IMMOBILIENWIRTSCHAFT 4.0

PROPTECHS IN DER WOHNUNGSWIRTSCHAFT: WO ENTSTEHT EIN MEHRWERT?

Jörg von Ditfurth Quelle: Deloitte

Proptechs sind in der Immobilienwirtschaft derzeit in aller Munde. Kein Wunder, ist das Segment doch derart dynamisch, dass man mit dem Zählen seiner Vertreter kaum noch hinterherkommt. Mit ihrer innovativen und kundenorientierten Herangehensweise haben sie in der jüngeren Vergangenheit viele positive Akzente setzen können. Vermutlich deshalb kommt anno 2018 auch kaum noch eine Immobilienveranstaltung ohne Proptech-Vertreter aus. Die beiden Autoren sehen in den Start-ups "die Impulsgeber der digitalen Entwicklungen in der Immobilienbranche". Mit Blick auf die Wohnungswirtschaft untersuchen sie in folgendem Beitrag das konkrete Potenzial der durch Proptechs bedienten Geschäftsfelder. Grundsätzlich scheint es dabei noch Luft nach oben zu geben. Denn ihrer Analyse zufolge bietet über die Hälfte der analysierten Unternehmen derzeit "nur geringen Mehrwert" für die Wohnungswirtschaft. Red.

Proptechs sind in den vergangenen drei Jahren stark in den Fokus der Immobilienwirtschaft gerückt. Allein die Kooperation mit einem solchen Start-up gilt häufig schon als Ausdruck einer Digitalisierungsstrategie. Doch nur wenige Proptechs verstehen die Sprache und die Prozesswelt der Immobilienwirtschaft und der Wohnungswirtschaft im Besonderen.

Wer sind die Proptechs? Wem nutzen die Proptechs und wie groß ist die Auswirkung auf die Wohnungswirtschaft und deren Dienstleister? Sind disruptive Einflüsse zu erkennen? Was steckt hinter dem Hype? Vor einem Jahr hat sich Deloitte intensiver mit diesen Fragen beschäftigt.

Die Technologie-Start-ups der Immobilienbranche - kurz Proptechs - sind die Impulsgeber der digitalen Entwicklungen in der Immobilienbranche. Dank modernster, neuster Informations- und Kommunikationstechnologie können Unternehmen durch den verstärkten Einsatz von Technologie ihre Prozessabläufe und Organisationsstrukturen optimieren oder neue Geschäftsideen und Modelle implementieren. Wie aber findet man die richtige Lösung für sein eigenes Unternehmen?

Eine differenzierte Einschätzung ist ratsam

Anlass der Fragestellung war der fast inflationäre Anstieg an Proptech-Awards im Jahr 2017. Es wurden zahlreiche und unterschiedliche Preise vergeben. Die Betrachtung der Gewinnerlisten verdeutlicht, dass überwiegend bekannte Namen zu den Preisträgern zählten. Das muss nicht überraschen. Die Namen etlicher ausgezeichneter Unternehmen waren aufgrund ihrer regen Marktaktivitäten zu erwarten. Ein zweiter Blick auf die jeweiligen Nominierungskategorien der einzelnen Start-ups ist durchaus lohnenswert.

Generell sind relativ unspezifische Kategorien wie "Bestes Proptech" für ein Unternehmen auf der Suche nach digitalen Lösungen nur bedingt hilfreich. Die Kategorie greift zu kurz und die Bewertungskriterien sind eher allgemein gehalten. Eine stärkere Differenzierung mit Blick auf die unterschiedlichen Herausforderungen der Nutzergruppen einerseits und den Anwendungsfokus der Tools andererseits ist notwendig, um dem Anspruch an Transparenz und Vergleichbarkeit - und damit auch eine effektive Orientierung für den Nutzer - zu gewährleisten.

Äußerst dynamische Gründerszene

Ob 2018 wieder ein Jahr der Proptech-Awards wird, wissen wir (noch) nicht. Was wir wissen ist, dass die Anzahl der sich der Immobilienwirtschaft zuordnenden Startups weiter steigt. In unserer Momentaufnahme im Frühjahr 2017 sind 135 von 150 zu dem Zeitpunkt bekannten Proptechs näher analysiert worden. Gegen Ende des Jahres 2017 zählten wir 240 Proptechs, aktuell ist von knapp 300 Unternehmen auszugehen. Ein Anstieg von 100 Prozent, oder zehn neue Start-ups pro Monat. Und das allein in der DACH-Region und nur Unternehmen, die im Sinne eines Start-ups im Immobiliensektor definierbar sind.1)

Der Begriff Proptech zieht. Leider zieht die Transparenz nicht im gleichen Maße mit. Für uns Antrieb genug, um die Momentaufnahme aus dem Frühjahr 2017 zu wiederholen. Aufgrund der hohen Dynamik im Proptech-Segment beinhaltet diese Wiederholung neben der Reflektion der Newcomer auch eine Überprüfung der bereits betrachteten Proptechs. Sind sie noch am Markt aktiv? Ist eine Fusion, Übernahme oder Umbenennung erfolgt? Hat sich der Branchen-/ Produktfokus verändert? Die Aussage "Nichts ist stetiger als der Wandel" ist bezeichnend für Proptechs, ist doch die laufende Reflektion der Produkt- und Unternehmensposition überlebenswichtig für ein Start-up.

Ein Drittel der Proptechs ist in der Immobilienvermittlung aktiv

Ein Blick zurück auf die Momentaufnahme 2017: Für diese wurden wie erwähnt 135 Proptechs näher analysiert, die im Schnitt in den vergangenen 1 bis 5 Jahren gegründet wurden. Untersuchungsschwerpunkt waren die Fragen zur Produkt- und Unternehmensperspektive: Wo liegen Potenziale für die Wohnungswirtschaft und wie nachhaltig ist der potenzielle Geschäftspartner aufgestellt? Für die Analyse war es notwendig, die Fragen zu operationalisieren und anhand von vertiefenden Betrachtungspunkten beurteilbar zu gestalten. Hierzu wurden unter anderem das Alleinstellungsmerkmal des Produkts, der Reifegrad, die Sicherheit, das Geschäftsmodell, die Finanzierung, die Pilotprojekte sowie vorhandene Partnerschaften reflektiert. Die Einzelbewertungen wurden je Proptech gewichtet zusammengefasst und in einer Bewertungsmatrix abgebildet.

Fokus auf die Zielgruppe Wohnungswirtschaft

Von den analysierten Proptechs waren etwa ein Drittel dem Anwendungsbereich Vermietung und Verkauf (inklusive temporärer Vermietung und Verkaufsunterstützung via Makler/Mieter/Vermieterplattformen) zuzuordnen, ein Viertel engagieren sich in den technologiebezogenen Anwendungsbereichen wie 3D/virtuell/augmented reality und Smart Building, etwa ein Fünftel verfolgte Digitalisierungsansätze in der Immobilienverwaltung. Der Rest war den Anwendungsbereichen Investment (Finanzierung und Bewertung) und Baumanagement zuordenbar. Daneben bestehen aus Perspektive der Wohnungswirtschaft "weiße Flecken" bei möglichen Anwendungsbereichen, beispielsweise "Ambient Assisted Living" (AAL).

Der Fokus auf eine Zielgruppe, hier die Wohnungswirtschaft, ist bei der Analyse essentiell für die Ableitung zielführender Ergebnisse. Nur wenn die branchentypischen Herausforderungen aus dem Geschäftsmodellansatz und der Geschäftsprozessorganisation einbezogen werden, können die Fragen nach dem Mehrwert und Disruptionspotenzial beantwortet werden.

Drei praktische Beispiele: Proptechs, die sich mit satellitengestützter Bauüberwachung auseinandersetzen, sind wahrscheinlich eher für den Baubereich interessant. Eine Betriebsoptimierung von HLK-Anlagen mit Gebäudemodellierung und Wettervorhersage oder ein Appstore für Gebäude sind tendenziell eher für langfristige Bestandshalter wie beispielsweise Wohnungsunternehmen oder deren Dienstleistungsunternehmen von Belang.

Einzigartige Produktansätze sind selten

Neugierig auf Start-ups mit einer Blockchain-Technologie sind eher Vertreter aus dem Investmentbereich und gewerblichen Bestandshalter. Unsere Einschätzungen basieren maßgeblich auf unserer langjährigen Expertise für die Immobilienwirtschaft, hier im Speziellen der Wohnungswirtschaft, sowie unserer Kenntnis über deren Erwartungshaltung gegenüber neuen Anwendungen und potenziellen Geschäftspartnern.

Im Ergebnis liefert die Analyse eine breit gestreute Anordnung der Proptechs. Aus der Produktperspektive heraus lassen sich drei Cluster von Unternehmen bilden:

  • Über die Hälfte der betrachteten Unternehmen bieten derzeit nur geringen Mehrwert für die Wohnungswirtschaft, da sie nur den Endnutzer (Mieter/Wohnungseigentümer) ansprechen und/oder ein geringes Anwendungspotenzial für die Wohnungswirtschaft beinhalten (zum Beispiel Crowdfunding und Immobilienbewertung).
  • Etwa ein Drittel der Proptechs hat vielversprechende, aber oft vergleichbare Produktideen. Hier fehlt aktuell das Alleinstellungsmerkmal, um sich in diesem herausfordernden Wettbewerb mittelfristig eigenständig positionieren zu können. Besonders häufig waren diese Proptechs in den Anwendungsbereichen Vermietung & Verkauf sowie 3D/VR/AR engagiert.
  • Lediglich ein Zehntel der betrachteten Unternehmen bot vielversprechende und zum Teil einzigartige Produktansätze mit erkennbarem Mehrwert für die Wohnungswirtschaft an. Die Produktideen sind weitestgehend ausgereift und teilweise als Pilot in Anwendung. Die häufigsten Anwendungsbereiche waren hier Smart Building, Internet of Things und Immobilienverwaltung.

Im Jahr 2017 fand eine klare Fokussierung der Wohnungswirtschaft in sehr überschaubarem Maß statt. Entsprechend hoch war der Annäherungsbedarf sowohl vonseiten der Wohnungswirtschaft als auch vonseiten der Proptechs. Allerdings zeichnet Proptechs eine Lernbereitschaft aus, kombiniert mit einer erkennbar hohen Transformations- und Entwicklungsgeschwindigkeit sowohl in den Produkten als auch auf Unternehmensseite. Inwieweit sich diese Annahme bestätigt, wird unsere aktuelle Momentaufnahme zeigen.

Ohne den Ergebnissen vorwegzugreifen, kann bereits festgehalten werden, dass der Wettbewerb der Proptechs beispielsweise im Bereich Vermietung und Verkauf nicht geringer wird.

Fußnote

1) Proptech zieht - auch im Sinne des Marketings. Nicht jedes Unternehmen, das sich als Proptech beziehungsweise Start-up bezeichnet, ist tatsächlich eins. Zugegebenermaßen sind die Grenzen fließend. Dennoch muss man sich mit einer Differenzierung auseinandersetzen, denn "alter Wein in neuen Schläuchen" setzte keine Impulse für die Immobilienbranche frei.

DER AUTOR JÖRG VON DITFURTH, Leiter Real Estate Consulting, Deloitte Consulting GmbH, Berlin
 
DIE AUTORIN PETRA RÖSNER, Manager Real Estate Consulting, Deloitte Consulting GmbH, Berlin

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