IMMOBILIENWIRTSCHAFT 4.0

"UNSERE BRANCHE IST IDEAL GEEIGNET, DIE DIGITALE TRANSFORMATION ANZUSTOSSEN"

Susanne Bonfig Quelle: Commerz Real

Der Umbau zum digitalen Asset Manager ist bei der Commerz Real AG derzeit in vollem Gange. Im Interview mit der I & F-Redaktion berichten Susanne Bonfig, Head of Real Estate Markets Office & Industrial, und Florian Stadlbauer, Head of Digitalization, über den Status quo sowie die nächsten Schritte dieses Transformationsprozesses. Ähnlich wie in der Immobilienfinanzierung stehen auch hier bei allen Digitalisierungsinitiativen die veränderten Kundenbedürfnisse im Mittelpunkt der Überlegungen. Entgegen der oftmals kolportierten Rückständigkeit der Immobilienwirtschaft mit Blick auf Innovationen sieht Quereinsteiger Stadlbauer interessanterweise viele gute Ansätze sowie eine geeignete Mentalität, um den Wandel proaktiv vorantreiben zu können. Darüber hinaus diskutieren die beiden über die Rolle der Proptechs, die Vorteile der Einbindung in den Commerzbank-Konzern sowie die digitale Zukunft des Fonds-Schwergewichts Hausinvest. Red.

Vor rund 1,5 Jahren setzte sich die Commerz Real das Ziel, bis zum Jahr 2020 der "erste digitale Asset Manager" zu werden. Zunächst eine Verständnisfrage: Was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Charakteristika eines solchen digitalen Asset Managers?

Stadlbauer: Als digitaler Asset Manager sind wir nach wie vor ein Unternehmen, das Sachwerte verwaltet und managt. Wir glauben und beobachten allerdings, dass sich diese Sachwerte in einer digitalen Welt verändern und sprechen deshalb von vernetzten und intelligenten Sachwerten. Ein digitaler Asset Manager kombiniert und monetarisiert diese Sachwerte durch digitale, kundenzentrierte Geschäftsmodelle. Dafür spielen die Schnittstellen zu unseren Kunden eine herausragende Rolle.

Ein konkretes Beispiel: Für uns war der Hausinvest immer ein klassisches B2B-Geschäft. Durch die Digitalisierung können wir nun jedoch direkt in den Kontakt mit den Anlegern treten und ein B2C-Geschäftsmodell etablieren. Oder nehmen Sie das Geschäft mit institutionellen Investoren. Dies ist heute noch sehr stark durch den persönlichen Kundenkontakt geprägt. Wir stellen uns aktuell ganz konkret die Frage, ob dies auch in Zukunft so bleiben muss.

Welche konkreten Prozesse haben Sie intern als digitalisierbar identifiziert und wo stehen Sie diesbezüglich aktuell?

Stadlbauer: Da ist bei uns der Prozess einer Immobilientransaktion ein gutes Beispiel. Da fragen wir uns, wie ein vollständig digitaler Prozess aussehen müsste als Basis eines digitalen oder zumindest hybriden Geschäftsmodells bis hin zu einer Vollautomatisierung. Dabei darf man die Schnittstelle zum Kunden nicht aus den Augen verlieren. Denn wenn wir dem Kunden ein digitales Erlebnis liefern wollen, müssen natürlich auch die Schritte dahinter digital funktionieren.

Bonfig: Das verstehen wir unter dem Schlagwort "End-to-End". Wenn man ein digitales Produkt vorne ins Regal stellt, muss man darauf achten, dass die Prozesse dahinter genauso gut und schnell digital laufen. Sonst ist der Kunde nicht zufrieden.

Stadlbauer: Denken Sie an eine Banking-App. Wenn Sie da eine Transaktions-TAN freischalten wollen und das funktioniert nur über das Onlineportal, dann wäre das aus unserer Sicht weit weg von einem Endto-End-Ansatz. Wobei man natürlich auch sagen muss, dass sich manche Produkte erst entwickeln müssen und sehr kurze Entwicklungs- und Release-Zyklen dazugehören.

Haben Ihre Anleger denn schon einen konkreten Mehrwert in Form von gesunkenen Provisionen/ höheren Renditen?

Bonfig: Höhere Renditen, für sich betrachtet, sind erst einmal nur dann möglich, wenn man auch ein höheres Risiko eingeht. Die Digitalisierung der Immobilienbranche soll jedoch nicht in den Kauf von risikoreicheren Immobilien münden. Das Ziel ist eine Risikominimierung. Für uns bedeutet dies: Wir beschäftigen uns mit den Immobilien in unserem Portfolio, analysieren die Nutzer und deren Ziele und nutzen die Digitalisierung, um sie beim Erreichen dieser Ziele zu unterstützen. Sinkende Betriebskosten bedeuten beispielsweise meist, dass Spielraum für neue Dienstleistungen entsteht.

Die Wertschöpfungskette des Immobilien-Asset-Managements ist komplex, nicht umsonst gilt sie als "Königsdisziplin". Welche Teile davon sehen Sie grundsätzlich als nicht digital abbildbar/automatisierbar an?

Bonfig: Menschen arbeiten in unseren Immobilien, Waren werden transportiert und Technik wird gewartet. Diesen Abläufen sind Prozesse vorgeschaltet, die uns als Asset Manager direkt betreffen und zum Teil digitalisiert werden können. Denken Sie an Smart-Metering. Damit wird es bald üblich sein, dass der Nutzer in Echtzeit sehen kann, was er verbraucht hat, und eine Auswertung auf seinem Display erhält, ganz ohne Ablesetermin.

Stadlbauer: Ein Vergleich: Sehen Sie sich Amazon an - eine sehr erfolgreiche Digitalisierung des klassischen Einzelhandels. Dennoch gilt auch bei Amazon, dass die Waren zum Kunden müssen - der Großteil dieser Produkte existiert nicht digital, sondern in der Realität. Nicht anders ist es im Asset Management. Die Immobilien existieren real, aber viele der Prozesse lassen sich digitalisieren.

Spielt der Einsatz von künstlicher Intelligenz, beispielsweise im Rahmen der Datenanalyse oder Bewertung von Investmentchancen, eine Rolle bei Ihren Überlegungen?

Stadlbauer: Künstliche Intelligenz (KI) spielt bei uns eine besondere Rolle, wo viele Daten verarbeitet und interpretiert werden müssen und die Algorithmen aus den Schlussfolgerungen und Bewertungen durch den Menschen lernen. Relevant ist dies bei der Vorauswahl von Investmentmöglichkeiten. Permanent gibt es zehntausende von Objekten auf der ganzen Welt, deren Ankauf wir theoretisch prüfen könnten. Praktisch kann dies aber natürlich kein Transaktionsteam abbilden. Mit KI kann es bald möglich sein, aus der großen Menge an möglichen Objekten die für uns attraktivsten herauszufiltern, die dann von unseren Investmentexperten analysiert werden können.

Welche Technologien erachten Sie darüber hinaus für vielversprechend und praxistauglich?

Stadlbauer: Allgemein stehen für uns weniger Technologien im Vordergrund, vielmehr Innovationen, die neue und disruptive Geschäftsmodelle ermöglichen. In der Immobilienbranche sind dies beispielsweise Crowdinvesting, moderne Co-Working-Lösungen oder auch Airbnb.

Konkrete Technologien, mit denen wir uns zudem auseinandersetzen, sind Virtual Reality und Augmented Reality, aber auch 3D-Druck, Blockchain, BIM und Big Data Predictive Analytics.

Besteht die Gefahr, dass bei zunehmendem Einsatz digitaler Hilfsmittel der gesunde Menschenverstand zu kurz kommt?

Bonfig: Im Gegenteil. Der gesunde Menschenverstand wird durch digitale Hilfsmittel und besser aufbereitete Informationen befähigt, gute Entscheidungen zu treffen. Die Digitalisierung ermöglicht es uns, unsere Mitarbeiter effizienter einzusetzen. Das bedeutet weniger repetitive und langweilige Tätigkeiten und mehr Analysen komplizierter Sachverhalte und Entscheidungen. Mitarbeiter können sich also interessanteren Aufgaben widmen.

Stadlbauer: Es ist beachtlich, was mit künstlicher Intelligenz erreicht werden kann. Aber das menschliche Gehirn ist glücklicherweise noch lange nicht abbildbar oder gar zu ersetzen.

Von welcher Seite spüren Sie beim Thema Digitalisierung den meisten Druck, sich zu bewegen? Sind es die (institutionellen) Kunden, die innovative Serviceleistungen nachfragen, oder der anhaltende Margendruck, der Effizienzmaßnahmen erfordert?

Bonfig: Es gab keinen externen Druck, der diesen Prozess angestoßen hat. Vielmehr hat sich die Commerz Real entschieden, das Thema Digitalisierung proaktiv voranzutreiben, als es in der deutschen Immobilienbranche noch eine eher untergeordnete Rolle spielte.

Stadlbauer: Es ist einfach ein Fakt, dass wir uns aus einer industrialisierten Welt in eine digitalisierte Welt bewegen, in welcher der Kunde an Souveränität gewinnt. Deshalb wäre es fahrlässig, sich diesen

Themen nicht aktiv zu stellen. Wir gehen soweit zu sagen, dass die rasanten Veränderungen der vergangenen zehn Jahre in den kommenden zehn Jahren noch einmal rasanter werden. Darauf bereiten wir uns intensiv vor.

Spielt die Einbindung in die Commerzbank-Gruppe eine besondere Rolle für Ihren "digitalen Ehrgeiz"? Die Commerzbank forciert das Thema bekanntlich selbst sehr stark.

Stadlbauer: Es hat schon großen Einfluss, dass das Thema auch bei unserer Mutter einen so hohen Stellenwert hat. Da gibt es ein großes Verständnis, was Digitalisierung angeht. Insofern ist das eine sehr partnerschaftliche Zusammenarbeit, sowohl beim Topmanagement als auch auf anderen Konzernebenen. Wir sitzen in einem Boot. Auch wenn wir selbst keine Bank sind, gibt es viele Themen, über die wir gemeinsam nachdenken müssen. Eine digitale Transformation haben die wenigsten Menschen schon einmal geleistet.

Bevor man die digitalen Früchte ernten kann, muss zunächst üblicherweise reichlich investiert werden. Von welchen Dimensionen sprechen wir hier bei der Commerz Real?

Stadlbauer: Wir haben allein rund 15 Mitarbeiter, die den Nukleus unserer Digitalisierungsinitiative bilden. Allerdings sagt das allein noch wenig aus, denn Digitalisierung ist in der Commerz Real allgegenwärtig. Unser Management investiert rund 30 bis 40 Prozent seiner Zeit nur in Digitalisierungsfragen. Trotzdem haben wir noch einen beachtlichen Weg vor uns. Deshalb sprechen wir auch nicht nur von Digitalisierung, sondern von digitaler Transformation.

Ist eine Mentalität des Experimentierens und Scheiterns, wie sie gerade von jungen US-Technologiefirmen gepredigt wird, in Deutschland und speziell in der Immobilienwirtschaft vorhanden beziehungsweise notwendig? Und darf sich ein renommiertes Institut wie Ihres das überhaupt erlauben?

Bonfig: Fehler sind nicht nur möglich, sondern auch unbedingt nötig. Das ist eine der wichtigsten Lektionen von Start-ups. Große Ziele wie die Digitalisierung können nicht erreicht werden, ohne dass man etwas ausprobiert. Aber wir müssen Fehler schnell als solche identifizieren, aus ihnen lernen und dann eine neue Herangehensweise ausprobieren, Stichwort: "fail-fast". Dafür muss man eine Kultur schaffen, die offen für Experimente ist und Professionalität definiert.

Stadlbauer: Es sind ganz tiefe Veränderungen, die da angestoßen werden. Dies braucht Zeit und wird bei uns auch durch ein Transformationsmanagement begleitet, das sich um die kulturellen Veränderungen kümmert. Das ist aus unserer Sicht einer der ganz großen Erfolgsfaktoren, um am Markt erfolgreich zu bleiben.

Stichwort "Digital-Werk": Was haben Ihre Mitarbeiter in diesem Labor denn bislang an digitalen Produkten und Dienstleistungen ausgetüftelt?

Stadlbauer: Da wäre an erster Stelle unser Geo-Informationssystem zu nennen. Wir befassen uns zudem mit der Frage der Digitalisierung des Musterbüros und wie dies in Zukunft aussehen wird. Außerdem analysieren wir externe Innovationen und sind auch im Proptech-Umfeld sehr stark unterwegs - prüfend, welche Geschäftsmodelle zu uns passen.

Noch ein Wort zu Ihrer Belegschaft: Müssen diese angesichts des fortschreitenden Einzugs technologischer Lösungen um ihre Jobs bangen?

Bonfig: Was sich ändert sind die Arbeitsprozesse und die Anforderungen an Kompetenz und Qualifikation. Allzu standardisierte Prozesse können automatisiert werden, aber nicht Kreativität und verantwortungsbewusstes Entscheiden. Dadurch wird die Arbeit abwechslungsreicher. Technologischer Fortschritt bedeutet nicht, dass wir weniger Mitarbeiter benötigen, sondern dass wir unsere vorhanden Kapazitäten und Potenziale besser nutzen können.

Welche digitalen Kompetenzen müssen den Mitarbeitern vermittelt werden, um für die künftige Arbeitswelt der Commerz Real fit zu sein?

Stadlbauer: Es sind vor allem drei Kompetenzen notwendig, die wir bei unseren Mitarbeitern permanent stärken: Methodische, ökonomische und technologische Kompetenzen rund um die Digitalisierung. Entscheidend ist, dass das Denken immer stärker auf den Kunden und dessen Bedürfnisse ausgerichtet wird.

Herr Dr. Stadlbauer, ursprünglich kommen Sie aus der Computerspiel-Branche und sind im September 2016 in eine Branche gewechselt, die bekanntlich nicht gerade als fortschrittlich im Bereich der Digitalisierung gilt. Können Sie diesen Eindruck bestätigen?

Stadlbauer: Ich habe die Immobilienbranche seither eigentlich als sehr innovativ empfunden. Das Gleiche gilt auch für die Immobilien selbst, in denen sich immer mehr Innovationen finden lassen. Die Immobilienbranche ist - gerade auch vom Mindset her - ideal geeignet, um eine digitale Transformation anzustoßen. Ich fühle mich pudelwohl in dieser Branche und freue mich hier zu sein.

Stoßen Sie auf großen Widerstand bei der Umsetzung Ihrer Ideen?

Stadlbauer: Das Ziel, erster digitaler Asset Manager zu werden, ist in der Kultur der Commerz Real gefestigt. Bei der Umsetzung kommt es in der Tat auch zu Diskussionen, die jedoch notwendig sind. Sie dürfen nicht vergessen: Es gibt noch keinen digitalen Asset Manager als Paradebeispiel, noch keine ausgetretenen Pfade, denen zu folgen ist. Dies schafft Chancen, aber auch Diskussionsstoff.

Würden Ihre klassischen, "analogen" Vertriebspartner im Rahmen des Online-Direktvertriebs zunehmend obsolet?

Bonfig: Wir fahren hier zweigleisig. Natürlich bietet die Digitalisierung vor allem mit Blick auf den Hausinvest auch Vertriebsmöglichkeiten. Gleichzeitig glauben wir weiter an den persönlichen Kontakt und die unterschiedlichen Bedürfnisse von diversen Kundengruppen, was die klassische Beratung sehr wichtig macht. Hier können wir unter anderem vom großen Filialnetz der Commerzbank profitieren.

Als "Gretchenfrage" beim Thema Prop- und Fintechs gilt häufig: "Kooperation oder Übernahme?" Wie gehen Sie mit den aufstrebenden Newcomern um?

Stadlbauer: Das ist keine Entweder-oder- sondern eine Sowohl-als-auch-Frage. Je mehr ein Start-up mit unserem Kerngeschäftsmodell zu tun hat, insbesondere bei der Frage, wie Kundenschnittstellen gestaltet sein können, desto eher ziehen wir eine Beteiligung in Erwägung.

Je mehr das Geschäftsmodell hingegen eher ein unterstützender Service ist, ergeben Kooperationen mehr Sinn. Das ist immer von Fall zu Fall zu betrachten.

Bonfig: Eine erfolgreiche Digitalisierung lebt von der Zusammenarbeit. Entsprechend suchen wir regelmäßig den Austausch mit der Branche - von Start-ups bis hin zu etablierten Unternehmen. Der rege Austausch auch unter Wettbewerbern bringt schlussendlich die ganze Branche voran.

Sehen Sie irgendeine Proptech-Geschäftsidee, die zu einer Bedrohung Ihres oder anderer etablierter Immobiliengesellschaften werden könnte?

Bonfig: Ich persönlich kann eine solche Entwicklung derzeit nicht sehen. Als Immobilien-Asset-Manager sind wir der Mittler zwischen den Immobilien und den Investoren.

Das heißt wir kaufen, ver kaufen und verwalten - vereinfach gesagt - die Immobilien. Als Asset Manager haben wir deshalb eine extrem hohe Schnittstellenrelevanz in den unterschiedlichsten Wertschöpfungsebenen der Immobilie.

ZUR PERSON SUSANNE BONFIG, Head of Real Estate Markets Office & Industrial, Commerz Real AG, Eschborn
ZUR PERSON DR. FLORIAN STADLBAUER, Head of Digitalization, Commerz Real AG, Eschborn

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