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EUROPÄISCHE IMMOBILIENMÄRKTE: ANLAGEMÖGLICHKEITEN IN "EMERGING MICRO LOCATIONS"

Matthias Naumann Quelle: DWS

Die Luft wird zunehmend dünn mit Blick auf die Ertragsperspektiven vieler etablierter europäischer Immobilienmärkte. Höchste Zeit also für Investoren, sich etwas intensiver den bislang weniger im Rampenlicht stehenden Lagen abseits der ausgetretenen Pfade zu widmen. Der Autor spricht in diesem Zusammenhang von "Emerging Micro Locations", also infrastrukturell gut angebundenen und innenstadtnahen Standorten außerhalb des klassischen Stadtzentrums. Diese Lagen sollten nach Einschätzung des Autors von langfristigen Megatrends wie Urbanisierung und Gentrifizierung in Form weiter steigender Nachfrage und somit überdurchschnittlichem Mietwachstum profitieren, beispielsweise im Bürosegment. Red.

Die europäischen Immobilienmärkte entwickeln sich weiterhin positiv. Trotz wachsender Unsicherheiten in Bezug auf die Weltwirtschaft und anhaltender Sorgen um den Ausgang der Brexit-Verhandlungen bleiben Wirtschaftskennzahlen weitgehend robust. So setzt sich der Beschäftigungsaufbau weiter fort und auch der kurz- bis mittelfristige Ausblick auf das europäische Wirtschaftswachstum bleibt deutlich oberhalb historischer Vergleichswerte. Zudem startet die Europäische Zentralbank nur sehr graduell mit der Straffung der Geldpolitik, beginnend mit einem langsamen Auslaufen der Anleihekäufe zum Jahresende 2018 und ersten Zinsschritten vermutlich nicht vor der zweiten Jahreshälfte 2019.

Damit erscheint der europäische Immobiliensektor kurz- bis mittelfristig nicht überbewertet, bewegt sich allerdings auf historisch hohem Niveau. So liegen nachlaufende Return-Indikatoren deutlich über den langfristigen Durchschnittswerten, auf Fondsebene übertreffen die Immobilienrenditen den historischen Fünf- oder Zehnjahreshorizont mit der Ausnahme von UK in nahezu allen Marktsegmenten und Regionen Europas (siehe Abbildung 1). Grund hierfür ist die anhaltende Renditekompression im Zusammenspiel mit starken Mietmärkten. Dank einer erneuten Beschleunigung der Flächennachfrage bei gleichzeitig begrenzter Projektentwicklungs-Pipeline bleibt der Druck auf die Mietentwicklung momentan europaweit hoch und auch unser Ausblick auf die kommenden fünf Jahre hat sich nochmals verbessert.

Spitzenrenditen nähern sich ihren Tiefständen

Allerdings ist weiterhin von einem verstärkten Wachstum zu Beginn der Betrachtungsperiode auszugehen, welches sich perspektivisch abschwächen dürfte. Hintergrund sind abnehmende Effekte der positiven Beschäftigungsentwicklung auf die Flächennachfrage. Zum anderen ist mit einer Angebotsreaktion, insbesondere im Büromarkt, zu rechnen, die in Summe Leerstandsabbau und Mietwachstum dämpfen. Zudem dürften sich Spitzenrenditen aktuell ihren Tiefständen nähern, entsprechend begrenzt ist unser Ausblick auf die Total-Return-Entwicklung der nächsten fünf Jahre, insbesondere im Vergleich zu den starken Ergebnissen der jüngeren Vergangenheit.

Etablierte Märkte und Marktsegmente wie Büro- und Einzelhandelsobjekte in Kerneuropa dürften tendenziell stärker unter Druck geraten. Damit treten strukturelle Wachstumstreiber und bisherige Marktnischen mit weiterem Potenzial für kurz- bis mittelfristiger Renditekompression verstärkt in den Blickpunkt institutioneller Investoren (siehe Abbildung 2). Die Hauptanlagestrategien der DWS fokussieren daher auf eine Mischung aus Märkten, an denen wir in den kommenden fünf Jahren eine überdurchschnittlich positive Entwicklung erwarten, aktivem Asset Management, um am starken Mietmarkt zu partizipieren und letztlich Marktsegmenten und Lagen, die mittelfristig von strukturellen Treibern profitieren. Dazu zählen unter anderem Megatrends wie Digitalisierung, Urbanisierung oder demografische Effekte.

Zu den Marktsegmenten, die von diesen langfristigen Megatrends, in diesem Fall Urbanisierung und Gentrifizierung profitieren, gehören "Emerging Micro Locations", also infrastrukturell gut angebundene, innenstadtnahe Standorte außerhalb des klassischen Stadtzentrums. Hier erwarten wir weiter steigende Nachfrage und ein daraus resultierendes überdurchschnittliches Mietwachstum, beispielsweise im Bürosegment. Dank vergleichsweise niedriger Ausgangsmieten greifen hier Basiseffekte, aber auch die Konkurrenzsituation zwischen einzelnen Nutzungsarten. So wirken in urbanen Lagen insbesondere die gestiegenen Wohnungsmieten und daraus folgende Umnutzungsmöglichkeiten von Büroobjekten als Miettreiber im Bürosegment.

Attraktive Alternativen abseits des Stadtzentrums

Unterschieden werden muss allerdings zwischen Projektentwicklungen und Bestandsgebäuden. Infolge hoher Grundstücks- und Baukosten sowie den daraus resultierenden hohen Mietniveaus bieten Neubauten selbst in diesen Lagen oft nur begrenzte Potenziale. Demgegenüber heben sich bestehende Objekte, nicht zuletzt aufgrund hoher Wiederherstellungskosten und geringerer Mieten, positiv ab. Hinzu kommen höhere Anfangsrenditen im Vergleich zum Spitzensegment, die eine weitere Annäherung zur Marktspitze erwarten lassen, wenngleich diese nicht vollständig erreicht werden dürfte. Gleichzeitig unterstützen Objekte in diesen Lagen dank ihrer geringeren Anfälligkeit in schwachen Marktphasen eine antizyklische Investitionsstrategie. Diesen Vorteilen können allerdings Illiquiditätsrisiken insbesondere außerhalb wichtiger europäischer Gateway-Cities entgegenstehen, zumindest bis sich diese aufstrebenden Teilmärkte als wichtige Bürolagen und Ergänzung zum Spitzensegment etabliert haben.

Zu den bedeutensten Beispielen für aufstrebende Bürolagen, die sich nachhaltig positiv entwickelt haben, zählen King's Cross in London oder die Rive Gauche in Paris. Während in King's Cross verschiedene Faktoren wie die Anbindung an den Eurostar, die Nähe zur Londoner City und dem West End, aber auch günstige Mietund Preisniveaus förderlich wirkten, begünstigte insbesondere die Knappheit an hochwertigen Büroflächen den Aufstieg der linken Seine-Seite in Paris.

Für London läßt sich diese Entwicklung gut an den Total Returns der letzten zehn Jahre ablesen. Hier fallen die Ergebnisse in innerstädtischen Randlagen höher aus, was an dem geringeren Rückschlagspotenzial der Anfangsrenditen, aber auch robusteren Mietniveaus während der Abschwungsphase 2007 bis 2010 lag. Als weitere Beispiele für die positive Entwicklung aufstrebender Bürolagen sind Amsterdam Zuidas, Barcelona 22@ sowie die Hamburger Hafencity oder Friedrichshain in Berlin zu nennen. Da diese Bürostandorte die Aufwertungs- und Gentrifizierungsprozesse bereits weitgehend durchlaufen haben und ihr Wandel zu einem etablierten Büroteilmarkt bereits weit fortgeschritten ist, bleibt die Frage nach der künftigen Entwicklung neuer europäischer Hotspots. Dank einer anhaltenden Diskrepanz der Mietniveaus zwischen Spitzen- und Nebenlagen von bis zu 50 Prozent sehen wir jedoch auch weiterhin Investitionsmöglichkeiten in ausgewählten Märkten.

Mikro- und Makrofaktoren bestimmen weitere Entwicklung

Grundsätzlich wird die Entwicklung neuer aufstrebender Bürolagen sowohl von Mikrofaktoren als auch von Einflussgrößen auf Makroebene getrieben. Während Mikrofaktoren insbesondere auf Polarisierung und Gentrifizierung innerhalb des Stadtgebiets abzielen, geht es auf Makroebene verstärkt um die Metropolisierung der gesamten Agglomeration, die durch Themen wie Demografie, Ökonomie, Produktivität und Erschwinglichkeit getrieben werden. Demografische Effekte beeinflussen dabei die Bedeutung der Agglomeration, also die Metropolisierung der Makrolage. Eine hohe Bevölkerungszahl bringt Clustereffekte und hohe Landknappheit mit sich, woraus begrenzte Projektentwicklungsmöglichkeiten und häufig eine erhöhte Absorption neuer Flächen resultieren.

Hohes Bevölkerungswachstum sorgt darüber hinaus für weiteren Nachfragedruck, wohingegen ein hoher Anteil arbeitsfähiger Bevölkerung Gentrifizerungseffekte verstärken dürfte, die sich besonders in den "mittleren" Altersgruppen abspielen. Neben Urbanisierungseffekten ist im Wohnsegment zunehmend auch eine Suburbanisierung, das heißt eine verstärkte Zuwanderung in Umlandgemeinden aus der Kernstadt heraus, zu beobachten. Dies betrifft gewerbliche Marktsegmente bisher weniger. Auf ökonomischer Seite ist als wesentlicher Treiber das Wirtschaftswachstum zu nennen, das im Zusammenspiel mit Beschäftigungsaufbau zu erhöhter Flächennachfrage führt. Auf lokaler Ebene bringt ein überdurchschnittlich hohes Wirtschaftswachstum gegenüber dem Landesdurchschnitt verstärkte Polarisierungseffekte mit sich, da dort sich selbst verstärkende Clustereffekte wirken und insbesondere die Binnenmigration an einen Standort beschleunigen.

Ebenfalls auf Makroebene wirken Produktivitätsindikatoren. So gibt die Wirtschaftsleistung je Beschäftigtem in Relation zum Landesdurchschnitt Auskunft über die Produktivität am Standort und letztlich die Wahrscheinlich zur Gentrifizierung der Makrolage. In die gleiche Richtung wirken überdurchschnittlich hohe verfügbare Haushaltseinkommen und der Anteil neuer Technologien, die zu höherer Produktivität beitragen und wiederum hohe Haushaltseinkommen begünstigen. In die entgegengesetzte Richtung wirken demgegenüber Erschwinglichkeitsindikatoren. Hohe Lebenshaltungs- oder Unternehmensführungskosten bewirken die Abwanderung von Einwohnern und Unternehmen an den Stadtrand und befördern dadurch ebenfalls die Gentrifizierung. Messbar sind diese Tendenzen durch den Gini-Koeffizienten, der als Maß für Ungleichheiten gilt und Rückschlüsse auf die Einordnung eines Standorts zulässt.

Diese verschiedenen Themenbereiche und Indikatoren wurden für 62 europäische Metropolregionen mit mehr als einer Millionen Einwohner ausgewertet und zum Standort-Ranking verdichtet. Erkennbar wird die hohe Bedeutung etablierter Ballungsräume wie London oder Paris, aber auch kleinere skandinavische Standorte schneiden infolge der landestypischen Fokussierung auf die jeweilige Hauptstadtregion gut ab. Deutsche Standorte sind ebenfalls in der Spitzengruppe vertreten, liegen aber nicht zuletzt aufgrund ihrer Größe im Vergleich zurück. Mit München auf Platz 7 erreicht die bayerische Landeshauptstadt einen Platz unter den Top-10, gefolgt von Berlin auf Platz 11.

Drei wesentliche Treiber

Was bringt allerdings die Gentrifizierung - den sozioökonomischen Strukturwandel großstädtischer Viertel - und damit die Entwicklung aufstrebender Bürolagen auf Mikroebene voran? Hier lassen sich im Wesentlichen drei Treiber identifizieren. Einerseits ist das urbane Umfeld eine entscheidende Voraussetzung für die Entstehung aufstrebender Bürolagen. So profitieren Standorte in fußläufiger Entfernung vom Stadtzentrum häufig von hoher Verdichtung und Bauqualität. Hier siedeln sich verstärkt neue Anwohner, kleine Geschäfte und Gastronomiebetriebe an, die für eine bunte Nutzungsmischung, sowie eine hohe Aufenthalts- und Lebensqualität sorgen. Die vorherrschende Nutzungsform bleibt allerdings in dieser frühen Entwicklungsphase Wohnen, entsprechend wichtig sind ausreichende Grün- und Freiräume.

Ebenfalls wichtig für das Entstehen aufstrebender Bürolagen sind Erschwinglichkeitsgesichtspunkte. Mietniveaus sollten deutlich unterhalb der Spitzenmieten liegen und den Zuzug junger Nutzergruppen sowie neuer Konzepte und Geschäftsideen ermöglichen. Ein Frühindikator für die Entstehung neuer Bürolagen sind häufig steigende Wohnungsmieten, die beginnende Gentrifizierungsprozesse frühzeitig anzeigen. Notwendige Voraussetzung für diese Entwicklungen ist allerdings eine gut ausgebaute Infrastruktur, insbesondere die Verkehrsinfrastruktur wie ÖPNV und Radwege sind von hoher Bedeutung, wie das Londoner Beispiel belegt. Hier lassen sich deutliche Preissteigerungen in Abhängigkeit von der Entfernung zu U-Bahnstationen belegen. Einen zusätzlichen Schub können in diesem Zusammenhang Revitalisierungs- und Stadtentwicklungsprogramme bieten, wie die Beispiele der Olympischen Spiele in Barcelona (1992) und London (2012) oder das Prestigeprojekt "Grand Paris" zeigen. Doch auch im kleinen Maßstab sind Entwicklungsimpulse wie Bundes- und Landesgartenschauen oder europäische Förderprogramme hilfreich.

Keine vollständige Konvergenz

Letztlich unterliegt die Entwicklung aufstrebender Bürolagen einer Reihe zusätzlicher lokaler und regionaler Faktoren und verläuft zeitlich uneinheitlich und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Trotz dieser Unsicherheiten lassen sich im europäischen Kontext einige aufstrebende Bürolagen identifizieren. Dazu zählen beispielsweise Londoner Stadtteile südlich der Themse sowie im östlichen und westlichen Stadtgebiet, die auch weiterhin von Preisdifferenzen zur Innenstadt und der Erweiterung der Northern Line beziehungsweise der Crossrail profitieren. In Paris verbessern sich aktuell die Mikrolagen um den Gare du Nord und im nördlichen und südlichen Stadtgebiet entlang der geplanten Bahnstrecke "Grand Paris Express".

Außerdem könnte St. Denis von den für 2024 geplanten Olympischen Spielen profitieren. In Deutschland dürften München-Giesing, Berlin-Friedrichshain und Neukölln, das Frankfurter Ostend sowie St. Pauli und Altona in Hamburg auch weiterhin eine positive Entwicklung verzeichnen. Natürlich werden diese Standorte nicht komplett konvergieren, sondern lediglich zu etablierten Spitzenlagen aufschließen und diese im Entwicklungszeitraum outperformen.

DER AUTOR MATTHIAS NAUMANN, Leiter Strategie Europa im Bereich Real Estate, DWS Group, Frankfurt am Main
Matthias Naumann , Chief Investment Officer, Europe, Head of Strategy, Europe, DWS Group, Frankfurt am Main

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