Maß und Mitte wahren

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Dax, M-Dax, Dow Jones, S & P 500, Nikkei - inmitten der schwersten Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg notierten all diese globalen Leitindizes zuletzt auf oder nahe ihrer Allzeithochs. Einen sicher ganz wesentlichen Anteil an dieser Hausse haben die konzertierten geldpolitischen Lockerungsübungen seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Wie in der Finanzkrise bilden Leitzinssenkungen bis auf oder unter null Prozent und billionenschwere Anleihekäufe dabei die bevorzugten Mittel der Wahl.

Vor allem bei Letzteren werden in dieser Krise aber nochmals neue Maßstäbe gesetzt: Mithilfe speziell aufgelegter Programme zur Linderung der Pandemiefolgen pumpt man Gelder auch noch in die allerletzten Winkel der Märkte und Wirtschaft. Die Folgen sind rasantes Geldmengenwachstum sowie extrem aufgeblasene Bilanzsummen der Notenbanken. Die der Fed etwa ist allein zwischen März und Dezember 2020 von rund 4,2 auf 7,2 Billionen US-Dollar förmlich explodiert. Ähnlich steil verlaufen die Kurven für die Bank of Japan, Bank of England, Schweizer Notenbank und die EZB: Deren Bilanzsumme ist im genannten Zeitraum von 4,7 auf 6,9 Billionen Euro angeschwollen. Und natürlich ist damit noch längst nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Auf seiner letzten Sitzung im Jahr 2020 beschloss der EZB-Rat eine abermalige kräftige Aufstockung des Corona-Nothilfeprogramms PEPP um 500 auf 1 850 Milliarden Euro. Zugleich wurde dessen Mindestlaufzeit um weitere neun Monate bis Ende März 2022 verlängert und der Beginn von Nettotilgungen auf frühestens 2024 hinaus geschoben. Damit hat die EZB endgültig bestätigt, was im Prinzip schon seit Monaten offensichtlich ist: Das PEPP-Portfolio wird auch lange Zeit nach dem Ende der Pandemie nicht nennenswert reduziert werden, sondern stattdessen langfristig auf der Notenbankbilanz verbleiben.

Das ist ein durchaus brisanter Befund, denn der Verdacht, dass hier monetäre Staatsfinanzierung durch die Hintertür betrieben wird, erhärtet sich zusehends. So zeigt eine aktuelle Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), dass die Staatsanleihekäufe der Euro-Zentralbanken mittlerweile doch sehr einseitig auf einige wenige, hoch verschuldete Länder ausgerichtet sind. Die Übergewichtung Italiens etwa beträgt im Vergleich zum Kapitalschlüssel seit März satte 25 Prozent. Da kann es dann auch kaum verwundern, dass zehnjährige italienische Staatsanleihen im November auf eine absurd niedrige Rendite von 0,58 Prozent fielen. Nicht weniger verblüffend sind die Entwicklungen bei den Pendants aus Griechenland (0,63 Prozent) und Spanien (0,08 Prozent). Keine Frage: Dass sich die EZB um die Verhinderung exzessiver Zinsaufschläge für die Euroländer bemüht, ist nachvollziehbar. Diese völlig verzerrten Nivellierungen gehen aber über das vertretbare Maß hinaus.

Davon abgesehen kommt man natürlich nicht umhin, diese Entwicklung immer auch im Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 zu betrachten. Damals hatten die Karlsruher Richter das bereits seit 2015 laufendende PSPP (Public Sector Purchase Programme) zwar nicht als verbotene monetäre Staatsfinanzierung klassifiziert. Die von der EZB selbst definierten Kaufobergrenzen für einzelne Wertpapiere gemäß eines festen Kapitalschlüssels wurden dabei jedoch explizit als zentrale Voraussetzung für diese Entscheidung genannt. Und genau diese Limitierungen sind beim PEPP nicht mehr vorhanden - "Flexibilität" lautet hier das neue Zauberwort.

Unterdessen sind erste Klagen gegen das PEPP bereits angekündigt und es kann angesichts dieser veränderten Rahmenbedingungen eben nicht mehr wie in der Vergangenheit angenommen werden, dass die EZB abermals mit einer folgenlosen Ermahnung davonkommt. Die EZB täte also im eigenen Interesse gut daran, den Eindruck monetärer Staatsfinanzierung schleunigst wieder zu entkräften. Dazu sollte sie in einem ersten Schritt den Kapitalschlüssel als wesentliches Element der Selbstbeschränkung nicht leichtfertig über Bord werfen. ph

Realkredite: Konditionen Stand 17. Dezember 2020 Quelle: Interhyp AG
Interhyp-Bauzins-Trendbarometer Quelle: Interhyp AG

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