Lower forever

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Die Formel "Lower for longer" hat in den vergangenen Jahren die Zinslandschaft im Euroraum geprägt. Die dabei insbesondere unter Sparern und Finanzinstituten verbreitete Hoffnung, dass in absehbarer Zeit auch wieder einmal andere, bessere Zeiten anbrechen würden, hat sich nun am 12. September wohl endgültig zerschlagen. Denn mit einem neuen, umfangreichen Lockerungspaket hat die EZB den geldpolitischen "Point of no Return" überschritten. "Lower forever" lautet somit nüchtern betrachtet die neue Marschroute.

Die Dimensionen der beschlossenen Maßnahmen erscheinen selbst nach acht Jahren Amtszeit von Mario Draghi, in der die EZB ihr Mandat immer weiter ausgedehnt hat, gewaltig: So wurde der Einlagesatz um weitere zehn Basispunkte auf ein (vorläufiges) Rekordtief von minus 0,50 Prozent gesenkt (die Einführung eines Staffelsystems soll dabei die direkten negativen Effekte für Banken etwas abmildern), die Attrak tivität der TLTRO-III-Geschäfte hinsichtlich Laufzeit, Konditionen und Kündbarkeit wurden nochmals erhöht, in der neuen Forward Guidance ist erstmals kein Datum mehr als Orientierung zur künftigen Entwicklung der Leitzinsen genannt und, last but not least, erfolgt nach gerade einmal zehnmonatiger Pause am 1. November 2019 die Wiederaufnahme der Nettoankäufe von Vermögenswerten im Volumen von monatlich 20 Milliarden Euro - wohlgemerkt ebenfalls auf unbestimmte Zeit. Damit können Assetankäufe endgültig als Standardinstrument der hiesigen Geldpolitik betrachtet werden.

Mit der Bazooka stemmen sich die europäischen Währungshüter also gegen die grassierenden politischen und konjunkturellen Unsicherheiten und ignorieren dabei zum wiederholten Male Tatsachen, die jedem VWL-Studenten nach der ersten Makroökonomik-Vorlesung sonnenklar sind. Etwa die, dass noch niedrigere Zinsen und ein noch Mehr an Liquidität im aktuellen Umfeld keinen zusätzlichen realwirtschaftlichen Nutzen stiften, im Gegenteil: Immer mehr davon fließt in ohnehin bereits bedrohlich aufgeheizte Vermögenswerte und erhöht somit die Gefahr von Spekulationsblasen weiter. Die derzeitigen Probleme können wenn überhaupt nur durch entschlossenes Handeln in anderen Politikfeldern wie der Handels- und Wirtschaftspolitik effektiv bekämpft werden. Doch stattdessen erliegt die EZB einmal mehr der gefährlichen Versuchung, die unerledigten Hausaufgaben der Regierungen übernehmen zu wollen.

Völlig vergessen scheint nach zehn Jahren Aufschwung auch die Tatsache, dass wirtschaftliche Eintrübungen beziehungsweise Rezessionen durchaus eine wichtige (wenn auch schmerzhafte) Aufgabe in einer Marktwirtschaft erfüllen: Es handelt sich hierbei um Phasen der Gesundung, in denen nicht wettbewerbsfähige Akteure daran erinnert werden, nachzubessern oder andernfalls aus dem Markt auszuscheiden. Nur so können die Voraussetzungen für künftiges, gesundes Wirtschaftswachstum geschaffen werden. Die EZB hält es statt dessen für sinnvoll, alles künstlich am Leben zu erhalten, etwa indem sie Banken via Strafzins quasi dazu nötigt, auch noch den letzten Mist zu finanzieren.

Sechs Wochen vor dem Ende seiner Amtszeit als EZB-Präsident hat Mario Draghi somit sein großes Abschiedsfeuerwerk gezündet, der Preis dafür war allerdings hoch: Der EZB-Rat ist - anders als von Draghi beteuert - infolge der jüngsten Entscheidung tief zerstritten, das zeigt vor allem die unmittelbar im Anschluss an die Sitzung öffentlichkeitswirksam geäußerte Kritik von Jens Weidmann und mehreren weiteren Ratsmitgliedern. In diesem Zusammenhang werden Christine Lagardes hochgelobte Fähigkeiten als Kommunikatorin und Krisenmanagerin wohl vom ersten Tag an gefragt sein. Und wer weiß: Vielleicht zeigt sich die Französin dabei entgegen der ersten Einschätzungen doch offen für die vielen rationalen Argumente der Falken im EZB-Rat. Gerade als langjährige IWF-Chefin sollte ihr eigentlich klar sein, dass dieser geldpolitische Kurs viele kaum noch kalkulierbare Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringt. ph

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X