DIGITALISIERUNG

DIGITALE WERTERMITTLUNG: ZWISCHEN WUNSCH UND WIRKLICHKEIT

André Schmöller, Foto: Domicil

Groß sind die Visionen mancher digitaler Vordenker im Bereich der Immobilienwertermittlung. Dank Big Data, Künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens könnte ihnen zufolge schon bald ein vollautomatisierter Bewertungsprozess von Liegenschaften erreicht werden. Doch der nüchterne Blick auf die Realität macht deutlich, wie schwer sich dieses Unterfangen zumindest in Deutschland gestaltet. Eine vergleichsweise hohe Intransparenz, fehlender Datenaustausch, strenge rechtliche Vorgaben sowie die kaum vorhandene Standardisierung im Bauwesen sind hier als wesentliche Hürden zu nennen. Ohnehin sollte nach Ansicht des Autors bei allem berechtigten Fokus auf technologische Innovationen nie die menschliche Komponente im Rahmen der Immobilienbewertung außer Acht gelassen werden, denn diese könne letztlich nicht ersetzt werden. Red.

Ein Mehrfamilienhaus im Münchener Stadtteil Sendling ist auf dem Markt und zieht das Interesse zahlreicher professioneller Investoren an. Die Lage ist gut, eine U-Bahn-Station und eine Hauptstraße mit Einkaufsmöglichkeiten für die Mieter fußläufig erreichbar. Es haben sich zwei konkrete Kaufinteressenten für die Immobilie herauskristallisiert - jetzt geht es um Schnelligkeit.

Der eine potenzielle Investor beginnt mühsam die nötigen Daten zusammenzutragen, die Due-Diligence-Prüfung wird voraussichtlich zwei Monate dauern, so schätzt er. Letztlich kosten ihn die langen Prozesse die Immobilie. Denn der Wettbewerber schlägt schneller zu: Nach nur zehn Tagen gibt der konkurrierende Investor ein verbindliches Angebot ab. Sein Mitstreiter reibt sich verwundert die Augen: Wie geht das?

Schnelligkeit entscheidet

Die kurze Antwort: Proptechs. Die digitalen Helferlein der Immobilienbranche erfreuen sich auch in Deutschland wachsender Beliebtheit. Sie sollen Ankaufsprozesse verschlanken und die Effizienz der Immobilienwirtschaft steigern, so wie Fintechs dies in der Finanzbranche schon seit einiger Zeit tun. So gaben in einer Studie von Union Investment und German Tech 64,1 Prozent der Befragten an, dass sie sich von Proptechs eine verbesserte Entscheidungsfindung erhoffen. Aber auch eine verbesserte Profitabilität sowie eine schnellere Transaktionsgeschwindigkeit (jeweils 59,2 Prozent) sind zentrale Hoffnungen der Befragten.

Das obige Beispiel aus München-Sendling ist zwar erdacht, aber durchaus realistisch. Denn der schnellere Kaufinteressent hat sich moderner Technologie bedient, um den Wert der Immobilie einschätzen zu können. Big Data, Künstliche Intelligenz, Robotics und Co. verschafften dem Käufer letztlich einen deutlichen Wettbewerbsvorteil, konnte er doch die Phase der Unsicherheit für den Verkäufer während des Transaktionsprozesses durch ein schnelles Verfahren reduzieren.

Proptechs scheitern noch an einigen Hürden

Die Realität sieht allerdings oft noch anders aus: Momentan muss man sich die für Immobilienkäufe nötigen Informationen in der Regel noch aus mehreren Quellen mühsam zusammensuchen. Auch die Due-Diligence-Prüfung ist meistens ein aufwendiger manueller Prozess, der nicht in wenigen Tagen abgeschlossen ist.

Denn Gutachter und Unternehmen können bei Interesse an einer Immobilie momentan meist nur auf ältere Daten zurückgreifen. Diese wurden oft vor einem halben Jahr zusammengestellt, basieren darüber hinaus auf den Zahlen von vor zwei Jahren. Über den aktuellen Wert einer Immobilie sagt das kaum etwas aus, besonders in begehrten Lagen, wo die Kaufpreise schnell steigen.

Wichtige Fragen müssen aber in der Regel zeitnah beantwortet werden. Wie ist die Infrastruktur im Umfeld der Immobilie beschaffen, soll vielleicht eine U-Bahn-Station in der Nähe gebaut werden? Wo entsteht ein neuer Supermarkt? Siedeln sich gerade Künstler und Studenten in einem Viertel an? Das sind alles Informationen, die den Wert einer Immobilie beeinflussen. Je aktueller diese sind, desto genauer lässt sich ein Kaufpreis ermitteln. In der perfekten Welt sind alle wichtigen Informationen per Knopfdruck abrufbar. Das Neue an der digitalen Technologie: Sie bedient sich Algorithmen, die die gesammelten Daten für den Nutzer letztlich auch interpretieren.

Transparenz erhöht Geschwindigkeit und Sicherheit

Diese Algorithmen müssen allerdings mit großen Datenmengen trainiert werden. Im Rahmen dieses Machine Learnings müssen enorme Datenmengen erhoben oder erworben werden. Ein ungeheurer Aufwand für jedes einzelne Unternehmen. Ein breiterer Datenaustausch in der Branche könnte hier Abhilfe schaffen. Es scheint unverständlich, warum Daten wie die lokale Kaufkraft oder geografische Besonderheiten bei jeder Ankaufsprüfung erneut erhoben werden müssen. Das bedeutet einen Ressourcen- und Zeitaufwand, der vermeidbar wäre und durch zentrale Datensammlungen eliminiert werden kann.

Die schnellere Ankaufsprüfung lässt sich in Transaktionsgeschwindigkeit und somit auch Transaktionssicherheit für den Verkäufer ummünzen, die Risikophase kann durch die Digitalisierung drastisch verkürzt werden. Allerdings ist es utopisch, dass dem Käufer alle Informationen vollständig zur Verfügung gestellt werden können. Und jede Information, die dem Käufer nicht vorgelegt werden kann, bedeutet einen potenziellen Risikoaufschlag.

Das fängt bei den Unterlagen der letzten Aufzugwartung an und endet bei Bauplänen oder Aufzeichnungen zur Verkabelung. Gerade bei älteren Gebäuden kommt das immer wieder vor. Dennoch kann die Digitalisierung in Zukunft Abhilfe schaffen. Einen Anfang machen Tools zur juristischen Prüfung von Mietverträgen oder zur Prüfung der technischen Due Diligence.

Wachsende Offenheit beim Datenaustausch

Langfristig wird kein Weg daran vorbeiführen, alle Daten digital, etwa in einer Blockchain, abzubilden und an die Immobilie zu binden. Das bedeutet, dass im Transaktionsprozess alle Dokumente - vom Mietvertrag bis hin zu den Unterlagen der letzten Brandschau oder der Handwerkerrechnung zur Schimmelbeseitigung im Keller - zur Ankaufsprüfung an den Interessenten übergeben werden können und von diesem mit entsprechenden Tools geprüft und in die Bewertung miteinbezogen werden.

Der Abbau von Intransparenz in der Branche ist somit Voraussetzung und Ziel der digitalen Bewertung. Immerhin lässt sich eine wachsende Offenheit gegenüber dem Datenaustausch beobachten. Über die zukünftige Bedeutung digitaler Mietverträge und den Nutzen von Blockchain existieren kaum zwei Meinungen.

Menschliche Komponente kann nicht ersetzt werden

Die Hürden für durch Digitalisierung verschlankte Prozesse sind dennoch hoch. Gutachter und Banken haben feste rechtliche Vorgaben, an die sie sich halten müssen. Geldhäuser müssen sich etwa an Regeln für den Bewertungs- oder Beleihungshöchstwert halten. Vereidigte Gutachter können nicht einfach neue, ungeprüfte Systeme nutzen, selbst wenn diese ein realistischeres Bild bezüglich der Marktwerte zeichnen sollten.

Aber auch wenn die rechtlichen Hindernisse aus dem Weg geräumt würden, wäre eine komplette Digitalisierung des Bewertungsverfahrens von Immobilien höchst unwahrscheinlich. Denn die menschliche Komponente kann nicht vollständig automatisiert werden. Es gibt immer Gründe, warum ein Gebäude gekauft oder nicht gekauft wird.

Diese tauchen oft gar nicht in einem Datensatz auf. Ein Einfamilienhaus etwa kann einst der Oma gehört haben. Die Enkel sind entsprechend bereit, einen höheren Preis zu bezahlen. Wie soll ein Computer den Nostalgiewert verstehen und einordnen können? Was ist, wenn ein Kaufinteressent eine Immobilie wunderschön findet und bereit ist, jeden Preis zu zahlen? Das offenbart sich letztlich erst in einem Gespräch und durch Menschenkenntnis.

Deutscher Immobilienmarkt für Algorithmen schwer greifbar

Speziell der deutsche Immobilienmarkt ist für Algorithmen kaum zu greifen, da die Gebäudearten sehr unterschiedlich und standardisierte Bauweisen hierzulande deutlich seltener zu finden sind als in anderen Teilen der Welt. Hinzu kommen die Inneneinrichtung und technische Ausstattung einer Immobilie, die bei der Preisfindung eine zentrale Rolle spielen. Auch welche Miete mit einem Bürogebäude erzielt werden kann, ist oft eher eine Frage der Erfahrung als ein nüchterner Blick auf die Zahlen. In der Theorie mag es einen Datensatz geben, der so vollständig ist, dass er all diese Themen abbildet.

In der Wirklichkeit werden Proptechs vor allem die Arbeit der Experten effizienter machen, da die notwendigen Daten schneller und aktueller zur Verfügung stehen. Wo in der Vergangenheit noch sieben bis acht Quellen für die Bewertung zu Rate gezogen werden mussten, können die Bewertungsgrundlagen aggregiert über einzelne Plattformen zur Verfügung gestellt werden.

Daher wird es selbst bei ausgefeilten Technologien auf den Faktor Mensch ankommen. Denn nur ein Immobilienspezialist kann all die unterschiedlichen Parameter und Datenpunkte zusammenführen, diese mit seiner Erfahrung kombinieren - und dann eine treffende Preisindikation ermitteln. Zudem darf nicht vergessen werden, dass der rechtliche Rahmen wie die Beleihungswertverordnung die Beteiligung eines Gutachters an der Wertermittlung vorschreibt. Bei dem Wunsch nach der vollkommenen digitalen Wertermittlung sollten diese juristischen Hürden nicht unterschätzt werden.

DER AUTOR ANDRE SCHMÖLLER, Mitglied des Vorstands, Domicil Real Estate AG, München
Andre Schmöller , Mitglied des Vorstands, Domicil Real Estate AG, München

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