WOHNUNGSWESEN

WOHNUNGSBESTÄNDE KLIMAGERECHT SANIEREN: EINE HERAUSFORDERUNG FÜR DIE GANZE GESELLSCHAFT

Uwe Fischer, Foto: LEG

Bis zum Jahr 2050 soll der Gebäudebestand in Deutschland klimaneutral sein. Wie ambitioniert dieses politische Ziel ist, offenbart ein Blick auf die Zahlen aus dem Umweltbundesamt: Demnach stiegen die Treibhausgasemissionen im hiesigen Gebäudesektor in den Jahren 2014 bis 2017 um satte elf Prozent. Für 2018 prognostiziert die Behörde zwar erstmals wieder einen Rückgang auf voraussichtlich 117 Millionen Tonnen, dies entspricht jedoch gerade einmal ungefähr dem Ausgangsniveau zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Klimaschutzplans im Jahr 2014. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Tatsache, dass sich bislang vor allem im Bereich der Bestandsimmobilien zu wenig tut. Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) schätzt, dass die Sanierungsrate des Gebäudebestandes von derzeit 1,0 auf mindestens 1,5 Prozent ansteigen müsste. Leichter gesagt als getan, denn eine Forcierung der Modernisierungen hat immer auch eine soziale Komponente, wie die Ausführungen im vorliegenden Beitrag deutlich machen. Red.

Der Klimawandel ist real. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war es auf der Erde nie wärmer als in den vergangenen Jahren - und von Dürreperioden mit kaum zu beherrschenden Waldbränden bis zum messbaren Rückgang von Gletschern und polaren Eisschilden sind die Folgen bereits deutlich sichtbar. Vor diesem Hintergrund ist klar: Die Gesellschaft muss ihre Kräfte bündeln und darf beim gemeinsamen Umbau der Infrastruktur, ihrer technischen Grundlagen und zum Teil auch der Lebensweise nicht nachlassen.

Klimaneutraler Gebäudebestand bis 2050

Zu den Anpassungsmaßnahmen muss selbstverständlich auch der Immobiliensektor einen nennenswerten Beitrag leisten. Der Deutschen Energieagentur (Dena) zufolge entfallen zirka 24 Prozent der energiebedingten Treibhausgasemissionen auf den Bereich der Gebäudewärme. Neben der Anpassung der Energieerzeugung, welche von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energien umgestellt werden muss, ist auch eine Erhöhung der Energieeffizienz von Gebäuden notwendig.

Und obwohl es bisher nicht gelungen ist, die Modernisierungsquote über ein Niveau von etwa einem Prozent der Gebäude pro Jahr zu heben, hält die Bundesregierung daran fest, dass der deutsche Gebäudebestand bis 2050 klimaneutral werden soll. Das ist, man kann es nicht anders sagen, letztlich auch konsequent: Nur so lassen sich die Pariser Klimaziele einhalten.

Dilemma zwischen Handlungsdruck und sozialer Frage

Die Wohnungswirtschaft hat sich ihrer Verantwortung in weiten Teilen bereits gestellt. Jährlich fließen mehrere Milliarden Euro in die energetische Modernisierung; nach Zahlen des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW waren es allein 2018 etwa 3,9 Milliarden Euro. Dabei sehen sich insbesondere große Bestandshalter jedoch einem größer werdenden Dilemma aus gesetzt. Denn die Gesamtschau zeigt, dass die bisherigen Anstrengungen einerseits offenkundig noch immer nicht ausreichen. Allen Anstrengungen im Bestand und beim Neubau zum Trotz ist beispielsweise der Gesamtenergieverbrauch in Wohn- und Nichtwohngebäuden, wie die Dena fest gestellt hat, seit 2010 nicht nennenswert gesunken. Die Folge: Die Sanierungsquote müsste, soll das Pariser Abkommen eingehalten werden, mindestens veranderthalbfacht werden.

Andererseits ist die Erhöhung der Energieeffizienz direkt an die Mietpreise gekoppelt, da die notwendigen Investitionen nicht allein durch die Wohnungsunternehmen getragen werden können. Gerade große, professionelle Vermieter sind einer Vielzahl von Stakeholdern verpflichtet und müssen daneben wirtschaftlich agieren. Der Fokus umfasst hierbei sowohl die Kunden und Mitarbeiter, die Gesellschaft im Allgemeinen als auch die Investoren. Und auch jenseits des Klimaschutzes sind umfangreiche Investitionen in die Instandhaltung der Wohngebäude notwendig, die die Unternehmen vollständig finanzieren.

Zusätzliche Mietkosten übersteigen energetische Einsparungen

Das hehre Ziel der Warmmietenneutralität, so erstrebenswert es sozialpolitisch und hinsichtlich der Marktpositionierung auch sei, ist bislang in den meisten Fällen allerdings unerreichbar. Im Gegenteil liegen die zusätzlichen Mietkosten nach einer umfassenden Modernisierung in der Regel über der Energiekostenersparnis für die Wohnungsnutzer.

Insofern sind energetische Modernisierungen unter den aktuellen Rahmenbedingungen neben der regional hohen Nachfrage eine Ursache für Miet- und Wohnkostensteigerungen in den deutschen Ballungsräumen. Politik und Unternehmen sollten daher endlich der Realität ins Auge blicken: Das Ziel günstiger Mieten kollidiert unter den gegebenen Rahmenbedingungen mit der gesamtgesellschaftlichen Herausforderung, den Klimawandel zu begrenzen.

Hoffnung ruht auf technologischen Innovationen

Hinzu kommt, dass jede Prognose, ob und wie neue Technologien in den kommenden Jahren Lösungen für dieses Dilemma bedeuten könnten, zum gegenwärtigen Zeitpunkt wenig seriös wäre. Das innovative Energiesprong-Verfahren etwa, das eine energetische Sanierung mit modularen Bauelementen und standardisierten Prozessen umsetzt und so zu Einsparungen bei Arbeits- und Materialkosten führen kann, wird in den kommenden Jahren in einem Pilotprojekt der Dena gemeinsam mit 22 Wohnungsunternehmen, darunter die LEG, erprobt.

Ziel des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Programms sind die Modernisierung von mehr als 11 500 Wohneinheiten sowie die Erprobung und Entwicklung wirtschaftlich attraktiver, skalierbarer Komplettlösungen für die energetische Ertüchtigung von Gebäuden. Die Schöpfer des aus den Niederlanden stammenden Prinzips versprechen ebenjene wünschenswerte Warmmietenneutralität - das reale Potenzial in der Breite wird sich jedoch erst in den kommenden Jahren herauskristallisieren.

Umso wichtiger bleibt ein technologieoffener Ansatz im operativen Geschäft und in den politischen Maßgaben. Auch große Unternehmen mit mehreren zehntausend Einheiten müssen in Einzelfallprüfungen entscheiden, welche konkreten Schritte an einem Standort und für ein bestimmtes Gebäude das attraktivste Kosten-Nutzen-Verhältnis versprechen. Die Praxis verlangt dabei vor allem eine ganzheitliche Betrachtung des Gesamtenergieverbrauchs. So ließe sich etwa in den wahrscheinlich immer heißer werdenden Sommern durch Verschattung oder die Farbgestaltung der Fassade das Aufheizen von Gebäuden verhindern - auch ohne energieintensive Klimaanlagen. Salopp gesagt: Wir müssen schlauer werden und selbst scheinbar kleine Aspekte berücksichtigen, wenn wir die großen Ziele erreichen wollen.

Direktere Förderung ist dringend geboten

Bei aller Selbstreflexion sollte aber nicht außer Acht geraten, dass die Wohnungswirtschaft das sozio-ökonomische Dilemma der Energiewende nicht allein durch eigenes Handeln lösen kann. Wie der Immobilienverband GdW in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin im September 2019 festhielt, beläuft sich das jährliche Finanzierungsdelta - nimmt man die Klimaneutralität bis 2050 als Grundlage - bei der energetischen Wohngebäudesanierung auf etwa 14 Milliarden Euro.

Für Mietwohnungen allein fehlen immerhin pro Jahr sechs Milliarden Euro: Diese Summe müssten die deutschen Mieter refinanzieren, um ihren Anteil an den Investitionen zu tragen, es sei denn, es kommt zu einer Ausweitung der öffentlichen Förderung. Sechs Milliarden, die angesichts der aktuellen wohnungspolitischen Diskussionen eine ernst zu nehmende Größe sind und im sozialpolitischen Kontext betrachtet werden müssen.

Bis dato sendet die Bundespolitik jedoch widersprüchliche Signale, was den Unternehmen strategische und operative Entscheidungen zum Teil deutlich erschwert. So ist es einerseits ausgesprochen sinnvoll, dass im Zuge des Klimapakets unter anderem eine Anhebung des Wohngelds für einkommensschwächere Mieter vorgesehen ist. Das betrifft direkt auch die LEG: Für uns als flächendeckender Vermieter in Nordrhein-Westfalen ist diese Stärkung der Subjektförderung ein wichtiges Signal.

Klimapaket: widersprüchliche Signale

Ein Großteil unserer Kunden ist aufgrund ihrer Einkommenssituation zu einer hohen Preissensibilität gezwungen, sodass höhere Mieten für energetisch sanierte Wohnungen sie ohne weitere Unterstützung ernsthaft belasten. Eine ausbleibende Unterstützung beziehungsweise Förderung kann ebenso wie eine restriktive Mietendeckelung für Vermieter ein latentes Risiko darstellen - und kann in der Konsequenz ihre Investitionsbereitschaft wesentlich hemmen.

Umso bedauerlicher ist es, dass die Förderungspläne der Bundesregierung aus wohnungswirtschaftlicher Sicht zu kurz greifen. Denn anders als von dem GdW richtigerweise gefordert, wird das neue Klimaschutzgesetz nicht von einer direkten Investitionsförderung für Wohnungsunternehmen flankiert. Bislang sind keine direkten Zuschüsse oder neue steuerliche Vorteile vorgesehen.

Das mag gegenwärtig politisch opportun erscheinen - werden die Vermieter doch allzu oft einseitig für Mietsteigerungen verantwortlich gemacht. Für große Vermieter erwächst daraus jedoch die Notwendigkeit, die eigenen Positionen und wirtschaftlichen Möglichkeiten klar zu benennen und eine offene Diskussion anzustoßen. Auf kommunaler Ebene gelingt das in der Praxis bereits oft, sofern eine zielgerichtete, produktive Gesamtperspektive auf die nachhaltige Stadt- und Quartiersentwicklung vorherrscht.

Damit dies im Sinne einer erfolgreichen Energiewende zuverlässig in der Breite gelingen kann, gehört dazu auch eine realistische Überprüfung aller möglichen Stellschrauben - vom Bau über die Instandhaltung und Modernisierung bis zum Nutzerverhalten. Stichproben haben bereits mehrfach gezeigt, dass ein nennenswerter Anteil der Gebäudeenergie aufgrund einer ineffizienten Nutzungspraxis im wahrsten Sinne verschwendet wird.

Ineffiziente Nutzung konterkariert Einsparpotenziale

Technische Neuerungen müssen daher von digitalisierten Abläufen und intuitiv zu bedienenden Produkten für die Mieter begleitet werden. "Smarte" Thermostate sind nur ein Beispiel: Sie werden bisher faktisch oft nicht so eingesetzt, wie es das Ziel der Verbrauchsoptimierung nötig machen würde - und können ihre Einsparpotenziale in der Folge nur bedingt oder gar nicht entfalten.

Einer unsachgemäßen Nutzerpraxis, die im schlimmsten Fall sogar zu echter Energieverschwendung führen kann, sollte deshalb genauso viel Aufmerksamkeit geschenkt werden wie der eigentlichen technologischen Nach- und Umrüstung. Wie bei den meisten anderen Herausforderungen an das Wohnen gilt aber auch hierbei: Die Wohnungswirtschaft kann die Last der Transformation nicht allein schultern. Wollen wir dem Klimawandel wirksam Einhalt gebieten, muss die Verantwortung gerecht auf die Gesellschaft verteilt werden.

DER AUTOR UWE FISCHER, Abteilungsleiter Bauprojektmanagement, LEG Immobilien AG, Düsseldorf
Uwe Fischer , Chief Product Officer , paydirekt GmbH, Frankfurt am Main

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X