Die Verbünde im Zahlungsverkehr

"Mit Kwitt haben wir einen komplett offenen Ansatz" Interview mit Andreas Martin

Dr. Andreas Martin, Mitglied des Vorstandes des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken

Quelle: BVR

Zwei genossenschaftliche Pilotbanken sind mit der Ausgabe digitaler Karten in die Endkundenvermarktung gestartet. Den Durchbruch des mobilen Bezahlens erwartet Andreas Martin auch durch digitale Karten noch nicht - anders als beim kontaktlosen Bezahlen, wo er ihn 2018 sieht. Bei Kwitt will man die Kooperation mit den Sparkassen für verstärktes Marketing nutzen, um so die Transaktionen steigen zu lassen. Ein Geschäftsmodell, so Martin, sind die P2P-Zahlungen jedoch nicht, vielmehr geht es um die Aufwertung des Girokontos. Bei Instant Payments dürfte das ähnlich sein. Die besten Anwendungsfälle dürften hier ohnehin im B2B-Geschäft liegen. Red.

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Was sind aus Sicht der Genossenschaftsorganisation die wichtigsten Payment-Themen 2018?

Hier lassen sich drei Kategorien bilden: Die erste ist das Thema kontaktloses Bezahlen mit der Karte und digital per Smartphone in den Ausprägungen Girocard, Mastercard, Visa. Die zweite Kategorie ist die Vorbereitung auf Instant Payments und die dritte ist ein anbieterübergreifender Vermarktungsantritt beim Thema P2P durch Interoperabilität und gemeinsamen Markennamen Kwitt mit der Sparkassenorganisation.

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Peter Bakenecker ist sicher, dass in diesem Jahr der schon so oft vorausgesagte Durchbruch des mobilen Bezahlens in Deutschland wirklich kommen wird. Sehen Sie das auch so?

Ich denke, hier gilt es erst einmal zu definieren, was unter mobilem Bezahlen zu verstehen ist. Denn natürlich ist man auch dann mobil, wenn man mit einer kontaktlosen Karte bezahlt - es ist ja nur ein anderer Formfaktor.

Wenn es um die reine Smartphone-Anwendung geht, glaube ich nicht, dass diese in diesem Jahr schon in der großen Breite genutzt wird. Hingegen wird kontaktlos in diesem Jahr den Durchbruch in Deutschland erreichen.

Für uns ist das auch gar nicht so sehr der Punkt. Physisch bieten wir seit dem vergangenen Jahr kontaktlos auf allen neuen Karten als Regelausstattung an und wir gehen jetzt mit den digitalen Karten im Smartphone an den Markt. Von der Transaktion her ist es aber letztlich das gleiche wie bei der kontaktlosen Karte. Von daher ist es gar nicht so entscheidend, ob der Kunde die Karte oder das Smartphone einsetzt, sondern wie sich die Transaktionen entwickeln. Werden weitere Einsatzbereiche erschlossen? Sinken die Durchschnittsumsätze? Das sind die entscheidenden Fragen.

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Wie bewerten Sie die bisherige Nutzung der Kontaktlosfunktion?

Wir sind schon sehr zufrieden. Im Mai waren bereits knapp 15 Prozent aller Girocard-Zahlungen von Kunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken kontaktlos, obwohl erst 50 Prozent der Karten ausgestattet sind. Daran sieht man, dass kontaktlos eine schnelle Hochlaufkurve aufweist. Teilweise gab es sogar Nutzungsquoten von bis zu 30 Prozent. Das macht uns sehr optimistisch, dass kontaktlos sehr schnell eine Breitenwirkung erreicht.

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Geht mit der Nutzung des kontaktlosen Zahlens auch ein weiteres Absinken der Durchschnittsumsätze und damit ein Rückgang des Bargeldes einher?

Ja, das ist so. Bei Banken, die kontaktlose Karten ausgegeben haben, sinken die Durchschnittsumsätze. Auch vom Handel hören wir, dass kleinere Beträge zunehmend per Karte bezahlt werden. Anders formuliert: Kontaktlose Karten werden von Kunden gezielt für Beträge unter 25 Euro eingesetzt. Denn dort liegt der größte Convenience-Faktor. Aber auch bei Beträgen über 25 Euro wird von den Kunden vielfach und gerne kontaktlos bezahlt.

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Anfangs war viel davon die Rede, dass Standards für die Platzierung des Kontaktlos-Lesers am Terminal erforderlich seien. Ist die mangelnde Einheitlichkeit bei der Gestaltung der Terminals noch ein Thema?

Nein. Wir glauben, dass das Nutzungsverhalten sich einfach einschleift und vieles intuitiv abläuft. Es gibt jedenfalls keinen Hinweis darauf, dass es an dieser Stelle zu Problemen kommt.

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Welche Erwartungen haben Sie mit Blick auf die digitalen Karten an die Akzeptanz seitens der Kunden?

Ganz bewusst betrifft das Angebot digitaler Karten die gesamte Produktpalette, also Girocard, Mastercard und Visa-Karte. Bei den Pilotbanken VR Bank Hessen-Land und Volksbank Mittelhessen ist der Startschuss für die Endkundenvermarktung der digitalen Karten im Juni erfolgt. Ab August dieses Jahres werden bundesweit schon die meisten Volks- und Raiffeisenbanken ihren Kunden das mobile Bezahlen mit digitalen Karten anbieten können. In diesen Monaten wird es erste Anhaltspunkte dafür geben, inwieweit Kunden davon Gebrauch machen.

Realistischerweise muss man davon ausgehen, dass zunächst einmal ein Kreis technikaffiner "Early Adopter" mit digitalen Karten auf dem Smartphone bezahlen wird. Es wird, wie bei Innovationen im Zahlungsverkehr üblich, nicht sofort einen Masseneffekt geben.

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Rechnen Sie damit, dass die Nutzung der digitalen Karten über die gesamte Produktpalette in etwa gleich sein wird oder rechnen Sie hier mit Unterschieden?

Meine Erwartung ist, dass es hier keine großen Unterschiede geben wird, da der Prozess des Herunterladens der digitalen Karten über die VR-Banking-App gesteuert wird.

Hier macht es keinen Unterschied, ob der Kunde alle verfügbaren Karten lädt oder nur die Girocard. Diejenigen Kunden, die auch eine Kreditkarte nutzen, werden deshalb vermutlich alle Karten in digitaler Form laden.

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Die physische Karte wird aber in jedem Fall weiterhin ausgegeben?

Ja. Das ist auch notwendig, weil es doch noch eine Vielzahl von Einsatzumgebungen gibt, wo die physische Karte benötigt wird. Der Handel möchte, dass keine Transaktion nur deshalb verloren geht, weil der Kunde eine benötigte Funktion nicht hat. Insofern sind wir gut beraten, den Kunden alle Funktionen zu geben.

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Wenn die digitalen Karten in der Breite beim Kunden angekommen sind – was heißt das für Paydirekt? Wird es der Todesstoß für Paydirekt, wenn Kunden auch online per Girocard zahlen können?

Nein, das sehe ich nicht so. Paydirekt hat einen anderen Zielmarkt, nämlich der E-Commerce-Zahlverfahren, auch mit den entsprechenden zusätzlichen Features wie Käuferschutz. Insofern sehe ich hier keine Kannibalisierung.

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Die Mobilfunkanbieter haben ihre digitalen Wallets inzwischen alle wieder eingestellt. Ist das für den Markt ein Rückschlag oder eher eine Bestätigung dafür, dass die Kunden in Sachen Payment doch eher der Kreditwirtschaft vertrauen?

Zunächst zeigt der Rückzug der Mobilfunkanbieter, dass es gar nicht so einfach ist, als akzeptierter Wallet-Anbieter vom Kunden ausgewählt zu werden. Das ermutigt uns, unseren Kunden, aufbauend auf dem Vertrauen in ihre Bank, die Wallet ihrer Bank zu empfehlen. Natürlich ist das eine Wettbewerbsfrage, da es weiterhin andere Wallets geben wird – wenn nicht die der Mobilfunkanbieter, dann die der Gerätehersteller oder Betriebssystem- Anbieter. Insoweit wird der Kunde immer die Wahl haben.

Wir wollen dem Kunden die Nutzung der Wallet seiner Bank so bequem wie möglich machen. Durch die Integration in die VR-Banking-App machen wir zugleich deutlich, woher das Angebot kommt, wer die Verantwortung übernimmt und an wen er sich im Fall von Problemen wenden kann.

Im Sinne des Wettbewerbs erwarten wir auch, dass es allen Kunden - unabhängig vom genutzten Endgerät - möglich ist, unsere Wallet zu benutzen. Damit meine ich auch Endgeräte, die bisher die NFC-Schnittstelle nicht freigegeben haben.

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Rechnen Sie damit, dass sich die Wettbewerbsbehörden demnächst damit befassen?

Das ist schwer zu beantworten. In jedem Fall ist es eine Frage, die nach einer wettbewerbsrechtlichen Klärung ruft. Die PSD2 war ein gesetzter Wunsch des Regulators und der Politik nach offenen Schnittstellen. Dann müsste es bei Schnittstellen wie NFC im Endgerät genauso sein. Deshalb bedarf das sicher der finalen Klärung.

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Was bedeutet die zunehmende Konzentration im Markt der Paymentdienstleister für nationale Bezahlverfahren beziehungsweise deren Weiterentwicklungen?

Jeder, der in Deutschland antreten will, ist gut beraten, sich mit der Frage zu befassen, welches das am breitesten akzeptierte Zahlungssystem mit dem meisten Traffic und den höchsten Zuwachsraten ist. Das ist nun einmal das Girocard-System. Wer in Deutschland mit einem Komplettangebot antreten will, kommt somit nicht am Girocard-System vorbei. Nicht umsonst gibt es immer wieder Anfragen von Anbietern, die bisher nicht auf dem deutschen Markt vertreten sind, nach der Zulassung als Girocard-Netzbetreiber. Aktuell begrüßt die Deutsche Kreditwirtschaft Adyen und Computop als neue Netzbetreiber.

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Wo sehen Sie im immer stärker konsolidierten Markt der Payment- Dienstleister die Card Process?

Wir haben die Card Process immer so positioniert, dass sie Genossenschaftsbanken bei ihren Kunden begleitet. Sie ist eine Unterstützungsinstitution für das Karten- und vor allem das Akzeptanzgeschäft der Volksbanken und Raiffeisenbanken. Das funktioniert auch gut. Wir haben schöne Wachstumszahlen sowohl bei den Terminalzahlen als auch bei Verträgen und vor allem bei den Transaktionen. Im Segment der kleinen und mittleren Händler sind wir mit der Card Process gut unterwegs.

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Stichwort P2P: Ursprünglich war ja eine gemeinsame Lösung geplant, dann gab es unterschiedliche Lösungen der Genossenschaftsorganisation und der Sparkassen. Weshalb hat man sich nun doch zur Zusammenarbeit entschieden?

Dass wir zunächst mit der genossenschaftlichen Lösung "Geld senden und anfordern" gestartet sind, war für uns ein wichtiger Zwischenschritt, um P2P-Lösungen zu testen. Deshalb wurde die Lösung als Menüpunkt der VR-Banking-App auch bewusst etwas funktional benannt.

Wir sind jedoch der Meinung, dass auch im internationalen Wettbewerb eine Zusammenarbeit möglich sein muss. Denn gerade bei P2P-Lösungen kommt es darauf an, eine gute Erreichbarkeit herzustellen. Hier stehen wir mitten im Wettbewerb mit Anbietern globaler P2P-Lösungen. Deshalb sind wir mit dem Bundeskartellamt im Dialog. Es hat auch entsprechende Gespräche unter anderem der Fiducia GAD sowie der Sparkassen-Finanzgruppe mit dem Kartellamt gegeben.

Insofern finde ich es erfreulich, dass wir jetzt eine Lösung haben, die uns die Interoperabilität erlaubt. Sie ist ganz bewusst so angelegt, dass sie nicht zwischen Sparkassen und Genossenschaftsbanken exklusiv sein soll, sondern dass auch andere Kreditinstitute oder dritte Anbieter sich dieser Interoperabilität und dem gemeinsamen Markennamen anschließen können. Wir haben mit Kwitt einen komplett offenen Ansatz, mit dem Ziel, die Attraktivität des Systems dadurch zu stärken, dass es eine größtmögliche Erreichbarkeit gibt.

Das liegt übrigens auch in Interesse der Politik. Im Euro Retail Payments Board bei der EZB wurde die ganz klare Forderung formuliert, dass es über Dachdienste eine gegenseitige europaweite Erreichbarkeit der P2P-Lösungen geben soll. Insoweit zahlt unsere Aktivität ganz klar darauf ein.

Das ist der Hintergrund dafür, dass wir seit Februar interoperabel sind und seit Juni unter dem Markennamen Kwitt in die gemeinsame Außenkommunikation gehen.

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Wird sich auch im Hintergrund an den Systemen etwas ändern oder bleibt es bei der Interoperabilität und es ändert sich nur der Name?

Tatsächlich ändert sich nur der Name; die Funktion „Geld senden und anfordern” bleibt, wie sie ist. Es wird die Interoperabilität mit den Sparkassen hergestellt und der Menüpunkt in der VR-Banking-App umbenannt in Kwitt – insofern fiel nun die Wahl auf diesen kürzeren und prägnanteren Begriff.

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Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit dem P2P-Payment gemacht?

Mit "Geld senden und anfordern" haben wir, solange es rein genossenschaftlich war, 110 000 Registrierungen verzeichnet. Dafür, dass die Leistung nicht immens beworben wurde, ist das schon ganz erfreulich. Jetzt wollen wir die Interoperabilität zu einer Kommunikationsoffensive nutzen, um den Anteil der Nutzer und die Transaktionszahlen deutlich zu steigern.

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Wie werden P2P-Zahlungen zum Geschäftsmodell? Die Zahlungsbereitschaft der Kunden dürfte sich ja in Grenzen halten?

In der Tat. Preissetzung ist natürlich Sache jedes einzelnen Instituts. Es ist aber sicher schwierig, bei P2P-Zahlungen einzelne Transaktionen bepreisen zu wollen. Insofern beobachten wir, dass die Institute diesen Service als qualitatives Merkmal nutzen, um die Kontoverbindung und das Girokonto insgesamt zu stärken. Wenn man die Innovationen rund um das Girokonto zusammenzählt, kommt einiges zusammen: das elektronische Postfach, die Scan-to-Bank-Anwendung in der VR-Banking-App, die digitalen Karten und Kwitt. All das sind Convenience-Anwendungen, die im Wettbewerb qualitativ genutzt werden können und verdeutlichen, dass das Girokonto einen Wert hat. Insofern geht der Weg eher dahin, Kwitt als Bestandteil eines Kontopaketes anzusehen.

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Ist der Weg von Jiffy oder Twint - von P2P hin in den Einzelhandel - auch ein Modell für Kwitt?

Ich glaube, das sind zwei Paar Schuhe. Für den Einzelhandel gibt es bereits gute Lösungen. Hier stellt sich schon die Frage, ob eine P2P-Variante einen Mehrwert bringt. Vorstellen kann man sich das vielleicht für Flohmärkte oder Automatenlösungen. Aber das sind Nischenanwendungen, auf denen sich vermutlich kein Business Case aufbauen lässt. Am Point of Sale ist die Kontaktlos-Variante - per Karte oder Smartphone - schlichtweg schneller und einfacher, auch für den Händler.

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Sind P2P-Transaktionen schon Instant Payments?

Gefühlt und in der Information sind sie schon Instant Payments, im Clearing aber noch nicht. Daran arbeiten wir natürlich. Im November 2018 wollen wir die passive Erreichbarkeit für Instant Payments sicherstellen und 2019 die aktiven Angebote ausrollen. Ein aktives Angebot wird sein, Kwitt zu 100 Prozent "instant" zu machen.

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Werden Instant Payments die Kartenzahlungen kannibalisieren, weil Händler nicht mehr bereit sein werden, für die Zahlungsgarantie zu zahlen, wenn sie Echtzeitzahlungen haben können?

Vielleicht haben Händler diese Idee. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht der Verbraucher. Deshalb müsste man erst einmal dem Verbraucher erklären, welchen Vorteil er davon hat, wenn er an der Ladenkasse Instant Payments nutzt. Diesen Vorteil für den Kunden sehe ich nicht.

Bei nüchterner Betrachtung glaube ich nicht, dass Instant Payments am PoS der große Renner wird. Ihren Nutzen können Echtzeitzahlungen vor allem dort entfalten, wo es auf bestimmte Begleitumstände ankommt, zum Beispiel für Zug-um-Zug-Geschäfte. Die eigentlichen Vorteile liegen weniger im Zahlungseingang, sondern überall dort, wo man Instant Payments in einen durchgehenden digitalen Prozess einbauen kann - so ähnlich wie früher bei Edifact angedacht. Das ist eher nicht die Ladenkasse. Wo die wirklich sinnvollen Anwendungsfälle sind, wird sich vermutlich erst mit der Zeit herausstellen. Die besseren Anwendungsfelder sehe ich eindeutig im B2B-Geschäft.

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Wird die klassische Überweisung durch Instant Payments abgelöst?

Wir sehen Instant Payments als zusätzliches Angebot, nicht als Automatismus, um die bisherige Überweisung abzulösen. Die Einführung ist ja auch mit Kosten verbunden. Wir werden Mitarbeiter haben, die sonntags arbeiten. Wir werden automatisierte Prüfroutinen auf Geldwäsche und Terrorismusbekämpfung bauen müssen. All das sind Kostenkomponenten. Deshalb spricht nichts dafür, Instant Payments zur neuen Normalität zu erklären, die die bisherige Überweisung ablöst. Sondern Instant Payments sind ein zusätzliches Angebot, verbunden mit einem zusätzlichen Service für unsere Kunden.

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