Bröckelndes Narrativ

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Geldpolitik ist immer auch ein Stück weit Psychologie. Schön zum Ausdruck brachte das zum Beispiel der deutsche Ökonom Gottfried Bombach: "Inflation herrscht, wenn die Leute glauben, dass Inflation herrscht." Dass sich auch heutige Notenbanker noch fest an diesen Satz klammern, zeigen die allerorts zu vernehmenden Beschwichtigungen. "Es deutet alles darauf hin, dass der aktuelle Preisdruck lediglich vorübergehender Natur ist." So oder so ähnlich lauten die seit Monaten zu vernehmenden Kommentare von Lagarde, Powell & Co. Anfangs erklärte man sich alles mit einmaligen Effekten infolge der Corona-Pandemie, dann mit unterbrochenen Lieferketten, bevor nun seit kurzem die "temporären" Anstiege bei den Energiepreisen herhalten müssen.

Realkredite: Konditionen Stand 21. Oktober 2021 Quelle: Interhyp AG

Das Problem ist nur, dass dieses Narrativ mit jeder weiteren Hiobsbotschaft von der Inflationsfront an Glaubwürdigkeit einbüßt. Im September kletterte die Teuerungsrate im Euroraum binnen Jahresfrist abermals kräftiger als erwartet um 3,4 Prozent und damit auf den höchsten Wert seit September 2008. Getoppt wurde das unter anderem von Deutschland, wo die Inflationsrate mit 4,1 Prozent ihren höchsten Stand seit Ende 1993 erreichte und den USA mit gar 5,3 Prozent. Und dabei sind es inzwischen eben längst nicht mehr nur die Energiepreise, die die Teuerungsrate treiben. Gerade in der Eurozone steigt auch der zugrunde liegende Preisdruck: So kletterte die Kernrate ohne Energie und Lebensmittel im September von 1,6 auf 1,9 Prozent. Trotzdem sind führende Vertreter des EZB-Rats im Oktober abermals Spekulationen über eine Zinserhöhung im kommenden Jahr entgegengetreten: Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau etwa sagte, er sehe keinen Grund, 2022 die geldpolitischen Zügel zu straffen. EZB-Chefvolkswirt Philip Lane zufolge stehen von den Geldmärkten ausgehende Erwartungen an eine Zinserhöhung nicht im Einklang mit dem geldpolitischen Ausblick der EZB, der sogenannten Forward Guidance.

Ganz ehrlich: Das erinnert zunehmend an prokrastinierende Schüler, die alle möglichen Vorwände suchen, nur um sich nicht den Hausaufgaben widmen zu müssen. So überraschend der Rücktritt von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann - knapp fünfeinhalb Jahre vor dem eigentlichen Ende seiner erst 2019 gestarteten zweiten Amtszeit - aufgenommen wurde, so gut passt er bei genauerer Betrachtung eben doch ins Gesamtbild. "Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik wird dauerhaft nur möglich sein, wenn der Ordnungsrahmen der Währungsunion weiterhin die Einheit von Handeln und Haften sichert, die Geldpolitik ihr enges Mandat achtet und nicht ins Schlepptau der Fiskalpolitik oder der Finanzmärkte gerät", schreibt Weidmann in seinem Abschiedsbrief an die Mitarbeiter der Bundesbank. Dass der EZB-Rat diese - gerade zum jetzigen Zeitpunkt - dringend benötigte, mahnende Stimme verliert, ist bitter und stimmt nachdenklich. Nun liegt es an der neuen Bundesregierung, dass diese Stimme nicht verstummt. Die Entsendung einer weiteren Person mit Mainstream-Ansichten würde den EZB-Rat endgültig in einen Taubenschlag verwandeln.

Die Zinsen für Baudarlehen haben unterdessen nach einer leichten Delle im August und September zuletzt wieder leicht zugelegt. Nach Angaben der Interhyp AG seien Kredite im Durchschnitt aber immer noch für unter 1 Prozent erhältlich. Die weitere Entwicklung ist dabei aufgrund unterschiedlicher Einflussfaktoren schwer zu prognostizieren, wie Mirjam Mohr, Vorständin Privatkundengeschäft der Interhyp AG, erklärt: "Immobilienkäuferinnen und -käufer mit Finanzierungsbedarf bekommen die Ambivalenz der Märkte durch schwankende Konditionen zu spüren. Einerseits deuten steigende Inflationszahlen, teilweise bessere Arbeitsmarktdaten und Erfolge im Kampf gegen die Corona-Pandemie auf höhere Zinsen hin, andererseits bleibt die Konjunkturerholung unsicher und gegenüber Störungen anfällig. Trotz uneinheitlicher Vorgaben gibt es kurz- und langfristig eine Tendenz hin zu steigenden Zinsen."

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