Unverhofft kommt oft?

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Was für einen Unterschied so eine Pressekonferenz doch machen kann! Die Rede ist natürlich vom denkwürdigen Auftritt Christine Lagardes im Anschluss an die jüngste EZB-Ratssitzung vom 3. Februar. Dabei hatte die doch so unschuldig begonnen: Pünktlich um 13:45 Uhr veröffentlichte die EZB ihr obligatorisches Statement, wobei man im Wesentlichen nach dem mittlerweile bestens bekannten Schema "Copy & Paste" vorging. Soll heißen: Der Text war nahezu wortgleich mit dem aus der Dezember-Sitzung.

Für Lagarde schien damit der Weg bereitet, die dankbare Botschaft "Alles bleibt beim Alten" in der anschließenden Fragerunde souverän ins Ziel zu bringen. Wie also um alles in der Welt konnten sich die Märkte nur knapp eine Stunde später in hellem Aufruhr befinden? In die Bredouille brachte Lagarde letztlich vor allem folgender Kommentar aus der Dezember-Sitzung: "Eine Zinserhöhung im Jahr 2022 ist sehr unwahrscheinlich", hatte sie damals noch zuversichtlich zu Protokoll gegeben. Trotz mehrfacher Aufforderung wiederholte Lagarde den Satz diesmal aber nicht.

Wie sollte sie auch, schließlich wirkte er gerade einmal sieben Wochen später völlig überholt. Nicht zum ersten Mal erwiesen sich dabei die Inflationsprognosen der EZB als erstaunlich unzuverlässig. Denn anstatt wie erwartet deutlich gegenüber dem Dezemberwert (5,0 Prozent) zu fallen, erklomm die Inflation in der Eurozone im Januar den nächsten Rekordwert von nunmehr 5,1 Prozent. Die einzig logische Schlussfolgerung daraus ist also, dass Lagarde & Co. sich in Zeiten extremer Unsicherheit definitiv keinen Gefallen mit einer einseitigen Vorfestlegung tun.

Die zuletzt ohnehin hypersensitiven Finanzmarktakteure nahmen Lagardes etwas hawkisheren Unterton jedenfalls umgehend zum Anlass, aggressiv zwei EZB-Leitzinsanhebungen im laufenden Jahr einzupreisen. Doch nicht nur das: Als Kollateralschäden hinzu kamen durch die Bank weg kräftig steigende Anleiherenditen, ausgeweitete Spreads, Kurseinbrüche an den Aktienmärkten sowie eine signifikante Aufwertung des Euro gegenüber dem Dollar. Genau die Dinge also, die Lagarde spätestens seit ihrer unbedachten Äußerung zu Beginn der Pandemie ("Die EZB ist nicht für die Risikoaufschläge von Anleihen zuständig.") tunlichst zu vermeiden gedenkt.

Realkredite: Konditionen Stand 23. Februar 2022 Quelle: Interhyp AG

Kurzum: Kommunikationstechnisch war das wahrlich kein Glanzstück. Gleichzeitig hat der holprige Auftritt auch seine gute Seite. Denn nüchtern betrachtet hat Lagarde sich und ihren Kollegen doch eine Art Steilvorlage geliefert, indem sie die Tür endlich für einen dringend benötigten, halbwegs beherzten Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik geöffnet hat. Ob sie das nun gewollt oder ungewollt beziehungsweise bewusst oder unbewusst getan hat, sei dahingestellt, es ist mit Blick auf den Ernst der Lage aber auch fast schon nebensächlich. Schließlich deutet nichts darauf hin, dass die Teuerung im Jahr 2022 an Dynamik verliert und damit steigen die Risiken von Zweitrundeneffekten - vor allem von Lohn-Preis-Spiralen - bedrohlich an. Das muss endlich angemessen adressiert werden, sprich ein schnelleres Ende der Anleihekäufe und frühere Zinserhöhungen sind dringend geboten. Die Fed und Bank of England machen es vor. So schwer es für die EZB nach so vielen Jahren der Krisenbekämpfung sein muss, ihren Kurs zu ändern, darf sie jetzt also nur nicht den Mut verlieren und sollte direkt die anstehende März-Sitzung nutzen, um erste Nägel mit Köpfen zu machen. Dann stehen die Chancen gut, dass Lagardes Auftritt rückblickend einmal in die Kate gorie "Unverhofft kommt oft" subsumiert werden kann.

Unterdessen sind die Bau zinsen in den ersten Wochen 2022 so schnell wie seit Jahren nicht mehr gestiegen, berichtet Interhyp. Bei Redaktionsschluss lagen die Konditionen für zehn jährige Darlehen bei rund 1,6 Prozent - ein Anstieg von über 0,5 Prozentpunkten innerhalb weniger Wochen. 

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X