Schwerpunkt: Genossenschaften in der Immobilienwirtschaft

Die Bedeutung der genossenschaftlichen Prinzipien in der Immobilienwirtschaft

"Genossenschaften erinnern uns daran, dass Wirtschaftlichkeit und soziale Verantwortung vereinbare Ziele sind. Es sind zwei Seiten einer Medaille. Die Genossenschaft ist Vorbild der sozialen Marktwirtschaft, sie ist die gelebte soziale Marktwirtschaft." So beschrieb Bundeswirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler die herausragende Rolle der Genossenschaften beim offiziellen Empfang anlässlich des von den Vereinten Nationen ausgerufenen Internationalen Jahres der Genossenschaften 2012 in Berlin. In der Tat: Nach dem Prinzip der Subsidiarität leisten Wohnungsgenossenschaften viel, was der Staat so nicht oder nicht mehr leisten kann - in Erfüllung ihres genossenschaftlichen Förderzwecks für die Mitglieder. Dabei erbringen sie auch einen erheblichen sozialen Nutzen, denn sie ermöglichen auch Haushalten mit geringerem Einkommen ein lebenslanges Wohnen im solidarischen Eigentum bei hoher Wohnqualität. Gleichzeitig werden durch die nachhaltige Wirtschaftsweise der Wohnungsgenossenschaften zusätzliche Vorteile für das Quartier, die Stadt und die Gesellschaft geschaffen - nicht durch Pflege sozialromantischen Brauchtums, sondern durch Innovation, Engagement und Wandel. Mit anderen Worten: Die rund 2 000 Wohnungsgenossenschaften in Deutschland setzen alles daran, dass das Wohnen bei Genossenschaften Zukunft hat.

Renaissance genossenschaftlicher Prinzipien

In der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise erlebt das Genossenschaftsmodell eine Renaissance, denn diese Unternehmensform hat sich in den letzten Jahren als krisenfest erwiesen. Wie robust diese Wirtschaftsform ist, zeigt die Insolvenzquote: Auch in Zeiten von Wirtschafts- und Finanzkrise tendierte sie gegen Null Prozent. Grund dafür ist etwas, das in der Natur der Genossenschaft liegt: Mit ihrem moralischen Profil und ihren Prinzipien haben Genossenschaften viel zu bieten, wenn es um die Erreichung von nachhaltigem Wandel geht.

Die genossenschaftlichen Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung auf demokratischer Entscheidungsstruktur sind daher wieder ausgesprochen modern: Die Wohnungsgenossenschaften gewährleisten für ihre Mitglieder lebenslange Wohnsicherheit zu Nutzungsentgelten, die in einem günstigen Verhältnis zur ortsüblichen Vergleichsmiete stehen. Die Mitglieder sind Kunden (Nutzer) und Kapitalgeber (Eigentümer) zugleich - es gibt insofern keine nutzerfremden Kapitalinteressen. Die demokratischen Grundstrukturen sind bestens geeignet, um die gemeinsamen Interessen der Mitglieder zu bündeln und konfligierende Interessen zu einem Ausgleich zu bringen.

Die Wohnungsgenossenschaften vereinen Sicherheit durch das Gemeinschaftseigentum und hinreichende Mobilität, die sonst nur dem Wohnen zur Miete eigen ist. Genossenschaftswohnungen werden - von Verkäufen zur Optimierung der Bestände abgesehen - nicht privatisiert, sondern generationsübergreifend und substanzerhaltend mit dem in der Zwischenzeit erwirtschafteten Mehrwert an die jeweils nächste Generation weitergegeben. Folglich sind Genossenschaftswohnungen positive Faktoren in der Generationenbilanz und somit historisch nachhaltig. Die demokratischen und solidarischen Grundwerte der Genossenschaften, ihre Anpassungsfähigkeit und Flexibilität machen sie zu einer Wohn- und Rechtsform, die den Anforderungen der Zukunft in besonderer Weise gerecht wird.

Rolle in der modernen Gesellschaft

Von ihrem Anspruch und von ihrem Potenzial her erfüllen Wohnungsgenossenschaften idealtypisch die Anforderungen, die in der modernen Gesellschaft an Organisationen der Bürgergesellschaft gestellt werden. Die Expertenkommission "Wohnungsgenossenschaften" hat in ihrem Bericht von 2004 die den Wohnungsgenossenschaften innewohnenden Leistungspotenziale und ihre positive Funktion in einer bürgerschaftlichen Entwicklung aufgezeigt. Sie können den Folgen der Individualisierung entgegenwirken, die sozialmoralischen Ressourcen einer integrierten Gesellschaft reproduzieren, zur Stabilität von Nachbarschaften beitragen und den Staat entlasten.

Die knapp 2 000 Wohnungsgenossenschaften mit rund 2,8 Millionen Mitgliedern bewirtschaften derzeit insgesamt 2,2 Millionen Wohnungen. In diesen leben rund 5 Millionen Menschen, also über sechs Prozent der deutschen Bevölkerung. Der Anteil der Genossenschaftswohnungen am Gesamtwohnungsbestand von rund 39 Millionen macht, bezogen auf den Mietwohnungsbestand, etwa zehn Prozent aus. Das Investitionsvolumen der Wohnungsgenossenschaften beträgt gegenwärtig rund 3,4 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Summe bewirkt vielfältige Folgeinvestitionen und sichert in erheblichem Maße Arbeitsplätze. Insbesondere Wohnungsgenossenschaften sind regional verwurzelt und haben insofern eine bodenständigere Unternehmensphilosophie als globale Unternehmen.

Wohnungsgenossenschaften haben ein breites Wirkungsspektrum und leisten damit einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. Sie tragen aktiv dazu bei, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und die Partizipation ihrer Mitglieder am gesellschaftlichen Leben zu unterstützen.

Aktuelle Herausforderungen in der Wohnungswirtschaft

Wohnen bei Genossenschaften soll attraktiv, ressourcenschonend und bezahlbar sein. Hinsichtlich Energieeffizienz und Klimaschutz bewegen sich die Genossenschaften dabei in einem Zieldreieck aus Energiekostenreduktion, Energieverbrauchsminderung und Verringerung von CO2-Emissionen. Bereits über 63 Prozent des genossenschaftlichen Wohnungsbestandes sind energetisch saniert. Die Finanzierung und technische Umsetzung der energetischen Sanierung der noch ausstehenden Wohnungen stellt aber eine weitere Herausforderung dar, zumal angesichts weiter steigender Betriebs- und Heizkosten für die Refinanzierbarkeit dieser Maßnahmen über die Miete oftmals nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten bestehen werden.

Wohnungsgenossenschaften zeichnet bereits heute die lange Wohndauer ihrer Mitglieder aus. Viele Genossenschaften verfolgen das Ziel, mit ihrem Wohnungsangebot den wechselnden Anforderungen der einzelnen Lebensphasen gerecht zu werden. Mit der steigenden Zahl älterer Menschen entstehen neue Anforderungen für das Wohnen. Genossenschaften befassen sich schon lange mit der Sicherung der Wohn- und Lebensqualität im Alter. Vor dem Hintergrund eines hohen Anteils an alten und hochbetagten Mitgliedern haben sie bereits vielfältige Beratungs- und Betreuungskonzepte entwickelt, um einen langen Verbleib in der eigenen Wohnung zu ermöglichen. Genossenschaften widmen sich der Schaffung altersgerechter Wohnungen durch Neubau und der Anpassung ihres Wohnungsbestandes einschließlich begleitender Service- und Pflegeangebote. Auch spezielle Angebote, wie Demenzwohngemeinschaften oder Betreutes Wohnen, werden von Genossenschaften entwickelt.

Die Wandlung zum Dienstleister hat auch bei Genossenschaften mit einer breiten Angebotspalette stattgefunden. Neben ehrenamtlichen Tätigkeiten engagierter Mitglieder bieten zahlreiche Genossenschaften inzwischen eine Vielzahl von professionellen Leistungen rund um die Immobilie an, oft auch in Kooperation mit sozialen Trägern im Stadtquartier. Diese reichen vom betreuten Wohnen für ältere und behinderte Bewohner, Beratungen bei Modernisierungsmaßnahmen, Wohnungsveränderungen sowie in sozialen Notlagen bei Krankheit und anderen Problemen, Einkaufshilfen, Nachbarschaftsfeste, Gästewohnungen, Sportveranstaltungen bis hin zu Mitglieder-/ Familienfesten. Ziel ist es, für die Bewohner eine "Rundumbetreuung" herzustellen. Im Rahmen ihres sozialen Engagements organisieren die Wohnungsgenossenschaften nicht nur eigene Genossenschaftsveranstaltungen, sondern unterstützen kulturelle, soziale und sportliche Aktivitäten auch in den Kommunen.

Marktbereinigung und Aufwertung der Bestände

Darüber hinaus treten Wohnungsgenossenschaften vielerorts als aktive Partner der Kommunen auf. Insbesondere bei der Quartiers- und Stadtentwicklung sowie dem Stadtumbau wird ihnen von den Kommunen eine hohe Wertschätzung zuteil. So haben die Wohnungsgenossenschaften in Ostdeutschland, wo es nach wie vor flächendeckende Leerstände gibt, von 2002 bis 2011 rund 96 000 Wohnungen abgerissen beziehungsweise zurückgebaut und so einen erheblichen Beitrag zur Marktbereinigung geleistet. Genossenschaften sind aber auch wichtige Träger des Wohnungsneubaus - 2010 wurden rund 15 Prozent aller Mietwohnungen durch Genossenschaften errichtet.

Gleichzeitig tragen sie in den alten wie in den neuen Ländern durch ihre Investitionen nicht nur zur Aufwertung der Bestände, sondern durch ihr spezielles Engagement auch zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der Quartiere und der sozialräumlichen Integration in die bestehenden Nachbarschaften bei. Mithilfe von Stiftungen und Vereinen, aber auch der ehrenamtlichen Tätigkeit ihrer Mitglieder fördern viele Wohnungsgenossenschaften Maßnahmen im sozialen Bereich oder unterstützen die Entwicklung von Nachbarschaften. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Genossenschaften ist für beide Seiten sinnvoll. Dies kann in einer Abstimmung der jeweiligen Maßnahmen, über die Unterstützung und Erleichterung bei administrativen Verfahren bis hin zur Förderung von Einzelmaßnahmen gehen.

Mit ihrem nachhaltigen Geschäftsmodell, das Tradition und Innovation verbindet, beweisen die Wohnungsgenossenschaften, dass Wohnen mehr ist als ein Dach über dem Kopf. Genossenschaftliches Wohnen heißt heute: Ein gutes Wohnumfeld, funktionierende Nachbarschaften, sozialer Zusammenhalt der Mitglieder. Wohnungsgenossenschaften sind nicht nur eine spezielle Rechtsform, die traditionsgemäß mit den Synonymen Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Selbstverwaltung verbunden ist, sondern eine Wohnform, die für junge Menschen und Familien, aber auch für Ältere ein zukunftsorientiertes Wohnen, verbunden mit einer Vielzahl von Dienstleistungs- und Serviceangeboten, garantiert.

Axel Gedaschko , Präsident , GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V., Berlin
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