Zeit für das T-Wort

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Wer hat Angst vor Inflation? Niemand! Also zumindest nicht diejenigen, die im Euroraum am Ende des Tages für sie zuständig sind. Anders kann man sich den betont gelassenen Auftritt von EZB-Präsidentin Christine Lagarde im Anschluss an die jüngste Ratssitzung vom 10. Juni nicht erklären. In bester Draghi-Manier versuchte sie die angesichts sinkender Corona-Zahlen, kräftiger Konjunkturerholung sowie anziehender Preise heraufziehenden Forderungen nach einer Drosselung des Krisen-Anleihekaufprogramms PEPP direkt im Keim zu ersticken: "Es ist viel zu früh, um diese Themen zu debattieren", so Lagarde.

Realkredite: Konditionen Stand 21. Juni 2021 Quelle: Interhyp AG

Und somit wird die EZB auch im dritten Quartal am erhöhten PEPP-Kauftempo, das zuletzt bei rund 80 Milliarden Euro pro Monat lag, festhalten: "Der Rat geht davon aus, dass die Nettoankäufe weiterhin deutlich umfangreicher ausfallen werden als während der ersten Monate des Jahres", erklärte die Französin dazu. Diese beispiellose Liquiditätsflut führt an den Kapitalmärkten zu immer absurderen Phänomenen. So ist etwa die Rendite fünfjähriger griechischer Staatsanleihen Mitte Juni ins Negative gerutscht. Investoren müssen somit also Geld dafür bezahlen, um einem Land, das mit rund 200 Prozent des BIP verschuldet ist, Geld leihen zu dürfen.

Immerhin würdigt die EZB inzwischen die deutlich aufgehellten Konjunkturaussichten für den Euroraum: Die Währungshüter gehen für dieses Jahr nun von einem BIP-Anstieg in Höhe von 4,6 Prozent aus. Das sind 0,6 Prozentpunkte mehr als im Rahmen der März-Prognose. Dasselbe gilt für 2022: Hier lautet die neueste Vorhersage 4,7 anstatt 4,1 Prozent. Und auch dem gestiegenen Inflationsdruck trägt die EZB - zumindest im Rahmen ihrer Statistik - Rechnung. So erwartet die EZB in diesem Jahr eine Teuerung von 1,9 (1,5) Prozent für die 19 Eurostaaten, 2022 sind es 1,5 (1,2) Prozent. Bereits im Mai war die jährliche Inflationsrate im Euroraum vor allem aufgrund steigender Energiepreise auf 2,0 Prozent geklettert.

Alles in allem scheint es also - anders als von Lagarde suggeriert - genau der richtige Moment, um nach gut 16 Monaten Pandemie endlich über das "T-Wort" (Tapering) zu diskutieren. Natürlich besteht mit Blick auf die Inflation dabei kein Anlass zur Panik. Ihre Risiken gänzlich herunterzuspielen und sie quasi aussitzen zu wollen, erscheint aber ebenso wenig ratsam.

Höchst lehrreich ist in diesem Kontext natürlich der Blick über den großen Teich. Denn quasi zeitgleich zu Lagardes Ausführungen (das kann kein Zufall sein!) wurde bekannt, dass die US-Inflationsrate im Mai abermals viel stärker als erwartet auf unglaubliche 5,0 Prozent angestiegen ist - der höchste Wert seit August 2008.

Selbst der in den vergangenen Monaten ziemlich dovish daherkommenden US-Notenbank war klar, dass sie dies auf ihrer Sitzung vom 16. Juni adressieren muss. Zwar blieben die Leitzinsen (0,00 bis 0,25 Prozent) unverändert und auch an den Anleihekäufen (120 Milliarden US-Dollar monatlich) wurde nicht gerüttelt. Bei den sogenannten "Dot-Plots", also den Zeitpunkten, zu denen die FOMC-Mitglieder höhere Zinsen als angemessen erachten, gab es jedoch deutliche Verschiebungen. So werden im Median nun zwei Zinserhöhungen im Jahr 2023 erwartet (zuvor: keine). Zudem rechnen sieben (bisher: vier) Mitglieder bereits mit einer ersten Zinserhöhung im kommenden Jahr, auch wenn der Median für 2022 noch keine Anhebungen impliziert.

Auf der anschließenden Pressekonferenz erklärte Fed-Präsident Jerome Powell, dass man zwar noch "ein Stück weit entfernt" von den angestrebten Fortschritten bei den Zielen maximaler Beschäftigung und Preisstabilität sei. Gleichzeitig signalisierte er, dass man begonnen habe darüber zu reden, wann das Tapering beginnen könnte. Diese Tapering-Diskussion werde nun auf den "kommenden" FOMC-Sitzungen fortgesetzt. So geht wohl Pragmatismus. Es steht zu befürchten, dass es bei der EZB deutlich emotionaler zugehen wird. ph

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