Factoring im europäischen Binnenmarkt - grenzenlose Unklarheit?

Wie viel Sicherheit bietet der aktuelle Rechtsrahmen

Wolf Stumpf, Frankfurt am Main, ist Rechtsanwalt und Partner der internationalen Sozietät Noerr LLP

Im Jahre 1957 legten die Römischen Verträge den Grundstein für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Darin heißt es: "Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital [...] gewährleistet ist."1) 60 Jahre später stellen die Autoren die Frage, ob Factoring im Europäischen Binnenmarkt tatsächlich ohne Grenzen möglich ist - oder doch eher von Unklarheiten ohne Grenzen die Rede sein muss.

Insbesondere zwei Themen sind für den Factor beim grenzüberschreitenden Factoring essentiell:

- Der Factor muss wissen, nach welcher Rechtsordnung sich seine Rechte und Pflichten bestimmen beziehungsweise welches Recht gegebenenfalls auf seine Position durchschlagen kann.

- Mindestens genauso wichtig ist die Frage, ob er überhaupt zu grenzüberschreitendem Factoring berechtigt ist oder zusätzliche Genehmigungen benötigt.

Anwendbares Recht

Die Frage nach dem anwendbaren Recht stellt sich immer bei Berührungspunkten mit mehreren Rechtsordnungen, also wenn Factoring-Kunde, Debitor oder beide ihren Sitz in einem anderen Land als der Factor haben. Als innereuropäisches Kollisionsrecht geben die Rom-I-Verordnung2) und das Unidroit3)-Übereinkommen unvollständige Antworten:

Welche der beteiligten Rechtsordnungen auf die vertraglichen Schuldverhältnisse einer Factoring-Beziehung anzuwenden ist, bestimmt sich nach der Rom-I-Verordnung. Die Rom-I-Verordnung ist unmittelbar geltendes Recht in den EU-Mitgliedstaaten. Ausweislich ihrer Erwägungsgründe soll diese Verordnung ein hohes Maß an Berechenbarkeit schaffen und so zu den europäischen Zielen der Rechtssicherheit und der Rechtsvereinfachung beitragen.4) Aber auch unter Geltung der Rom-I-Verordnung gibt es nicht das eine Recht, das auf sämtliche Rechtsverhältnisse der Factoring-Beziehung Anwendung findet. Vielmehr ist zu unterscheiden zwischen

- dem Factoring-Rahmenvertrag,

- den nach Maßgabe des Factoring-Rahmenvertrages geschlossenen einzelnen Forderungskaufverträgen,

- der dinglichen Übertragung einer Forderung und

- das die Forderung begründende Rechtsverhältnis zwischen Factoring-Kunde und Debitor.

Dabei wirkt sich insbesondere letztere Rechtsbeziehung maßgeblich auf die Rechte des Factors hinsichtlich einer angekauften Forderung aus.

Factoring-Rahmenvertrag und Forderungs-Kaufvertrag

Nach Artikel 3 Abs. 1 der Rom-I-Verordnung (VO) haben grundsätzlich die Parteien des Factoring-Rahmenvertrages die freie Rechtswahl.5) Haben die Parteien ihre Beziehungen ausnahmsweise weder ausdrücklich noch konkludent einem bestimmten rechtlichen Rahmen unterstellt, gilt bei Dienstleistungsverträgen das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Dienstleisters.6) Der Factoring-Rahmenvertrag wird geprägt von Dienstleistungselementen wie dem Debitorenmanagement, der Finanzierungsfunktion sowie der Delkredereübernahme beim echten Factoring. Bei fehlender Parteivereinbarung gilt damit das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Factors.

Mit Blick auf die einzelnen Forderungskaufverträge kommen bei fehlender Rechtswahl verschiedene Anknüpfungspunkte in Betracht. In Anlehnung an Artikel 4 Satz 1 a) Rom-I-VO könnte auf den Forderungskaufvertrag als Rechtskauf das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verkäufers (also des Factoring-Kunden) anzuwenden sein.7) Jedoch darf – mit der wohlherrschenden Meinung in der Literatur8) - nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Forderungskaufvertrag eng mit dem Factoring-Rahmenvertrag verbunden ist. Unterfällt ein Vertrag mehreren Vertragstypen, bestimmt sich das anwendbare Recht nach der Rechtsordnung des gewöhnlichen Aufenthalts derjenigen Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung erbringt.9) Dies ist der Factor, damit wäre das Recht an dessen gewöhnlichem Aufenthaltsort anzuwenden. In der Praxis erstreckt sich das im Rahmen des Factoring-Rahmenvertrages gewählte Recht jedoch regelmäßig auf die einzelnen Forderungskaufverträge, sodass der Streit eher theoretischer Natur sein dürfte.

Abtretung und Forderungsstatut

Aufgrund des im deutschen Recht geltenden Trennungs- und Abstraktionsprinzips ist die rein dinglich wirkende Forderungsübertragung von dem schuldrechtlichen Forderungskaufvertrag zu unterscheiden. Gleichwohl ist nach Artikel 14 Abs. 1 Rom-I-VO für die dingliche Forderungsübertragung ebenfalls das auf den schuldrechtlichen Forderungskaufvertrag anwendbare Recht maßgeblich. Dabei handelt es sich regelmäßig um das im Factoring-Rahmenvertrag von den Parteien gewählte Recht. Somit finden auf den Forderungskauf und die dingliche Forderungsübertragung (Abtretung) ein und dasselbe Recht Anwendung. Insoweit erzielt die Rom-I-Verordnung zweifelsohne eine höhere Rechtssicherheit.

"Grenzenlose" Rechtssicherheit für den Factor wird hierdurch aber nicht erzielt. Denn die Reichweite des nach Artikel 14 Abs. 1 Rom-I-VO bestimmten Abtretungsstatuts10) wird durch Artikel 14 Abs. 2 wieder eingeschränkt. Nach dieser Norm bestimmt das Recht, dem die abgetretene Forderung unterliegt (sogenanntes Forderungsstatut), die Übertragbarkeit der Forderung, das Verhältnis zwischen Factor und Debitor, die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung dem Debitor entgegengehalten werden kann, und die befreiende Wirkung einer Leistung durch den Debitor. Davon erfasst sind neben der Frage der Fälligkeit der Forderung vor allem auch sämtliche Einreden - zum Beispiel die Frage der Verjährung - und Einwendungen des Schuldners. Die Bedeutung des Forderungsstatuts ist daher von überragender Bedeutung für die Konzeption und Gestaltung von Factoring-Verhältnissen, wie nachfolgende Beispiele illustrieren.

"Harte" Abtretungsverbote

Das zeigt sich deutlich bei sogenannten "harten" Abtretungsverboten, die manche europäische Jurisdiktionen vorsehen. Nach deutschem Recht ist der Factor beim Erwerb von Handelsforderungen vor den Wirkungen eines zwischen Factoring-Kunde und Debitor vereinbarten Abtretungsverbotes weitgehend geschützt. Denn nach § 354a Handelsgesetzbuch (HGB) ist die Abtretung gleichwohl wirksam.11) Demgegenüber sehen jedoch bestimmte ausländische Rechtsordnungen - zum Beispiel Polen, Spanien oder bei Kenntnis des Factors Italien12) - "harte" Abtretungsverbote vor. Bestimmt sich das Forderungsstatut nach einer solchen Rechtsordnung, schlägt dieses Abtretungsverbot nach Artikel 14 Abs. 2 Rom-I-VO auch auf die Rechtsposition des Factors durch. Der Factor kann dann nicht Forderungsinhaber werden.

Ungeachtet dessen bestehen für den Factor gleichwohl Gestaltungsmöglichkeiten, etwa in Form eines synthetischen Forderungskaufs.13) Dabei wird der Factor wirtschaftlicher Eigentümer einer Forderung ohne zugleich die dingliche Verfügungsgewalt über die Forderung zu erlangen. Eine derartige Gestaltung empfiehlt sich insbesondere im Rahmen von großen Factoring-Transaktionen. Bei solchen werden dem Factor oft multinationale Forderungsportfolien angeboten. Kann der Factor aufgrund "harter" Abtretungsverbote einzelne der angebotenen Forderungen nicht als Inhaber erwerben, wird er die Transaktion bei einer mehrere Ländern umfassenden Struktur daran nicht scheitern lassen wollen.

Auch beim üblichen Factoring-Geschäft kann die Gestaltungsvariante des synthetischen Forderungskaufs eine Rolle spielen, beispielsweise wenn ein international agierender Automobilzulieferer an einen in Italien ansässigen Automobilhersteller liefert. Gegenüber diesem wird er voraussichtlich die Anwendung deutschen Rechts nicht durchsetzen können. Will der Automobilzulieferer seine sämtlichen Forderungen über ein und dasselbe Factoring-Unternehmen abwickeln, muss der Factor auch mit Blick auf diese - dem italienischem Recht unterliegenden - Forderungen eine Gestaltungsmöglichkeit anbieten.

Beim synthetischen Forderungskauf wird die Forderung dem Factor wirtschaftlich zugeordnet, indem der Factor das Delkredererisiko übernimmt, während der Factoring-Kunde weiterhin für die Verität der Forderung haftet. Der Factoring-Kunde bleibt dann Forderungsinhaber, muss die Forderung allerdings als Treuhänder für den Factor verwalten.

Eine derartige Gestaltung verlangt umfangreiche Anpassungen am Factoring-Rahmenvertrag. So nehmen Factoring-Verträge grundsätzlich Forderungen von der Andienungspflicht des Factoring-Kunden aus, die einem Abtretungsverbot unterliegen. Diese Ausnahme wäre zu streichen, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Entsprechend wäre auch die Veritätsgarantie anzupassen. Zudem müsste die standardmäßig in Factoring-Verträgen enthaltene Treuhandklausel ausdrücklich mit Blick auf den synthetischen Forderungskauf detailliert werden. Nicht zuletzt sind Weisungsrechte und Vorgaben zu implementieren, wie der Factoring-Kunde die jeweiligen Forderungen einzuziehen hat.

Notifizierung als Wirksamkeitsvoraussetzung

Darüber hinaus kann nach dem Forderungsstatut eine Notifizierung des Debitors Voraussetzung für die Wirksamkeit der Abtretung sein. Nach französischem Recht erfordert die Wirksamkeit der Forderungsabtretung, dass der Debitor entweder vom Gerichtsvollzieher über die Abtretung informiert wird oder er die Abtretung bei einem Notar bestätigt hat.

Bestimmte Rechtsordnungen verlangen zudem die öffentliche Registrierung des Factorings. So hat der Factor nach ungarischem Recht seine Factoring-Geschäfte einschließlich seiner jeweiligen Factoring-Kunden im öffentlich zugänglichen Kreditsicherungsregister eintragen zu lassen. Bei fehlender Eintragung können Forderungen nicht auf den Factor übergehen.

Drittwirkung bleibt ungeklärt

In der Rom-I-Verordnung fehlt nach wie vor eine Regelung zur Wirksamkeit der Forderungsabtretung im Verhältnis zu Dritten. Die Drittwirkung betrifft die Frage, nach welcher Rechtsordnung sich die Wirkung der Abtretung gegenüber Dritten bestimmt. Das ist zum Beispiel relevant, wenn Gläubiger des Factoring-Kunden versuchen, auf die dem Factor abgetretene Forderung zuzugreifen, etwa diese zu pfänden. Zudem zeigt sich die Relevanz der Drittwirkung, wenn der Factoring-Kunde über ein und dieselbe Forderung mehrfach verfügt hat; zum Beispiel bei Abtretung der Forderung im Factoring-Rahmenvertrag im Wege der Globalzession und anschließend im Rahmen eines mit Vorlieferanten vereinbarten Eigentumsvorbehalts.

Die Bedeutung der Drittwirkung war bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Rom-I-VO offenbar. Die Europäische Kommission schlug vor, die Drittwirkung an den Sitz des Factoring-Kunden anzuknüpfen. Eine Einigung konnte nicht erzielt werden. Dies hat zur Folge, dass das Thema Drittwirkung bis heute nicht geregelt ist.

Allerdings hat die Kommission (immerhin) ein Gutachten des British Institute of International and Comparative Law (BIICL) beauftragt. Das BIICL stellte darin fest, dass drei Mechanismen in Betracht kämen, die festlegen, nach welchem Recht sich die Verfügungswirkung einer Forderungsübertragung bestimmen könne:14)

- Entsprechend dem ersten Vorschlag soll sich die Drittwirkung der Abtretung nach dem Abtretungsstatut bestimmen, also nach dem auf den Abtretungsvertrag zwischen Factoring-Kunde und Factor anzuwendenden Recht. Das allerdings trifft nur dann zu, wenn erstens die Parteien das Abtretungsstatut gemäß Artikel 3 Rom-I-Verordnung gewählt haben und zweitens dieses gewählte Recht entweder demjenigen des Forderungsstatuts oder dem Recht am Sitz des Factoring-Kunden entspricht.

- Der zweite Vorschlag knüpft die Drittwirkung an das Forderungsstatut. Bei der im Factoring üblichen Vorausabtretung steht im Zeit punkt der Abtretung das (zukünftige) Forderungsstatut aber noch nicht fest. Zudem können für eine Globalzession dann viele verschiedene Rechtsordnungen einschlägig sein.15) Daher nimmt das BIICL die Abtretung künftiger Forderungen sowie die Globalzession von der Anknüpfung an das Forderungsstatut aus. In diesen Konstellationen soll sich die Drittwirkung nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Factoring-Kunden bestimmen.

- Der letzte BIICL-Vorschlag möchte die Drittwirkung an den Sitz des Factoring-Kunden anknüpfen. Das soll allerdings für bestimmte - vom BIICL jedoch nicht näher definierte - Finanztransaktionen nicht gelten. Für solche Finanztransaktionen soll dann wiederum das Forderungsstatut maßgeblich sein.

Wenngleich die vom BIICL ermittelten Ergebnisse der Studie seit Dezember 2011 vorliegen, hat der europäische Gesetzgeber bis heute keine entsprechende Rechtssicherheit geschaffen. Eine Vielzahl der Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten bestimmen die Drittwirkung nach dem Forderungsstatut. Beispielsweise kommt es bei spanischem Forderungsstatut darauf an, dass die Forderungsabtretung in einem öffentlichen Dokument eingetragen wird.

Unidroit-Übereinkommen

Rechtsunsicherheit kann ebenfalls der Blick auf das Unidroit-Übereinkommen über das Internationale Factoring vom 28. Mai 1988 (auch bekannt als Ottawa-Übereinkommen oder FactÜ) ergeben. Diese Grundregeln für internationale Handelsverträge haben Vorrang vor der Rom-I-VO und definieren das Factoring-Verhältnis zudem in materiellrechtlicher Hinsicht.

Das Unidroit-Übereinkommen ist anzuwenden, wenn Factoring-Kunde und Debitor in verschiedenen Ländern sitzen und

- sämtliche Beteiligte des Factoring-Verhältnisses (also Factoring-Kunde, Factor und Debitor) in einem Vertragsstaat sitzen oder

- sowohl der Warenkaufvertrag als auch der Factoring-Vertrag dem Recht eines Vertragsstaats unterliegen.

Vertragsstaaten sind dabei nur Länder, die das Unidroit-Übereinkommen in ihre Rechtsordnungen inkorporiert haben. Bislang haben das lediglich neun Staaten getan.16) Auch wenn die praktische Bedeutung des Unidroit-Übereinkommens damit beschränkt ist, sollte ein Anpassungsbedarf des Factoring-Rahmenvertrages regelmäßig eruiert werden.

Die Anwendung des Unidroit-Übereinkommens kann ausgeschlossen werden. Ein Ausschluss muss sich dann allerdings auf das Abkommen als Ganzes beziehen. Ein partieller Ausschluss ist nicht möglich.17) Der (mögliche) Ausschluss des Unidroit-Übereinkommens sollte einzelfallbezogen überprüft werden. So enthält das Übereinkommen auch für den Factor günstige Regelungen. Insbesondere erklärt Artikel 6 Abs. 1 jegliche zivilrechtliche Forderungsabtretung für wirksam. Das gilt selbst dann, wenn zwischen dem Factoring-Kunden und dem Debitor ein Abtretungsverbot vereinbart wurde. Jedoch relativiert das Übereinkommen diesen Regelungsgehalt. Denn die Vertragsstaaten können Regelungen zum Schuldnerschutz in ihrem Gebiet erlassen.18) Von dieser Möglichkeit haben bislang Frankreich und Lettland Gebrauch gemacht.

Zudem enthält das Unidroit-Übereinkommen eher atypische Schuldnerschutzvorschriften. So berechtigt Artikel 10 Abs. 2 den Debitor im Falle von Nichtleistung, Schlechtleistung oder Verzug des Factoring-Kunden, einen an den Factor geleisteten Betrag zurückzufordern.

Aufsichtsrechtliche Anforderungen

Unsicheres Terrain kann der auf den grenzenlosen Binnenmarkt vertrauende Factor auch in aufsichtsrechtlicher Hinsicht betreten. Factoring ist in vielen europäischen Jurisdiktionen erlaubnispflichtig. Für Deutschland erfordert das Erbringen von Factoring als Finanzdienstleistung eine Erlaubnis gemäß Kreditwesengesetz.19)

Eine Erlaubnis zum Betreiben von Factoring-Geschäften nach deutschem Recht berechtigt den Factor jedoch nicht ohne weiteres, Factoring-Dienstleistungen auch in anderen Rechtssystemen der Europäischen Union anzubieten. Zwar kann der sogenannte Europäische Pass die Erbringung von Finanzdienstleistungen im Ausland erleichtern.20) Davon können jedoch nicht alle Factoring-Anbieter gleichermaßen profitieren.

Europäischer Pass

Bei Anwendung des Europäischen Passes erfolgt die Aufsicht einer erlaubnispflichtigen Finanzdienstleistung im Wesentlichen durch die Aufsichtsbehörde des Herkunftsstaates. Der Europäische Pass wird zunächst in der europäischen Eigenkapitalrichtlinie21) normiert. Diese Richtlinie musste von den EU-Mitgliedstaaten in eigenes nationales Recht umgesetzt werden. Den Mitgliedstaaten oblag dabei dann ein gewisser Spielraum.

Grundsätzlich kann ein Factoring-Unternehmen die Erleichterungen aus diesem Instrument nutzen, wenn es entweder über eine Zweigniederlassung im jeweiligen EU-Mitgliedstaat verfügt oder wenn es ohne eine Niederlassung zu haben aktiv Kunden in diesem Mitgliedstaat anspricht, die konkrete Vertragsabwicklung dann aber über die ausländische Gesellschaft erfolgt.

Nach der Eigenkapitalrichtlinie können vom Europäischen Pass jedoch nur Unternehmen profitieren, die entweder

- Kreditinstitut sind und durch die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats zugelassen und beaufsichtigt werden (Art. 33 Eigenkapitalrichtlinie) oder

- Tochterunternehmen eines Kreditinstituts oder ein gemeinsames Tochterunternehmen mehrerer Kreditinstitute sind allerdings nur bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen (Art. 34 Eigenkapitalrichtlinie).

Das Factoring-Unternehmen muss im Rahmen des Europäischen Passes dann lediglich in seinem Herkunftsstaat über seine zuständige Behörde ein Notifizierungsverfahren einleiten. Diese Behörde reicht die erforderlichen Angaben an die jeweilige Aufsichtsbehörde des EU-Mitgliedstaates weiter. Ein eigenständiges Erlaubnisverfahren muss dann nicht durchgeführt werden.

Aus der obigen Darstellung folgt, dass nur diejenigen Factoring-Unternehmen vom Europäischen Pass profitieren, die Teil eines Bankkonzerns sind. Damit einhergehende Nachteile im europäischen Wett bewerb mit ausländischen Konkurrenten, zum Beispiel aus Frankreich, die durch ihren aufsichtsrechtlichen Status den Europäischen Pass nutzen können, dauern leider bis heute an.

Ausweg passive Dienstleistungsfreiheit?

Die auf Artikel 57 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union22) zurückgehende passive Dienstleistungsfreiheit erfasst grundsätzlich Konstellationen, in denen sich der Dienstleistungsempfänger in den Mitgliedstaat begibt, in dem der Dienstleister ansässig ist. Im Bereich des Factorings sollen Tätigkeiten von der passiven Dienstleistung auch dann erfasst sein, wenn die wesentlichen zum Vertragsschluss führenden Schritte im jeweiligen Herkunftsstaat des Factoring-Unternehmens stattfinden beziehungsweise wenn das Factoring-Geschäft auf Initiative des Kunden zustande kommt.23)

Nach der reinen Lehre können Factoring-Unternehmen sich also grundsätzlich auf die passive Dienstleistungsfreiheit berufen, wenn sie nicht aktiv auf einem fremden Markt auftreten wollen. Das kann beispielsweise dann relevant werden, wenn ausländische Factoring-Kunden auf Wunsch ihrer deutschen Muttergesellschaft in das Factoring einbezogen werden sollen. Aus anwaltlicher Vorsicht ist jedoch zu empfehlen, einzelfallbezogen im Vorfeld zu prüfen, wo der jeweilige EU-Mitgliedstaat, in dem der Factoring-Kunde seinen Sitz hat, die Grenzen der passiven Dienstleistungsfreiheit zieht.

Die Praxis zeigt, dass insbesondere Frankreich der passiven Dienstleistungsfreiheit sehr enge Grenzen setzt. Eine französische Erlaubnis zum Betreiben von Factoring soll bereits dann erforderlich sein, sobald der Factoring-Kunde ein französisches Unternehmen ist.24) Demgegenüber handhaben andere Mitgliedstaaten die passive Dienstleistungsfreiheit eher großzügig. Die unterschiedliche Interpretation beziehungsweise Anwendung der passiven Dienstleistungsfreiheit zeigt, dass insoweit von einem einheitlichen Binnenmarkt kaum die Rede sein kann.

Dies ist umso erstaunlicher, als die Sanktionen bei Überschreitung der jeweils gezogenen Grenzen passiver Dienstleistungsfreiheit gravierend sein können. So drohen in bestimmten EU-Mitgliedstaaten neben aufsichtsrechtlichen Sanktionen auch die zivilrechtliche Nichtigkeit. Dies gilt beispielsweise für Österreich: Wer dort Bankgeschäfte ohne die dafür erforderliche Berechtigung betreibt, hat keinen Anspruch auf alle mit diesen Geschäften verbundenen Vergütungen wie Zinsen und Provisionen.25) Diese gesetzlich normierte Teilunwirksamkeitsfolge hat international zwingenden Charakter; sie greift also auch dann, wenn die Parteien die Geltung eines anderen Rechts vereinbart haben.

Verbleibende Unsicherheiten

Im Ergebnis fehlt es nach wie vor an einem einheitlichen Rechtsrahmen des Schuldrechts innerhalb der Europäischen Union, der grenzüberschreitende Aktivitäten im Factoring erleichtert. Das Unidroit-Übereinkommen kann schon aufgrund seiner geringen Verbreitung und der nur eingeschränkten Anwendung diese Aufgabe nicht erfüllen. Für Rechtsunsicherheit sorgt insbesondere die nach wie vor kollisionsrechtlich nicht geregelte Drittwirkung und - aufsichtsrechtlich - die unterschiedliche Interpretation der passiven Dienstleistungsfreiheit. Es bleibt zu hoffen, dass die zuständigen Gesetzgeber alsbald für eine Vereinheitlichung sorgen. Angesichts steigender Skepsis gegenüber der Europäischen Union dürfte diese Hoffnung jedoch kaum über das Stadium eines "frommen Wunsches" hinauskommen.

1) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957; Internationale Quelle UNTS Bd. 298, S. 11 (seit 2009 abgelöst von dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union).

2) Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht.

3) Unidroit steht für Institut international pour l'unification du droit privé.

4) Vgl. Erwägungsgrund (16) der Rom-I-Verordnung.

5) Einschränkungen können sich nach Art. 3 Abs. 3 und Abs. 4 der Rom-I-Verordnung jedoch bei reinen Binnen(markt)sachverhalten ergeben.

6) Vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. b) Rom-I-Verordnung.

7) So etwa Thorn, Europäisches Zivilprozessrecht, Bd. III, Art. 4 Rn. 47, 86.

8) Magnus in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2016, Art. 4, Rom I-VO, Rn. 460; Martiny in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2015, Art. 4 Rom I-VO Rn. 104.

9) Vgl. Art. 4 Abs. 2 Rom-I-Verordnung.

10) Unter Abtretungsstatut versteht man das auf die Forderungsabtretung anzuwendende Recht.

11) Das gilt nur, wenn - wie üblich - der Debitor ein Kaufmann ist.

12) Legal Study der EUF (EU Federation for the Factoring & Commercial Finance Industry - EUF, Factoring, Receivables Finance & ABL - A Study of Legal Environments across Europe 2013), dort jeweils Frage 6.

13) Vgl. hierzu ausführlich Stumpf/Kunz: Synthetischer Forderungskauf als Ausweg bei "harten" Abtretungsverboten? in: FLF 4/2016, 167 ff.

14) Vgl. Study on the question of effectiveness of an assignment or subrogration of a claim against third parties and the priority of the assigned or subrogated claim over a right of another person, 15.5.2012, unter: http://ec.europa.eu/justice/civil/files/report_assignment_en.pdf.

15) Vgl. Hausmann/Staudinger, BGB, Art. 14, Rom-I-Verordnung, Rn. 58.

16) Zum Ratifizierungsstand siehe http://www.unidroit.org/status-1988-factoring

17) Vgl. Art. 3 Abs. 2 Unidroit-Übereinkommen.

18) Vgl. Art. 6 Abs. 2 Unidroit-Übereinkommen.

19) § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 9 KWG i. V. m. § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG

20) Vgl. § 24a KWG, § 53b KWG, Art. 11 ff. der Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16. April 2014 zur Errichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung).

21) Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen.

22) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 25. März 1957.

23) Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 53 Rn. 149.

24) Vgl. dazu: Entscheidung des französischen Cour de Cassation vom 8.7.2015, No. 13-88.557.

25) § 100 Bankwesengesetz.

DIE AUTOREN: Wolf Stumpf, Frankfurt am Main, ist Rechtsanwalt und Partner der internationalen Sozietät Noerr LLP. Zu seinen Schwerpunkten zählen unter anderem Bank- und Prozessrecht, Compliance und Geldwäscheprävention. Zudem verantwortet er die Beratung von Factoring-Unternehmen. E-Mail: wolf.stumpf[at]noerr[dot]com , Kristin Kohser, Dresden,ist Rechtsanwältin und Senior Associate der internationalen Sozietät Noerr LLP. Als Mitglied der Practice Group Einkauf, Logistik & Vertrieb berät sie nationale und internationale Mandanten unter anderem im Bereich Factoring und E-Commerce. E-Mail: kristin.kohser[at]noerr[dot]com
Wolf Stumpf , Rechtsanwalt und Partner , Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbB, Frankfurt am Main

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