etwas Innovatives mit einem deutlichen Mehrwert für den Kunden handeln.

Die Produkt- und Leistungswelten haben sich in den letzten drei Jahren enorm erweitert. Irgendwie scheinen die etablierten Banken mit dieser Bewegungsfreude nicht mithalten zu können. Die Kunden werden mehr und mehr mit Produkten und Leistungen konfrontiert, die bedarfsgerecht - und auf den Punkt gebracht - das alltägliche Leben der Zielgruppen komfortabler und einfacher machen.

Als deutsche Kreditwirtschaft müssen wir jetzt mit allen verfügbaren Assets endlich eine gemeinsame, omnikanalfähige Bezahllösung aufbauen, anstatt wie bislang jedes Verfahren für sich unter eigener Marke weiterzuentwickeln. Kein Flickenteppich mehr!

Wir wissen auch, dass wir bestehende und tradierte Strukturen aufgeben, uns strategisch und damit zukunftsfähig aufstellen müssen. Wir müssen agiler werden! Denn eine europäische Perspektive ist im Payment-Bereich nicht nur eine Option, sondern ein Muss, um im Hinblick auf Bigtechs wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Antwort auf die Payment-Herausforderungen kann nur in einer europäischen Lösung erfolgen. Wir sind aufgefordert, bei dieser wie auch immer gearteten Lösung strategisch, planerisch, technologisch und unternehmerisch eine Führungsposition einzunehmen.

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors auf dem Bankkarten Forum 2019.

Gregor Roth, Bereichsleiter Transaction Management, DZ Bank AG, Frankfurt am Main
Gregor Roth , Bereichsleiter Transaction Management, , DZ Bank AG, Frankfurt am Main
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