WOHNUNGSWESEN

WOHNUNGSNOT IN FRANKFURT AM MAIN - DIE ROLLE VON WOHNUNGSBAUGENOSSENSCHAFTEN

Ulrich Tokarski, Foto: Volks-, Bau- und Sparverein Frankfurt am Main eG

Im November 2016 wurde die Genossenschaftsidee in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit bei der Unesco aufgenommen. Weltweit sind rund 800 Millionen Menschen in Genossenschaften organisiert, in Deutschland vereinen zirka 8 000 Genossenschaften über 22 Millionen Mitglieder. Eine wichtige Säule bildet dabei natürlich das Thema Wohnen: Ungefähr 2 000 Wohnungsgenossenschaften mit ihren 2,2 Millionen Mitgliedern begründen durch das Modell der kollektiven Eigentümerschaft einen dritten Weg zwischen Miete und Eigentum. Immer im Fokus steht dabei das Übernehmen gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung - vermutlich ein wichtiger Grund dafür, dass die öffentliche Hand die Zusammenarbeit mit Wohnungsgenossenschaften derzeit forciert. Am Beispiel Frankfurt am Main erörtert der Autor des vor liegenden Beitrags die aktuellen Chancen und Herausforderungen für genossenschaftliches Wohnen. Red.

Bis zum Jahr 2040 fehlen in Frankfurt am Main knapp 110 000 Wohnungen. Diese alarmierende Zahl findet sich im Wohnungsmarktbericht aus dem Jahr 2018. Obwohl der Wohnungsbau erheblich angekurbelt wurde, halten die Anstrengungen mit dem tatsächlichen Bedarf der stark wachsenden Stadt nicht Schritt. So hätten alleine zwischen 2014 und 2020 jährlich 6 700 Wohnungen neu gebaut werden müssen, tatsächlich waren es 2016 nur 3 466 und 2017 lediglich 4 722.

Über 800 000 Einwohner im Jahr 2030

Zwischen Bedarf und Umsetzung klafft also eine große Lücke. Die Basis für die Berechnung des Wohnungsbedarfs ist die sogenannte Bevölkerungsvorausberechnung des Bürgeramts, Statistik und Wahlen der Stadt Frankfurt, die bis zum Jahr 2040 reicht.

Alleine bis zum Jahr 2030 soll die Einwohnerzahl der Mainmetropole von derzeit zirka 750 000 auf über 810 000 Einwohner steigen. Hierbei handelt es sich allerdings nur um die offiziell gemeldeten, hinzu kommt eine unbekannte Dunkelziffer von Personen, die sich gegenüber den Behörden nicht offenbaren.

Doch fehlende Wohnungen sind nicht das einzige Problem. Mit einer Leerstandsquote von lediglich 0,5 Prozent ist nicht nur der Markt leergefegt, freie Wohnungen haben inzwischen für viele Menschen auch ein unbezahlbares Mietniveau erreicht. Die Neuvertragsmieten kletterten 2018 im Vergleich zu 2017 um 5,7 Prozent auf 12,58 Euro im Mittel. In attraktiven und gesuchten Stadtteilen wie dem Nordend, Sachsenhausen oder dem Westend liegen die Spitzenmieten durchaus auch mal bei 20 Euro.

Teurer sind in Deutschland nur Wohnungen in München und Stuttgart. Die gleiche Situation ergibt sich bei Eigentumswohnungen, hier liegt Frankfurt mit Quadratmeterpreisen von 4 250 Euro im Mittel nach München sogar auf Rang 2 der teuersten Städte der Republik. Setzt man dies zu der Tatsache in Relation, dass bis 2014 die Zahl der 75-Jährigen und Älteren in Frankfurt um 34 Prozent steigen wird, die von teilweise schmalen Renten leben müssen, wird das Dilemma besonders deutlich.

Eine märchenhafte Alternative

Im Vergleich hierzu muten die Durchschnittsmieten, die die in der Kooperation Frankfurt organisierten Wohnungsbaugenossenschaften anbieten, geradezu märchenhaft an. 6,49 Euro zahlt ein Genossenschaftsmitglied im Mittel als Nutzungsgebühr einer Wohnung. In der Kooperation Frankfurt sind zehn Wohnungsbaugenossenschaften als Interessensverband locker zusammengeschlossen. Sie vertreten knapp 19 000 Mitglieder und haben über 12 000 Wohnungen mit 766 000 Quadratmeter Wohnfläche im Bestand. Zwischen 2010 und 2018 haben sie knapp 270 Millionen Euro in Modernisierung, Sanierung und Neubau investiert.

Überhaupt sind Wohnungsbaugenossenschaften ein wichtiger Bestandteil der Wohnungswirtschaft in Deutschland. Mit ihren rund 2,2 Millionen Wohnungen bieten die 2 000 Wohnungsgenossenschaften für mehr als fünf Millionen Menschen bezahlbares und sicheres Wohnen. Der Anteil am Mietwohnungsbestand beträgt knapp zehn Prozent bundesweit.

Vergleicht man die Rolle der Frankfurter Wohnungsgenossenschaften jedoch mit anderen deutschen Großstädten, ist noch deutliches Wachstumspotenzial vorhanden. Die im Verbund Berlin organisierten Wohnungsbaugenossenschaften kommen auf 90 000 Wohnungen mit 145 000 Mitgliedern, in Hamburg sind es sogar 133 000 Wohnungen. Die größte deutsche Einzelwohnungsbaugenossenschaft ist die Aufbau Dresden eG mit 17 000 Wohnungen.

Mitglieder sind Eigentümer und Nutzer

Aber wie kommt es zu diesen im Vergleich sehr günstigen Mieten, die bei Genossenschaften Nutzungsgebühren heißen? Das Prinzip ist einfach: Die Mitglieder einer Genossenschaft sind sowohl Eigentümer als auch Nutzer des Unternehmens, denn sie beteiligen sich mit Geschäftsanteilen an der Genossenschaft. So kommt diese zu Kapital und wird handlungsfähig. Es können nun Wohnungen gebaut und an die Mitglieder zur Nutzung vermietet werden.

Genossenschaften sind nicht auf die Erzielung von Profiten ausgelegt, sondern stellen erwirtschaftete Überschüsse wieder direkt den Mitgliedern zur Verfügung, sei es durch Modernisierungen oder der Verbesserung des Wohnumfeldes in den Liegenschaften oder dem Angebot von sozialen Dienstleistungen. Diese umfassen betreutes Wohnen für ältere oder behinderte Menschen, Einkaufshilfen, Kindergärten und Spielplätze, Angebote für junge Familien mit Kindern, Nachbarschaftstreffs oder Mitgliederfesten und der Förderung von alternativen Wohnkonzepten wie Mehrgenerationenhäusern oder Wohngruppen.

Verstärkter Zugriff auf städtische Neubauflächen

Das größte Problem von Wohnungsbaugenossenschaften in einem Ballungsraum wie Frankfurt ist es, an bezahlbare Grundstücke zur Errichtung von Wohnraum zu gelangen. Da die Grundstückspreise die kalkulierten Mieten erheblich beeinflussen und die Genossenschaften für bezahlbares Wohnen stehen, können sie nicht die horrenden Preise für Baugrundstücke, die auf dem freien Markt angeboten werden, zahlen und so mit privaten Investoren und institutionellen Anlegern in Konkurrenz treten.

Daher ist es für sie von großer Bedeutung, zum Beispiel an Neubauprojekten auf städtischen Flächen zu partizipieren. Bereits 2006 hatte die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung in einem Beschluss festgelegt, 15 Prozent der städtischen Neubauflächen für Genossenschaften und Wohngruppen vorzuhalten. Doch erst mit dem neuen Planungsdezernenten Mike Josef, seit Juli 2016 im Amt, wurde dieser Beschluss auch erstmalig umgesetzt. Die Politik hat also durchaus erkannt, welche wichtige Rolle Wohnungsbaugenossenschaften bei der Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum einnehmen können.

Als aktuelles Beispiel ist hier das Neubaugebiet Hilgenfeld im Frankfurter Norden zu nennen. Auf drei von fünf Baufeldern, die für genossenschaftliches und gemeinschaftliches Wohnen vorgesehen sind, werden die Genossenschaften der Kooperation Frankfurt auf insgesamt 6 300 Quadratmeter Bruttogrundfläche rund 60 Wohnungen im Erbbaurecht errichten. Auch wenn es noch einige Detailfragen mit den Partnern von Stadt und ABG zu klären gibt, bedeutet dieser Zuschlag einen Meilenstein für die Zukunft der Frankfurter Wohnungsbaugenossenschaften, auch im Hinblick auf zukünftige Projekte.

Die Stadt Frankfurt hat ein integriertes Stadtentwicklungskonzept vorgelegt, laut dem in den nächsten Jahren 70 000 neue Wohnungen entstehen könnten, ohne dass die Stadt den Grüngürtel, den Stadtwald oder in größerem Umfang Kleingärten antasten muss. 40 Prozent dieser neuen Wohnungen sollen auf bisher unbebauten Flächen am Stadtrand entstehen. Hier haben die Genossenschaften bereits die Bereitschaft signalisiert, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu beteiligen. Ob das Konzeptverfahren, nach dem auf dem Hilgenfeld die Baufelder vergeben wurden, bei jedem dieser zukünftigen Projekte sinnvoll ist, muss aus Sicht der Genossenschaften zumindest geprüft und überdacht werden.

60 Prozent der Wohnungen sollen dagegen in der sogenannten "Innenentwicklung" entstehen, man spricht hier auch gerne von der sogenannten "Nachverdichtung". Dies ist neben Neubauten auf städtischen Flächen auch für die Genossenschaften ein zentrales Thema. Dabei wird auf Flächen, die bereits den Genossenschaften gehören, neuer Wohnraum geschaffen. Dies gelingt durch verschiedenste innovative Ideen.

Der Beamten-Wohnungsverein errichtet auf einem alten Parkhaus ein Gebäude mit 14 neuen Wohnungen, ohne dabei zusätzliche Flächen zu versiegeln. Die Volks-, Bau- und Sparverein eG, die JuBa (Baugenossenschaft der Justizangehörigen) und die Frankfurter Eisenbahnsiedlungsverein eG haben in mehreren Liegenschaften das Mittel der Dachaufstockung gewählt, bei dem neuer Wohnraum entsteht. Und die Wohnungsbaugenossenschaft in Frankfurt am Main eG entwickelt ihre Liegenschaft am Röderbergweg dahingehend weiter, dass Garagen aus den fünfziger Jahren weichen müssen und ein Neubau mit 14 Wohnungen errichtet wird.

Quartiersentwicklung: Identifikation hat Priorität

Dabei legen die Genossenschaften, die hier von Quartiersentwicklung sprechen, aber größten Wert darauf, diese Projekte so zu gestalten, dass alle Mitglieder im Quartier solche Maßnahmen mittragen und sie der Gesamtentwicklung des Quartiers nutzen. Denn eine weitere Besonderheit des Genossenschaftsmodells ist die Tatsache, dass die Mitglieder in ihrer Funktion als gleichzeitige Kapitalgeber und Nutzer eine ganz andere Identifikation mit dem Quartier und der Genossenschaft haben, als dies im Regelfall bei anonymen Mieterstrukturen bei Nicht-Genossenschaften der Fall ist.

Auch das Thema Sicherheit spielt bei den Überlegungen eine wichtige Rolle. Die Praxis zeigt deutlich, dass aufgrund der gewachsenen Siedlungsstrukturen und des genossenschaftlich-nachbarschaftlichen Miteinanders keine sozialen Brennpunkte entstehen. Die Volks-, Bau- und Sparverein eG hat für seinen Neubau in Frankfurt-Ginnheim bereits zum wiederholten Mal das Gütesiegel "Sicher wohnen in Hessen" aus der Hand des hessischen Innenministers Peter Beuth entgegennehmen können. Diese "Sozialrendite" wird bei der Vergabe von Baugrund durch die öffentliche Hand häufig nicht hoch genug bewertet, denn die Allgemeinheit spart nachhaltig Aufwendungen für spätere Resozialisierungsmaßnahmen. Auch ökologische Aspekte spielen eine zentrale Rolle. Mieterstrommodelle in Kooperation mit dem Energieversorger Mainova, Car-Sharing-Konzepte, modernste Maßnahmen aus den Bereichen Dämmung und Heizen sind hier selbstverständlich, ebenso wie Niedrigenergie- und Passivhausstandards.

Genossenschaftliches Wohnen als wichtige Ergänzung

Genossenschaftliches Bauen ist aufgrund der finanziellen Möglichkeiten der Genossenschaften sicher nicht das alleinig glücklich machende Mittel zur Beseitigung des Engpasses bei bezahlbarem Wohnraum im Ballungsgebiet Frankfurt. Die Mitglieder der Kooperation könnten aber bei den entsprechenden Rahmenbedingungen in den nächsten fünf bis sechs Jahren alleine 500 neue Wohnungen schaffen, die dank niedriger Mieten auch für die sogenannte "Mittelschicht", die sich die stetig steigenden Mieten in Frankfurt nicht leisten kann, bezahlbar sind.

Das Damoklesschwert der stetig wachsende Altersarmut ist ein weiterer wichtiger Aspekt: Das lebenslange Wohnrecht bei Genossenschaften garantiert, dass man auch mit einer Durchschnittsrente in der Stadt wohnen bleiben kann. Denn für eine gesunde Stadtentwicklung und eine homogene Gemeinschaft ist es wichtig, dass alle Schichten der Gesellschaft die Möglichkeit haben, in der Stadt leben zu können. Die Genossenschaften bieten sicheres Wohnen und stabile Mieten auf lange Sicht.

Die Frankfurter Wohnungsbaugenossenschaften freuen sich über den von der Politik aktuell eingeschlagenen Weg. Erste Projekte wie das Hilgenfeld werden gemeinsam, auch mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ABG, umgesetzt - weitere sollen und müssen folgen. Damit sich die Frankfurter Wohnungsbaugenossenschaften weiter erfolgreich und aktiv an den Projekten beteiligen können, sind Rahmenbedingungen wie die Vergabe von städtischen Grundstücken nach dem Verkehrswert, eine aktivere Einbindung in stadtplanerische Initiativen sowie die Vereinfachung des Konzeptverfahrens als Grundlage für die Vergabe essenzielle Eckpfeiler.

DER AUTOR ULRICH TOKARSKI, Vorsitzender des Vorstands, Volks-, Bau- und Sparverein Frankfurt am Main eG, und Sprecher der "Kooperation Frankfurt - Die Wohnungsbaugenossenschaften", Frankfurt am Main
Ulrich Tokarski , Vorsitzender des Vorstands, Volks-, Bau- und Sparverein Frankfurt am Main eG, und Sprecher der "Kooperation Frankfurt - Die Wohnungsbaugenossenschaften", Frankfurt am Main
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