MOBILE PAYMENT

Verdienen am Trend zur Wallet: Mobile Wallet Collaboration als letzte Chance

Dr. Christian Pirkner, Foto: Blue Code

Die PSD2 ist für Anbieter wie Apple geradezu eine Einladung aus Brüssel, sich im europäischen Zahlungsverkehr zu engagieren. Umso dringender wird ein einheitliches europäisches Zahlungssystem "made in Europe", damit Europas Banken sich im Wettbewerb um mobile Wallets behaupten können. Genau das will die im Mobile Wallet Collaboration erreichen. Das einheitliche QR-Bezahlformat hätte zudem den Vorteil, künftig auch außerhalb Europas einsetzbar zu sein. Denn der Großteil der bislang erfolgreichen Mobile-Payment-Lösungen setzt auf optische Bezahlverfahren. Red.

In jeder digitalen Transformation gewinnt derjenige die Kunden und damit die Wertschöpfungskette, der die Kundenreise bestimmt. Die Digitalisierung der Debit- und Kreditkarten ins Smartphone hat schon enorme Sprengkraft. Wer diese Entwicklung samt Kundenreise gewinnt, wird den Markt die nächsten Jahrzehnte dominieren. Ähnlich wie die Musik- und die Filmindustrie sind die europäischen Banken drauf und dran, die größte Schlacht gegen die US-amerikanischen Kundenmagneten Apple und Google und ihre Mobile-Payment-Wallets zu verlieren.

Dabei braut sich ein düsteres Szenario zusammen: Apple, beispielsweise, verbietet Drittparteien und damit auch Banken den Zugang zum Kontaktlos-Chip (NFC) im i-Phone. Damit bleibt einer Bank keine andere Wahl, als ihre Karten via Apple Wallet in das Mobiltelefon ihrer Kunden zu integrieren. Die Kundenreise liegt dadurch in den Händen von Apple. Für dieses "Privileg" der Abtretung des Kunden müssen hiesige Banken sogar noch eine Gebühr pro Transaktion an den Konzern aus Cupertino bezahlen. Diese Kombination muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Eine der wichtigsten Industrien Europas sieht sich gezwungen, ihre über Jahrzehnte aufgebaute Kundschaft gegen eine transaktionsbasierte Gebühr an Apple zu übergeben.

PSD2 spielt US-Anbietern in die Hände

Apple wird nun beginnen, die gewonnenen Kunden noch enger an die eigene Plattform zu binden. Der nächste denkbare Schritt wäre etwa, in der Apple Wallet den Kontostand des Kunden anzuzeigen. Diese Funktion ist mit Abstand der häufigste Grund für einen Nutzer, die App seiner Hausbank zu starten.

Die Banking-App wäre künftig jedoch gar nicht mehr nötig. Da Apple das iOS-Betriebssystem kontrolliert, genügt ein einfacher Doppelklick auf den Home Button, um die Apple Wallet zu öffnen und neben dem Bezahlen weitere Kontoinformationsdienste zur Verfügung zu stellen. Technisch und rechtlich ermöglichen wird diesen Schritt die zweite EU-Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 (Payment Services Directive II).

Die ungewollte und indirekte Antwort Europas auf den Angriff der US-Anbieter ist eine Direktive, die ihnen sogar noch in die Hände spielt - quasi eine Einladung aus Brüssel: Europas Bank-Industrie wird ab September 2019 verpflichtet, jeder beim Regulator registrierten Drittpartei gratis 90 Tage Kontoinformationen via Schnittstellen auszuhändigen und das Auslösen von Zahlungen direkt vom Girokonto zu ermöglichen. Die Direktive ist bindend und die Deadline naht.

Hinzu kommt, dass die europäische Payment-Landschaft stark fragmentiert ist, da die nationalen Mobile-Payment-Lösungen bislang unterschiedliche technische Standards einsetzen, was die Nutzung im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr stark einschränkte. Die letzte Rettung für die Banken könnte, wie es gerade EU-Kommission und Bundesbank vehement fordern, ein eigenes Zahlungssystem "made in Europe" sein, das europaweit funktioniert und den Banken bei jeder mobilen Transaktion keinen Verlust beschert (so wie bei Apple Pay), sondern sie die Kundenreise selbst gestalten und an der Wertschöpfung teilhaben lässt.

Zahlungssystem made in Europe gesucht

Aus diesem Grund haben sich kürzlich sechs europäische Mobile-Payment-Anbieter auf ein einheitliches QR-Code-Format geeinigt und am 10. Juni 2019 im portugiesischen Porto die erste Mobile Wallet Collaboration Europas vorgestellt. Neben dem Bluecode Mobile-Payment-System, auf welches in Deutschland und Österreich bereits mehr als 100 Retail- und Händlerbanken vertrauen, zählen dazu ePassi (Finnland), Momo Pocket (Spanien), Pagaqui (Portugal), Pivo (Finnland) und Vipps (Norwegen).

Dadurch wird zu Beginn der Zusammenarbeit ein Netz aus zehn europäischen Ländern mit über 190 000 Partnerhändlern entstehen, bei denen User der sechs Mobile-Payment-Lösungen bargeldlos bezahlen können. Neben den Heimmärkten der Payment-Anbieter sind auch noch Schweden, Dänemark, Island und Slowenien mit an Bord - mit großem Expansionspotenzial, da weitere Kooperationspartner für diese offene Initiative schon in den Startlöchern stehen. Ziel dieser Mobile Wallet Collaboration ist es, Smartphone-Zahlungen zwischen den teilnehmenden Anbietern, Händlern und Ländern kompatibel zu machen und die technische Grundlage zu schaffen, damit Nutzer der verschiedenen nationalen Lösungen länderübergreifend bezahlen können.

Contactless Gateway Code Protocol als einheitliche Grundlage

Die Grundlage des neuen QR-Code-Formats bildet das Contactless Gateway Code Protocol (CGCP), das der chinesische Mobile-Payment-Gigant Alipay bereits in vielen Ländern Asiens erfolgreich einsetzt. Bluecode ist dabei rechtlich und technisch in der Lage, seinen europäischen Banken (Issuer), Händlerbanken (Acquirer) und Partner Schemes diese CGCP-Codes auszustellen und rein innereuropäisch abzuwickeln. So spielt Bluecode als technischer Dienstleister diese Codes an Acquirer aus, welche den QR-Code am Bezahlterminal des jeweiligen Händlers darstellen.

In weiterer Folge wird durch die Payment-App des Endkunden die Zahlungsanfrage entsprechend geroutet. Jedes Partnerland erhält dabei eigene Nummernkreise, sodass die Zahlungsinformationen immer zum richtigen Payment-Anbieter der Mobile Wallet Collaboration geroutet werden.

Alle Daten bleiben in Europa - aber kompatibel mit Alipay

Der QR-Code fungiert dabei im Grunde nur als "Container" für die Routing-Information. Das heißt, die eigentliche Standardisierung liegt beim Inhalt des Containers. In den von Bluecode ausgestellten CGCP-Codes steht eine URL (Uniform Resource Locator), wo die Transaktion des Zahlers eingemeldet wird. Im Falle von Bluecode-Partnern, beispielsweise, sind neben der URL go.bluecode.com die wesentlichsten Parameter verzeichnet, um anzukündigen, wie mit der Zahlung zu verfahren ist, und die korrekten Geldflüsse zu initiieren.

Dabei bleiben jedoch alle Daten europäischer Bankpartner und Nutzer sicher in Europa verwahrt. Die teilnehmenden Partner haben die Gewissheit, dass Zahlungen europäischer Kunden rechtlich wie auch kommerziell nach europäischen Regeln ablaufen. Gleichzeitig ist der QR-Code kompatibel für reisende Alipay-Nutzer aus China, die in Europa eine stark wachsende, attraktive Kundenschicht mit großer Kaufkraft darstellen. Alipay zählt mit seinen in Asien ansässigen E-Wallet-Partnern derzeit über eine Milliarde Nutzer.

Das wirft natürlich die berechtigte Frage auf, warum gerade ein neues QR-Code-Format für Interoperabilität der europäischen Zahlungssysteme sorgen soll? Während optische Bezahlverfahren mit QR-Code-Scan in Asien bereits weit verbreitet sind, ist Europa nach wie vor durch amerikanische Kartensysteme geprägt und noch in einer System-Findungsphase.

Warum ein neues QR-Code-Format?

Wenn man sich die Nutzerzahlen der weltweit erfolgreichsten Mobile-Payment-Lösungen ansieht, wird man jedoch feststellen, dass der Großteil - darunter Alipay, Wechat oder die Starbucks-App - ausnahmslos über optische Bezahlverfahren funktionieren. Die Entscheidung für ein einheitliches QR-Code-Format zur Erweiterung der unterschiedlichen nationalen Mobile-Payment-Lösungen hat mehrere Gründe:

1. Ein europaweites Zahlungssystem sollte auf allen Endgeräten laufen, egal ob mit Android- oder iOS-Betriebssystem. Nachdem Apple, wie eingangs bereits erwähnt, seine NFC-Schnittstelle für Fremdsysteme blockiert, kann ein QR-Code-basiertes Bezahlverfahren diese Einschränkung sehr leicht umgehen und seinen Dienst damit auch i-Phone-Usern zugänglich machen.

2. Zudem sollte ein optisches Bezahlverfahren nützliche Vorteile für User und Händler bieten. Denn Mobile Payment kann nur eine breite Akzeptanz erreichen, wenn es im Vergleich zu Bargeld und Zahlungskarte zusätzliche Mehrwerte liefert, die über das reine Bezahlen hinausgehen. Auch dieses Kriterium erfüllen QR-Codes, da beim Bezahlvorgang der Warenkorb in der Händler- Registrierkasse nicht sofort geschlossen wird und daher mit allerlei attraktiven Mehrwertservices (Value Added Services), wie etwa digitalen Stempelkarten und Gutscheinen oder Kundenprogramm-Verlinkungen für Treuepunkte, verbunden werden kann.

Am PoS und im E-Commerce

Am PoS ist der Bezahlvorgang in zwei Varianten möglich:

- Beim sogenannten "User Scan" erscheint am Bezahlterminal nach Eingabe des Zahlbetrages der einheitliche QR-Code, der von jeder App eines Partners der Mobile Wallet Collaboration abgescannt werden kann. Die Autorisierung wird immer zum richtigen Mobile-Payment-Anbieter geroutet.

- Beim sogenannten "Merchant Scan" wird ein QR-Code in der Payment-App des Kunden angezeigt, den der Händler mit seinem QR-Code-Lesegerät einscannt.

Die zweite Variante wird von vielen Payment-Anbietern favorisiert, da der Händler zur Kundenbindung verschiedene Mehrwerte mit dem mobilen Bezahlvorgang verbinden kann, bevor der Warenkorb in seiner Registrierkasse geschlossen ist. Die Abwicklung über bestehende oder neue Registrierkassensysteme bedeutet, dass erheblich geringere Integrationskosten anfallen und der flächendeckende Rollout in weiteren Ländern wesentlich schneller umzusetzen ist. Darüber hinaus ist der QR-Code nicht nur am physischen PoS einsetzbar, sondern es sind auch E-Commerce-Anwendungen möglich: Beim Checkout-Prozess im Online-Shop kann der User den am Monitor dargestellten QR-Code scannen und die Zahlung sofort mittels Swipe am Smartphone verifizieren.

Die Basis ist gelegt

Mit der Mobile Wallet Collaboration ist nun die Basis für ein europaweites Zahlungssystem gelegt, das den grenzüberschreitenden mobilen Zahlungsverkehr von potenziell rund 500 Millionen Menschen ermöglicht. Die Zusammenarbeit der Payment-Anbieter ist ein Meilenstein in der europaweiten Harmonisierung von optischen Zahlverfahren. Die Standardisierung des technischen Formats erweitert die nationalen Lösungen und erhöht dadurch schlagartig die Verfügbarkeit für Endkunden und Händler. Für die europäischen Banken geht es aber um noch viel mehr: Ein flächendeckendes Zahlungssystem "made in Europe", das rechtlich wie technisch nach europäischen Regeln funktioniert, ist für sie vermutlich die letzte Chance, den Wettstreit um die Kundenreise im Mobile Payment gegen Apple und Google doch noch zu gewinnen und an den Transaktionen zu verdienen.

Technisch ist durch die Mobile Wallet Collaboration bereits alles möglich, von einem Domestic Settlement für mobiles Bezahlen im eigenen Land bis hin zu einem Cross Scheme Settlement zwischen mehreren Ländern und Payment-Anbietern. Alternativ können auch Instant Payments, also Echtzeitzahlungen vom Girokonto ohne Verzögerung eines Banktages, direkt auf dieser Basis aufgesetzt werden.

Über Europas Grenzen hinaus

Durch die Nutzung eines einheitlichen QR-Code-Formats bietet sich zusätzlich auch die Perspektive, europäische Lösungen über unsere Grenzen hinaus verfügbar zu machen. So könnten reisende Europäer beispielsweise bald in Asien mobil per QR-Code bezahlen, während die stark wachsende Zahl an Touristen aus Asien auch in Europa mit ihrer gewohnten, optischen Bezahllösung einkaufen können und Händler von ihrer Kaufkraft profitieren.

Mit der Mobile Wallet Collaboration wurde ein gesamteuropäisches Mobile-Payment-System auf Schiene gebracht. Ob sie ein durchschlagender Erfolg wird, hängt jetzt davon ab, ob die europäischen Banken, Acquirer und Payment-Anbieter die Dringlichkeit für Handlungsbedarf erkennen und sich dazu entschließen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Die Uhr tickt, mit der PSD2-Deadline im September 2019 könnte sich vieles schon zugunsten außereuropäischer Anbieter entscheiden. Europa sollte jetzt zumindest versuchen, das Ruder noch herumzureißen, und den US-amerikanischen Internetgiganten nicht kampflos das Feld überlassen.

Dr. Christian Pirkner, CEO, Blue Code International AG, Wien
LinkedIn
Dr. Christian Pirkner , CEO, Blue Code International AG, Wien

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X