Ein gut bestelltes Haus sieht anders aus

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Mario Draghi und die Deutschen - das war in den vergangenen acht Jahren bekanntlich eine ziemlich komplizierte Beziehung. Im Rest der Währungsunion als Euro-Retter und hochversierter Ökonom gepriesen und bewundert, überwiegt im Volk der Sparer eindeutig der Unmut über Null- und Negativzinsen, die Vermögensaufbau und Altersvorsorge zu einer Sisyphos-Arbeit haben werden lassen.

Entsprechend unterkühlt fiel nun das Gros der hierzulande gezogenen Resümees zum Abschied des EZB-Präsidenten aus. Auf die Spitze trieb es hierbei die zuletzt unter anderem von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann als Plattform zur Kritik an Draghi genutzte Bild-Zeitung, die den zu Beginn seiner Amtszeit noch zum Preußen erklärten Italiener als "Graf Draghila" schmähte und zugleich die einst aus diesem Grund verliehene Pickelhaube empört zurückforderte.

Das hat natürlich wenig Stil und zur Ehrenrettung der Deutschen darf daran erinnert werden, dass es durchaus Orte gibt, an denen man sehr wohl warme Abschiedsworte für Mario Draghi übrig hatte. So zum Beispiel im Internationalen Congress Center München, kurz ICM, wo Anfang Oktober so einige der über 45 000 Besucher der Expo Real förmlich ins Schwärmen gerieten. Und wer will es ihnen verübeln? Schließlich schwimmt die Immobilienwirtschaft wie das sprichwörtliche Fettauge ganz oben auf der Suppe aus Minuszinsen und Anlagedruck. "Im Prinzip müssten wir Draghi ein Denkmal setzen", war da unter anderem zu hören. Oder: "Konjunkturdelle hin oder her, dank Draghi gilt die Devise: Betongold forever!"

Das hätte Draghi sicher gefreut, wobei: Vielleicht hätte er den Bewunderern stattdessen doch eher eindringlich ins Gewissen geredet und Vorsicht angemahnt. Denn war er es nicht höchstpersönlich, der vor einigen Monaten noch in seiner Funktion als Vorsitzender des Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) vor potenziellen Preisblasen an den Immobilienmärkten warnte - ein wenig wie der Brandstifter, der die Feuerwehr ruft? Wie dem auch sei: Das Beispiel ist nur eines von vielen, das belegt, wie ambivalent Draghis Wirken und Vermächtnis letztlich ist.

Er handelte überaus mutig und entschlossen, als es darum ging, die Eurozone und deren Währung auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise vor dem Kollaps zu bewahren. Seine berühmten Worte "Whatever it takes" gelten mittlerweile zurecht als Meisterstück der geldpolitischen Rhetorik. Im Anschluss agierte er dann aber gleichwohl bemerkenswert mutlos, als es darum ging, die europäische Geldpolitik wieder in halbwegs geordnete Bahnen zurückzuführen. Gewiss, in der Eurozone lief es wirtschaftlich zuletzt nicht mehr rund, darunter leidet wiederum die Inflation(serwartung). Die nun im September gegen viel Widerstand durchgeboxte Reaktivierung des Anleihekaufprogramms wird daran allerdings nichts ändern.

Schwer wiegt in diesem Zusammenhang, dass Draghi einen beispiellos zerstrittenen EZB-Rat hinterlässt und darüber hinaus durch die unnötige Rückkehr in den Vollkrisenmodus kurz vor Amtsabtritt endgültig keinerlei Handlungsspielräume im Falle einer Rezession mehr bestehen. Ein "gut bestelltes Haus", das jeder Chef hinterlassen möchte, sieht sicher anders aus.

Bei seiner letzten Pressekonferenz war Mario Draghi trotz alledem mit sich im Reinen. Häufiger als gewohnt ließ er sich ein Lächeln entlocken, insbesondere wenn Fragen zu den internen Zwistigkeiten im EZB-Rat gestellt wurden. "Was vergangen ist, ist vergangen", antwortete er darauf verschmitzt. Noch längst nicht vergangen sind dagegen leider die langfristigen Nebenwirkungen der unter seiner Ägide zementierten ultraexpansiven Geldpolitik. Die Sprengkraft, die Minuszinsen und massive Liquiditätsschwemmen auf Dauer in sich bergen, werden Sparer, Finanzinstitute und Unternehmen noch sehr lange belasten. ph

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