BEZAHLBARER WOHNRAUM IN DEUTSCHLAND

BAULAND-OFFENSIVE HESSEN: WIRKUNGSVOLLES INSTRUMENT FÜR NEUEN WOHNRAUM

Monika Fontaine-Kretschmer, Foto: Walter Vorjohann

Die Immobilienwirtschaft fordert im Zusammenhang mit der Schaffung neuen Wohnraums die Politik permanent auf, endlich mehr Bauland auszuweisen. Das ist aber gar nicht so einfach, da in den Kommunen häufig die Expertise fehlt, auch schwierigere Lagen zu erschließen. Das Land Hessen hat mit der Bauland-Offensive, an der auch die Nassauische Heimstätte beteiligt ist, eine Lösung gefunden, die Kommunen hierbei tatkräftig zu unterstützen. Die Autoren sprechen allein auf Basis der bisher in gut einem Jahr durchgeführten Machbarkeitsstudien von einem Potenzial von 13 300 neuen Wohnungen, ohne das man dabei privaten Projektentwicklern in die Quere kommt. Der Erfolg scheint sich rum gesprochen zu haben, denn mittlerweile gibt es auch Anfragen aus anderen Bundesländern nach dem Konzept. Red.

"Fehlendes Bauland ist der Flaschenhals für mehr Wohnungsbau". Wohnungsbauministerin Priska Hinz brachte es bereits bei der Gründung der Bauland-Offensive Hessen GmbH (BOH) im März 2017 auf den Punkt: Um den Mangel an bezahlbaren Wohnungen wirkungsvoll bekämpfen zu können, bedarf es neben finanziellen Mitteln vor allem Bauland und baureife Grundstücke. Mit der BOH haben das Land Hessen und die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte/ Wohnstadt ein wirkungsvolles Instrument geschaffen, das die Kommunen bei der raschen Entwicklung von Bauland unterstützt.

286 Hektar Flächen geprüft

Anderthalb Jahre nach der Gründung fällt das Fazit sehr zufriedenstellend aus: Bislang gab es 72 Anfragen für Machbarkeitsstudien aus hessischen Kommunen. 15 davon sind in Prüfung, 13 in Bearbeitung und 13 wurden bereits fertiggestellt. Das Land stellt insgesamt Mittel in Höhe von 1,3 Millionen Euro im Rahmen der Untersuchungen zur Verfügung.

Insgesamt wurden und werden 286 Hektar Land geprüft, davon sind 183 Hektar Nettobauland, 98,5 Hektar haben Wohnflächen-Potenzial. Insgesamt ergebe sich durch die BOH ein Potenzial für rund 13 300 neue Wohnungen, stellt Gregor Voss, Leiter Fachbereich Stadtentwicklung Süd der ProjektStadt und verantwortlich für die Bauland-Offensive, fest.

BOH leistet professionelle Unterstützung

Für die Kommunen ist die Bauland-Offensive Hessen GmbH eine professionelle Unterstützung, die das Land mit der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte/ Wohnstadt, anbietet. Denn: Die landeseigene Gesellschaft soll die Kommunen vor allem bei der Mobilisierung von Flächen für bezahlbaren Wohnraum unterstützen.

Insbesondere geht es um die Untersuchung der Entwicklungspotenziale von Flächen in Städten und Gemeinden, die bisher mindergenutzt oder sogar brachgefallen waren. Für diese Areale gilt es im ersten Schritt, wirtschaftlich tragfähige Strategien aufzuzeigen. Die Entwicklung und spätere Vermarktung der baureifen Grundstücke an potenzielle Investoren - im Auftrag der Kommune - gehört ebenfalls zum breit gefächerten Aufgabenspektrum der Bauland-Offensive Hessen, dies ist aber kein Automatismus, sondern ist an ein enges Reglement geknüpft.

Der Großteil der Anfragen für Machbarkeitsstudien kommt derzeit aus Südhessen. Deutlich geringer sei die Zahl der Anfragen aus Mittel- und Nordhessen. Die Verteilung deckt sich sehr gut mit den Kommunen, für die das Institut für Wohnen und Umwelt in Darmstadt ein Wohnungsdefizit ausgewiesen hat. 135 von 426 hessischen Kommunen, das sind 32 Prozent, hatten - laut der Erhebung aus dem Jahr 2017 - ein solches Defizit.

Die mittlerweile eingegangenen 72 Anfragen entsprechen damit etwa der Hälfte der Kommunen mit Wohnungsdefiziten. Das zeigt, dass das Angebot dort ankommt, wo es gebraucht wird. Die Flächen sind zwischen 0,5 und 28 Hektar groß. Natürlich mussten auch Anfragen abgelehnt werden. Einer der häufigsten Gründe sei eine zu geringe Größe der infrage kommenden Flächen.

Entwicklungsprozesse beschleunigen

Aus seiner bisherigen Erfahrung heraus resümiert Gregor Voss, dass es in nahezu jeder Kommune potenzielle Flächen für Bauland-Entwicklung gäbe. Das könne in einigen Fällen Ackerland oder Bauerwartungsland sein, aber auch Brachflächen mit vorheriger industrieller Nutzung, Konversionsflächen sowie Abrundungsflächen am Stadt- oder Ortsrand. Aus verschiedenen Gründen komme der Entwicklungsprozess dort aber nicht in Gang oder sei ins Stocken geraten.

Die Gründe sind vielfältig: mangelnde Ressourcen, fehlende Kenntnis über geeignete Verfahren in der Verwaltung, Zögern bei politischen Entscheidungsträgern oder fehlendes Engagement der Eigentümer oder des Marktes. Genau an diesem Punkt setzt die Bauland-Offensive laut Voss an. Sie will die Konflikte lösen, bezahlbaren Wohnraum schaffen, Flächenpotenziale - vor allem für die Innenentwicklung - mobilisieren, attraktiven Städtebau unterstützen, die Flächenentwicklung beschleunigen und Hemmnisse beseitigen.

Konkret erhalten die Kommunen Unterstützung, etwa bei der Auswahl von Flächen und Verfahren, bei deren Entwicklung, der Schaffung von Baurecht, der Abwägung fachlicher und politischer Aspekte sowie bei Vermarktung und Beteiligung der Betroffenen. Die Bauland-Offensive unterstützt auch dann, wenn Kommunen die Finanzierung nicht im Haushalt abbilden können. Sie kann sich für eine treuhänderische Zusammenarbeit mit der BOH entscheiden.

Für die Verantwortlichen ist wichtig: Kommunen können mit der Bauland-Offensive zusammenarbeiten, müssen es aber nicht. Das Gesamtkonzept der BOH muss überzeugen. Konkurrenz für Entwickler aus der Privatwirtschaft ist nicht zu befürchten, da die BOH ausschließlich zusätzliche Flächen mobilisiert, die aufgrund unterschiedlichster Hemmnisse bisher nicht im Fokus privater Akteure standen. Ziel sei eben auch Flächen und Markt zusammenzubringen, wo das bisher nicht erfolgt ist.

Zwei Projekte in Heusenstamm

Beispiel 1: Heusenstamm im Landkreis Offenbach. Für zwei Flächen beantragte die Kommune Studien beim Land: das ehemalige Brückenbauhofgelände und das frühere Fernmeldezeugamt. Beide Flächen sind in privater Hand, liegen seit Jahren brach und waren laut Flächennutzungsplan nicht für Wohnzwecke vorgesehen.

Demgegenüber steht die Entwicklung Heusenstamms, das mit seinen derzeit knapp 19 000 Einwohnern seit Jahren einen konstanten Bevölkerungszuwachs verspürt, aber ein Wohnungsdefizit von mehr als 330 Einheiten verzeichnet. Nachdem die städtischen Gremien bereits entsprechende Beschlüsse gefasst hatten, auf beiden Flächen bezahlbaren Wohnraum zu entwickeln, kam es 2017 auf der Expo Real in München zum ersten Kontakt mit der Bauland-Offensive.

Heusenstamms Bürgermeister Halil Öztas weiß von Problemen auf beiden Flächen, die es im Laufe des Verfahrens zu lösen gilt. Zum einen waren jeweils mindestens zwei Eigentümer beteiligt, außerdem ist laut Flächennutzungsplan auf beiden Arealen nur Gewerbe zugelassen. Ergo müssen Zielabweichungsverfahren durchgeführt werden. Ebenso gilt es, unterschiedliche Belange zu berücksichtigen und Wirtschaftlichkeitsanalysen für das Projekt zu erarbeiten. Dank der Bauland-Offensive liegt jetzt eine Machbarkeitsstudie vor, die Wohnbebauung, Grünflächen und einen Quartiersplatz verbindet. Neben bezahlbaren und frei finanzierten Wohnungen ist auch Raum für Senioren und/oder Studenten vorgesehen.

Im ehemaligen Fernmeldezeugamt sind die Eigentumsverhältnisse noch schwieriger. Hinzu kommt, dass auf dem Gelände neben Gewerbebetrieben auch der städtische Hort untergebracht ist, der ausgebaut werden soll. Mit der BOH ist es auch hier gelungen, erste Ansätze für eine Entwicklung des Areals zu finden, die alle Interessen vereinen.

Konversion in Kassel: Alt und Neu kombinieren

Beispiel 2: Kassel, drittgrößte Stadt in Hessen, erfreut sich seit Jahren großer Beliebtheit. Die Folge: Immer mehr Menschen ziehen dorthin. Umso wichtiger ist es, ausreichend bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Dafür entwickelt die Stadt selbst Flächen für künftige Wohnbebauungen, wie Stadtbaurat Christof Nolda betont. Die Unterstützung durch die Bauland-Offensive bietet aus seiner Sicht dennoch Vorteile: So habe eine originär kommunale Verwaltung nicht das Know-how in Sachen Entwicklung, das sich bei den Experten der Bauland-Offensive in konzentrierter Form findet. Zum anderen biete sich über die BOH und der damit verbundenen treuhänderischen Verwaltung des Projekts die Möglichkeit, größere innerstädtische Areale zu entwickeln, ohne den Haushalt über die Maßen zu belasten.

Konkret geht es um das 4,9 Hektar große Areal der ehemaligen Jägerkaserne im Stadtteil Wehlheiden im Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA). Teile davon stehen unter Denkmalschutz. Seit den siebziger Jahren hat sich hier eine gemischte Nutzung aus Dienstleistung, Wohnen, Gewerbe und Landesverwaltung etabliert. Ziel ist es, Alt und Neu zu kombinieren.

Im denkmalgeschützten Altbestand sollen moderne Wohnungen entstehen, auf den rund zwei Hektar großen Exerzierflächen neuer Wohnraum in Form von Geschosswohnungen. Mindestens 40 Prozent davon sollen gefördert sein. Bestandsschutz, Altlasten, Grünflächen, der Ankauf von der BimA - es gibt allerdings zahlreiche Aspekte, die zu berücksichtigen sind. Mithilfe der BOH können in attraktiver, innenstadtnaher und gut erschlossener Lage am Park Schönfeld noch mehr dringend benötigte Flächen für bezahlbaren Wohnraum entwickelt werden.

Starke Nachfrage

Beispiel 3: Auch die Kreisstadt Hofheim am Taunus wird nach den vorliegenden Prognosen noch auf Jahre hinaus eine positive Entwicklung bei den Einwohnerzahlen und eine starke Nachfrage nach zusätzlichen Wohnungen und Wohnbauland aufweisen. Der Hofheimer Magistrat hat daher die Bauland-Offensive Hessen mit der Erstellung einer Machbarkeitsstudie für die 28 Hektar große Siedlungserweiterungsfläche "Marxheim II" beauftragt.

Sie soll aufzeigen, ob die Entwicklung preisgünstigen Wohnraums - insbesondere im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit - realisierbar ist. Darüber hinaus diene sie als Grundlage für weitere Schritte bei der Entwicklung des Gebiets, so Wolfgang Exner, Erster Stadtrat und Baudezernent der Kreisstadt Hofheim am Taunus. Die Machbarkeitsstudie ist ein wichtiger Baustein in der Vorbereitung der Gebietsentwicklung. Mit der jetzt begonnenen Rahmenplanung können die dort genannten Aspekte aufgegriffen und vertiefend bearbeitet werden.

Neuland: Entwicklung von Waldflächen

Beispiel 4: Nicht weit von der Landeshauptstadt Wiesbaden, im Stadtgebiet Taunusstein, soll Baurecht für Quartiere und Wohnbauflächen für bezahlbaren Wohnraum geschaffen werden. Vor der Erarbeitung eines städtebaulichen Rahmenplans soll zu diesem Zweck eine etwa 20 Hektar große Waldfläche im Süden des Ortsteiles Hahn auf ihre Entwicklungspotenziale hin untersucht und in einer Studie die Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit des Gebiets dargestellt werden.

Bürgermeister Sando Zehner erwartetet sich in der städtebaulichen Konzeptionierung einen ersten inhaltlichen Impuls, da die Stadt mit der geplanten Entwicklung von derzeitigen Waldflächen Neuland betritt. Die Zusammenarbeit mit der Bauland-Offensive Hessen sei sehr professionell und zielgerichtet gelaufen. Insbesondere die Erstellung preiswerten Wohnraums mache es notwendig, bereits in den ersten städtebaulichen Verfahrensschritten die wirtschaftlichen Folgekosten genau zu beleuchten. Die notwendigen Grundstückspreise bestimmen oft, ob die Gesamtkosten der Maßnahmen günstiges Wohnen beziehungsweise Vermieten überhaupt erlauben.

Beispiel 5: Viernheim steht vor der Aufgabe, die Nordweststadt II, ein Baugebiet im Nordwesten mit rund 12 Hektar, nachhaltig zu entwickeln - unter Berücksichtigung des differenzierten Bedarfes an Wohnraum und unterschiedlichen Bauformen. Themen hier sind der Schallschutz durch die Nähe zur Autobahn A6/67, der Artenschutz, und kleinteilige Besitzverhältnisse. Daraus resultieren wirtschaftliche Fragen zu Realisierung und Aufwand, ferner die Frage, ob das Areal überhaupt geeignet ist für preisgünstigen Wohnraum.

Bürgermeister Matthias Baaß schätzt in dieser Situation das kostengünstige Angebot einer Machbarkeitsstudie durch die BOH mit zeitnaher Klärung dieser Rahmenbedingungen. Positiv sieht er auch, dass die Vorschläge zur weiteren Vorgehensweise eine Grundlage sind für anstehende Diskussionen in den politischen Gremien und mit den Eigentümern über die qualitative, nachhaltige und sozialgerechte Ausgestaltung des Baugebietes.

Konzeptvergabe als logische Ergänzung

Eine logische Ergänzung der Bauland-Offensive ist der ebenfalls schon 2017 vorgestellte "Leitfaden zur Vergabe von Grundstücken nach Konzeptqualität", den die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte/Wohnstadt im Auftrag der Landesregierung verfasst hat. Das Prinzip: Kommunen müssen Grundstücke nicht an den Meistbietenden veräußern, sondern die Qualität der Nutzungskonzepte potenzieller Investoren wird hier in den Vordergrund gestellt. Damit können der Wohnungsbau und weitere Ziele der Stadtentwicklung gefördert werden - etwa Infrastruktur, Bildungs- und Sozialwesen oder Ökologie.

Ministerin Hinz ist überzeugt: In Verbindung mit der Bauland-Offensive komme man dem Ziel, Hessen mit ausreichend bezahlbarem Wohnraum zu versorgen, ein Stück näher. Mittlerweile haben sich Erfolge und Expertise der BOH herumgesprochen. Ein weiteres Bundesland hat angefragt, erste Gespräche mit führenden Politikern wurden bereits geführt.

DIE AUTORIN MONIKA FONTAINE-KRETSCHMER Geschäftsführerin, Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte I Wohnstadt, Frankfurt am Main
DER AUTOR JENS DUFFNER Leiter Unternehmenskommunikation, Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte I Wohnstadt, Frankfurt am Main

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