Leitartikel

Immer schlimmer

"Denn sie wissen nicht, was sie tun", hat man vor ein paar Generationen entschuldigend über eine Jugend gesungen, die auf ihrem Weg in die Welt erst einmal wütend gegen Wände der Realität rannte. Der Europäischen Zentralbank des Jahres 2014 wird man eine alte Melodie nicht widmen können. Sie weiß was sie tut, wenn sie (fast) alle Schleusen öffnet, um "ihre Welt" mit (fast) zinslosem Geld zu festen. Und sie nimmt, als wichtigste Institution für Euro-Europa, ohne Frage eine sehr bedeutende Rechtfertigung für das in Anspruch, was Geldpolitik sein soll: Konjunktur und Wachstum in Südeuropa anzustoßen, den Dollarkurs zu senken und, ja wirklich, den Gefahren der Deflation entgegenzuwirken. Und wer zu Erbarmen neigt, auch wo es wenig angebracht ist, mag die EZB-Politik 2014 vielleicht sogar als Ausdruck großer Verzweiflung gelten lassen - der Verzweiflung darüber, dass die Fiskalpolitik so vieler Euroländer nur das Ziel verfolgt, die eigenen Regeln zu umgehen und die EZB alleine zu lassen.

Die Politik der Nullzinsen und geschenkten Bankenliquidität mag natürlich nicht alle erschrecken. Denn wie soeben wieder die Messe Expo Real in München demonstriert, sind Immobilienmärkte durchaus dankbar für so außergewöhnlich günstige Finanzierungsbedingungen. Der Bau boomt durchaus zielbewusst dort, wo es die Leute schön und/oder geschäftig finden, und die Bestände werden daselbst dann mitgezogen. Die Preise steigen und der interessierte Teilnehmer ist schnell so mutig, solche Entwicklungen als Wertsteigerung zu verkaufen. Immobilien lieben billiges Geld über alles. Und um nicht ungerecht zu sein: Auch Immobilieninvestitionen sind konjunkturstützend. Dass die vorsichtigen Beleihungswerte gerade die deutschen Banken ein wenig bremsen, ist dennoch zu loben.

Wie immer, wenn nicht jeder wohnen kann, wo und wie er möchte, landen auch diesmal die tatsächlichen wie die vermeintlichen Verzerrungen auf den Wohnungsmärkten in der Politik. Die Ergebnisse sind die gleichen wie seit den Wiederaufbaujahren des 20. Jahrhunderts: Forderungen nach mehr ausgewiesenem Bauland, noch mehr Wohnungen mit Sozialbindungen, noch mehr amtliche Kontrolle der neuen wie alten Mieter, formuliert wie stets in allen Parlamenten. In diesem ehrwürdigen Sinne ist Wohnungspolitik nach längerer Pause endlich wieder "in" in der Bundesrepublik.

Aber leider hat sie auch 2014 keine Chance, unerfreuliche Verhältnisse wirklich zu verbessern. Der Markt ist, weil von Menschen gemacht, wiederum mächtiger, ausweichender, langatmiger als die versuchte Sozialpolitik im Wohnungswesen. Oder ganz einfach gesagt: Auch die neueste Mietpreisbremse wird keine sein. Zu viele wissen, wo immer man ganz gut leben und arbeiten kann, dass Immobilienanlagen die Festgeldsätze schlagen. Und das Risiko von Leerständen? Doch bitte nur vorübergehend - die Menschheit vermehrt sich ja schließlich.

Böse Wörter aneinandergereiht behaupten Auguren der europäischen Zentralbankpolitik, es sei heute gar nicht schwierig, die nächste Entscheidung der EZB vorherzusagen und die jeweiligen Ausführungsbestimmungen zu begreifen: Man müsse doch immer nur mit italienischen Freunden telefonieren, um diese zu fragen, wie es denn Banken und Wirtschaft gerade am liebsten so hätten. Und die nur zufällig in Frankfurt, Deutschland, angesiedelte Notenbank werde es dann so einrichten. Dies ist gewiss eine unverschämte Übertreibung und zugleich ein unerhörter Zweifel an der Supranationalität aller EZB-Entscheider Sicher ist dennoch, dass die hehre Institution der zentralen Notenbank in den letzten Jahren ihre Rolle auffallend anders als die Bundesbank früher spielt. Zwar hatte auch die Bundesbank im Gesetzt stehen, sie habe die Politik der Bundesregierung zwar gefälligst zu unterstützen. Aber das tat sie eben erfahrungsgemäß nur, wenn das Regierungshandeln gemeinhin als der Preisstabilität dienlich gelten konnte.

Gelegentlich haben zwar neue Bundeskanzler oder, mehr noch, neue Finanzminister, dringlich nach Zinsänderungen verlangt oder sogar nach Konjunkturförder-Schritten oder Wechselkurzbeeinflussungen. Da kam dann nichts, obwohl doch Bundespräsidenten nicht selten aus den Staatsekretariaten der Bundesregierung stammten. Auch eine eher CDU-nahe (= Angebotsorientierung) oder SPD-nahe (= Nachfrageorientierung) Ausrichtung der Notenbankpolitik ist nicht erkennbar gewesen.

Die Notenbank als Multitasking-Einrichtung, wie sie inzwischen die EZB darstellt, entspricht dagegen sehr wohl der französischen, der italienisch-spanischen und in Maßen auch der angelsächsischen Auffassung. Weil diese Vergangenheit in den EZB-Grundlagen jedoch ziemlich sorgfältig vermieden worden ist - zugunsten der alles dominierenden Aufgabe "Preisstabilität" - ist jetzt mit tiefem Unwohlsein zu beobachten, wie sich die Eurobank vor allem bei der Staatsfinanzierung dreht und wendet, um die Verstöße gegen die eigenen Gesetzesgrundlagen zu kaschieren.

Schlimmer noch ist, dass die EZB-Regierenden selber ganz zweifellos wissen, wie wenig eine Politik des kostenlosen Geldes allein gegen die Unlust an Investieren und Arbeiten auszurichten vermag. Die ganze Litanei, nach der nur ökonomische Stabilität die Prosperität von Wirtschaft und Gesellschaft garantiert, ist zweifellos auch EZB-Allgemeingut. Ihre aktuelle Geldpolitik stellt nichts als einen traurigen Alibi-Versuch dar.

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