Stümperhafte Milieuschutz-Gutachten

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

"Erhaltungssatzungsgebiete" - ein echtes Paradebeispiel für die mitunter schauerlichen Ausgeburten der deutschen Verwaltungssprache. Sehr zum Leidwesen von Immobilienprofis handelt es sich hierbei aber um eines jener Komposita, an dem man mittlerweile kaum noch vorbeikommt. Denn im Kampf gegen steigende Mieten und vermeintliche Verdrängungstendenzen alteingesessener Bevölkerungsschichten (Gentrifizierung) haben in den vergangenen Jahren immer mehr deutsche Kommunen von diesem in § 172 BauGB definierten "Instrument des besonderen Städtebaurechts" Gebrauch gemacht. In Hamburg etwa stieg die Anzahl sozialer Erhaltungsbeziehungsweise Milieuschutzgebiete in den vergangenen zehn Jahren von 1 auf 13, in München von 15 auf 27 und in Berlin gar von 18 auf 63. Darüber hinaus findet das Instrument inzwischen auch in Mittelstädten zunehmende Verbreitung. Steht ein Bezirk erstmal unter Milieuschutz, so ist der Handlungsspielraum für Eigentümer von Wohnimmobilien erheblich eingeschränkt: Aufstockungen, Renovierungen und (energetische) Modernisierungen sind beispielsweise nur noch unter strengen Auflagen möglich, dasselbe gilt für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen.

Angesichts eines solch tiefgreifenden Eingriffs in das Eigentumsrecht sollte man eigentlich davon ausgehen dürfen, dass die vorab angefertigten Gutachten, die den Nachweis für die Notwendigkeit einer Milieuschutzsatzung erbringen müssen, methodisch hieb- und stichfest sind. Doch eine nun von Empirica unter Leitung von Prof. Harald Simons angefertigte Studie, die 51 in Berlin und Hamburg verfasste Milieuschutz-Gutachten en Detail untersucht, lässt daran erheblichen Zweifel aufkommen. Zwar hält Simons die grundsätzliche Vorgehensweise der Gutachter, die auf einem vierstufigen Prüfschema ( (1) Besteht Aufwertungspotenzial? (2) Herrscht Aufwertungsdruck? (3) Besteht Verdrängungsgefahr? und (4) Sind negative städtebauliche Folgen zu befürchten?) fußt, für durchaus legitim und zielführend. Das große Problem liege vielmehr in der mangelhaften Durchführung ebendieser Prüfung: "Beliebige Interpretationen", "mangelhafte Validität", "Behauptungen anstelle von Beweisen" - das ist nur ein Auszug aus dem insgesamt vernichtenden Urteil Simons.

Überrascht zeigt sich Empirica zudem von der Tatsache, dass das Gros der untersuchten Gutachten (48 von 51) unterm Strich die Ausweisung eines sozialen Erhaltungsgebietes befürwortet. Demnach müssten sich mittlerweile vor allem in Berlin weite Teile der Innenstadt in einem Aufwertungs- und Verdrängungsprozess mit entsprechend negativen städtebaulichen Folgen befinden. Dem ist natürlich nicht so. Stattdessen ist die absurd hohe Befürwortungsquote das direkte Resultat der methodischen Unzulänglichkeiten in den Gutachten. Exemplarisch wird dies an der problematischen Identifizierung von Aufwertungspotenzial verständlich: Dutzende, teils höchst interpretationsbedürftige Kriterien (moderne Küche, Bad mit Fenster, hochwertiger Bodenbelag, Bidet, zweites Waschbecken, Gäste-WC, Aufzug, Balkon, zweiter Balkon et cetera) werden dafür oftmals herangezogen. Und sofern auch nur eines dieser Ausstattungsmerkmale in einer Wohnung fehlt, wird "Aufwertungspotenzial" als gegeben angesehen. Simons hofft nun, dass seine Untersuchung den Anstoß für einen längst überfälligen Disput über besser geeignete, wissenschaftlich fundiertere Methoden gibt. Das wäre objektiv betrachtet wohl gemerkt auch im Sinne der Befürworter des Milieuschutzes, schließlich sind derzeit mehrere Klagen vor Gerichten anhängig - handwerkliche Mängel der Gutachten dürften da wenig hilfreich sein. ph

Noch keine Bewertungen vorhanden


X