Coworking: Mehr als eine Eintagsfliege

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Jedes Jahr bedarf es eines großen Themas, an dem sich die Immobilienbranche reiben kann. Was 2017 "die letzte Meile" (City-Logistik) war, ist heuer ohne Zweifel "Coworking". Ob es sich dabei lediglich um eine Eintagsfliege handelt oder doch mehr dahintersteckt, vermag derzeit noch niemand verlässlich zu beurteilen. Im Kern handelt es sich um ein relativ junges Bürokonzept, das primär eine große Flexibilität hinsichtlich der Anmietung und Kündigung von Flächen bietet. Dabei vermieten die Betreiber solcher Coworking-Flächen temporär Arbeitsplätze, allerdings tun sie das in aller Regel nicht in eigenen Gebäuden. Vielmehr sind sie selbst nur Mieter in den Objekten, die sie anschließend Dritten zur Verfügung stellen.

Ein weiteres wichtiges Merkmal von Coworking liegt in der Tatsache, dass sich die Bezahlung der Flächen ausschließlich an der tatsächlichen Nutzung ("pay per use") orientiert. Der damit einhergehende Paradigmenwechsel: Die Bezahlung erfolgt quasi in "Euro pro Zeiteinheit" und nicht wie bislang üblich in "Euro pro Quadratmeter". Dies stellt also einen Bruch mit der bislang vorherrschenden "Flatrate-Mentalität" auf den Vermietungsmärkten dar.

Wie so oft hat auch dieser Immobilientrend seinen Ursprung im angelsächsischen Raum und setzt nun mit einigen Jahren Verzögerung in Deutschland ein. Und das durchaus dynamisch: Laut Colliers International verfünffachte sich der durch Coworking-Anbieter getätigte Flächenumsatz im Jahr 2017 in den sieben deutschen Bürozentren auf über 200 000 Quadratmeter. Dies entspricht immerhin einem Anteil von fünf Prozent am gesamten Marktvolumen. In Berlin zeichneten sie bereits für neun Prozent des Vermietungsumsatzes verantwortlich. Darunter fiel mit der Anmietung von 13 000 Quadratmetern durch den Coworking-Anbieter WeWork in der ehemaligen Zentrale der Daimler-Benz-Tochter Debis am Potsdamer Platz gar der größte Bürovermietungsdeal des Jahres 2017 in Deutschland. Zu den größten Anbietern zählen laut JLL hierzulande die Unternehmen Regus, WeWork und Design Offices, die derzeit inklusive der geplanten Standorte auf jeweils zwischen 85 000 und 100 000 Quadratmeter Gesamtfläche kommen. Colliers sieht das Segment dabei "erst am Beginn seiner Expansionswelle". Auch Savills und JLL rechnen für Deutschland mit einem weiter deutlichen Wachstum.

Diese Zahlen und Einschätzungen legen den Schluss nahe, dass es sich tatsächlich um mehr als eine Eintagsfliege handelt. Die Anbieter dringen offensichtlich in eine bislang nicht bediente Marktlücke vor: Unternehmen und ihre Mitarbeiter stellen zunehmend veränderte Ansprüche an ihre Arbeitswelt, die durch Coworking befriedigt werden. Dazu gehört eine individuelle Ausstattung der Flächen, die Möglichkeit zum Networking oder Brainstorming-Räume. Kurzum: Eine anregende Arbeitsatmosphäre, um möglichst innovativ sein zu können. Interessanterweise beschränken sich die Nutzergruppen von Coworking-Flächen längst nicht mehr auf Start-ups. Auch Mittelständler und Großunternehmen erkennen in der Auslagerung einzelner Abteilungen in flexible Büros zunehmend Vorteile. WeWork etwa kann bereits auf Unternehmen wie Microsoft, Adidas und HSBC als "Untermieter" verweisen. Da die Flächen flexibel anmietbar sind, eignen sie sich für solche Unternehmen beispielsweise für kurzfristig anstehende Expansionen.

Aus Sicht der Flächenanbieter ist der Faktor "Flexibilität" jedoch ein zweischneidiges Schwert. Denn die Nutzer können Coworking-Flächen ebenso schnell wieder kündigen, wie sie diese zuvor angemietet haben. Und gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten dürfte diese Maßnahme verstärkt zum Einsatz kommen. Die Folge wäre ein steigender Leerstand in den bislang so gut gebuchten Coworking-Gebäuden. Daraus ergeben sich wiederum essenzielle Fragen für Asset Manager und Investoren, die Coworking-Anbieter als langfristige Mieter in ihren Immobilien beherbergen. Die seit Jahren währende Schönwetterfront am deutschen Bürovermietungsmarkt wird nicht ewig halten. Funktioniert das Konzept nachhaltig, insbesondere bei konjunkturellen Abschwüngen? Viele Coworking-Anbieter sind darüber hinaus erst seit kurzem am Markt aktiv und haben teilweise keine nennenswerten finanziellen Spielräume. Zahlungsausfälle könnten drohen.

Oder andersrum, falls dem Konzept wirklich die Zukunft gehört: Sind meine Liegenschaften fit für die veränderten Mieteransprüche? Sollte man vielleicht gar selbst als Coworking-Betreiber auftreten? Welche Konsequenzen hätte das für die bislang so wunderbar langfristig planbaren Mieteinnahmen? Fragen über Fragen, auf die die Marktakteure erst noch passende Antworten finden müssen. ph

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