Großbritannien: Alternative Nutzungsarten können Brexit-Risiken mildern

Vincent Bruyère, Senior-Portfoliomanager, European Listed Real Estate, Degroof Petercam AM, Brüssel
 

Am 29. März 2019 soll es soweit sein: Großbritannien verlässt die Europäische Union. Ob London es bis dahin schafft, mit Brüssel einen mit entsprechenden Handelsverträgen unterlegten geordneten Brexit auszuhandeln, ist immer noch unklar. Wenn nicht, stünde ein "No-Deal-Brexit" bevor, der das Vereinigte Königreich wirtschaftlich in weitreichende Bedrängnis bringen könnte. Wenn der Brexit das Wachstum auf der britischen Insel tatsächlich bremst, wird sich dies zwangsläufig auch am britischen Immobilienmarkt niederschlagen. Am Markt für Immobilienaktien wird dieses Szenario zu einem gewissen Grad bereits eingepreist. Britische börsennotierte Immobiliengesellschaften notieren derzeit mit einem Abschlag von 20 bis 25 Prozent auf ihren inneren Wert.

Mit Blick auf den Brexit haben viele Banken bereits angekündigt, ihre Europazentralen auf das europäische Festland zu verlegen. Dies würde sich vor allem auf die Nachfrage nach Büroraum in London auswirken. Neben Dublin, Amsterdam, Luxemburg und Paris würde insbesondere Frankfurt - hier wollen insgesamt 24 Kreditinstitute ihren Sitz hin verlegen - davon profitieren, dass Banker zukünftig Wohnraum an ihrem neuen Arbeitsstandort suchen. Das Potenzial, das von Umzügen britischer Bankmitarbeiter ausgeht, ist im Vergleich zur Größe dieser regionalen Immobilienmärkte aber relativ gering. Wir setzen dennoch auf diese Städte, jedoch aus Gründen der jeweiligen fundamentalen Angebots-/Nachfragekonstellation.

Ein durch den Brexit verursachter Wachstumsrückgang auf der Insel würde zwangsläufig ein Umdenken bei britischen Immobilien erfordern. Und zwar derart, dass stärker nach Nutzungsarten differenziert wird. Grundsätzlich bleibt Großbritannien für Immobilieninvestoren interessant, wenn es die EU verlässt. Jedoch sind dann die klassischen gewerblichen Immobiliensegmente wie Büros, Einzelhandel und Logistik weniger attraktiv. Wir tendieren schon jetzt zu Objekten alternativer Nutzungsarten wie Studentenwohnheime, privat genutzte Lagerflächen (Self-Storage) und Convenience-Shopping, das im Gegensatz zum dezentralen Erlebnis-Shopping auf die reine Deckung des täglichen Bedarfs bei den Verbrauchern vor Ort abzielt.

Die europäischen Immobilienmärkte und mit ihnen die börsengelisteten Immobilienunternehmen werden nach wie vor von soliden wirtschaftlichen Fundamentaldaten in Europa sowie langfristig weiter sinkenden durchschnittlichen Finanzierungskosten getragen. Während das Geschäfts- und Verbraucherklima sowie die Kreditvergaben neue Höchststände erreichen, sinkt die Zahl der Menschen ohne Job und die Inflationsrate bewegt sich im gewünschten Zielkorridor der Europäischen Zentralbank - alles in allem gute Voraussetzungen für freundliche Immobilienmärkte. Mit Blick auf die kommenden zwölf Monate erwarten wir bei europäischen Immobilienaktien einen durchschnittlichen Gesamtertrag zwischen acht und zwölf Prozent - basierend auf einem Abschlag auf die Nettoinventarwerte von fünf Prozent, mit dem die Immobilienportfolios europäischer REITs derzeit bewertet werden. Mit jährlich durchschnittlich vier Prozent sollten die Dividendenrenditen parallel bis 2020 attraktiv bleiben und den Gesamtertrag positiv beeinflussen.

Trotzdem gilt es wachsam zu bleiben und auch unerwartete Szenarien ins Kalkül zu ziehen, wie zum Beispiel eine deutliche Wachstumsabschwächung in Europa. Diese würde das Gespenst der Deflation wieder erwecken und zeitgleich zu sinkenden Mieten führen. Eine Gefahr für die Immobilienmärkte geht darüber hinaus von schneller und stärker als erwartet steigenden Zinsen aus, ohne dass das Wirtschaftswachstum entsprechend mit steigt. Manager von Immobilienaktienportfolios sollten solche Überraschungen im Hinterkopf haben und schnell reagieren können, wenn es brenzlig wird.

Vincent Bruyère, Senior-Portfoliomanager, European Listed Real Estate, Degroof Petercam AM, Brüssel

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