BEZAHLBARER WOHNRAUM IN DEUTSCHLAND

SOZIALE WOHNBAUFÖRDERUNG IN DEUTSCHLAND ERFOLGT NACH DEM ZUFALLSPRINZIP

Dr. Stefan Brauckmann, Foto: MMI

Seit Jahren sinkt die Zahl der geförderten Wohnungen genauso sicher, wie die Zahl der Anspruchsberechtigten steigt. In deutschen Großstädten ist mittlerweile das Einkommen bei der Hälfte der Bewohner so niedrig, dass sie Anspruch auf eine Sozialwohnung hätten. Das zeigt, wie nötig auch weiterhin eine Förderung bezahlbaren Wohnraums durch den Bund ist. Der Autor sieht hier allerdings erhebliches Verbesserungspotenzial. Das Hauptproblem: Die Datenlage. Aufgrund unterschiedlicher Definitionen wichtiger Begriffe, unklarer Zuständigkeitsregelungen oder viel zu geringer personeller Ressourcen könnten Kommunen den Bedarf nicht systematisch einschätzen und demzufolge nicht gezielt die entsprechenden Maßnahmen ableiten. Auch das Image des geförderten Wohnungsbaus sorgt immer noch für eine ablehnende Haltung mancher Kommune. Es bedarf gemeinsamer Anstrengung von Bund, Ländern, Kommunen sowie weiterer öffentlicher und nichtöffentlicher Akteure. Red.

Angesichts der vielerorts stark steigenden Immobilienpreise, stellt sich zunehmend die soziale Frage, wie breite Bevölkerungsschichten angemessen mit budgetangemessenem Wohnraum versorgt werden können. Hierbei handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dieses darf keinesfalls an den Zuständigkeitsgrenzen und finanziellen Möglichkeiten der Kommunen und einzelnen Bundesländer scheitern. Daher hat die Bundesregierung entschieden, in der laufenden Legislaturperiode weitere Fördermilliarden zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig eine Grundgesetzänderung zu initiieren, um auch in Zukunft weiter fördern zu dürfen. Damit wird ein Teilbereich der Föderalismusreform von 2006 den neuen Anforderungen angepasst.

Eine der größten sozialpolitischen Herausforderungen

Aktuell erscheint es zwar noch unklar, wann und nach welchem Kompromiss die Grundgesetzänderung letztendlich in Kraft tritt. Dabei wird es vor allem darum gehen, wie der Bund zukünftig in die Wohnbauförderung mit eingebunden wird. Unabhängig von den Detailregelungen ist abzusehen, dass das Thema geförderter Wohnungsbau für die nächsten Jahren eine der größten sozialpolitischen Herausforderungen sein wird.

Für eine gezielte und effiziente Förderung ist eine Kooperation auf allen Ebenen vom Bund bis hinunter zu den Städten und Gemeinden unerlässlich. Hierzu ist zunächst eine fundierte Analyse der aktuellen Situation erforderlich. Um herauszufinden, auf welche Weise die Kommunen in Deutschland ihren Bedarf an Immobilien ermitteln und darauf aufbauend Projekte starten, initiierte das Moses Mendelssohn Institut eine größere Untersuchung. Befragt wurden fast 700 Städte und Gemeinden mit einer Bevölkerung von jeweils mindestens 20 000 Personen und positiver Bevölkerungsentwicklung. Darunter waren die Stadtstaaten ebenso wie kleinere Verbandsgemeinden im ländlichen Raum, um die Vielschichtigkeit der kommunalen Herausforderungen am besten abbilden zu können.

Der Fokus der Untersuchung lag vor allem auf der Ermittlung von Daten zum aktuellen Bestand, zu Bau und Planung geförderter Wohnungen sowie zur Ermittlung des künftigen Bedarfs - verteilt auf die unterschiedlichen Wohnungsgrößen. Abgefragt wurde auch, wie viele Einheiten bis 2020 aus der Preis- beziehungsweise Belegungsbindung fallen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in Deutschland die Mittel für den geförderten Wohnungsbau eher nach dem Zufallsprinzip verteilt werden, sodass eine Erfolgskontrolle unmöglich ist. Hauptgrund ist eine fehlende oder mangelhafte Erhebung des Bestands und des Bedarfs geförderter Wohnungen sowie weiterer zentraler Daten zur allgemeinen Wohnsituation. Durch die Analyse wurde belegt: Es gibt keine einheitlichen Kriterien für die Wohnungsbauförderung, noch nicht einmal eine einheitliche Zählweise. Viele Städte und Gemeinden haben sogar Probleme dabei, ihren Bedarf plausibel darzustellen und überhaupt die in ihrer Kommune benötigten Wohnungsgrößen zu nennen. Daher ist ein effizienter Einsatz der Milliarden-Förderung gar nicht möglich. Das wird sich kurzfristig auch nicht durch weiter steigende Zuwendungen durch Bundesländer und Kommunen ändern, die geplant oder aufgrund der politischen Diskussionen zu erwarten sind.

Mangelhafte Datenerhebung

Ausgewertet werden konnten im Rahmen der Untersuchung Angaben von 387 der 696 Kommunen. Mit 60,4 Prozent wurde damit eine sehr gute Rückmeldungsquote erreicht. In diesen Städten liegen nach der Auswertung etwa 68 Prozent des Bestandes an geförderten Wohnungen in Deutschland. Auch die Kooperationsbereitschaft der Städte und Gemeinden war insgesamt sehr hoch. Dennoch war die Qualität der gelieferten Daten aus anderen Gründen leider häufig nicht ausreichend. Die Kommunen lieferten die Antworten nämlich in einem sehr unterschiedlichen Detaillierungsgrad. Teil weise konnten die Kommunen gar keine Angaben machen. Grund hierfür sind unterschiedliche Definitionen wichtiger Begriffe des geförderten Wohnens, unklare Zuständigkeitsregelungen oder viel zu geringe personelle Ressourcen in diesem wichtigen Bereich. Ergebnis dieser unzureichenden Systematik ist: die Kommunen können ihre Bedarfe nicht systematisch einschätzen und daraus auch nicht gezielt wirklich notwendige Maßnahmen ableiten.

Unterschiedliche Einkommensgrenzen in Bundesländern

Bereits die Ermittlung der Anspruchsberechtigen ist höchst unterschiedlich. Die Grenzen liegen für einen Ein-Personen-Haushalt je nach Bundesland bei rund 15 bis 50 Prozent unterhalb des länderspezifischen durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgeltes. Eine vierköpfige Familie mit einem Einkommensbezieher wäre bei einem Durchschnittseinkommen in jedem Bundesland anspruchsberechtigt. Aber auch hier variieren die Einkommensgrenzen erheblich. Diese Ausgangslage erschwert die Vergleichbarkeit und Erfolgskontrolle der vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel.

Der effiziente Einsatz der finanziellen Mittel muss aber ein zentrales Kriterium sein. Denn trotz der deutlichen Ausweitung der Zuwendungen sind die für diesen Zweck verfügbaren Beträge in Relation zum vielerorts riesigen Bedarf an preisgünstigen und passenden Wohnungen begrenzt. In den Großstädten beispielsweise hat theoretisch schätzungsweise mehr als die Hälfte der Haushalte Anspruch auf eine geförderte Wohnung, während der Bestand solcher Wohnungen in den vergangenen Jahren deutlich gesunken ist. So sind seit 2003 bundesweit mindestens eine Million Wohnungen aus der Bindung gefallen, sodass der Anteil geförderter Wohnungen am Gesamtwohnungsbestand nur noch bei etwa 3 Prozent liegt.

Ein Dilemma ist beispielsweise die unterschiedliche Zuständigkeitsregelung: Der Bund überweist bisher jährlich über eine Milliarde Euro für geförderte Wohnungen an die Landeshaushalte. Zuständig für die Ausgestaltung der Förderprogramme sind seit der Föderalismusreform jedoch allein die Bundesländer. Diese wiederum benötigen eine fundierte Bedarfsermittlung auf Grundlage einheitlich erhobener Kennzahlen. Für diese Einschätzung des lokalen Bedarfes sowie die Unterstützung der Bauprojekte vor Ort sind grundsätzlich die Städte und Kommunen im Sinne der kommunalen Selbstverwaltung zuständig. In diesem aktuellen Fördersystem werden die grundsätzlichen Entscheidungen auf Bund- und Länderebene gefällt, bei der Umsetzung aber werden die Kommunen quasi alleine gelassen. Um eine höhere Effizienz zu erreichen, sind bundesweit konkrete Erfassungs- und Anwendungs-Vorgaben notwendig.

Nötig sind laut der Studie ebenso eine bessere personelle Ausstattung und laufende Fortbildungen der Mitarbeiter. Hinzukommen muss eine bessere Vernetzung der unterschiedlichen Akteure für einen deutschlandweiten Informationsaustausch. Eine überregionale Ausweitung erfolgreicher Förderbeispiele ist bei der bisherigen Struktur kaum möglich, erst recht nicht bundesländerübergreifend. Aktuell gibt es kein nach bundeseinheitlichen Kriterien festgelegtes Berichtswesen zum Bestand und Bedarf von preisgebundenen Wohnungen. In einigen Bundesländern übernehmen die öffentlich-rechtlichen Förderbanken (zum Beispiel die NRW.Bank in Nordrhein-Westfalen) diese Aufgabe. Trotz der kooperativen Hilfe für diese Analyse kann dies kein Ersatz für eine amtliche, öffentlich zugängliche Statistik sein, welche zudem einen bundesweiten Vergleich ermöglichen würde.

Das alles zeigt: Um einen effizienten Mitteleinsatz zu ermöglichen, muss die Transparenz in diesem Bereich deutlich gesteigert werden.

Zur notwendigen Bedarfsabschätzung gehört eine genaue Definition der unterschiedlichen geförderten Gruppen beziehungsweise der Förderziele. Aktuell sind viele Programme so ausgelegt, dass in der erweiterten Förderung auch Personen mit Durchschnittseinkommen eine preisgebundene Wohnung beziehen können. Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi 2018) hat im Juli 2018 in einem nicht unumstrittenen Gutachten kritisiert, dass - so lange ein Missverhältnis zwischen dem Bestand an geförderten Wohnungen und der Zahl der Wohnberechtigten besteht - "letztlich die Vermieter" darüber entscheiden würden, wer die Sozialleistung in Form eines subventionierten Mietzinses erhält.

Potenzielle Fehlbelegungen konsequent angehen

Aufgrund eines geringeren Mietausfallrisikos wären die Vermieter geneigt, eher Haushalte mit einem höheren Einkommen zu berücksichtigen als die wohnberechtigten Personen im niedrigen Einkommensbereich. Da die Fördermittel begrenzt sind, sollte das Hauptaugenmerk jedoch vor allem auf die Gruppe mit den dringendsten Bedarfen fokussiert und das Thema potenzieller Fehlbelegungen konsequent angegangen werden. Tatsächlich identifizierten die meisten Kommunen vor allem die Gruppe der wohnungssuchenden Haushalte als Bedarf. Eine Auswertung nach Haushaltsstrukturen zeigt, dass Einpersonenhaushalte die größte Bedarfsgruppe ausmachen. Je nach Fördermaßnahme wird für Einpersonenhaushalte eine Wohnfläche bis 45 Quadratmeter beziehungsweise 50 Quadratmeter als "angemessen" anerkannt. Da solche Kleinwohnungen aber nur einen geringen Anteil von bundesweit 12,4 Prozent (Zensus 2011) am Wohnungsbestand ausmachen, ist vor allem die Erweiterung des Bestandes an geförderten Wohneinheiten für Einpersonenhaushalte eine Kernaufgabe.

Im Kontext des demografischen Wandels sowie der Rentenentwicklung bei Personen mit uneinheitlichen Erwerbsbiografien, wird insbesondere im Kleinwohnungssegment sowie bei Wohnkonzepten für Alleinstehende eine wachsende Nachfrage erwartet. Daher ist bei der Förderung eine stärkere Beachtung der jeweiligen Wohnungsgröße erforderlich. Für spezielle Gruppen wie zum Beispiel Studierende, Auszubildende oder alleinstehende Personen im Rentenalter können auch Zimmer in Wohngemeinschaften oder Wohnheimen eine geeignete Lösung sein. Damit die Kommunen diese Bedarfseinschätzungen durchführen und den Bau von budgetangemessenen Wohnungen maßgeblich und nachhaltig lenken können, brauchen sie zusätzliche Unterstützung. Dies beinhaltet neben einer einheitlichen Datengrundlage vor allem eine bessere Vernetzung der unterschiedlichen Akteure.

Die kommunalen Stellen können in Abstimmung mit einer landesweiten Planung dann noch besser zu einer fundierten Identifikation von Bedarfen und Bauflächen kommen. Außerdem können sie durch zielgerichtete Beratung sowie Begleitung potentieller Bauherren bei der Fördermittelgewährung und Baugenehmigung die Projekte deutlich schneller realisieren, was wiederum zur Kostensenkung beiträgt.

Um in der aktuellen Diskussion zu fehlendem Wohnraum das geförderte Wohnen zu einem wichtigen Faktor werden zu lassen, gibt es einen weiteren zentralen Ansatzpunkt. Sehr wichtig ist es nämlich ebenfalls, das Image des geförderten Wohnens beziehungsweise der Bewohnerklientel zu verbessern. Ein Teil der Kommunen steht nämlich weiteren entsprechenden Baumaßnahmen derzeit noch skeptisch gegenüber, weil die Meinung vertreten wird, dass durch eine Bestandserweiterung weitere Anspruchsberechtigte angelockt werden, die möglicherweise dauerhaft auf kommunale Zuwendungen zum Lebensunterhalt angewiesen sind. Als Folge sinkt teilweise das Engagement der Städte und Gemeinden, derartige Wohnungen zu schaffen.

Das gleiche gilt für Kommunen, welche der Überzeugung sind, dass aufgrund einer perspektivisch schrumpfenden Einwohnerzahl demnächst ein Wohnungsüberhang entsteht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es auch in bevölkerungsmäßig schrumpfenden Gebieten zukünftig beispielsweise an barrierearmen und dennoch budgetangemessenen Wohnungen mangeln kann. Um derartige gravierende Fehleinschätzungen zu vermeiden, ist ebenfalls eine flächendeckende vergleichende Analyse erforderlich. Nur durch die gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern, Kommunen sowie weiterer öffentlicher und nichtöffentlicher Akteure kann also eine Bedarfsdeckung erzielt und das Wohnungsproblem nachhaltig gelöst werden. Hierzu sollten die jeweiligen Kompetenzen gebündelt und optimal eingesetzt werden.

DER AUTOR DR. STEFAN BRAUCKMANN Direktor, Moses Mendelssohn Institut, Berlin
Zur Methodik der Befragung: Die Befragung des Moses Mendelssohn Institutes wurde ausschließlich aus Eigenmitteln finanziert. Befragt wurden 696 Städte und Gemeinden, welche über eine Bevölkerung von mindestens 20 000 Personen verfügen und die kumuliert im Zeitraum 2011 bis 2015 ein positives Wanderungssaldo zu verzeichnen hatten.Die selektierten Städte und Gemeinden wurden telefonisch kontaktiert und danach auf Wunsch auf elektronischem Wege angeschrieben. Die halbstandardisierten Fragen zu Bestand, Bindungsauslauf, Neubau und Bedarfseinschätzung konnten entweder mündlich oder schriftlich beantwortet werden. Der Befragungszeitraum erstreckte sich von Mai bis Juli 2018. Eingehende Antworten konnten noch bis zum 17. September 2018 berücksichtigt werden. Insgesamt konnten Daten von 387 Städten und Kommunen ausgewertet werden.

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