Alternativlos

Philipp Hafner, Redakteur Foto: Verlag Helmut Richardi

Ihre erste große Bewährungsprobe als Präsidentin der Europäischen Zentralbank kam für Christine Lagarde nun also doch viel früher als gedacht und erhofft. Die Corona-Pandemie hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einer veritablen Bedrohung für die Stabilität von Real- und Finanzwirtschaft entwickelt. Dass die Fiskalpolitik dieser extremen Herausforderung nicht alleine Herr werden kann, wird mit jedem weiteren Tag geprägt von menschlichem Leid und verschärften Einschränkungen im öffentlichen Leben sichtbarer. Nicht wenige Experten erwarteten deshalb von Lagarde auf der Pressekonferenz im Anschluss an die jüngste Ratssitzung vom 12. März eine Art "What ever it takes 2.0"-Statement. Doch statt eines Vertrauen schaffenden Signals blieb letztlich nur ein Satz ihres insgesamt recht unglücklichen Auftritts hängen: "Wir sind nicht hier, um Spreads zu schließen." Die Folgen waren unmittelbar und dramatisch: So schossen die Spreads, insbesondere bei den italienischen Staatsanleihen, binnen Tagesfrist in bedrohliche Höhe, Erinnerungen an die Eurokrise wurden wach.

Vor diesem Hintergrund verpufften wenig überraschend die ohnehin recht überschaubaren neuen Beschlüsse der EZB: Wider Erwarten wurde der bei minus 0,5 Prozent liegende Einlagesatz nicht weiter gesenkt, dafür kündigte man im Gegenzug immerhin deutlich günstigere Zinskonditionen für Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO III) sowie eine Erhöhung der Nettoanleihekäufe im Rahmen des Asset Purchase Programmes (APP) um 120 Milliarde Euro bis Jahresende an. Es war alles in allem zu wenig, um nur ansatzweise zur Entschärfung beziehungsweise Beruhigung der angespannten Lage beitragen zu können. Das dämmerte dann auch schnell den EZB-Ratsmitgliedern, weshalb sie im Rahmen einer Notsitzung in der Nacht vom 18. auf den 19. März außerplanmäßig ein weiteres, diesmal deutlich substanzielleres Paket im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus verabschiedeten: Das "Pandemic Emergency Purchase Programme" (PEPP) mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro soll mindestens bis zum Jahresende 2020 laufen und wird alle Assetklassen umfassen, die bereits bislang durch das Eurosystem erworben werden.

Ein wichtiger Unterschied dabei besteht in den Freiheitsgraden beim Ankauf: So hält die EZB ausdrücklich fest, dass sie sich beim PEPP nicht durch selbst auferlegte Limitierungen beschränken wird, neben den Allokationen auf die Assetklassen soll auch der bislang geltende Kapitalschlüssel bei Bedarf nicht die Handlungsfähigkeit einschränken. Damit reiht sich die EZB also ein in die lange Liste weltweit konzertierter Entscheidungen von Notenbanken und Fiskalpolitik, die vor wenigen Wochen noch unvorstellbar gewesen wären. Radikale Zinssenkungen, gigantische Anleihekäufe, ausgereichte Notkredite - rund um den Globus werden derzeit alle Register gezogen, getreu dem Motto "Viel hilft viel". Und zweifellos sind all diese Maßnahmenpakete wichtig und letztlich auch alternativlos. Mit Blick auf die Geldpolitik gilt dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass an der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Finanzmarkts schlicht kein Weg vorbeiführt.

Mit den nun bereitgestellten massiven Liquiditätsspritzen leisten die Notenbanken an dieser Stelle einen bedeutsamen Beitrag: Staaten, Unternehmen und Finanzdienstleister werden mit Mitteln ausgestattet werden, um diese Durststrecke hoffentlich überbrücken zu können. An einer tiefen Rezession werden die meisten Länder trotz alledem nicht vorbeikommen. Sobald das Schlimmste ausgestanden ist, werden Fiskal- und Geldpolitik also erneut gefragt sein. Diskussionen über die Bereitstellung von Helikoptergeld durch die Notenbanken haben bereits Hochkonjunktur. Es ist ohne Frage ein äußerst umstrittenes Instrument, aber Denkverbote gibt es dieser Tage nicht mehr. Oder, um es mit den Worten von Christine Lagarde auszudrücken: "Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen." ph

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