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STATIONÄRER EINZELHANDEL: WEITERHIN ATTRAKTIVE INVESTITIONSMÖGLICHKEITEN

Kiran Patel Quelle: Savills IM

Die wachsende Bedeutung des Onlinehandels setzt den stationären Einzelhandel unter Druck, obsolet hat er ihn deshalb aber noch lange nicht gemacht. Das belegen zahlreiche Marktstudien rund um den Globus. Gleichwohl haben sich die Konsumgewohnheiten in den vergangenen Jahren stark verändert und Einzelhändler müssen mit der Zeit gehen, um bestehen zu können. Der Autor des folgenden Beitrags identifiziert insgesamt sechs Einzelhandelskonzepte, die er für zukunftsfähig hält. Dabei sei es grundsätzlich wichtig, den Kunden ein ganzheitliches Einkaufserlebnis bieten zu können. Außerdem sieht er für viele Einzelhändler die Notwendigkeit, sowohl die stationäre als auch digitale Vertriebsschiene bedienen zu können. Red.

Der Abgesang auf den stationären Einzelhandel in europäischen Haupteinkaufsstraßen kommt verfrüht. Unkenrufern zufolge werden Ladengeschäfte bald durch den Onlinehandel abgelöst. Zwar ist der Umsatz im Onlinegeschäft in Europa zwischen 2011 und 2017 gestiegen, in entwickelten Märkten ist jedoch eine Verlangsamung dieser Dynamik zu beobachten. Auf den stationären Einzelhandel entfallen in Europa immer noch 85 Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes (siehe Abbildung 1).

Allerdings ist auch nicht zu leugnen, dass sich das Einkaufsverhalten der Verbraucher geändert hat. Bei vielen Einzelhändlern besteht daher die Gefahr, dass sie an Attraktivität verlieren, falls sie nicht mit der Zeit gehen. Durch den Einsatz von Smartphones und Tablets ändert sich das Einkaufsverhalten grundlegend. Insbesondere die jüngere Generation der Käufer weist andere, einzigartige Eigenschaften und Ansprüche auf. Beispielsweise werden sich viele von ihnen kein Eigenheim leisten können, und sie werden somit zu Dauermietern. Dadurch können sich die Umsätze von Baumärkten entsprechend verringern. Sie schauen Fernsehen und Filme über Netflix und lesen Bücher auf einem Tablet oder einem E-Book. Besonders auffällig ist, dass viele von ihnen Weiße Ware, Fernsehgeräte und viele andere Artikel bevorzugt im Internet bestellen. Sie lassen sich die Ware teilweise noch am selben Tag nach Hause liefern, ein Ausdruck ihrer vollen Terminkalender.

Der stationäre Einzelhandel ist an einem Wendepunkt

Studien zufolge erfreut sich der stationäre Einzelhandel in Europa weiterhin großer Beliebtheit. Es werden mehr Läden eröffnet als geschlossen. 2017 standen in Europa 500 Ladenöffnungen 100 Schließungen gegenüber - ein positiver Saldo von 400. Die durchschnittliche Nettomarge der stationären Einzelhändler ist von rund 13 Prozent im Jahr 2008 auf 6,5 Prozent im Jahr 2017 zurückgegangen (siehe Abbildung 2). Der stationäre Einzelhandel litt in den vergangenen Jahren sicherlich auch unter einem Preisdruck - während das allgemeine Preisniveau zurückging, nahm das Absatzvolumen zu. Basierend auf der Analyse von Unternehmensberichten durch Savills IM ist jedoch davon auszugehen, dass sich der Umsatzrückgang im stationären Einzelhandel abschwächen wird und eine Stabilisierung des Umsatzwachstums zu erwarten ist.

Der Einzelhandel kann grob in sechs zukunftsfähige Kategorien unterteilt werden:

1. Erlebniseinkauf: Ladengeschäfte mit der idealen Mischung aus stationärem Einzelhandel und Freizeit sowie Unterhaltung und Gastronomie werden auch in Zukunft erfolgreich sein. Beispielsweise bieten Fachmarktzentren ein komfortables Einkaufserlebnis, umfangreiche Parkmöglichkeiten, Gastronomie, Kinos und Bowlingbahnen, also mehr als einen Grund für die Verbraucher, dem Fachmarktzentrum einen Besuch abzustatten.

2. Luxusgüter: Luxuswaren werden nur selten im Internet gekauft. Über 90 Prozent werden im stationären Einzelhandel erworben.

3. Niedrigpreisketten: Der Kauf im Internet ergibt wenig Sinn, wenn die Lieferung teurer ist als der Kauf im Laden. Primark ist ein gutes Beispiel.

4. Convenience Stores: Benötigen Kunden wichtige Dinge wie Lebensmittel oder Haushaltswaren sofort, können sie diese dort erhalten.

5. Infrastruktur: Bahnhöfe, U-Bahn-Stationen, Flughäfen und andere Verkehrsknotenpunkte ziehen viele Menschen an. Kunden an diesen Orten bleibt nur der Einkauf in den dortigen Ladengeschäften.

6. Outlets: Outlets, in denen Luxusmarken zu günstigen Preisen verkauft werden, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Beispiele hierfür sind Bicester Village und Cheshire Park in Großbritannien, die Kunden in Scharen anziehen.

In welchen Regionen liegen die Chancen?

Wie sich diese Entwicklung auf bestimmte Standorte in Europa auswirkt, hängt davon ab, wo sich die jeweiligen Märkte im Einzelhandelszyklus befinden. Nach Einschätzung von Savills IM sollten die Einzelhandelsumsätze in den Haupteinkaufsstraßen Londons in den nächsten 12 bis 18 Monaten die Talsohle durchschritten haben. Die durch den Brexit entstandenen Unsicherheiten können nicht ignoriert werden, dennoch wird die dynamischste Stadt der Welt, unterstützt durch das günstige Pfund, weiterhin Touristenströme anziehen. Andere Märkte in Europa, beispielsweise Italien und Dänemark, sind im Zyklus bereits weiter fortgeschritten. Mailand, Rom und Kopenhagen erreichen wohl bald den Zyklushöhepunkt.

Zu den Standorten mit starkem Wachstums potenzial zählen ausgewählte Regionalzentren in den Niederlanden, Deutschland und Dänemark. Core-Einzelhandelsimmobilien innerhalb beziehungsweise in der Nähe der fünf größten deutschen Städte sowie in Stockholm sind besonders attraktiv. Gleiches gilt für Fachmarktzentren in der Nähe von Verkehrsknotenpunkten in Spanien, Schweden und Großbritannien. Auch Spanien und Portugal bieten gute Investitionsgelegenheiten. Sie profitieren von den rückläufigen Tourismuszahlen in Nordafrika und haben die schwere Wirtschaftskrise hinter sich gelassen.

Die wichtigsten Unterschiede zwischen dem stationären Einzelhandel in Europa und den USA:

Europa

- Die Einzelhandelsfläche pro Kopf ist in Großbritannien (zirka 1 Quadratmeter), Frankreich (zirka 1,2 Quadratmeter) und Deutschland (zirka 1,4 Quadratmeter) kleiner.

- In Großbritannien, Frankreich und Deutschland, den größten europäischen Märkten, ist die Durchdringung des Onlinehandels gleich hoch oder sogar höher als in den USA.

- Aufgrund der alternden Bevölkerung müssen Einzelhändler Strategien für weniger mobile, aber oftmals technisch versierte Senioren entwickeln.

- Haupteinkaufsstraßen spielen eine wichtige Rolle im europäischen Einzelhandel und Einkaufszentren bieten eine breite Vielfalt an Ankermietern. Das knappe Angebot in Innenstadtlagen hat die Mieten in die Höhe getrieben und den Vermietern die Oberhand bei den Mietverhandlungen verschafft.

USA

- Mit zirka 2,2 Quadratmetern ist die Verkaufsfläche pro Kopf größer als in Europa.- Auf den Onlinehandel entfallen neun Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes. Dieser Anteil könnte bis 2020 auf elf Prozent steigen.

- Millennials machen 25 Prozent der US-Bevölkerung aus und tragen zur Steigerung der Kaufkraft bei.

- US-Einkaufszentren setzen auf Kaufhäuser als Ankermieter. Da sich viele US-Einzelhändler der Konkurrenz von Discountern und Onlineanbietern stellen müssen, verkleinern oder schließen sie ihre Filialen trotz vorteilhafter Mietverträge.

Der Einzelhandel in Skandinavien profitiert von der starken Wirtschaft und den niedrigen Arbeitslosenzahlen in der Region sowie von verschiedenen internationalen Einzelhändlern, die auf diese Märkte drängen. Mittelgroße regionale Einkaufszentren sowie Einkaufsmöglichkeiten in wirtschaftlich und soziodemografisch attraktiven Lagen bieten ein höherwertigeres Einkaufserlebnis und ziehen Kunden mit Gastronomie- sowie Freizeit- und Unterhaltungsangeboten an.

Trotz der hohen Wachstumsraten des Onlinehandels wird der Großteil der Umsätze in Skandinavien nach wie vor im stationären Einzelhandel generiert. Kunden aller Altersklassen bevorzugen das Einkaufserlebnis im Ladengeschäft, um mit anderen in Kontakt zu treten, unterhalten zu werden, Essen zu gehen und Produkte zu testen. Sie nutzen zwar den Onlinehandel - insbesondere die technikaffinen Millennials - jedoch bieten aufgrund der sich wandelnden Kundenanforderungen die klassischen Ladengeschäfte ein vielseitiges Einkaufserlebnis, wie es dem reinen Onlinehandel nicht möglich ist. Eine zentrale Herausforderung für Einzelhändler ist die Frage, wie sie ihr Angebot im Internet weiter ausbauen und gleichzeitig ihre Waren im stationären Handel präsentieren können. Der Erfolg vieler Einzelhändler wird von ihrer Fähigkeit abhängen, sich auf beide Modelle zu konzentrieren.

Ein ganzheitliches Erlebnis zählt

Die im Onlinehandel erzielten Umsätze sind nicht in allen Ländern gleich hoch. Das Umsatzwachstum ist zum Beispiel in Großbritannien eher zu spüren als in Italien. Sicher ist, dass ein ganzheitliches Einkaufserlebnis für die Kunden ausschlaggebend ist. Savills IM ist sich der Risiken für den Einzelhandel bewusst und weiterhin durchaus der Überzeugung, dass es attraktive Investitionschancen gibt. Wichtig ist, dass Investoren die Schlüsselfaktoren für Erfolg und Misserfolg im Auge behalten und einen Investmentmanager als Partner haben, der bei der Auswahl von langfristig attraktiven Objekten über die nötige Erfahrung und Marktkenntnis verfügt.

DER AUTOR KIRAN PATEL, Global Chief Investment Officer und Acting Global Chief Executive Officer, Savills Investment Management, London
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