Positionen zur Stadtentwicklung von Politik und Immobilienwirtschaft

Angsträume und Gefahrenorte - mehr Sicherheit durch Stadtplanung

Emden - Müllentsorgung vorher Foto: Anke Schröder

Die Autorin berichtet von einem Forschungsprojekt mit dem Namen transit, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms "Forschung für die zivile Sicherheit" im Themenfeld "Urbane Sicherheit" von Juni 2013 bis November 2016 gefördert wurde. Das Landeskriminalamt Niedersachsen und das Deutsche Institut für Urbanistik haben das Vorhaben gemeinsam mit dem Forschungspartner F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH bearbeitet. Ziel des fachübergreifenden Forschungsteams war es laut Verfasserin, transdisziplinäre Sicherheitsstrategien für Polizei, Wohnungsunternehmen und Kommunen zu erarbeiten und sie so aufzubereiten, dass sie sich in die Alltagsorganisation und in das Alltagshandeln der einzelnen Beteiligten einbetten lassen. Die Ergebnisse stellt sie in diesem Beitrag ausführlich vor. Red.

Sicherheit durch Stadtplanung ist eine komplexe Aufgabe und mehr als der Schutz vor Kriminalität; sie umfasst sowohl Themen im Bereich der baulichen (Um-)Gestaltung von urbanen Räumen als auch das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung. In einem Forschungsprojekt mit dem Titel "transdisziplinäre Sicherheitsstrategien für Polizei, Wohnungsunternehmen und Kommunen - kurz transit" wurden in den drei ausgewählten Fallstudienstädten Braunschweig, Emden und Lüneburg kriminalpräventive Ansätze entwickelt, die bereits während des Planungsprozesses mitgedacht werden können. Die kriminalpräventiven Ansätze haben zum Ziel, Tatgelegenheiten durch bauliche und sozialräumliche Maßnahmen zu verhindern, das Sicherheitsempfinden zu stärken und die Rahmenbedingungen für ein sicheres Zusammenleben zu schaffen. Der Fokus liegt dabei auf Fragen, wie Aufenthaltsmöglichkeiten im Wohnumfeld geschaffen und gestaltet, wie sozialverträgliche Nachbarschaften gefördert und wie öffentliche Räume verbessert werden können, um Aufenthaltsqualitäten für unterschiedliche Ansprüche zu schaffen.

Vertrauen auf Unversehrtheit des Eigentums

Wichtige Voraussetzung für die Planung sicherer Räume ist die Kenntnis über die Entstehung von Angsträumen einerseits und über Gefahrenorte andererseits. Im Lebensalltag von Menschen repräsentieren die Wohnung, das Wohnumfeld und das Wohnquartier Orte, an dem das für das Wohlbefinden notwendige Sicherheitsgefühl vermittelt und erlebt wird. In der Regel fühlt man sich sicher, wenn keine persönlichen Bedrohungen zu befürchten sind und wenn das Vertrauen besteht, dass Körper und Eigentum unversehrt bleiben. Mit diesem Wissen also, dass ein Raum erst als Angstraum wahrgenommen wird, wenn sicherheitsrelevante Aspekte fehlen, werden Orte untersucht und analysiert. Zu den Unsicherheit erzeugenden Faktoren gehören unter anderem Unübersichtlichkeit, schlechte Beleuchtung, Fehlen von Ausweichmöglichkeiten oder Ungepflegtheit.

Weiterhin zählen sich verändernde Faktoren wie Tageszeit, Helligkeit/Dunkelheit, Belebtheit, Ausmaß von Verwahrlosung und Verschmutzung dazu. Aber auch antisoziales oder deviantes Verhalten wie schreien oder pöbeln, Alkoholoder Drogenkonsum kann Unsicherheit erzeugen. In welchem Maße diese Aspekte Unsicherheiten erzeugen können, ist von der eigenen Vulnerabilität (Verletzlichkeit) abhängig, die sich aus Alter, Geschlecht, Mobilität und Viktimisierungserfahrungen zusammensetzt.

Bezug zum Raum muss gegeben sein

Im Gegensatz zu den subjektiven Angsträumen werden objektive Gefahrenorte analysiert. Dabei handelt es sich um Orte, an denen tatsächlich Kriminalität stattfindet. Betrachtet werden solche Delikte und Ordnungsstörungen, die in Bezug zum Raum stehen und damit negative Auswirkungen auf das nachbarschaftliche Miteinander haben können. Zu dieser sogenannten raumbezogenen Kriminalität gehören Delikte und Straftaten aus der polizeilichen Kriminalstatistik aber auch Ordnungsstörungen, die nur aus den Arbeitsdateien der Polizei generiert werden können. Für die Darstellung der Gefahrenorte in den Fallstudienstädten Braunschweig-Weststadt, Emden-Barenburg und Lüneburg-Mittelfeld wurden vom Landeskriminalamt Niedersachsen kleinräumige Kriminalitätsanalysen angefertigt.

Eine differenzierte Bewertung der Daten war dabei unabdingbar, denn nicht jedes Ereignis hat die gleichen Auswirkungen auf das nachbarschaftliche Miteinander und damit auf das Sicherheitsempfinden der Wohnbevölkerung. Beispielsweise können Vermögens- und Fälschungsdelikte, Fahrzeugkontrollen oder auch Führerscheinüberprüfungen vernachlässigt werden, wohingegen Straßenkriminalität und Wohnungseinbruchdiebstahl Delikte sind, die die Menschen sehr stark verunsichern.

Eine bedeutende Rolle sowohl für die objektive wie für die subjektive Sicherheit spielen dabei der Wohnungseinbruch und die entsprechenden Vorbeugungsmaßnahmen. Die Folgen eines Wohnungseinbruchdiebstahls hingegen sind für die Betroffenen besonders schwerwiegend. Nicht nur, was die materiellen Verluste oder die Behebung der Einbruchschäden angeht, sondern die psychischen Folgen für die Opfer sind immens. Das Gefühl, dass jemand in den privaten Rückzugsraum eingedrungen ist, hinterlässt häufig und für lange Zeit schwerwiegende Ängste. Nicht selten wechseln Menschen ihre Wohnung nur aus diesem Grund nach solch einem Ereignis. Aufgrund der Tatsache, dass die Anzahl der Wohnungseinbrüche in den letzten Jahren gestiegen ist, empfehlen Polizei und Architektenkammern gleichermaßen, Türen und Fenster gegen Einbruch zu sichern. Dieser Schutz des Gebäudes durch technische Absicherung beispielsweise der Fenster und Türen wird in der Kriminalprävention im Städtebau als "target hardening - "eine Robustheit der physischen Barrieren potenzieller Ziele" bezeichnet. 1)

Technische Sicherung ist bedeutend

Auch im Forschungsprojekt transit wurde der Aspekt der technischen Sicherung von den Akteuren vor Ort als bedeutend wahrgenommen. Durch den dort angelegten ganzheitlichen kriminalpräventiven Ansatz konnte belegt werden, dass die technische Sicherung des Gebäudes allein nicht ausreicht, um einen wirksamen Schutz zur Unterstützung des Sicherheitsempfindens der Bewohnerinnen und Bewohner zu erreichen. Bei der Betrachtung von Sicherheit als "Impuls für mehr Lebensqualität" 2) wurden daher weiterer Schutzdimensionen einbezogen, die sich auf Aspekte der städtebaulichen und architektonischen Gestaltung, des Managements und den Aspekt der Nutzungsverantwortung richtet. Dabei handelt es sich zum Beispiel um die Förderung von funktionierenden Nachbarschaften, die Gestaltung und Sauberkeit von Innen- und Außenanlagen oder die Einbindung und Erreichbarkeit von Versorgungseinrichtungen und Nahverkehrsmitteln. Auch die Beteiligung und Aktivierung der Bewohnerschaft sowie die Unterstützung zur Verantwortungsübernahme im Wohnumfeld sind sicherheitsfördernde Aspekte. In Anbetracht der Implementierung dieser drei Schutzdimensionen in das tägliche Handeln, wurden die Akteure aus Polizei, Wohnungsunternehmen und Kommunen aus den drei Fallstudienstädten Braunschweig, Emden und Lüneburg in die Bearbeitung des Projektes einbezogen.

In Form von Beteiligungsworkshops wurden die Bedarfe vor Ort erhoben und die einzelnen Schutzdimensionen diskutiert. Darüber hinaus wurden die bestehenden Kooperations- und Netzwerkstrukturen aufgearbeitet, um sicherheitsrelevante Aspekte zukünftig strukturell und lokal abgestimmt verankern zu können. Ein weiterer wesentlicher Schritt bestand darin, den Beteiligten vor Ort ihrer Wirkung auf die lokale Sicherheitslage bewusst zu machen und festzulegen, wie das eigene fachliche Handeln dazu beitragen kann, Wohnumfeld und Nachbarschaft sicherer und lebenswerter zu gestalten. Es zeigte sich, dass lokale Sicherheitsarbeit insbesondere dann nachhaltige Effekte erzielen kann, wenn Sicherheitsthemen nicht nur als solche begriffen werden, sondern vielmehr in kriminalpräventiven, gestalterischen und sozialen Strategien verknüpfen werden. Dieser Ansatz erfordert jedoch eine Zusammenarbeit von Akteuren über Fachgrenzen und Institutionen hinweg (Verbundprojekt transit 2016).

Befragung der Bewohner durchgeführt

Um die Schutzdimension städtebauliche und architektonische Gestaltung bewerten zu können, wurde zur Identifizierung sicherheitsrelevanter Gestaltungsdefizite eine Befragung der Bewohner in den Untersuchungsgebieten der Fallstudienstädte durchgeführt. Aus der Befragung ging hervor, dass das raumbezogene Sicherheitsgefühl insgesamt überdurchschnittlich gut ist, sich die Befragten jedoch sicherer fühlen, je vertrauter ihnen die Umgebung ist und je besser das Wohnumfeld gestaltet ist. Gefragt nach den Vermeidungsstrategien bei Unsicherheit, wurde sowohl der Wechsel der Straßenseite bei bedrohlich erscheinenden Personen benannt als auch die Vermeidung bestimmter Straßen, Wege oder Plätze. Im Verlauf der Befragung wurde nach konkreten Orten gefragt, die Unsicherheit erzeugen würden. Rund jede dritte Person, mehrheitlich Frauen, benannten konkrete Straßen, Wege oder Plätze, an denen sie sich unsicher fühlen würden und auch die Gründe dafür. Auf einer Skala von 16 Möglichkeiten gaben die Befragten überwiegend an, dass es dort dunkel und unübersichtlich sei, oder dass es zahlreiche Versteckmöglichkeiten gäbe. Auch die soziale Komponente spielte eine Rolle, wie beispielsweise Personen, die sich an dem Ort aufhalten würden.3)

Auf dieser Grundlage wurde eine Route durch das Quartier entlang der genannten Angsträume festgelegt und eine Begehung unternommen. Ausgestattet mit einer Kriterienliste mit sicherheitsrelevanten Aspekten wurden die Akteure gebeten, den Raum anhand von Leitfragen zu beurteilen. Die Kriterienliste umfasste acht Aspekte mit entsprechenden sicherheitsrelevanten Fragestellungen.

1. Aktueller Eindruck des Gebietes: Machen die Freiflächen im Wohnumfeld einen sauberen (gepflegten) Eindruck und sind frei von Graffiti, Schäden und Vandalismus?

2. Räumliche An- und Zuordnung: Sind Aufenthaltsqualitäten für alle Nutzungsgruppen vorhanden und in Art und Gestaltung auf die Bedürfnisse ausgerichtet (Farbgebung, Materialien, et cetera)?

3. Lesbarkeit und Orientierung: Sind Straßennamen/Adressen leicht auffindbar, sind Hausnummern erkennbar und in der Dunkelheit beleuchtet?

4. Verkehrsanbindung und Wegeführung: Sind durchgehende und eindeutig erkennbare Fuß- und Radwege vorhanden und sicher vom Autoverkehr abgetrennt?

5. Überschaubarkeit und Sichtbarkeit: Sind die Wege zwischen den Gebäuden übersichtlich, gut einsehbar, gut erkennbar und frei von unübersichtlichen Nischen und wucherndem Gebüsch?

6. Beleuchtung: Wird die Beleuchtung von Bäumen und Büschen eingeschränkt?

7. Zugänglichkeit und Zugangsbedingungen: Sind Ausweich- beziehungsweise Fluchtmöglichkeiten auf den Wegen und Plätzen vorhanden?

8. Sichere Abstellmöglichkeiten: Steht eine ausreichende Anzahl von Fahrradabstellplätzen in unmittelbarer Nähe zur Wohnung und zu öffentlichen Einrichtungen mit Rahmensicherung zur Verfügung?

Mit dem Fokus auf den von den Bewohnern benannten sicherheitsrelevanten Aspekten haben die Akteure einen Ort unter bislang eher unübliche Aspekten analysiert und Missstände identifiziert.

Die Analyse eines konkreten Ortes fand erstmals unter Aspekten des Gebrauchs- und Nutzwertes und nicht ausschließlich unter funktionalen Anforderungen wie Grundstücksbegrenzungen oder verkehrsbezogene Anforderungen statt.

Im gemeinsamen Gespräch konnten Zuständigkeiten insbesondere in Übergangszonen direkt vor Ort besprochen und aufgeteilt werden. Daraus folgte eine eindeutige Zuordnung von zu erledigenden Aufgabenstellungen, die von den Akteuren als wirkungsvoll, effektiv und ressourcensparend bezeichnet wurden.

Mehr Zusammenarbeit zwischen den Akteuren

Um die Erkenntnisse und den Mehrwert der transdisziplinären Zusammenarbeit zukünftig nutzen zu können, beschlossen die Akteure, eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit im Rahmen der Berücksichtigung sicherheitsrelevanter Aspekte in Wohnumfeld und Nachbarschaft zur vorbeugenden Kriminalitätsverhütung zu unterzeichnen, die es ihnen ermöglichen soll, eine kontinuierliche und verlässliche Kooperation anzustreben, die auch bei Personalwechsel oder neuerer politischer Ausrichtung von Bestand ist.

Fußnoten

1) Schubert, Herbert (2016): Kurzexpertise: Sicherheitsperspektiven für die Unterbringung geflüchteter Menschen in Gemeinschaftsunterkünften, http://www.defus.org/nano.cms/grundsaetze, letzter Zugriff am 29.11.2016

2) Sicherheitspartnerschaft im Städtebau in Niedersachsen (SIPA) (2016): Die Sicherheitspartnerschaft, Impulse für mehr Lebensqualität, www.sipa-staedtebau.de, letzter Zugriff am 11.12.2016

3) Verbundpartner transit, Landeskriminalamt Niedersachsen (2015): Sicherheit im Wohnumfeld - Auswertung der Befragung zum Sicherheitsempfinden im Wohnumfeld, Hannover. http://www.transit-online.info/fileadmin/transit/Materialien/Befragungen/Auswertung_der_Befragung_zum_Sicherheitsempfinden

Die Autorin Dr. Anke Schröder Wissenschaftliche Projektleiterin, Landeskriminalamt Niedersachsen, Hannover

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