Europa: NPL-Aktionismus

Philipp Otto

Foto: Fritz Knapp Verlag

Milliardenschwere Förderprogramme, Kurzarbeitergeld, Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, Verlängerung der Anleihekaufprogramme, sanftere Kapitalunterlegungspflichten, Nutzung von Kapitalpuffern, Aufweichen der Liquiditätsdeckungsquoten, Aussetzung von Zins- und Tilgungsleistungen. Regierungen, Notenbanken und Bankenaufsicht versuchen wirklich sehr viel, um die unvermeidbar negativen Folgen der Corona-Pandemie auf die Real- und Kreditwirtschaft abzumildern oder zumindest hinauszuzögern, denn diese Aufzählung ist nur ein kleiner Ausschnitt aus all den Maßnahmen. Jüngstes Beispiel ist der Mitte Dezember von der Europäischen Kommission vorgelegte neue NPL-Aktionsplan.

Zum Hintergrund: Auslöser der Aktivitäten der EU-Politiker ist die berechtigte Sorge vor einer spürbaren Zunahme der Kreditausfälle infolge der wirtschaftlichen Herausforderungen durch die Covid-19-Pandemie. Auskunfteien rechnen mit einem spürbaren Zuwachs an Insolvenzen in diesem Jahr. In Deutschland könnten mehr als 21 000 Unternehmen in die Insolvenz gehen, noch härter könnte es Portugal, die Niederlande, Spanien oder Italien treffen, wo ein Anstieg der Pleiten von 20 bis 30 Prozent prognostiziert wird. Das könnte auch für die Kreditinstitute zum Problem werden, auch wenn die NPL-Quoten seit der Finanzkrise vor gut zehn Jahren wieder spürbar gesunken sind. In Deutschland beispielsweise lagen sie zum Ende des zweiten Quartals 2020 bei gerade einmal 1,2 Prozent des gesamten Kreditvolumens, europaweit im Schnitt bei 2,8 Prozent. Doch es gibt auch Länder wie Griechenland (30,9 Prozent), die den Schnitt deutlich nach oben ziehen. Die Sorge der Bankenaufseher und Politiker ist nun, dass das zusätzliche Volumen an notleidenden Krediten dazu führt, dass Banken und Sparkassen ihre Kreditvergabe in Zukunft stark einschränken müssen und damit zu einem Verstärker der Krise werden.

Die nun vorgelegte EU-Strategie zum künftigen Umgang mit notleidenden Krediten verfolgt EU-Angaben zufolge vier Hauptziele: Erstens die Weiterentwicklung der Sekundärmärkte für notleidende Vermögenswerte, die es den Banken ermöglichen, NPLs aus ihren Bilanzen zu streichen und gleichzeitig den Schutz der Schuldner weiter zu stärken. Zweitens eine Reform der Insolvenz- und Inkassogesetzgebung der EU, die dazu beitragen wird, die verschiedenen Insolvenzrahmen in der gesamten EU zusammenzuführen und gleichzeitig hohe Verbraucherschutzstandards aufrechtzuerhalten. Drittens die Unterstützung der Gründung und Zusammenarbeit nationaler Vermögensverwaltungsgesellschaften auf EU-Ebene. Und viertens erforderlichenfalls vorsorgliche Maßnahmen zur öffentlichen Unterstützung ergreifen, um die weitere Finanzierung der Realwirtschaft im Rahmen der EU-Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken und der Rahmenbedingungen für staatliche Beihilfen sicherzustellen.

Grundsätzlich ist es natürlich richtig, einem möglichen deutlichen Anstieg notleidender Kredite in den Bilanzen der Kreditinstitute in Europa zu begegnen. Einige der nun vorgelegten Maßnahmen können durchaus auch dazu beitragen. Eine Angleichung der Insolvenzregime wäre sogar ein enormer Fortschritt, an dem sich jahrelang selbst noch so erfahrene Verhandler die Zähne ausgebissen haben. Allerdings darf mit den Aktionen die notwendige Marktbereinigung, wie sie auf jede Krise folgt, nicht verhindert werden. Und auch bei der endgültigen Ausgestaltung der "Bad Banks" muss genauestens darauf geachtet werden, dass eine Vergemeinschaftung von Schulden ebenso verhindert wird wie das unkontrollierte Aufblähen der Kreditvolumina, da Banken ja nun kein echtes Risiko mehr haben. Die Erfahrungen aus den USA mit Fannie Mae und Freddie Mac sollten Warnung genug sein. P.O.

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