BEZAHLEN IM NEUEN JAHRZEHNT

"Wir wollen niemanden in eine Richtung drängen" - Interview mit Joachim Schmalzl und Ottmar Bloching

Dr. Joachim Schmalzl, Foto: DSGV

Apple Pay ist bei den Sparkassenkunden gut angekommen, berichten Ottmar Bloching und Joachim Schmalzl - umso wichtiger wird es, dass auch die Girocard dort hinterlegt werden kann. Doch auch bei der Sparkassen-App Mobiles Bezahlen geht es voran. Der Weg zur bargeldlosen Gesellschaft in Deutschland ist allerdings noch weit - nicht zuletzt, weil der Datenschutz hier eine große Rolle spielt. Dennoch sehen Schmalzl und Bloching beim mobilen Bezahlen mit einem Gewöhnungsprozess und dem Vordringen von Wearables. Was die deutsche "Lex Apple Pay" bringen wird, wagen sie noch nicht vorauszusagen. Auch Aussagen zur Ingenico-Übernahme durch Worldline fehlen. Das Interview wurde vor der Bekanntgabe geführt. Mehr zu Ingenico in den Karten-News im März. Red.

Ein Jahr nach dem Deutschlandstart ist Apple Pay auch bei den Sparkassen verfügbar. Einige Medien berichten von einem fulminanten Start. Ist man intern bei Ihnen auch so überschwänglich?

Bloching: Das Feedback der Kunden war tatsächlich sehr beeindruckend, das hat uns sehr gefreut. In den ersten drei Wochen gab es noch mehr Aktivierungen als damals beim Start von "Mobiles Bezahlen" für Android. Allerdings war das auch vor über einem Jahr, seitdem sind Smartphone-Zahlungen in der öffentlichen Wahrnehmung immer präsenter und selbstverständlicher geworden. Ein Jahr macht bei technologischen Entwicklungen heutzutage sehr viel aus.

Auch "Mobiles Bezahlen" wird kontinuierlich weiterentwickelt und ist bald auf einer halben Million Android-Geräten aktiv. Laut Bundesbank-Studie ist es mittlerweile die bekannteste Smartphone-Zahlungslösung. Wir sind gespannt auf die weitere Entwicklung - bei beiden Systemen.

Apple Pay ist in Deutschland seit Dezember 2018 verfügbar. Warum hat es bei den Sparkassen ein Jahr gedauert, bis auch sie Apple Pay anbieten konnten? Liegt das an der Struktur der dezentralen Organisation?

Schmalzl: Wir standen schon frühzeitig mit Apple in Kontakt, um herauszufinden, wie wir unseren Kunden auch das Bezahlen mit Apple-Geräten anbieten können. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist eine sehr große, dezentrale und arbeitsteilig agierende Organisation, die Meinungsbildung ist dadurch komplex. Und gerade bei anspruchsvollen Vertragskonstellationen mit amerikanischen Großkonzernen, für die unsere Verbundorganisation neuartig ist, müssen wir entsprechend sorgfältig vorgehen.

Unser Ziel war und ist es, allen Kunden mobiles Bezahlen über das Girokonto zu ermöglichen, unabhängig vom Endgerät. Diesem Ziel kommen wir mit dieser Lösung erfreulicherweise näher. Am nächsten Ziel, neben den Kreditkarten auch die Girocard in Apple Pay anbieten zu können, arbeiten wir jetzt: Ihre Implementierung bereiten wir für dieses Jahr vor.

Warum ist es so wichtig, dass Apple Pay auch mit der Girocard funktioniert?

Schmalzl: Die Girocard ist aus gutem Grund nach dem Bargeld das beliebteste Zahlungsmittel in Deutschland, nicht nur aus Sicht der Kunden. Sie nutzt vorhandene Bankinfrastrukturen und kann extrem kostengünstig angeboten werden. Von diesen niedrigen Entgelten profitiert der Handel unmittelbar und die Kunden mittelbar, da die Verbraucherpreise mit zunehmender Kartennutzung nicht gleichermaßen steigen müssen. Das alles sorgt dafür, dass die Girocard europaweit zunehmend Anerkennung findet. Allein die Sparkassen haben 46 Millionen Girocards im Umlauf, die zusammen jeden Monat auf rund 150 Millionen Transaktionen kommen.

In unserer Android-App "Mobiles Bezahlen", bei der die Kunden bereits zwischen Girocard und Kreditkarte wählen können, sind über 80 Prozent der digitalisierten Karten Girocards. Die Girocard hat also nicht nur für uns, sondern vor allem auch für unsere Kunden einen sehr hohen Stellenwert.

Bloching: Mit ihr erreichen wir noch weitere Kundengruppen. Viele bevorzugen den Einsatz der Girocard, weil sie direkt an das Girokonto angebunden ist und alle Transaktionen höchst transparent sind. Es wäre eine vergebene Chance, dieses nationale Scheme-Schwergewicht hier auszuklammern - für alle Beteiligten.

Wann rechnen Sie mit einem echten Durchbruch des mobilen Bezahlens in dem Sinn, dass annähernd ebenso viele Transaktionen per Smartphone getätigt werden wie per Karte?

Schmalzl: Der Durchbruch wird frühestens dann kommen, wenn wirklich alle die Möglichkeit haben, mit dem Smartphone zu bezahlen. Auch hierzu wird die Girocard ihren Beitrag leisten. Verfügbarkeit ist entscheidend, wenn es um neue Zahlungsarten geht. Deswegen haben wir auch ein so breites Portfolio an Zahlungsarten. Die Kunden sollen immer die Wahl haben zwischen Bar- oder Kartenzahlung, ihrem Smartphone oder einem Wearable. Allen Kunden Zugang zu allen Zahlarten zu bieten ist Aufgabe der Sparkassen. Daran arbeiten wir. Wir wollen niemanden in eine Richtung drängen.

Bloching: Auch im Handel wächst die Verbreitung von NFC-fähigen Kartenterminals immer weiter. Das nützt sowohl den Smartphone-Zahlungen als auch den kontaktlosen Kartenzahlungen. Knapp 90 Prozent aller Terminals sind bereits kontaktlosfähig. Die beste Technologie bringt niemandem etwas, wenn sie nicht eingesetzt werden kann. Und nur dann, wenn die Nutzer feststellen, dass ihnen eine Technologie einen echten Mehrwert bringt, nutzen sie sie letztendlich auch. Der Mehrwert der kontaktlosen Kartenzahlungen wurde definitiv erkannt, das sehen wir an den Zahlen.

Schnelligkeit ist auf jeden Fall der größte Vorteil. Das erlebt man ja selbst, wenn man an der Kasse steht. Die Bundesbank war auch hier aktiv und hat gemeinsam mit dem EHI Retail Institut eine Erhebung zu den Kosten verschiedener Zahlungsarten gemacht. Im Zuge dessen wurde auch ermittelt, wie lange die einzelnen Bezahlvorgänge dauern.

Allerdings wurde die Studie bereits 2017 durchgeführt, als kontaktlose Zahlungen noch so gut wie keine Rolle spielten. Entsprechend konnten nicht ausreichend Transaktionen gemessen werden, um hier repräsentative Aussagen treffen zu können. Die Veröffentlichung der Erhebung erfolgte erst Anfang 2019, als bei den Sparkassen bereits jede vierte Zahlung kontaktlos war. Damit fällt das Ergebnis ein wenig aus der Zeit. Die Bundesbank beruft sich in ihrer Publikation aber auf eine Studie der Euro Kartensysteme, nach der kontaktlose Zahlungen ohne PIN nur etwa elf Sekunden dauern. Damit sind sie doppelt so schnell wie Barzahlungen. Und fast drei Mal so schnell wie herkömmliche Kartenzahlungen mit PIN oder Unterschrift.

Am schnellsten geht sicher das mobile Bezahlen mit Wearables, für das der Kunde weder Karte noch Smartphone aus der Tasche holen muss. Ist das auch in Deutschland eine Perspektive?

Schmalzl: Smartphone-Zahlungen müssen erst noch zur Gewohnheit werden. Das Bezahlen mit der Karte hat da enormen Vorsprung, ist über die Jahrzehnte gelernt und stellt weder Kassierer noch Kunden vor eine Herausforderung. Von Misstrauen würde ich hingegen auf keinen Fall sprechen. Mobile Payment ist sicher, die Schnittstellen sind standardisiert und verschlüsselt.

Wir rechnen damit, viele parallele Entwicklungen zu erleben: Smartwatches, Fitnessarmbänder, Ringe - was sich hier im Kundenverhalten weiterentwickelt ist offen. Zudem stellen wir fest, dass viele Kunden den persönlichen Bargeldvorrat im Portemonnaie auch zur Budgetkontrolle nutzen. Auch das werden wir weiter aktiv unterstützen.

In den Medien wird oft die Angst geschürt, dass Betrüger mit einem Kartenzahlungsgerät aus dem Internet Geld im Vorbeigehen abgreifen können, weil NFC-fähige Karten an sich nicht weiter abgesichert sind. Hemmt auch die Angst davor die Akzeptanz der neuen Technologie?

Bloching: Das wird tatsächlich häufig unterstellt, aber es findet in der Realität nicht statt. Uns liegt kein einziger Fall vor, in dem das passiert ist. Das Risiko, dass Betrüger für geringe Beträge unter 25 Euro eingehen müssten, ist viel zu hoch. Sie müssten hautnah an Personen herantreten, was ja sehr schnell auffällt. Und sollte es rein theoretisch funktionieren, laufen Terminal und Verrechnungskonto auf ihren Namen. Auf Deutsch gesagt: Das ist kein Business-Case.

Wie weit ist noch der Weg zur bargeldlosen Gesellschaft in Deutschland?

Schmalzl: Die Kunden entscheiden selbst, wie sie bezahlen möchten - und das wollen und sollen sie auch in Zukunft können. Es gibt selbstverständlich weder Pläne noch das Ziel, in irgendeiner Art und Weise die Abschaffung des Bargelds zu provozieren oder zu unterstützen. Und solange die Deutschen auch weiterhin durchschnittlich über 100 Euro im Portemonnaie haben, wird das auch so schnell nicht passieren.

Ohnehin dürfen wir nicht einfach diejenigen Menschen ausklammern, die sich nicht so intensiv mit neuen Technologien auseinandersetzen können oder wollen. Das muss nicht zwangsweise die häufig genannte "ältere Generation" sein. Auch unter jüngeren Menschen gibt es manche, für die das Smartphone nicht an erste Stelle steht und die bei Technik eine gesunde Skepsis an den Tag legen.

In Schweden sieht das anders aus - hier will man bis 2030 bargeldlos sein. Der schwedische Handelsrat hat sogar ausgerechnet, dass es sich ab 2023 für schwedische Händler nicht mehr lohnt, Bargeld anzunehmen.

Schmalzl: In Schweden ging die Entwicklung tatsächlich viel schneller. Dort werden laut Riksbank gerade einmal noch 13 Prozent der Zahlungen in bar getätigt. Hier spielen verschiedene Faktoren mit. In erster Linie wurde es politisch massiv gesteuert, da zum Beispiel der Zugang zu Bargeld bewusst erschwert wurde.

Zudem haben die Schweden ein ganz anderes Verhältnis zum Thema Datenschutz. Während die persönlichen Daten bei uns zu den höchsten Gütern überhaupt gehören, gilt in Schweden das Öffentlichkeitsprinzip. Das heißt, jeder kann theoretisch die Steuererklärung seines Nachbarn einsehen und prüfen, was er oder sie so verdient. Bei neuen Services stellt sich für viele also wahrscheinlich weniger die Frage, was diese mit ihren Daten machen, sondern eher, was die Services für sie tun können. Es ist anzunehmen, dass das diese Entwicklung auch beschleunigt hat.

In Deutschland wird aber, wie erwähnt, auch immer mehr bargeldlos abgewickelt - nur gibt es hier nicht solche Zielformulierungen.

In die Novelle des deutschen Geldwäschegesetzes wurde die Pflicht für "Systemunternehmen" eingeführt, die technische Schnittstelle Zahlungsdienstleistern zu einem "angemessenen Entgelt" zur Verfügung zu stellen. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Schmalzl: Das ist eine spannende Entwicklung, aber natürlich muss zunächst erst einmal geprüft werden, was das Gesetz letztendlich tatsächlich bedeutet. Es zeigt in jedem Fall, dass die Gesetzgebung erkannt hat, dass es in diesem Bereich Regulierungsbedarf gibt und ihn entsprechend gelöst hat - das freut uns. Zuvor waren meist Banken im Fokus, die Schnittstellen bereitstellen mussten. Jetzt wurde erkannt, dass auch andere Anbieter hier berücksichtigt werden müssen.

Apropos Weiterentwicklung: Welche Zukunft hat die Filiale in digitalen Zeiten?

Schmalzl: Sicherlich hat sich die Art und Weise, wie Kunden mit ihrer Sparkasse interagieren, verändert. Sie wollen nicht jeden Tag in die Filiale gehen, aber sie wollen wissen, dass sie es jederzeit könnten und dass sie dort bekannt sind. Und sie suchen auch im digitalen Umfeld den persönlichen Kontakt - gerade bei den großen Fragen des Lebens, wie beim Hausbau oder der Absicherung der Familie.

Natürlich stehen unsere Filialen für "Nähe zum Kunden". Aber auch unsere kanalübergreifende Erreichbarkeit ist "Nähe". Viele Sparkassen bieten ihren Service sogar per Whatsapp an, also genau da, wo die Kunden sind. Auch für Überweisungen oder einen Ratenkredit müssen unseren Kundinnen und Kunden nicht mehr in die Filiale.

Aber wenn sie doch wollen, dann können sie das. Und je komplexer das Produkt, desto größer ist auch der Wunsch nach einem persönlichen Gespräch zur Absicherung dieser Lebensentscheidungen. Was wir aber schon länger beobachten, ist, dass die Kunden immer informierter in die Beratung gehen.

Den Vorwurf, die Sparkassen wären nicht digital, weisen Sie also komplett von sich?

Bloching: Das können wir nicht nur, das müssen wir auch. Die S-Apps gehören zu den am häufigsten heruntergeladenen Apps in den deutschen App-Stores und sind systemübergreifend Testsieger bei Stiftung Warentest. Wir bieten immer mehr Produkte zum komplett digitalen Abschluss an und verknüpfen die Beratung in den Filialen eng mit unserer Internet-Filiale. Einige Sparkassen beraten per Whatsapp. Wer nach seiner Sparkasse sucht, findet sie - überall.

Schmalzl: Die Sparkassen gehören fest zum Alltag ihrer Kunden. Der ist heute anders als noch vor über 200 Jahren, als die erste Sparkasse gegründet wurde. Aber eins gilt nach wie vor: Egal, wo die Kunden sind - wir sind auch da.

Dr. Joachim Schmalzl, Geschäftsführendes Mitglied des Vorstands, Deutscher Sparkassen- und Giroverband e. V. (DSGV), Berlin
 
Ottmar Bloching, Mitglied der Geschäftsführung, Deutscher Sparkassen Verlag GmbH und Vorsitzender der Geschäftsführung, S-Payment GmbH, Stuttgart

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