Draghi mit Rolle rückwärts

Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank

Quelle: EZB

Vorsichtig optimistisch hatte sich Mario Draghi im Rahmen einer Konferenz im portugiesischen Sintra Ende Juni zur konjunkturellen Entwicklung in der Eurozone geäußert. Unter anderem sprach er dabei von "reflationären Kräften". Es war nur ein kurzes, den Tatsachen entsprechendes Statement, das dennoch spürbare Nachwehen an den Finanzmärkten hinterließ. Als Zeichen für eine anstehende Straffung der EZB-Geldpolitik gedeutet, sahen sich viele Investoren zu einem Abverkauf von Anleihen veranlasst. Europäische Staatspapiere gerieten unter Druck, alleine die zehnjährige Bundrendite schnellte in der Folge von 0,25 auf 0,58 Prozent nach oben.

Eine Überreaktion der Marktteilnehmer, die den EZB-Präsident offensichtlich nicht kalt ließ. Denn die Lehre, die er aus dieser Episode gezogen hat, wurde bei der Pressekonferenz im Anschluss an die jüngste Ratssitzung vom 20. Juli deutlich: Er rüstete verbal wieder deutlich ab, ein ähnliches Zitat wie rund drei Wochen zuvor in Sintra war ihm nun nicht mehr zu entlocken. Stattdessen empfindet er ein unverändert "erhebliches Ausmaß an Konjunkturförderung durch die Geldpolitik" für angebracht - trotz einer stabileren Konjunktur, Verbesserungen am Arbeitsmarkt und der leicht anziehenden Inflation. Es ist ein bedenkliches Signal, das er damit implizit ausgesendet hat: Der Umstand, wonach die Marktakteure offensichtlich noch nicht so weit sind, wiegt höher als die geldpolitisch gebotene Richtungsänderung. Die offiziell über den Dingen stehende EZB - sie wirkt zunehmend getrieben von den Geschehnissen an den Märkten. Unabhängigkeit sieht sicher anders aus.

Besonders widersinnig erscheint der jüngste Ratsbeschluss, an der Option einer Ausweitung des Anleihekaufprogramms ("Expanded Asset Purchase Programme", EAPP) festzuhalten. Angesichts des zunehmend knapper werdenden Angebots geeigneter Wertpapiere ist schon die Erfüllung des derzeit vorgesehenen monatlichen Volumens in Höhe von 60 Milliarden Euro kompliziert genug. Die absehbare Pro blematik durch das Erreichen der Kaufschwelle der einzelnen Ländervolumen war laut Draghi bislang jedenfalls "kein Thema". Sollte der Umfang des Programms gleich bleiben, ist ein Aufweichen der geltenden Ankaufkriterien wohl nur noch eine Frage der Zeit. Draghi erachtet es als ausreichend, erst "im Herbst" über die Zukunft des EAPP zu diskutieren. Vielleicht nutzt er bereits seinen Auftritt auf der Fed-Konferenz in Jackson Hole Ende August, um einer breiten Öffentlichkeit erste Einsichten diesbezüglich zu gewähren. Das Timing wäre insofern günstig, als auf der kurz im Anschluss daran stattfindenden EZB-Ratssitzung am 7. September endlich konkrete Aussagen erwartet werden. Klar scheint momentan nur, dass die Leitzinsen im Euroraum bis weit nach dem Ende des Anleihekaufprogramms auf ihren historischen Tiefstwerten verharren dürften.

US-Notenbankchefin Janet Yellen hält unterdessen die amerikanische Wirtschaft unverändert für stark genug, um weitere Zinserhöhungen verkraften zu können. In ihrer Rede vor dem US-Kongress Mitte Juli wurde aber gleichzeitig deutlich, dass dieser Straffungskurs sehr behutsam ausfallen wird. Der Leitzins muss ihr zufolge nicht mehr übermäßig weiter steigen, um von einer neutralen geldpolitischen Haltung der Fed sprechen zu können. Davon abgesehen ist sie weiterhin davon überzeugt, dass die Fed zeitnah mit dem Abbau ihrer auf über vier Billionen US-Dollar aufgeblähten Bilanz beginnen sollte. Mit Unbehagen wird Yellen vermutlich die Spekulationen über ihre persönliche Zukunft verfolgen. Insidern aus dem Weißen Haus zufolge soll eine zweite Amtsperiode für Yellen mittlerweile in weite Ferne gerückt sein. Stattdessen verdichten sich die Anzeichen, wonach US-Präsident Trump seinen Wirtschaftsberater Gary Cohn, ehemaliger COO bei Goldman Sachs, im Februar 2018 an die Spitze der weltweit einflussreichsten Notenbank befördern wird.

Die Unruhe im Anschluss an die "Sintra-Rede" färbte im Übrigen auch leicht auf die hiesigen Bauzinsen ab. Der aktuelle Bestzins für zehnjährige Hypothekendarlehen liegt laut der Dr. Klein AG bei 1,09 Prozent (Stand 19. Juli 2017) und somit geringfügig höher als im Vormonat. Für Häuslebauer natürlich trotzdem kein Grund zur Panik, schließlich entspricht dies historisch gesehen einem unverändert äußerst niedrigen Zinsniveau. ph

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X