Orakel gesucht

Philipp Otto

Foto: Fritz Knapp Verlag

Der frühere Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer berichtete einmal von seinem (vermeintlichen) Besuch beim Orakel von Delphi. Er habe - wohlwissend um die Sorge vieler Deutscher - gefragt: "Was wird die härtere Währung sein, der Euro oder die D-Mark?" Pythias Antwort habe gelautet: "Der Euro nicht die D-Mark." Wo das Komma stehe, habe sie nicht gesagt. Der Gang zu einem Orakel war damals aber nicht nur für Notenbanker erforderlich. Auch die Marktteilnehmer haben sich angesichts der kryptischen Aussagen manches Zentralbankpräsidenten mitunter die Hilfe einer Weissagung gewünscht. Das ist inzwischen dank der im Juli 2013 von der EZB unter ihrem Präsidenten Jean-Claude Trichet erstmals praktizierten Forward Looking Guidance vorbei.

Im Zuge der jüngst veröffentlichten neuen Strategie der EZB wurde auch die Forward Guidance angepasst. Der Rat untermauere damit sein Bekenntnis, einen dauerhaft akkommodierenden geldpolitischen Kurs beizubehalten, um sein Inflationsziel zu erreichen, heißt es in der Pressemitteilung. Aber es wurde auch ein Passus eingefügt, der manchem Ratsmitglied ein wenig zu weit ging. Denn die EZB lies auch verlauten, dass selbst wenn die Inflation am Ende des Prognosehorizonts in bis zu drei Jahren das angestrebte Ziel erreicht habe, die Notenbanker nicht gezwungen sein werden, mit einer Straffung der Geldpolitik zu reagieren. Damit entkoppelt die EZB ihre Negativzinsen und die Anleihekäufe auf lange Zeit selbst gegen einen starken Inflationsanstieg.

Was für die Menschen damals Delphi war, ist heute für die Finanzwelt Jackson Hole. In dem kleinen US-Städtchen versammeln sich jedes Jahr Ende August die führenden Zentralbanker zu einer mehrtägigen großen Geldpolitik-Konferenz. Dieser Austausch wird von Währungshütern in der Regel genutzt, um wichtige geldpolitische Weichenstellungen vorzubereiten. Leider startete die Konferenz erst nach Redaktionsschluss, sodass an dieser Stelle lediglich die Erwartungen an das alljährliche Treffen beschrieben werden können. Und die sind hoch, deuten doch Äußerungen verschiedener Zentralbanken auf eine Wende bei der expansiven Geldpolitik hin.

Realkredite: Konditionen Stand 23. August 2021 Quelle: Interhyp AG

Alle Blicke richten sich in diesem Jahr auf den US-Notenbankchef Jerome Powell. Angesichts der hohen Inflationsraten in den USA mit zuletzt 5,4 Prozent im Juli und der gleichzeitigen wirtschaftlichen Erholung gilt ein Ausstieg aus dem Tapering als ausgemacht. Die Federal Reserve stützt die von der Corona-Krise gebeutelte US-Wirtschaft unter anderem mit monatlichen Anleihekäufen von 120 Milliarden Dollar. Innerhalb der US-Notenbank ist die Debatte über ein Abschmelzen dieser Käufe schon weit fortgeschritten, wie aus dem veröffentlichten Protokoll der Juli-Zinssitzung hervorgeht.

Anleger erhoffen sich von Jackson Hole nun eine klarere Richtung. Die Erwartungen schwanken zwischen einem recht raschen Ausstieg, wenn ab Ende des Jahres die Anleihekäufe reduziert und gegen Mitte 2022 vollständig beendet werden bis hin zu einer langsameren Reduzierung durch schrittweises verringern jeden Monat. Beschlossen werden könnte dies bereits auf der kommenden Zinssitzung der Fed am 21. und 22. September. Spannend ist das, weil erwartet wird, dass andere Notenbanken der Fed folgen werden. Die Bank of England hat das bereits angedeutet, die EZB hält sich zwar noch bedeckt, allerdings deuten die Formulierung der Forward Guidance nicht wirklich auf einen Kurswechsel hin.

Nichts ändern wird sich mit großer Sicherheit am Niedrigzinsniveau. Da die Unsicherheiten in Verbindung mit der Covid-19-Pandemie aktuell wieder etwas zunehmen, suchen Investoren erneut sichere Häfen. Das hat Folgen für die Immobilienfinanzierung: Nachdem die Zinsen für zehnjährige Immobiliendarlehen im ersten Halbjahr zugelegt hatten, sind diese im Lauf des Julis um etwa 0,15 Prozentpunkte auf unter 1 Prozent gefallen. P.O.

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