Im Gespräch

"Der antizyklische Anreizmechanismus des Bausparens gerät zunehmend in den Hintergrund"

Prof. Dr. Marcel Tyrell, Lehrstuhl für Banking und Finance, Universität Witten/Herdecke

Quelle: privat

Bausparen lohnt auch in der Niedrigzinsphase. So argumentiert zumindest die Spezialbanken-Lobby. Denn so können Bausparer sich das derzeit günstige Zinsniveau für die Zukunft sichern, wenn die Zinsen wieder höher liegen. Für das Neugeschäft mag das stimmen, für zuteilungsreife Verträge dagegen weniger. Hier neigen die Sparer derzeit eher zu einem Verzicht auf das zugesagte Baudarlehen und greifen auf direkte Hypothekenfinanzierungen zurück. Dadurch wird aber die stabilisierende Wirkung des Bausparens auf den deutschen Immobilienmarkt ein Stück weit ausgehebelt, wie die Autoren herausgefunden haben. Denn die üblicherweise gegensätzlichen Anreizstrukturen zwischen Bausparern und Nicht-Bausparern, gemessen an den Finanzierungskosten in Bezug auf den Immobilienerwerb, werden somit außer Kraft gesetzt. Mit negativen Folgen für die Stabilität des gesamten Immobilienmarktes. Red.

I&F Bausparkassen stehen seit einiger Zeit im Fokus der öffentlichen Diskussion. Zu Recht? Trägt nicht gerade das Bausparwesen mit seiner geübten Praxis maßgeblich zur Stabilität des deutschen Immobilienmarktes bei?

Ja, Bausparkassen haben eine lange Tradition in der deutschen Immobilienfinanzierung und gerade das Kollektiv wird bis heute als ein Stabilitätsanker begriffen. Insofern ist die momentane Diskussion zur Kündigung von Altverträgen und ganz allgemein zur Zukunft des Bausparwesens in Zeiten historisch niedriger Zinsen sicherlich nachvollziehbar. Wir fokussieren uns in unserer Studie jedoch auf einen Aspekt, der bisher wenig beleuchtet wurde, nämlich inwieweit Bausparkassen und Bausparverträge aufgrund ihrer Anreizmechanismen makroökonomisch zur Stabilität des Immobilienmarktes beitragen.

I&F Warum sind denn gerade Bausparverträge in der privaten Immobilienfinanzierung oft eine zentrale Komponente, obwohl sie doch typischerweise nur einen kleineren Teil der Gesamtfinanzierung darstellen?

Dies hat unserer Einschätzung nach vor allem zwei Gründe: Einerseits wird bereits frühzeitig ein Sparanreiz geschaffen. Die frühe Förderung der Eigenkapitalbildung für Immobilienzwecke ist ein Grundbaustein des Erwerbs eines Eigenheims beziehungsweise einer Immobilie. Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Eigenkapitalbasis, die durch das Ansparen von Eigenmitteln in einem Bausparvertrag geschaffen wird. Unsere Argumentationsbasis fußt jedoch mehr auf der makroökonomischen Ebene. Unsere Analysen haben zunächst gezeigt, dass das Bausparen ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist, das heißt nicht durch Einkommensgruppen, Ausbildungsstatus oder andere Charakteristika getrieben wird. Und genau hier liegt die Stärke des Systems in Bezug auf die ausgleichende Wirkung starker Zyklizitäten. Das Gleichgewicht zwischen Bausparern und Nicht-Bausparern in der Gesellschaft - nicht getrieben von einzelnen sozioökonomischen Merkmalen - schafft einen Ausgleich oder Gegenpol in der Immobilienkreditnachfrage, sowohl in Hoch- als auch in Niedrigzinsphasen.

I&F Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung intensiv mit Bausparverträgen und greifen dabei den bisher wenig diskutierten Aspekt der "Anreizmechanismen des Bausparens" auf. Wie ist Ihre Fragestellung motiviert?

Unsere Forschung ist vertragstheoretisch motiviert, übrigens ein Forschungsfeld, für das die beiden Ökonomen Oliver Hart und Bengt Holmström letztes Jahr mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet wurden. Das bedeutet, wir untersuchen, welche Anreize zum Immobilienerwerb in Abhängigkeit des Zinsumfeldes durch die besondere Struktur des Bausparvertrages gesetzt werden. Hinzu kommt, dass zumindest in der Vergangenheit in Deutschland die aus anderen Ländern bekannten Boom- und Bust-Zyklen des Immobilienmarktes nicht beobachtet werden konnten. Dies hat vor allem die Finanz- und Wirtschaftskrise mit ihrem Ursprung im Jahr 2007/08 sehr deutlich gezeigt. Ausgehend von den vertragstheoretischen Implikationen vermuteten wir, dass - neben anderen strukturellen und regulatorischen Beschaffenheiten des deutschen Immobilienmarktes - Bausparverträge gesamtwirtschaftlich stabilisierend auf den Immobilienmarkt wirken.

I&F Was ist genau die Argumentationslinie, auf der Sie aufbauen? Was sind die entscheidenden Anreizmechanismen?

Immobilienpreise werden stark durch das Zinsniveau und die Zinserwartungen auf den Kapitalmärkten getrieben, da diese die Finanzierungskosten bestimmen und somit starken Einfluss auf die Immobiliennachfrage haben. Die einen Bausparvertrag konstituierende Kombination aus Spar- und Darlehensvertrag zu einer bei Vertragsabschluss festgelegten Zinsgarantie führt dazu, dass Bausparer und Nicht-Bausparer stets gegensätzliche Anreizstrukturen, gemessen an den Finanzierungskosten, in Bezug auf den Immobilienerwerb haben. Durch diese antizyklischen Anreizmechanismen stellen Bausparer stets einen Gegenpol dar - in Boomphasen mit tendenziellen Überhitzungstendenzen eher dämpfend und in Rezessionsphasen eher nachfragefördernd. Bausparverträge wirken genau auf grund dieses Anreizmechanismus ausgleichend und damit stabilisierend.

I&F Was genau bedeuten "Antizyklizität" beziehungsweise "antizyklische Anreizmechanismen"?

Bausparverträge erhalten ein inhärentes marktstabilisierendes Element, das sich eher antizyklisch zu den Anreizen des Kapitalmarktes beziehungsweise des ökonomischen Umfeldes in Bezug auf Zinsen und damit einhergehenden Finanzierungskosten bewegt. Ein dauerhafter negativer Zinsschock führt dazu, dass die Sparoption attraktiver als die Darlehensoption ist. Trotz Zuteilungsreife werden Bausparer also vermehrt ihren Vertrag fortführen und das Darlehen nicht in Anspruch nehmen. Die Nachfrage für Immobilienkredite seitens der Bausparer wird also in einer nicht antizipierten Niedrigzinsphase geringer ausfallen, und dies wirkt der außerordentlich hohen Kreditnachfrage seitens der Nicht-Bausparer in einer Volkswirtschaft in einem solchen Zinsumfeld entgegen. Dies entspricht im Übrigen der derzeitigen Marktsituation.

Der hier zu beobachtende Effekt wirkt umso stärker je größer die Bedeutung des Bausparvertrages für die Gesamtfinanzierung einer Immobilie ist. Umgekehrt verhalten sich Bausparer bei einem positiven Zinsschock - also wenn sie bei Zuteilungsreife mit einem höheren Zinsniveau als zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses erwartet konfrontiert werden. Durch höhere Finanzierungskosten und einer erhöhten Attraktivität der Alternativanlagen reduziert sich die Nachfrage nach Immobiliendarlehen seitens der Nicht-Bausparer. Jedoch profitieren in solchen Zinsumfeldern speziell Bausparer von ihrer Darlehensoption. Bausparer nutzen in solchen Marktphasen ihren komparativen Vorteil besserer Darlehenskonditionen und damit niedrigerer Finanzierungskosten. Wiederum sollte man ein antizyklisches Verhalten aufgrund von gegensätzlichen Anreizmechanismen im Vergleich zu anderen Marktteilnehmern (Nicht-Bausparern) beobachten können.

I&F Dieser Mechanismus, den Sie beschreiben, funktioniert ja nur, wenn Hoch- und Niedrigzinsphasen einer gewissen Zyklizität folgen. War das in der Vergangenheit immer der Fall und wird sich das auch in Zukunft so zeigen? Wie verändern sich die Zyklen?

Ja, das ist korrekt. In der Vergangenheit konnte man diese Zyklizität beobachten. Dadurch waren im Kollektiv einer Bausparkasse auch immer mehrere "Bauspargenerationen" repräsentiert, nämlich die aus einem unerwarteten Hochzinsumfeld und die aus einer unerwarteten Niedrigzinsphase, das heißt eine gleichmäßige Auslastung des Kollektivs. Das hat auch für das Gesamtkollektiv die Kreditnachfrage im Zeitablauf verstetigt. Das scheint sich zu ändern. Viele Prognosen, gerade auch der Zentralbanken und Forschungsinstitute, deuten darauf hin, dass wir uns noch für einen längeren Zeitraum in einem Niedrigzinsumfeld bewegen werden, welches wenig Zyklizität aufweist und in seinem Zinsniveau stark durch strukturelle Verschiebungen der Realwirtschaft determiniert ist.

I&F Welche Bedeutung hat dies für das Geschäftsmodell der Bausparkassen?

Das von uns skizzierte stabilisierende Element gerät zunehmend unter Druck. Bausparkassen müssen sich der Situation anpassen. Das bedeutet, dass andere Formen der Finanzierung auch für Bausparkassen zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen werden und der antizyklische Anreizmechanismus damit einhergehend zunehmend in den Hintergrund gerät.

I&F Werden Ihre Erkenntnisse zur Antizyklizität damit nicht durch aktuelle Entwicklungen bei den Bausparkassen ein wenig ausgehebelt - beispielsweise werden immer mehr Vor- und Zwischenfinanzierungen anstelle klassischer Bausparkredite vergeben und einige Institute haben schon eine variable Zinspolitik eingeführt?

Aus Sicht der Bausparkassen und im Sinne der Stabilität des Kollektivs ist der zu beobachtende Geschäftsmodellwandel sicherlich eine notwendige Maßnahme, um das Funktionieren des Grundprinzips des Kollektivs zu gewährleisten. Auch die variable Zinspolitik in der Vertragsgestaltung kann natürlich in diesem Sinne interpretiert werden. Dies verändert jedoch in gewissem Maße die Anreizmechanismen, denn die makroökonomisch gewünschte stabilisierende Wirkung wird dadurch abgeschwächt. Andererseits bleibt den Bausparkassen im heutigen Zinsumfeld nahe des Nullzinses kaum eine andere Option als die oben beschriebenen Maßnahmen zu ergreifen, um institutionelle Stabilität im Sinne des Kollektivs zu gewährleisten.

I&F Was könnten die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Immobilienmarkt und dessen beobachtete Stabilität sein?

Der von uns beschriebene Mechanismus, der sich für die Vergangenheit empirisch gezeigt hat, wäre damit ausgehebelt; dieser Gegenpol, das heißt Nachfrageschübe in Rezessionszeiten und dämpfende Nachfrage in Boomzeiten, wird abgeschwächt. Dies hätte unserer Meinung nach Konsequenzen für die Stabilität des gesamten Immobilienmarktes. Es könnte - neben anderen wichtigen Faktoren, die die Stabilität des deutschen Immobilienmarktes ausmachen - eher zu höheren Volatilitäten in der langfristigen Entwicklung des Immobilienmarktes führen und Kreditzyklen verstärken.

Wir wissen zudem aus einer Vielzahl von anderen Untersuchungen, dass eine hohe Immobilienkreditzyklizität ein, wenn nicht sogar der wesentliche Entstehungsfaktor für eine nachfolgende Finanzkrise ist. Der Bonner Wissenschaftler Moritz Schularick hat in mehreren Arbeiten mit verschiedenen Koautoren auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Die Immobilienpreisentwicklung der letzten 2 bis 3 Jahre könnte ein erstes Indiz für zunehmende Fragilität sein, wobei die Preisentwicklung derzeit noch stark am tatsächlichen Bedarf hängt und der Mangel an Alternativanlagen, speziell in einem Land mit - im europäischen Vergleich - hoher Mietquote, die Flucht in Immobilieninvestments forciert.

Die Idee für dieses Interview entstand durch die Forschungsarbeit "Specialized Financial Intermediaries and the Impact of Savings and Loan Contracts on Real Estate Finance" von Manuel Molterer, Julian Amon und Marcel Tyrell.

Alle Aussagen und Erkenntnisse basieren auf der genannten Forschungsarbeit. Das komplette Working Paper finden Sie zum Download unter www://papers.ssrn.com

Zur Person Prof. Dr. Marcel Tyrell, Lehrstuhl für Banking und Finance, Universität Witten/Herdecke und Manuel Molterer, Doktorand, Zeppelin Universität, Friedrichshafen

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