Markt- und Objektbewertung

Long-Term Sustainable Value Network - auf dem Weg zu einem europäischen Beleihungswert

Annett Wünsche, Senior Manager Bewertung, Verband deutscher Pfandbriefbanken e.V., Berlin

Quelle: VDP

Deutschland war von den Turbulenzen auf den internationalen Immobilienmärkten in der vergangenen Krise bekanntlich kaum betroffen. Ein wichtiger Grund hierfür ist, dass bei der Bewertung für Finanzierungszwecke auf das langfristige und nachhaltige Konzept der Beleihungswertermittlung zurückgegriffen wird. Vermutlich deshalb hat der Ansatz längst auch das Interesse europäischer Marktteilnehmer und Regulatoren geweckt. Die Autoren halten einen einheitlichen europäischen Standard für die kreditwirtschaftliche Wertermittlung grundsätzlich für begrüßenswert. Wichtig sei jedoch eine prinzipienorientierte Ausgestaltung, die Gestaltungsspielräume auf nationaler Ebene biete. Wie dieses Unterfangen konkret gelingen soll, erläutern sie im folgenden Beitrag. Red.

"Deutscher Beleihungswert vor dem Aus" - so war es im Frühjahr 2015 in der deutschen Immobilienpresse zu lesen. Zu diesem Zeitpunkt war der Beleihungswert - eine bis dahin fast ausschließlich in Deutschland angewandte Bewertungsmethodik - im Fokus der europäischen Bankenregulierung angekommen. Ihren Startpunkt fand die europäische Auseinandersetzung mit dem Beleihungswert aufgrund des Mandates in Artikel 124 Absatz 4 Capital Requirements Regulation (CRR), wonach die Europäische Bankenaufsicht (EBA) einen technischen Regulierungsstandard (Regulatory Technical Standard, RTS) zu den strengen Kriterien für die Bemessung des Beleihungswertes zu erarbeiten hat.

Die Arbeiten an diesem Standard liegen mittlerweile seit zwei Jahren auf Eis. Dennoch haben sie bewirkt, dass sich immer mehr europäische Akteure mit dem Beleihungswert auseinandersetzen. Der Beleihungswert im Allgemeinen sowie seine deutsche Ausprägung im Speziellen stehen somit keineswegs vor dem Aus. Das Gegenteil ist der Fall, er ist lebendiger denn je. Noch nie wurde so intensiv über einen europäischen Beleihungswert und dessen dämpfende Wirkung auf die Preisentwicklung der Wohn- und Gewerbeimmobilienmärkte im In- und Ausland diskutiert.

Ein unrealistisches Unterfangen

Zu Beginn des Jahres 2015 wurde in den Gremien der EBA der oben bereits erwähnte technische Regulierungsstandard (RTS) zur Beleihungswertermittlung entworfen. Dieser Entwurf war von sehr detaillierten Anforderungen geprägt, die keine nationale Auslegung zuließen. Im Sinne einer Maximalharmonisierung auf höchstem Detaillierungsgrad sollte eine homogene Wertermittlungsmethodik für ganz Europa eingeführt werden. Mit Blick auf die deutlich unterschiedlichen Funktionsweisen der europäischen Immobilienmärkte sowie unterschiedliche Wertermittlungsmethoden und Datenverfügbarkeiten war dies ein unrealistisches Unterfangen.

Durch den massiven Druck aus Deutschland und einigen weiteren Ländern wurde die Arbeit an diesem Entwurf zunächst gestoppt. Aktuell ist zu erwarten, dass eine methodische Diskussion des Beleihungswertes im Kontext der europäischen Bankenregulierung auch im Rahmen der Überlegungen zur Harmonisierung der Covered-Bond-Systeme in Europa geführt werden wird.

Pfandbriefbanken als Vorbild

Seit der Krise an den Immobilien- und Finanzmärkten um das Jahr 2008 wurden selbst in Ländern wie Großbritannien und Irland, die in der kreditwirtschaftlichen Wertermittlung bislang ausschließlich marktwertbasiert gearbeitet haben, Initiativen zur nachhaltigen Wertermittlung für Finanzierungszwecke gestartet. Es bestehen zunehmend Zweifel, ob ausschließlich auf stichtagsbezogene Marktwerte abstellende Bewertungsmethoden in der zumeist längerfristig ausgerichteten Immobilienfinanzierung sinnvoll sind. Daher wird diskutiert, ob ein Wertansatz, der unter Ausschaltung spekulativer Elemente auf die langfristigen und nachhaltigen Merkmale des Objektes und des Marktes abstellt, für diese Zwecke besser geeignet ist.

Die Pfandbriefbanken mit ihrer langfristorientierten Wertermittlung sind hierfür ein hervorragendes Beispiel. Sie stellen bereits seit Jahrzehnten konsequent auf den Beleihungswert ab. Dass sich Pfandbriefe in der Finanzkrise am Finanzmarkt besonders bewährt haben, ist auch auf diesen konservativen Wertansatz zurückzuführen. Ein einheitlicher europäischer Standard für die kreditwirtschaftliche Wertermittlung, der Langfristigkeit und Nachhaltigkeit in den Vordergrund rückt, ist somit zu begrüßen, solange er prinzipienorientiert ist und Raum für nationale Besonderheiten der Immobilienmärkte und ihrer Bewertungsverfahren lässt.

Wachsendes Know-how in Europa

Erleichtert wird die europaweite Diskussion des Beleihungswertes außerhalb Deutschlands durch zunehmende Kenntnisse von im europäischen Ausland tätigen Gutachtern, die in der Beleihungswertermittlung bereits erfahren sind. Seit dem Jahr 2012 bietet die HypZert GmbH eine Zertifizierung speziell für außerhalb Deutschlands tätige und dort ansässige Gutachter an (CIS HypZert (MLV)). Entsprechend zertifizierte Gutachter sind in der Lage, neben Marktwerten auch Beleihungswerte für Finanzierungszwecke sachverständig und unter Einhaltung der strengen regulatorischen Rahmenbedingungen - insbesondere des Pfandbriefgesetzes (PfandBG) und der Beleihungswertermittlungsverordnung (BelWertV) - zu ermitteln.

Mittlerweile sind mehr als 80 nach CIS HypZert (MLV) zertifizierte Gutachter durch ihre tägliche Arbeit als extern beauftragte oder auch interne Gutachter in Pfandbriefbanken bestens mit dem deutschen Beleihungswertkonzept vertraut. Ihre Expertise, aber auch das Wissen um die praktischen Anwendungsschwierigkeiten einer stark landesspezifisch geprägten Beleihungswertmethodik in der täglichen Arbeit, machen sie zu ausgezeichneten Botschaftern einer einheitlich prinzipienorientierten internationalen Beleihungswertmethodik, die Gestaltungsspielräume auf nationaler Ebene lässt.

L-TSV-Konzept lässt Raum für nationale Besonderheiten

Um für die weitere Diskussion einer europäischen Regulierung der Wertermittlung für Finanzierungszwecke gut vorbereitet zu sein, hat der vdp gemeinsam mit der HypZert GmbH das L-TSV Network initiiert. Ziel dieses Netzwerkes ist die Förderung eines nachhaltigen Wertes (L-TSV) als Basis der kreditwirtschaftlichen Wertermittlung sowie die Entwicklung einer international anwendbaren Methodik zur Beleihungswertermittlung. In einer internationalen Arbeitsgruppe mit Vertretern aus sieben Ländern wurde eine solche Methodik entwickelt. Hierbei wurde insbesondere auf das Wissen und die Erfahrung der oben erwähnten HypZert (MLV)-Gutachter zurückgegriffen. Die Methodik enthält grundlegende aus der deutschen Beleihungswertmethodik bekannte Prinzipien, die international anwendbar sind und ein einheitliches Verständnis dieses Wertkonzeptes gewährleisten.

Die Methodik enthält jedoch ausreichend Spielraum für die detailliertere Ausgestaltung auf nationaler Ebene, um den landesspezifischen Marktgegebenheiten, Datenverfügbarkeiten und anerkannten Bewertungsmethoden gerecht zu werden. Die Entwicklung einer "europäischen BelWertV" ist also ausdrücklich nicht die Zielsetzung des L-TSV-Netzwerkes. Die Methodik nach BelWertV wurde aus den deutschen Wertermittlungsverfahren und der Funktionsweise des deutschen Immobilienmarktes entwickelt und ist somit zwar in ihren Prinzipien, jedoch nicht in der detaillierten methodischen Ausgestaltung "europatauglich". Um eine Abgrenzung bereits im Namen zu signalisieren, wurde der Begriff "Long-Term Sustainable Value (L-TSV)" geschaffen und bewusst nicht auf den "Mortgage Lending Value" zurückgegriffen, da letzterer auf europäischer Ebene meist mit der deutschen Methodik gemäß Bel-WertV in Verbindung gebracht wird.

Diskussionspapier findet zahlreiche Unterstützer

Die bisherige Arbeit des L-TSV-Netzwerkes brachte den Entwurf eines Diskussionspapiers "Draft Approach to Determine Long-Term Sustainable Value (L-TSV)" hervor. Es ist über die Website www.ltsv.info abrufbar und wird inzwischen durch zahlreiche Unternehmen der Branche unterstützt. Inhaltlich stützt sich der Entwurf zunächst auf allgemein bekannte Grundprinzipien der Beleihungswertermittlung. Hierzu zählen

- das Besichtigungserfordernis,

- die Beurteilung der Drittverwendungsfähigkeit,

- die Berücksichtigung ausschließlich nachhaltiger Objekteigenschaften und der Verzicht auf den Ansatz spekulativer Elemente,

- das Abstellen auf fundierte Marktdaten als Bewertungsgrundlage,

- die Transparenz und nachvollziehbare Erläuterung aller Wertparameter sowie die

- Sicherstellung der Unabhängigkeit und ausreichenden Qualifikation des Gutachters.

Abweichend vom PfandBG wird postuliert, dass unter bestimmten, klar zu definierenden Voraussetzungen einhergehend mit einer nachvollziehbaren und umfangreichen Begründung vom Grundprinzip "Marktwert > Beleihungswert" abgewichen werden darf. Klargestellt wird auch, dass die Besonderheiten einzelner Immobilienmärkte hinsichtlich Datenverfügbarkeit, rechtlicher Rahmenbedingungen und nationaler, anerkannter Bewertungsstandards berücksichtigt werden sollten und dies nur im Rahmen von auf nationaler Ebene zu entwickelnden Konkretisierungen der aufgeführten allgemeinen Prinzipien geschehen kann.

In dem Entwurf werden auf Basis der zuvor angeführten Grundprinzipien methodische Grundlagen konkretisiert. Dem prinzipienorientierten Ansatz folgend wird auf jegliche Bandbreiten und Kennzahlen für zum Beispiel Nutzungsdauern, Bewirtschaftungskosten und Kapitalisierungszinssätze - wie aus der BelWertV bekannt - verzichtet. Nachhaltige Kapitalisierungszinssätze sollten stets länderspezifisch die Qualität und Verfügbarkeit von Daten, Zeitreihen und Marktinformationen berücksichtigen und der landesspezifischen Bewertungsmethodik zugrunde liegen. Je nach Objektart, Datenlage und unter Berücksichtigung der nationalen Bewertungspraxis sollte jeweils das geeignetste Wertermittlungsverfahren gewählt werden (Ertragswert-, Vergleichswertoder Sachwertverfahren). Eine grundsätzliche Verpflichtung wie in der BelWertV, den Wert auf zwei Verfahren basierend zu ermitteln (2-Säulen-Prinzip), ist auf internationaler Ebene nicht umsetzbar.

Fachlicher Austausch genießt höchste Priorität

Die aktuelle Diskussion zur kreditwirtschaftlichen Bewertung auf Basis eines in der europäischen Bankenregulierung verankerten Beleihungswertes beinhaltet Chancen und Risiken. Dem Risiko einer Vollharmonisierung durch die europäische Bankaufsicht - schlecht anzuwenden und mit wenig Handlungsspielraum - steht die Chance gegenüber, einen einheitlichen, prinzipienorientierten europäischen Rahmen für die Ermittlung von Beleihungswerten beziehungsweise eines L-TSV zu schaffen.

Das L-TSV-Netzwerk kann hierfür wertvollen Input liefern. Aus diesem Grund wird nunmehr das oben genannte methodische Grundgerüst auf nationaler Ebene weiterentwickelt. Überlegungen zu einer landesspezifischen Ausgestaltung dieser grundlegenden Prinzipien sollen die nationale Anwendbarkeit konkretisieren. Dabei liegt höchste Priorität auf dem fachlichen Austausch und der Diskussion in einzelnen Ländern sowie der Gewinnung eines möglichst breiten Unterstützerkreises. Nur so können die Chancen, die die europäischen Regulierungsbestrebungen im Bereich der kreditwirtschaftlichen Bewertung aktuell bieten, auch genutzt werden.

Die Autoren Annett Wünsche, Senior Manager Bewertung, Verband deutscher Pfandbriefbanken e.V., Berlin
Matthias Fischer, Referent, HypZert GmbH, Berlin
Annett Wünsche , Bereichsleiterin Bewertung , Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp), Berlin
Matthias Fischer , Manager Bewertung , Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp), Berlin

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