Mit der Brechstange

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Das einmal im Jahr stattfindende geldpolitische Forum der EZB im portugiesischen Sintra dient offiziell dazu, über langfristige Aspekte der Geldpolitik abseits des Tagesgeschäfts zu debattieren. Gastgeber und EZB-Präsident Mario Draghi hatte jedoch wieder einmal anderes im Sinne. Ähnlich wie im Jahr 2017, als er in Sintra erstmals vor der Weltöffentlichkeit ein Ende des Anleihekaufprogramms in Aussicht stellte, nahm er seine Rede diesmal zum Anlass, um die nächste Runde weitreichender geldpolitischer Lockerungen anzukündigen. Dem Vernehmen nach geschah dies ohne den EZB-Rat, dessen reguläre Sitzung wohlgemerkt nur zwei Wochen zuvor stattgefunden hatte, zu informieren.

In dieser Form höchst ungewöhnlich für eine Notenbank forderte der Italiener dabei ausdrücklich eine Verbesserung der konjunkturellen Lage sowie eine höhere Inflationserwartung - ansonsten seien neue Stimuli vonnöten. Angesichts des kaum noch vorhandenen Handlungsspielraums eine für Außenstehende ziemlich kühn anmutende Aussage. Doch Draghi wollte an der Schlagfertigkeit des verbliebenen Arsenals keinen Zweifel aufkommen lassen: "Zinssenkungen und Abmilderungsmaßnahmen bleiben Teil unserer Instrumente" und das Anleihekaufprogramm "hat noch erheblichen Spielraum".

Der sichtlich frustrierte Italiener packt zum Ende seiner achtjährigen Amtszeit also tatsächlich noch einmal die Brechstange aus und erliegt damit voraussichtlich erneut einem schweren Irrtum: Die globale Konjunktur kühlt sich nach vielen guten Jahren nun einmal naturgemäß ab und dies wird sich auch durch zusätzliche geldpolitische Lockerungen der EZB nicht verhindern lassen. Die zuletzt gefallenen Inflationserwartungen sind überwiegend auf externe Faktoren (Ölpreisrückgang) zurückzuführen, die ebenfalls kaum durch die EZB beeinflusst werden können.

Die einzig positiven, vermutlich aber nur kurz währenden Nebeneffekte der Sintra-Rede bestehen darin, dass die Börsen neuen Schwung erhalten und kriselnde Eurostaaten wie Italien sich wieder billiger refinanzieren können. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Alles in allem hat Draghi den geldpolitischen Kurs der EZB also ohne nachvollziehbaren Grund auf viele weitere Monate zementiert und den Handlungsspielraum für seinen immer weniger zu beneidenden Nachfolger erheblich eingeschränkt.

Auf Lockerung stehen die Zeichen unterdessen auch bei vielen anderen Notenbanken rund um den Globus. Die Reserve Bank of Australia etwa senkte den Leitzins Anfang Juni unter Verweis auf die steigenden Risiken der internationalen Handelskonflikte um 25 Basispunkte auf ein Rekordtief von 1,25 Prozent, in Indien liegt der wichtigste Zinssatz mittlerweile bei 5,75 Prozent und somit dem niedrigsten Niveau seit dem Jahr 2010.

Expansive Schritte haben unlängst auch die Notenbanken in Japan, Indonesien und natürlich den USA signalisiert: Zwar beließ die Fed auf ihrer jüngsten Sitzung den Leitzins zunächst in der Spanne von 2,25 bis 2,50 Prozent, zugleich betonte US-Notenbankchef Jerome Powell aufgrund nachlassender Konjunkturdynamik, niedrigerer Inflationsraten und der potenziellen Eskalation des Handelskonflikts zwischen den USA und China die Bereitschaft zu einer zeitnahen Zinssenkung.

Vermutlich wird diese bereits auf der anstehenden Juli-Sitzung erfolgen, nur eine (Teil-)Einigung zwischen den USA und China auf dem bei Redaktionsschluss noch nicht abgehaltenen G20-Treffen in Osaka Ende Juni könnte die Fed wohl davon abhalten.

Alles in allem ist somit ein globaler Trend hin zu immer expansiveren Geldpolitiken zu beobachten, der nachdenklich stimmt: Notenbanker lassen sich ohne größeren Widerstand für das Ausbügeln handels-, fiskal- und wirtschaftspolitischer Brandherde und Versäumnisse vereinnahmen, für die sie weder das Mandat noch die geeigneten Mittel besitzen. Hoffentlich rächt sich dies am Ende nicht. ph

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