EZB spielt auf Zeit

Quelle: Europäische Zentralbank

 

Die im Nachgang einer EZB-Ratssitzung immer wieder kursierende Schlagzeile "Draghi hat geliefert, was zu erwarten war" dürfte für sporadisch interessierte Beobachter der geldpolitischen Landschaft oftmals irreführend sein. Denn wer mit dem Verb "liefern" einen umfangreichen Maßnahmenkatalog beziehungsweise Tätigkeitsnachweis assoziiert, wird hier regelmäßig enttäuscht. So verhielt es sich auch im Rahmen des jüngsten EZB-Termins Ende April: Antworten zur Zukunft des offiziell im September auslaufenden EZB-Anleihekaufprogrammes blieb EZB-Präsident Mario Draghi gegenüber der Öffentlichkeit ebenso schuldig wie die von Kritikern seit langem geforderte klare kommunikative Einstimmung auf einen generellen Kurswechsel.

Eine klare geldpolitische Linie über die kurze Frist hinaus sucht man also weiter vergebens. Und dennoch hat Draghi damit gewissermaßen "geliefert", insbesondere mit Blick auf die Erwartungen an den Finanz- und Kapitalmärkten: Die derzeit ohnehin sehr nervösen Investoren rund um den Globus sind dem EZB-Präsidenten für jedes weitere Hinauszögern unbequemer Entscheidungen dankbar.

Die unverändert schwach ausgeprägte Inflation (1,2 Prozent im April), der politische Rechtsruck in Italien sowie die zuletzt eingetrübten Wachstumsprognosen für den Euroraum erleichtern Draghi und Co. die Rechtfertigung ihrer aktuellen Strategie des "Auf Sicht Fahrens" zumindest ein wenig. Der EZB-Präsident gab sich hinsichtlich Letzterem im Übrigen relativ gelassen und identifiziert noch immer ein "solides und breit basiertes Wachstum". Aber was geschieht im Falle einer ernsthaften konjunkturellen Abschwächung? Das Dilemma der europäischen Währungshüter wäre dann groß: Zum einen würde die sich seit Monaten bietende, günstige Chance für einen deutlich entschlosseneren Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik wohl auf unbestimmte Zeit verstreichen. Und zum anderen hätte die EZB dann praktisch keine Feuerkraft mehr, um die Volkswirtschaften der Eurozone nennenswert stützen zu können.

Erheblich mehr Spielraum für solche Eventualitäten hat da mittlerweile die Fed. Dank sechs Zinserhöhungen seit Dezember 2015 liegt der Leitzins in den USA aktuell bereits bei 1,75 Prozent. Und die Chancen für eine siebte Anhebung im Rahmen der nächsten Sitzung des "Federal Open Market Committee" (FOMC) am 13. Juni stehen gut. So ist die Arbeitslosenquote im April mit 3,9 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 2000 gefallen.

Und auch mit Blick auf die Preisentwicklung erscheint eine Fortsetzung der geldpolitischen Straffung absolut legitim: Die US-Verbraucherpreise zogen im April um 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr an. Selbst wenn man dabei die schwankungsanfälligen Komponenten wie Lebensmittel und Energie ausklammert, lag die Kerninflation noch immer bei 2,1 Prozent und somit leicht über dem anvisierten Zielwert der Fed von 2,0 Prozent.

Anlässlich der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft in Russland lohnt abschließend ein kurzer Abriss der aktuellen Geldpolitik des Gastgeberlandes. Nach sechs Leitzinssenkungen 2017 und bislang einer weiteren im Jahr 2018 liegt der Schlüsselsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken momentan bei noch immer "weltmeisterlichen" 7,25 Prozent.

Dieser Entwicklung vorangegangen war jedoch eine beispiellose Zinsrallye: Nachdem insbesondere im Jahr 2015 die Inflation mit 15,53 Prozent infolge des starken Rubel-Verfalls völlig aus dem Ruder gelaufen war, sah sich die Bank Rossii um ihre Präsidentin Elwira Nabiullina zu drastischen Maßnahmen veranlasst. Um 6,5 Prozentpunkte auf 17,0 Prozent wurde der russische Leitzins alleine in der Dezembersitzung 2014 angehoben.

Damit konnte einerseits die angespannte Situation an der Preisfront unter Kontrolle gebracht werden. Die Verbraucherpreise verteuerten sich zuletzt nur noch um 2,2 Prozent, das ist deutlich weniger als das von der Bank Rossii ausgegebene Ziel von vier Prozent. Andererseits befindet sich der Rubel unverändert auf Talfahrt, und diese könnte von weiteren Zinslockerungen, die Nabiullina jüngst angekündigt hat, noch verschärft werden. Fazit: Wirklich leicht scheint es im Moment keine Notenbank der Welt zu haben. ph

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