Japanische Verhältnisse?

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

"Japanisierung der Eurozone." Kaum vorstellbar, aber diese Schlagzeile geisterte vor gerade einmal rund vier Jahren noch durch die Presselandschaft. Angesichts der zum damaligen Zeitpunkt äußerst schwachen Preis- und Wirtschaftsentwicklung ständen die Mitglieder der Währungsunion vor einem ähnlich qualvollen, jahrelangen Siechtum bestehend aus ökonomischer Agonie und fallenden Preisen, so die Kassandrarufe diverser Experten und Kommentatoren. Doch die Auguren lagen daneben. Nicht zuletzt deshalb, weil sie ähnlich wie 2012, als die Eurozone doch angeblich kurz vor dem Zusammenbruch stand, ihre Rechnung einmal mehr ohne die EZB machten. Mit allen verfügbaren Mitteln stemmten sich Draghi und Co. gegen das Horrorszenario, und die Kombination aus Null- beziehungsweise Negativzinsen sowie gigantischer Anleihekaufprogramme zeigte - anders als in Japan - Wirkung.

Die vergangenen Jahre waren von einem robusten Aufschwung auf breiter Front geprägt und auch an der Preisfront scheint man dem Schreckgespenst "Deflation" endgültig Herr geworden zu sein: Fünf Monate in Folge (Mai bis Oktober 2018) lag die offizielle Inflationsrate im Euroraum nun bereits bei 2,0 Prozent oder knapp darüber. Auch wenn die EZB damit streng genommen ihr Ziel einer Teuerung von "unter, aber nahe zwei Prozent" jeweils knapp überschritten hat, gebührt ihr nichtsdestotrotz Anerkennung: An dieser Stelle ist die Eurozone anno 2018 von japanischen Verhältnissen glücklicherweise weit entfernt.

Nun bleibt natürlich zu hoffen, dass sich auch mit Blick auf die Geldpolitik möglichst schnell wieder signifikante Unterschiede zwischen Eurozone und Japan beobachten lassen. Der Anfang dafür ist immerhin gemacht: Während bei der Bank of Japan aufgrund anhaltend niedriger Inflation und hoher Staatsverschuldung (230 Prozent des BIP) noch überhaupt kein Ende der negativen Leitzinsen und unbegrenzten Anleihekäufe absehbar ist, gibt es bei der Europäischen Zentralbank mittlerweile erste zaghafte Bemühungen, um zu einer geldpolitischen Normalisierung zurückzukehren.

Die Netto-Anleihekäufe sind seit Oktober auf monatlich 15 Milliarden Euro reduziert und werden aller Voraussicht nach Ende des Jahres komplett eingestellt. Mehr Geduld ist dagegen mit Blick auf die Leitzinsen gefragt: Diese werden gemäß aktueller Forward Guidance bis "mindestens über den Sommer 2019" auf ihrem aktuellen Niveau verharren.

Gerade in Deutschland ist die Geduld für diesen wenig ambitionierten Fahrplan inzwischen aber allem Anschein nach aufgebraucht. Neben den Wirtschaftsweisen (Volker Wieland: "Die EZB läuft Gefahr, die geldpolitische Wende zu spät einzuleiten.") war es zuletzt insbesondere Dr. Hans-Walter Peters, Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, der lautstark Kritik an der zögerlichen Gangart der EZB übte: Angesichts der positiven Preis- und Wirtschaftsentwicklung im Euroraum sei die momentane Geldpolitik ein "Anachronismus" und die EZB müsse deshalb ihre geldpolitischen "Exzesse" schneller und konsequenter als bislang angekündigt beenden. Ein besonderer Dorn im Auge ist ihm dabei das Festhalten am negativen Einlagezinssatz für Banken von derzeit minus 0,4 Prozent. Dieser habe europäische Institute seit 2014 knapp 20 Milliarden Euro gekostet und stelle eine "Sondersteuer" dar, für die es keinerlei Rechtfertigung gebe.

Klare Worte aus dem Lager der deutschen Privatbanken also und wirklich verübeln kann man es Peters nicht: Mit schöner Regelmäßigkeit bescheinigen nationale wie internationale Aufseher den hiesigen Instituten mangelnde Profitabilität, durch die Geldpolitik werden sie aber gleichzeitig ihrer wichtigsten Ertragsquelle beraubt. Das Beispiel der Finanzindustrie ist bekanntlich nur eines von vielen, das die mit einer ultralockeren Geldpolitik einhergehenden Kollateralschäden belegt. Die Appelle dieser Gruppe von Benachteiligten nun endlich in den Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen, würde der Europäischen Zentralbank sicher viele, bislang nicht gekannte Sympathien einbringen. Aber geht es in einem heterogenen Europa um Synergien? ph

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X