INSOLVENZEN

Zahlungsunfähigkeit in Deutschland: Weiterhin alles gut?

Dienstleister sowie ältere und kleine Unternehmen sind besonders betroffen

Michael Bretz, Foto: Creditreform

Die Unternehmensinsolvenzen in Deutschland sind rückläufig und erreichten mit 19 900 Fällen ihren niedrigsten Stand seit 1994. Wenngleich die Hälfte der betroffenen Unternehmen zu den jüngeren Betrieben zählte, entfiel ein wachsender Anteil auf Unternehmen, die seit mehr als 20 Jahren am Markt agieren. Der Autor analysiert die Insolvenzen hinsichtlich ihrer Branchenzugehörigkeit und der Rechtsform. Für das laufende Jahr rechnet er mit einer Stagnation bis leichten Erhöhung. (Red.)

Insolvenzen spielen eine wichtige Rolle für den Verlauf einer Volkswirtschaft. Über die unmittelbaren Schockwellen einer einzelnen Unternehmensinsolvenz für alle Beteiligten hinaus können die Schäden für Gläubiger, Mitarbeiter und Eigentümer in der Summe aller Insolvenzen die Wirtschaft als Ganzes in eine Schieflage bringen. Das können die Ausfälle von Hypotheken privater Immobilienbesitzer sein - wie in den USA vor gut zehn Jahren. Es kann aber auch die Zahlungsunfähigkeit einer oder mehrerer Banken sein wie zu Beginn der Weltwirtschaftskrise am Ende der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Insolvenzen kommt darüber hinaus die Rolle eines Indikators zu. Denn sie sind an der Schnittstelle von Konjunktur und Finanzierung angesiedelt. Ein "Credit crunch", die Verknappung der Kreditversorgung, sorgt ebenso für Unternehmenszusammenbrüche wie ein Rückgang von Nachfrage und Umsatz. Wie bei anderen gesamtökonomischen Indikatoren auch - etwa bei Inflationsraten oder der Arbeitslosenquote - gilt es, hinter den Zahlen die zugrundeliegenden Strukturen zu erkennen. Welche Betriebe sind betroffen und zu welchen Branchen gehören sie? Wie hoch sind die Ausfälle der Gläubiger und wie viele Arbeitnehmer sind betroffen? Und eben auch: Wie war es um die Finanzierung bestellt? Schließlich eine Prognose: Was erwartet uns bei den Insolvenzen 2019?

Rückgänge weniger ausgeprägt

Die flauere Konjunktur im Vorjahr spiegelt sich in der Entwicklung der Insolvenzzahlen wider. Sie bremst den weiteren Rückgang der Insolvenzen in Deutschland - insbesondere bei den Unternehmen. So haben im Jahr 2018 insgesamt 19 900 Unternehmen Insolvenz anmelden müssen. Gegenüber den Vorjahren hat sich der Rückgang damit deutlich abgeschwächt (siehe Abbildung 1, Seite 9).

Gleichwohl sank die Zahl der Unternehmensinsolvenzen weiter und erreichte den niedrigsten Wert seit 1994. Der Höhepunkt des laufenden Aufschwungs liegt möglicherweise hinter uns. Im dritten Quartal 2018 schrumpfte die Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt: minus 0,2 Prozent). Zwar waren ebenfalls Sonderfaktoren für diese Entwicklung verantwortlich, gleichwohl haben die zunehmenden Konjunkturrisiken nun ihren realen Niederschlag in den Wirtschaftsdaten gefunden. Vor allem die weltwirtschaftliche Entwicklung hemmte und der Export war rückläufig. Im Gesamtjahr 2018 dürfte das deutsche Wirtschaftswachstum damit deutlich geringer ausfallen, als noch im Frühjahr erwartet, aber nochmals - und damit das neunte Jahr in Folge - positiv sein.

Alter, Umsatz und Beschäftigtenzahl

Vielfach beklagt wird das rückläufige Gründungsgeschehen in Deutschland. Es fehlt an unternehmerischem Nachwuchs. Und wie in der Demografie der Bevölkerung hat sich in den vergangenen Jahren die Altersstruktur der deutschen Unternehmen verändert. Die Unternehmen in Deutschland werden tendenziell älter - das spiegelt sich zugleich im Insolvenzgeschehen wider.

So weist ein zunehmender Teil der Insolvenzfälle ein Unternehmensalter von bereits mehr als 20 Jahren auf. Im Jahr 2018 traf das in einem von fünf Fällen zu (20,5 Prozent der Unternehmensinsolvenzen). Das ist ein höherer Anteil als im Vorjahr (18,3 Prozent). Dennoch gilt: Die meisten Insolvenzen sind bei eher jungen Betrieben zu finden. Gut die Hälfte aller betroffenen Unternehmen im Jahr 2018 (52,2 Prozent) war höchstens zehn Jahre am Markt. Im Jahr zuvor waren es noch 55,8 Prozent (siehe Abbildung 2).

Deutlich rückläufig sind die Insolvenzzahlen insbesondere in den jüngeren Unternehmen, so beispielsweise bei einem Bestand von bis zu zwei Jahren (minus 26,2 Prozent) und bei bis vier Jahre alten Unternehmen (minus 5,8 Prozent). Neben dem rückläufigen Gründungsgeschehen, das diese Alterskohorten tendenziell ausdünnt, dürften auch verbesserte Rahmenbedingungen für junge Unternehmen, die stärker gefördert werden, die Insolvenzzahlen in diesem Alterssegment sinken lassen. Mehr Insolvenzen gab es hingegen am aktuellen Rand in höheren Altersgruppen - beispielsweise bei 19 bis 20 Jahre alten Unternehmen (plus 12,5 Prozent) und bei Unternehmen, die länger als 20 Jahre bestehen (plus 10,3 Prozent).

Die Auswirkungen einer Insolvenz eines Arbeitgebers auf die Mitarbeiter sind beträchtlich. Selbst wenn die Bundesagentur für Arbeit einspringt und für eine Fortzahlung in Form von Insolvenzgeld sorgt, kann es bei großen Arbeitgebern für den regionalen oder den Branchenarbeitsmarkt spürbare Folgen zeitigen. Die "Schlecker-Frauen" waren ein großes Thema in den Medien. Bei den Zahlen zu den Beschäftigten werden aber nicht nur die Berechtigten für den Bezug von Insolvenzgeld gezählt, sondern auch weitere Mitarbeiter und schließlich der Inhaber. Das ist gerade bei den vielen Mikrobetrieben wichtig. In den meisten Fällen haben insolvente Unternehmen nur wenige Beschäftigte. In acht von zehn Fällen (83,2 Prozent) waren es höchstens fünf. Im Vergleich zum Vorjahr (82,7 Prozent) hat sich der Anteil dieser Größenklasse am Insolvenzgeschehen sogar leicht erhöht. Nur ein Bruchteil von 0,6 Prozent der zahlungsunfähigen Unternehmen hatte zuletzt noch eine Beschäftigtenzahl von mehr als 100 Personen (siehe Abbildung 3, Seite 10).

Großinsolvenzen sind in allen Wirtschaftsbereichen seltener geworden. Im verarbeitenden Gewerbe stellen diese mit 3,5 Prozent (2017: 4,1 Prozent) weiterhin den höchsten Anteil. Das mittlere Unternehmensgrößensegment von 21 bis 50 Beschäftigten weist hingegen steigende Anteile (verarbeitendes Gewerbe, Baugewerbe) beziehungsweise stagnierende Anteile (Dienstleistungen) auf.

Dass das Insolvenzgeschehen in Deutschland mit zunehmender Dauer des Wirtschaftsaufschwungs immer kleinteiliger geworden ist, verdeutlicht der Blick auf die Umsätze der betroffenen Unternehmen. Demnach weist gut die Hälfte aller Insolvenzfälle (51,9 Prozent) einen Jahresumsatz von unter 250 000 Euro auf. Vor einem Jahr war dieser Anteil ähnlich hoch (52,4 Prozent), vor wenigen Jahren aber noch deutlich niedriger (zum Beispiel 2012: 45,9 Prozent, siehe Abbildung 4, Seite 10).

In absoluten Zahlen zeigen sich Rückgänge im Insolvenzgeschehen bei ganz kleinen Unternehmen (Umsatz bis 100 000 Euro) ebenso wie in größeren Umsatzklassen, beispielsweise bei Unternehmen mit Jahresumsätzen zwischen 5,0 und 50,0 Millionen Euro. Gestiegen sind die Insolvenzzahlen im Größensegment 100 000 bis 250 000 Euro Jahresumsatz um 2,0 Prozent.

Branchen und Wirtschaftsbereiche

In der Regel, dies zeigt die Analyse der betroffenen Beschäftigten nach Branchen, weisen die Pleiten im Bereich von Industrie und Handwerk mehr Mitarbeiter auf, sie sind aber selten betroffen. Die Lage im verarbeitenden Gewerbe hat sich noch einmal entspannt: Das Insolvenzgeschehen ist aktuell deutlich rückläufig. Noch 1390 Fälle wurden im Jahresverlauf 2018 registriert (2017: 1 490; minus 6,7 Prozent). Auch im Baugewerbe nahm die Zahl der Insolvenzen weiter ab (minus 2,3 Prozent). Zahlen- und anteilmäßig dominiert das Dienstleistungsgewerbe weiterhin das Insolvenzgeschehen. Allein in diesem Wirtschaftsbereich waren 11 310 Pleiten zu verzeichnen.

Weniger getragen von der aktuell guten Wirtschaftsentwicklung und nicht zuletzt dem starken Konsum der Verbraucher zeigt sich der Handel. Hier haben sich die Insolvenzzahlen nicht weiter verringert (2018: plus 0,2 Prozent; 2017: minus 4,7 Prozent). So haben mit knapp 4 300 Handelsunternehmen fast ebenso viele Insolvenzen angemeldet wie im Vorjahreszeitraum. Offenbar macht sich mit dem Internethandel die harte Konkurrenzsituation in der Branche bemerkbar, die den Konzentrations- und Verdrängungswettbewerb vor allem unter kleinen Händlern forciert.

Die gute Entwicklung bei den Insolvenzen ist branchenübergreifend. Trotz der jüngsten Zahlen aus dem Handel gilt: In den vergangenen Jahren zeigt sich in allen vier Hauptwirtschaftsbereichen eine deutliche Verringerung des Insolvenzgeschehens. Am stärksten rückläufig war die Insolvenz im verarbeitenden Gewerbe, die aktuell bei 41 Prozent des Standes von 2006 liegen. Im Baugewerbe beträgt die aktuelle Insolvenzzahl etwa die Hälfte des Wertes von 2006. Später als im verarbeitenden Gewerbe und später als im Baugewerbe setzte im Dienstleistungsgewerbe der Rückgang beim Insolvenzgeschehen ein. Mittlerweile zeigt auch hier der Trend klar eine Verbesserung an (siehe Abbildung 5, Seite 11).

Aufschlussreicher als die absoluten Zahlen und die Anteile am Gesamtbranchenaufkommen sind die Insolvenzquoten. Sie lassen erkennen, wie stark das Risiko im einzelnen Wirtschaftsbereich sich darstellt. Gebildet wird dieser Indikator aus der Zahl der aktiven Betriebe im Verhältnis zu der Zahl der Insolvenzen in einer Branche. Obwohl die Zahl der Betriebe wegen des dürftigen Gründungsgeschehens nicht deutlich steigt, sind dafür positive Zahlen zu melden. Die gesamtwirtschaftliche Insolvenzquote hat sich weiter verringert - von 62 Insolvenzen pro 10 000 Unternehmen (2017) auf 61 (2018). Die höchste Insolvenzquote unter den Hauptwirtschaftsbereichen verzeichnet weiterhin das Baugewerbe trotz des deutlichen Rückgangs in den vergangenen Jahren. Auf 10 000 Baubetriebe kommen noch 80 Insolvenzen (2017: 83). Deutlich stabiler ist das verarbeitende Gewerbe: Hier werden 33 Insolvenzen je 10 000 Bestandsunternehmen gezählt. Somit ist die Quote gegenüber dem Vorjahr (35) weiter zurückgegangen. Gegen den Trend verzeichnet der Handel einen leichten Anstieg (71 pro 10000 Unternehmen).

Wie stark einzelne differenzierte Branchen nach wie vor ein geballtes Insolvenzrisiko darstellen können, zeigt sich mit dem Aufschluss fünfstelliger Branchencodes. Dabei wurden allerdings nur Branchen ausgewählt, die mindestens tausend aktive Unternehmen registrieren. Hier zeigt der Indikator ein fünf- bis zehnfach höheres Risiko von Insolvenz betroffen zu sein. Zu den risikobehafteten Branchen in Deutschland zählten im Jahr 2018 Bars (614 Insolvenzen je 10 000 Unternehmen), gefolgt von der Abbruchbranche (508). Unter den zehn am stärksten von Insolvenz betroffenen Branchen finden sich auch Detekteien, private Wach- und Sicherheitsdienste, Umzugstransporte sowie Diskotheken und Tanzlokale.

Mini-GmbH etabliert im Insolvenzgeschehen

Aber nicht nur die Erschließung tieferer Branchenabschnitte kann für genauere Erkenntnis zum Insolvenzgeschehen sorgen. Ein Blick auf die Rechtsformen hilft, über der allgemein positiven Entwicklung einzelne "Stolpersteine" auszumachen. Zunächst bleibt es dabei: Den größten Anteil am aktuellen Insolvenzgeschehen stellt nach wie vor der Bereich "Einzelunternehmen, Gewerbebetriebe und Freie Berufe" mit mehr als 40 Prozent. Es folgt die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit 39,3 Prozent, an dritter Stelle die als "Mini-GmbH" bezeichnete Unternehmergesellschaft (UG). Der Anteil der UG erhöhte sich spürbar von 11,6 auf 12,4 Prozent (plus 0,8 Prozentpunkte). Die seit 2008 mögliche und somit vergleichsweise neue Rechtsform hat sich in Deutschland demnach auch im Insolvenzgeschehen fest etabliert.

Die Rechtsform UG erfreut sich großer Beliebtheit und ist längst kein Exot mehr und keine Größe, die vernachlässigbar wäre. Im Zeitraum 2010 bis 2017 sind im Durchschnitt pro Jahr rund 16 000 Gewerbeanmeldungen einer UG (haftungsbeschränkt) erfolgt. Anders als die Gewerbeabmeldungen insgesamt, die sich jahrelang deutlich rückläufig entwickelten, sind die Gründungszahlen der UG damit stabil.

Speziell für Unternehmensgründer hat sich die Unternehmergesellschaft demnach als attraktive Alternative zu anderen Rechtsformen etabliert. Ein Vorteil: Bereits mit einem geringen Stammkapital ist die Eintragung möglich. Eine GmbH erfordert in der Regel mindestens 25 000 Euro Einlage. Vor der Etablierung der UG hatte die britische Ltd. auch in Deutschland eine gewisse Verbreitung bei Gründern gefunden. Mittlerweile spielt die Rechtsform Ltd. hierzulande aber kaum noch eine Rolle. Abzuwarten bleibt, ob derzeit als Ltd. firmierende Unternehmen infolge des Brexit in eine andere Rechtsform - beispielsweise in eine UG - umfirmieren und dieser weiter Auftrieb geben.

Zehn Jahre nach der Einführung hat die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) somit einen festen Platz in der Riege der deutschen Kapitalgesellschaften eingenommen. Mehr als 36 000 umsatzsteuerpflichtige UG gibt es mittlerweile in Deutschland.1) Nochmals deutlich mehr sind es im Kleinstunternehmenssektor, der von der Umsatzsteuerpflicht befreit ist, so dass bundesweit insgesamt rund 118 000 Unternehmergesellschaften als juristische Person existieren.

Der Großteil der UG in Deutschland ist im Dienstleistungssektor aktiv (71,5 Prozent aller UG) - es folgen Handel (16,2 Prozent) und Baugewerbe (6,7 Prozent). Die mittlere Mitarbeiterzahl einer UG liegt bei 3,5 Personen. Die Schwankungen in den Wirtschaftsbereichen sind gering. Anteilmäßig hat die Unternehmergesellschaft mittlerweile gut 3 Prozent am deutschen Unternehmensbestand erreicht. Überdurchschnittlich beliebt ist die UG unter anderem in den Wirtschaftsbereichen für Informations- und Finanzdienstleistungen mit einem Anteil von jeweils deutlich über 10 Prozent am Gesamtbestand in dieser Branche.

Anders als unter dem Synonym "Ein-Euro-GmbH" vielleicht zu vermuten ist, weisen zahlreiche UG eine solide Eigenkapitalquote von 30 Prozent und mehr auf (46,2 Prozent der Unternehmen). Gleichzeitig aber liegt bei 38,1 Prozent der Unternehmen die Eigenkapitalquote unter 10 Prozent (siehe Abbildung 6, Seite 12).

Die klassische GmbH ist in dieser Hinsicht doch belastbarer mit Eigenkapital unterlegt. Nur 21,8 Prozent der GmbH-Unternehmen gelten als schwach kapitalisiert und besitzen eine Eigenkapitalquote von noch nicht einmal 10 Prozent. Dabei könnte sich nachteilig auswirken, dass bei der Unternehmergesellschaft - anders als bei der GmbH - ein deutlich höherer Anteil des Gesamtbestandes erst in den vergangenen Jahren gegründet wurde. Infolgedessen dürften die Eigenkapitalreserven noch geringer sein. Überdurchschnittlich hoch verschuldet sind bei der UG insbesondere Unternehmen, die im Handel tätig sind. So hat fast jede zweite Handelsgesellschaft (45,2 Prozent) eine Eigenkapitalquote von weniger als 10 Prozent und ist überwiegend fremdfinanziert (GmbH im Handel: 26,5 Prozent).

Prognose für 2019 zur Insolvenzentwicklung

Angesichts einer Wachstumsverlangsamung in Deutschland und mit der Perspektive einer Zinswende am Kreditmarkt birgt das ausreichend Potenzial, um den Trend rückläufiger Unternehmensinsolvenzen zu beenden. Eine Prognose für den eher kurzfristigen Horizont bis zum Ende des laufenden Jahres sollte sich weniger auf Megatrends beziehen - wie die Entwicklung der Weltwirtschaft oder die Veränderungen, die in vielen Branchen durch die Digitalisierung anstehen.

Sehr viel ergiebiger für eine Prognose ist es, die aktuelle Lage genauer zu untersuchen und aus diesem Befund mögliche Risiken in der Zukunft, die möglicherweise im Zeichen konjunktureller Abschwächung und einer weniger komfortablen Versorgung mit billigem Geld steht, abzuschätzen. Gemeint ist ein Blick auf die sogenannten "Zombie-Unternehmen", die trotz negativer Ergebnisse nicht aus dem Markt ausscheiden. Es sind nicht wenige Unternehmen in Deutschland, die trotz guter Wirtschaftslage in den vergangenen Jahren fortwährend Verluste erwirtschafteten. Sie sind der Humus künftiger Insolvenzentwicklung.

Chancenlose Wettbewerber bleiben im Markt

Volkswirtschaftlich betrachtet werden durch das Weiterbestehen von Verlust erwirtschaftenden Unternehmen wichtige Ressourcen gebunden, die anderweitig sinnvoller eingesetzt werden könnten. Zudem werden möglicherweise wachstumsträchtige Unternehmen in ihrer Entwicklung behindert, wenn chancenlose Wettbewerber den Markt nicht verlassen und dadurch Kapital und Arbeitskräfte binden. Auf der anderen Seite erzielen gerade junge Unternehmen in den ersten Jahren ihrer Geschäftstätigkeit oftmals noch keine Gewinne und sind zu Recht Nutznießer günstiger Kredite und Zinsen.

Wie stellt sich die Situation in der deutschen Wirtschaft dar? Wie viele Unternehmen verlieren über einen längeren Zeitraum hinweg Geld? Sind darunter überproportional junge Unternehmen vertreten? In welchen Wirtschaftsbereichen ist die Situation problematisch? Und welche zeitlichen Veränderungen sind festzustellen, wenn die aktuelle Niedrigzinsphase mit einer früheren Periode verglichen wird, als die Finanzierung schwieriger war?

Zombie oder finanzieller Engpass?

Auf Basis der Jahresabschlüsse wird ein Unternehmen als chronischer Verlustbringer oder als ertragloses Unternehmen bezeichnet, wenn in jedem Jahr während eines Drei-Jahres-Betrachtungszeitraums ein negatives Betriebsergebnis erreicht wurde. Maßgeblich hierfür ist das Ergebnis vor Zinsen und Steuern, der EBIT ("Earnings before interest and taxes"). Dabei erfolgt ein Vergleich von zwei Zeitabschnitten (2008 bis 2010 und 2014 bis 2016), um eventuelle Veränderungen im Zeitablauf herauszuarbeiten.

In dem früheren Zeitabschnitt dürfte die Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 hineingespielt und möglicherweise die Ertragsentwicklung der Unternehmen beeinflusst haben. In dem jüngeren Zeitabschnitt zwischen 2014 und 2016 hingegen ist eine Periode überaus guter Konjunkturdaten zu verorten. Unterschiedlich waren ebenfalls die Finanzierungsbedingungen für die Unternehmen in diesen Zeitabschnitten. So wurden die Kreditstandards für Firmenkredite insbesondere 2008/2009 erheblich verschärft, die Zinssätze lagen teils merklich höher als derzeit.

Die Auswertungen auf Basis der Creditreform-Bilanzdatenbank deuten zumindest für Deutschland darauf hin, dass ein günstiges Finanzierungsumfeld dazu beitragen kann, dass verlustreiche Unternehmen im Markt verbleiben. Trotz einer seit geraumer Zeit anhaltenden Hochkonjunktur erreichten in der Periode 2014 bis 2016 6,8 Prozent aller betrachteten Unternehmen nicht ein einziges Mal ein positives Betriebsergebnis - und sind dennoch nicht aus dem Markt ausgeschieden. Anders als in den ehemaligen Krisenländern Europas und dem angelsächsischen Markt ist für die deutschen Unternehmen nicht davon auszugehen, dass die Finanzierungsbedingungen vor der Finanzmarktkrise als lasch angesehen werden könnten.

Dienstleister und Kleinstunternehmen

Regelmäßige Unternehmensbefragungen zeigten, dass sich das Finanzierungsumfeld für die breite Masse der Unternehmen hierzulande erst im Zuge der Krisenbewältigungsmaßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) verbesserte. Wenn sich nun eine Gruppe von Unternehmen - trotz anhäufender Verluste - am Markt halten kann, muss diese Entwicklung vor dem Hintergrund der jahrelangen niedrigen Kreditzinsen gesehen werden.

Die Ergebnisse der Creditreform-Analyse lassen vermuten, dass die Politik des billigen Geldes durch die EZB und die günstigen Finanzierungskonditionen das Überleben von Unternehmen ermöglicht haben, die unter anderen Umständen aus dem Markt ausgeschieden wären. Darauf deutet hin, dass ertraglose Unternehmen im Verlaufe der Verlustphase ihre Verbindlichkeiten ausgeweitet und somit Fremdkapital aufgenommen haben. Zudem sind die betroffenen Unternehmen zu einem weitaus größeren Maße fremdfinanziert, wie die Analyse zeigt. Sie basiert auf einer Längsschnittanalyse von 10 616 (bilanzierungspflichtigen) Unternehmen aus Deutschland. Kriterium für einen chronischen Verlustbringer war, dass das Unternehmen drei Jahre in Folge ein negatives operatives Ergebnis erzielte.

Mindestens drei Verlustjahre in Folge waren überdurchschnittlich oft bei Unternehmen aus dem Dienstleistungsgewerbe zu beobachten. So erwirtschaftete jedes zwölfte Dienstleistungsunternehmen (8,4 Prozent) in den Jahren 2014 bis 2016 fortwährend Verluste. Im verarbeitenden Gewerbe und im Handel war die Quote der Unternehmen, die drei Jahre in Folge ohne Gewinne blieben, niedriger, erhöhte sich zuletzt aber (Abbildung 7, Seite 12).

Prozess der Marktbereinigung ist gestört

Unter den Kleinstunternehmen mit einer Bilanzsumme bis 2,0 Millionen Euro war jeder Achte (12,8 Prozent) betroffen. Im Zeitablauf zeigt sich, dass vor allem Unternehmen mittlerer Größe mit einer Bilanzsumme zwischen zehn und 43 Millionen Euro in jüngster Zeit häufiger chronisch Verluste erwirtschafteten, ohne dass ein Marktaustritt stattfand. Im Zeitraum 2014 bis 2016 lag der Anteil der Verlustunternehmen in dieser Größenklasse bei 7,9 Prozent. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass der Marktbereinigungsprozess in irgendeiner Form gestört ist.

Entsprechend zeigen sich in der Kapitalstruktur deutliche Unterschiede zwischen Unternehmen, die fortwährend Verluste erwirtschaften, und solchen, die positive Erträge erbringen. Unter den Verlustunternehmen weist ein wesentlich höherer Anteil eine sehr niedrige Eigenkapitalquote von unter 10 Prozent auf (33,1 Prozent der Unternehmen). Diese Unternehmen sind demnach überwiegend fremdfinanziert (siehe Abbildung 8).

Das Creditreform-Unternehmenspanel ermöglicht die Analyse der Unternehmensentwicklung im Zeitablauf. Demnach blieben die Umsätze der zwischen 2008 und 2010 ertraglosen Firmen nach Ende dieses Zeitraums deutlich hinter der durchschnittlichen Entwicklung zurück. So nahm der Umsatz dieser Unternehmen bis zum Jahr 2016 nur um 5,5 Prozent zu. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Umsatzentwicklung aller Panelunternehmen betrug plus 22,5 Prozent.

Weitere Folgen einer mehrere Jahre anhaltenden Verlustphase sind erhöhte Anteile an insolventen, aufgelösten und gelöschten Unternehmen. Die Mehrzahl der Unternehmen (84,3 Prozent), die zwischen 2008 und 2010 drei Verlustjahre in Folge aufwiesen, ist aber weiterhin aktiv und überlebte die Durststrecke.

Wenn Unternehmen bereits zwei Jahre in Folge ein negatives Betriebsergebnis aufweisen, setzen sich die Verlustphasen mit hoher Wahrscheinlichkeit fort. So lassen sich chronische Verlustunternehmen oftmals im Zeitablauf identifizieren. Nur eine Minderheit (28,8 Prozent) schaffte nach zwei fortwährenden Verlustjahren wieder den Turnaround ins Plus. Bei den meisten schloss sich ein weiteres Verlustjahr an. Gleichwohl erzielte die überwiegende Mehrheit aller deutschen Unternehmen Gewinne und blieb während des gesamten Betrachtungszeitraums stets verlustfrei. Im aktuelleren Betrachtungszeitraum von 2014 bis 2016 waren es 75,5 Prozent.

Leichte Erhöhung der Insolvenzen erwartet

Die Verlustbringer von heute sind - zu einem großen Teil - die Insolvenzen von morgen. Dennoch kann deren Anteil nicht einfach, selbst unter ungünstigen Rahmenbedingungen wie eine schwächere Konjunktur und eine ungünstigere Finanzierungslage, hochgerechnet werden. Dann würde bei einem Unternehmensbestand in Deutschland von rund 3,4 Millionen wirtschaftsaktiver Betriebe mit gut 230 000 Insolvenzen zu rechnen sein - eine weit überschätzte Zahl.

Im Zusammenhang mit der sozialen Lage der Bürger in Deutschland ist viel von der "Armutsgefährdung" die Rede - in Anlehnung an diesen Terminus sollte daher von einer "Insolvenzgefährdung" gesprochen werden.

Wie lautet nun die Prognose für die Insolvenzentwicklung im kurzfristigen Horizont für 2019? Auszugehen ist von einer Stagnation oder leichten Erhöhung bei den Unternehmensinsolvenzen in einem Korridor von 20 000 bis 22 000 Fällen bis zum Jahresende 2019. Diese konservative Schätzung steht allerdings unter der Prämisse, dass die vielen Krisenherde sich nicht zu einer massiven Erschütterung auswachsen.

Fußnote

1) Vgl. Umsatzsteuerstatistik des Statistischen Bundesamtes.

MICHAEL BRETZ ist Leiter für Wirtschaftsforschung beim Verband der Vereine Creditreform e.V., Neuss

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