MARKT- UND OBJEKTBEWERTUNG

ABKÜHLUNG ODER WACHSTUM? DIE MARKTTRENDS 2020

Philip La Pierre, Foto: LaSalle IM

Seit nunmehr rund zehn Jahren kennt das Gros der europäischen Immobilienwirtschaft nur eine Richtung: aufwärts. Preise und Transaktionsvolumina eilen von Rekord zu Rekord, Leerstände und Ankaufsrenditen befinden sich zumeist auf historischen Tiefstständen. Doch es mehren sich die Zeichen, dass dieser Superzyklus langsam aber sicher an Schwung verliert. Von einem abrupten Ende beziehungsweise Einbruch ist gleichwohl nicht auszugehen, so die Einschätzung des Autors. Red.

Wer auch dieses Jahr wieder auf der Expo Real in München war, konnte sich leicht von der optimistisch-gelassenen Stimmung in den Messehallen und bei den Cocktail-Empfängen anstecken lassen: Gute Laune, glänzende Geschäfte, kaum Bedenken - Sanssouci allerorten. Dabei waren 2019 durchaus Zeichen zu erkennen, die für eine wirtschaftliche Abkühlung sprechen. Technisch gesehen befand sich Deutschland bereits am Rande einer Rezession. Dazu kommen politische Spannungen, die in handfesten wirtschaftlichen Auseinandersetzungen münden können, sowie einzelne Störfeuer in regionalen und lokalen Märkten und Segmenten. Gründe genug also, das Cocktail-Glas beiseite zu stellen und den Blick nach vorne zu richten.

Immobilienwachstum verlangsamt sich

Klar ist: Das in den vergangenen Jahren stattfindende Wachstum der globalen Wirtschaft wird in dieser Form nicht unbegrenzt so weitergehen, und die unausweichlichen Rückschläge werden in der einen oder anderen Form auch die europäische Immobilienbranche treffen - allerdings, so erwarten wir von Lasalle, erst mit Verzögerung und in abgeschwächter Form. Derzeit noch sind die Märkte stabil, das Sentiment weiterhin optimistisch, die Nachfrage robust und das Pricing hoch, dank niedriger Zinsen und allen damit verbundenen Auswirkungen auf die Finanzierung. Die entscheidende Frage ist also, ab wann mit einer spürbaren Reaktion zu rechnen sein dürfte und auf welchem Level sich die Preise und dementsprechend die Renditen einpendeln werden. Zur Beantwortung dieser Fragen gilt es, die maßgeblichen Faktoren, Trends und Erwartungen für Immobilieninvestments in 2020 und darüber hinaus zu betrachten.

Nach Jahren des rasanten Wachstums am Immobilienmarkt lässt sich derzeit erstmalig eine Verlangsamung beobachten. Maßgebliche Aspekte sind, bei geringem Flächenangebot, Höchstpreise bei den Mieten und eine langsam leicht rückläufige Nachfrage - abhängig von Standort und Gebäudequalität - sowie diverse globale und lokale Marktunsicherheiten. Damit befindet sich der Immobilienmarkt in guter Gesellschaft: Auch die deutsche Wirtschaft erlebte nach einer kleinen Delle zu Jahresbeginn 2019, der ersten seit 2009, ein Nullwachstum, das BIP tritt mehr oder weniger ebenso auf der Stelle wie die schwächelnde deutsche Industrie. Doch ob das gedämpfte Wirtschaftswachstum auch langfristig zu einem geringeren Nachfragewachstum bei Immobilienkäufen führt, muss sich erst noch zeigen. Die Frage, ob die Märkte den jüngsten Abwärtstrend bereits einpreisen, lässt sich nämlich zurzeit schlichtweg noch nicht seriös beantworten. Die Historie zeigt, dass ein solcher Effekt immer erst mit einer zeitlichen Verzögerung von etwa ein bis zwei Jahren beobachtet werden kann.

Wenn also der Blick in die Konjunktur-Glaskugel nur getrübte Aussichten verspricht - welche anderen Faktoren sollten dann besondere Aufmerksamkeit von Real-Estate-Investoren genießen? Unserer Meinung nach kann es auf diese Frage nur eine klare Antwort geben: das Zinsniveau. Wie die Gesamtwirtschaft ist auch die Immobilienbranche abhängig vom günstigen Geld. Dieses aber kommt zu einem Preis, der sich erst auf den zweiten Blick offenbart: Wo die Finanzierung günstig ist, steigen tendenziell die Preise, und gleichzeitig steigt auch die Bereitschaft von Unternehmen, Verschuldungsquoten zu akzeptieren in der Annahme, Finanzierungen seien auch künftig günstig zu bekommen. In Kombination sorgt dies für ein Klima auf Debt-Seite, das sich auf Dauer als ungesund für den Immobilienmarkt entwickeln könnte.

Liquidität war 2019 auf Anlegerseite genügend vorhanden, und die wollte investiert werden. Bis einschließlich des dritten Quartals wurden mehr als 57,27 Milliarden Euro in den deutschen Immobilienmarkt investiert (JLL Investmentmarktüberblick Q3 2019) - 2018 betrug das Transaktionsvolumen im selben Zeitraum noch 56,59 Milliarden Euro, im Gesamtjahr 2018 waren es 79,02 Milliarden Euro. Ob dieses Level sich auch in 2020 halten kann, bleibt abzuwarten - die EZB wird unter neuer Führung sicher nicht unvermittelt den Kurs verändern, aber kleinere Korrekturen sind nicht völlig auszuschließen. Daraus ergeben sich grundsätzlich zwei mögliche Szenarien: Bleiben Finanzierungen auch weiterhin so günstig wie bisher, können sie gesamtwirtschaftlich bedingte Nachfragedellen bei der Preisbildung kompensieren - der Markt bleibt robust. Stellt sich jedoch aufgrund sinkender Preise und in der Folge niedrigerer Erträge, wegen erhöhtem Finanzierungsrisiko oder aufgrund von Schwierigkeiten bei der Refinanzierung seitens der Kreditgeber, eine Teuerung ein, sieht die Lage weniger rosig aus. Derzeit gibt es keine Anzeichen für eine Destabilisierung - die Lage muss sich aber auch 2020 und darüber hinaus als stabil erweisen.

Sicherheit schlägt Risiko

Unterstellt, die Zinsen bleiben weiter auf niedrigem Niveau, rücken weitere Faktoren für Real-Estate-Investoren und deren Berater in den Mittelpunkt. Einer der wichtigsten dürfte die Selektion bei Mieter- und Objektauswahl sein. Faktoren wie Bonität, Mietdauer sowie Qualität von Standorten und Ausstattung werden noch genauer berücksichtigt und tendenziell konservativ beantwortet. Paradoxerweise gilt dies auch, wenn sich die Finanzierungskonditionen verschlechtern und das generelle Sentiment eingetrübt wird. Denn je enger es an den Märkten wird, desto risikoaverser agieren Investoren - Sicherheit hat in der Vergangenheit noch immer den Appetit aufs Risiko geschlagen. Dementsprechend lässt sich, sobald keine starken Mietsteigerungen mehr erwartet werden und ein langfristiger Nachfragerückgang absehbar ist, immer ein Trend in Richtung Core-Strategien beobachten.

Vor diesem Hintergrund gilt es, mit Bedacht zu agieren und die passende Strategie für sich und seine individuellen Ziele zu wählen, um weiterhin bestmögliche Renditen zu generieren. Dabei besteht durchaus noch Raum für weiteres Mietwachstum, gerade im Bereich Core. Generell lohnt sich derzeit ein differenzierter Blick auf die Risiko-Rendite-Profile einzelner Strategien und ihre Allokation im Portfolio. Allein mit Core und Core Plus wird sich eine auskömmliche Rendite auf Dauer nicht erreichen lassen. B-Lagen können beispielsweise dann interessant sein, wenn sie über eine exzellente Verkehrsanbindung verfügen. Überlegungen wie diese müssen sorgfältig und mit Bedacht angestellt und mit Investoren und anderen Stakeholdern diskutiert werden.

Robuste Metropolen

Die meisten europäischen Topstädte, allem voran im Core-Segment, dürften auch künftig Mitpreissteigerungen erzielen. Hierauf deuten die Ergebnisse des jährlichen European Regional Economic Growth Index (E-REGI) von Lasalle hin, der anhand verschiedener Kriterien die 20 Städte innerhalb Europas mit den größten konjunkturellen Wachstumsaussichten identifiziert. Ungeachtet aller Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem erneut vertagten Brexit, führt wie auch in den Vorjahren London das Ranking an, gefolgt von Paris auf Platz zwei. Ein Blick auf die Ergebnisse der deutschen Städte hingegen zeigt langsam aber sicher die ersten Auswirkungen einer schwächelnden Wirtschaft, die generellen Wachstumsaussichten sind leicht gedämpft.

München hält als stärkste deutsche Stadt im Ranking mit robusten Fundamentalwerten und hohem Wohlstandsniveau den nationalen Spitzenplatz 5, Frankfurt rangiert aufgrund des niedrigen Flächenangebots unverändert auf Platz 19, und Berlin konnte dank eines soliden BIP- und Beschäftigungswachstums auf Platz 13 vorrücken. Ein Ende des hauptstädtischen Investitionsbooms, allem voran getrieben von der Nachfrage seitens der Technologie-, Kreativ- und Pharmabranche, ist trotz Diskussionen um Mietpreisbremse und striktere Regulierung auch für 2020 nicht in Sicht. Stuttgart als Autohochburg hingegen musste in diesem Jahr als einzige deutsche Stadt im Ranking erste Einbußen hinnehmen. Als Autohochburg ist der Standort maßgeblich von der exportorientieren Fertigung abhängig und leidet dementsprechend unter der konjunkturellen Schwäche des Sektors. Im Ranking bedeutete dies einen Abstieg von Platz 8 auf 11.

Aufgrund der föderalen Struktur und der damit einhergehenden lokalen Verteilung der Standorte wird Deutschland vermutlich nie ein europäisches Städteranking anführen. Dieser Aspekt ist jedoch auch eines der größten Assets des Marktes, denn er schafft Stabilität und zyklische Unabhängigkeit. Nicht zuletzt aus diesem Grund bleibt Deutschland trotz Wermutstropfen in Sachen Konjunktur auch in 2020 und darüber hinaus ein attraktiver Zielmarkt für Immobilieninvestments.

Blickt man nun ein wenig genauer in einzelne Teilmärkte, so erfuhr ein Trend aus den vergangenen Jahren auch 2019 eine Bestätigung: Die Immobilienwirtschaft wird zunehmend heterogener. Alternative Assetklassen wie Flexible Office, Co- und Senior-Living, Student Housing oder Med-Tech drängen in den Vordergrund und erfreuen sich bei Investoren zunehmender Beliebtheit. Vor allem am Trendthema Co-Working schien es 2019 kein Vorbei zu geben. Aber welchen Einfluss haben Anbieter wie Wework tatsächlich auf den Büromarkt, vor allem vor dem Hintergrund der nun doch noch einmal (vorerst?) gedämpften Expansionsgelüste der New Yorker Newcomer?

Ein Trend dürfte Bestand haben: Wework hat Mietern vorgeführt, was sie tatsächlich fordern können, vor allem in Sachen Service und Flexibilität. Dieser Standard dürfte sich so schnell nicht verflüchtigen. Die Zeiten, in denen Verträge über Dekaden geschlossen wurden und Vermieter sich anschließend entspannt zurücklehnen konnten, sind vorbei. Mit der Nachfrage nach Flexibilität haben auch die Ansprüche zugenommen, die Bestandshalter zunehmend in die Pflicht nehmen. Eine Adaption ist in dieser Hinsicht unumgänglich. Es gilt, mehr mit den Mietern zu sprechen. Ob das Modell letztlich auch im Abschwung noch trägt, wenn vor allem langfristige Verpflichtungen gefragt sind, wird sich noch zeigen müssen. Schließlich wird in einer wirtschaftlichen Rezession zunächst die Schere an flexible Aufwände gelegt und an Premium-Services, auf die sich leichter verzichten lässt. Wer also auf Nummer sicher gehen will, hält seine Exposition im Teilmarkt Co-Working gering, ganz zu schweigen von Single-Tenant-Vermietungen an Co-Working-Anbieter.

Abseits vom Trendthema Co-Working nimmt natürlich das klassische Bürosegment einen deutlich wichtigeren, weil größeren Teil des Office-Marktes ein - zumindest so lange, wie noch Büroflächen in großer Zahl benötigt werden - Stichwort "Künstliche Intelligenz". Solange wir aber noch zum Arbeiten ins Büro gehen, besteht, eine hervorragende Infrastrukturanbindung immer vorausgesetzt, im Office-Markt auch zukünftig noch Luft nach oben, vor allem in CBD-nahen Lagen. Apropos Infrastrukturanbindung: Diese spielt auch für den Logistiksektor eine entscheidende Rolle. Hier gibt es weiterhin attraktive Objekte, gerade in unmittelbarer Nähe zu bedeutenden Ballungszentren oder an wichtigen Verkehrsschnittstellen. Doch wird der Markt auch hier enger und es wird zunehmen schwieriger werden, ausreichend große Flächen zu bezahlbaren Preisen in urbanen Lagen zu finden. Stadtnahe Lagen sind gefragt wie nie, vor allem Urban-Consumer-Logistics bleiben attraktiv und schlagen die Brücke zum Retail-Sektor.

Droht Retail ein langer Winter?

Dieser war in den letzten Monaten häufig Objekt intensiver Spekulationen. Hat der Einzelhandel noch Zukunft, oder müssen wir uns auf einen langen Winter einstellen? Aktuell ist die Anzahl der Transaktionen begrenzt und die Renditen verharren insgesamt auf niedrigem Niveau. Wir sind aber davon überzeugt, dass diese derzeitige Zurückhaltung auch wieder enden wird. Liquidität ist vorhanden, die ihr Anlagevehikel sucht. Vom Retail-Abschwung der vergangenen Jahre weitestgehend ausgenommen waren High-Street-Lagen und einzelne Gastronomieobjekte. Hier ließen sich noch Renditen erzielen. Künftig aber werden auch andere Retail-Formate wieder attraktiver. Ein breiter Einstieg in 2020 erscheint noch als allzu optimistisch, aber möglicherweise könnte es ab 2021 wieder so weit sein.

Neben den markt- und objektbezogenen Betrachtungen gilt der Blick zunehmend auch der Finanzierung von Objekten und Projekten. Kreditnehmer suchen nach alternativen Finanzierungsformen, die mehr Flexibilität erlauben als klassische Kreditlösungen, und der Markt reagiert und bringt neben schon bisher bekannten Finanzierungsvehikeln wie Mezzanine unter anderem auch Whole-Loan-Lösungen an den Start, die sich reger Nachfrage erfreuen. Unterm Strich bleibt festzuhalten, dass sich der Markt zwar sicher verändern wird und möglicherweise auch die Boom-Zeiten dem Ende entgegengehen, aber kein Grund zur Sorge besteht. Das Umfeld ist robust genug, um die notwendigen Anpassungen vorzunehmen - das haben die Veränderungen der letzten Jahre bereits gezeigt. Renditeerwartungen müssen sich immer wieder am Markt beweisen, doch für grundlegende Umwälzungen existieren derzeit keine Anzeichen.

DER AUTOR PHILIP LA PIERRE Head of Continental Europe, LaSalle Investment Management, München
Philip La Pierre , Head of Continental Europe, LaSalle Investment Management, München
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