WAS IST NACHHALTIG?

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Verlag Helmut Richardi

Jedes Jahr in der stillen Zeit, also rund um den Advent wird traditionell an das Mitgefühl der Menschen appelliert und auf Missstände und die großen Wohlstandsunterschiede in der ganzen Welt hingewiesen. Spendenmarathons laufen mit prominenter Unterstützung nahezu auf allen Kanälen. Da passt die Veröffentlichung des jüngsten Berichts des BAG Wohnungslosenhilfe e.V. gut in die Zeit, auch wenn den Verantwortlichen hier keinerlei Absicht unterstellt werden soll. Dafür ist das Thema viel zu ernst. Denn Fakt ist: Die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland steigt seit Jahren stetig an, und das ist nicht nur eine Folge der Zuwanderung, also der vielen Flüchtlinge, gleich ob anerkannt oder nicht. Laut BAG Wohnungslosenhilfe waren im Laufe des Jahres 2018 etwa 678 000 Menschen ohne einen festen Wohnsitz. Gegenüber dem Vorjahr 2017 bedeutet dies einen Zuwachs um ordentliche 4,2 Prozent.

Es fehlt schlicht an bezahlbarem Wohnraum für Menschen, die wenig verdienen oder von staatlichen Leistungen leben müssen. Im vergangenen Jahr wurden bundesweit 27 040 geförderte Sozialwohnungen neu gebaut, wie aus einem Bericht des Bundesbauministeriums hervorgeht. Das sind nur 809 Wohnungen mehr als 2017, trotz Milliardenunterstützung durch den Bund. Für die sogenannte Wohnraumförderung hatte der Bund den Ländern 2018 erneut etwa 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das Geld floss dem Bericht zufolge in die Förderung von etwa 12 000 Eigenheimen, in die Modernisierung von knapp 18 000 Wohnungen mit Mietpreisbindung sowie in den Neubau von etwa 27 040 Sozialwohnungen. Nach Einschätzung des Mieterbundes wären aber jährlich etwa 80 000 zusätzliche Sozialwohnungen nötig. Und auch der BAG Wohnungslose e.V. geht von derzeit 80 000 bis 100 000 neuen Sozialwohnungen und weiteren 100 000 bezahlbaren Wohnungen aus, die pro Jahr benötigt würden.

Über die Gründe für diese Diskrepanz lässt sich trefflich streiten. Die einen sehen schon die ersten Auswirkungen der Berliner Mietdeckelungspolitik, die Investoren verschreckt und Vermieter bei der Vermietung nur auf Klientel höchster Bonität schielen lässt. Das ist sicherlich verfrüht, aber künftig wohl wahrscheinlich. Wenn Kündigungsrechte und Mieterhöhungspotenziale systematisch eingeschränkt werden, werden sich private und gewerbliche Vermieter entsprechend anders absichern, zulasten der sozial Schwächeren. Die Kommunen tragen über steigende Bodenpreise auch an anderer Stelle dazu bei, die Schaffung von bezahlbarem und sozialem Wohnraum immer unattraktiver zu machen. Ende des Jahres 2018 betrug der Preis für einen Quadratmeter Bauland in Deutschland 147,73 Euro - ein Rekord. Der Begriff "Bauland" schließt dabei baureifes Land, Rohbauland sowie sonstiges Bauland ein. 2009 fielen hierfür mit 67,39 Euro weniger als die Hälfte an, 2001 mit 50,22 Euro gut ein Drittel.

Auch der drastische Anstieg der Baunebenkosten steht der Schaffung von mehr bezahlbarem und sozialem Wohnraum entgegen. Löhne und Materialkosten steigen ebenfalls seit vielen Jahren stetig an. Hinzu kommen wieder einmal mal durch die öffentliche Hand selbst verursachte Hemmnisse wie spürbar höhere Grundsteuern, hohe Stellplatzanforderungen in den Innenstädten sowie permanent höhere Energiestandards. Während Investoren und Mieter gewerblicher Objekte mittlerweile sehr viel Wert auf Nachhaltigkeit legen, sind Umfragen zufolge aber nur wenige private Mieter bezahlbaren Wohnraums bereit, für energieeffizientes Wohnen einen höheren Preis zu bezahlen.

All das trägt nicht zur Lösung der Probleme des sozialen Wohnungsbaus bei. Ebenso wenig übrigens wie der Rückzug vieler Städte und Kommunen aus diesem Bereich, durch Privatisierung der ehemals kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Auch durch den jüngst in Berlin vollzogenen Rückkauf von insgesamt 6 000 Wohnungen der GSW für insgesamt rund 920 Millionen Euro (die man vor einigen Jahren selbst privatisiert hat) ist nicht eine einzige neue Wohnung entstanden.

Es muss also das von vielen geforderte Umdenken stattfinden, bei der kommunalen Vergabepolitik, bei den Wohnungsunternehmen, bei den Stadtplanern, bei der Förderpolitik, aber vor allem auch bei uns selbst. Wer sagt eigentlich, dass man in angenehmer Nähe zu seinem Arbeitsplatz auch schick und günstig wohnen muss? In vielen anderen Ländern wird den Menschen schon seit vielen Jahren ein Aufwand für das Pendeln abgefordert, der diesen normal, uns deutschen Gutmenschen dagegen als Zumutung erscheint. Auch ist Obdachlosigkeit vor allem ein Problem der Städte. Diese platzen ohnehin schon aus allen Nähten, da muss über die Ansiedlung weiteren sozialen Wohnraums sicherlich ebenfalls gesprochen werden müssen. Ohne Kasernierung und das Entstehen neuer Ghettos muss man auch offen für eine Ansiedlung auf dem Land sein. Die Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs muss dringend verbessert und vor allem auch verbilligt werden, um die relative Attraktivität gegenüber dem Autofahren zu erhöhen. Und, und, und. Sonst werden sich die sozialen Probleme ebenso wie die nachhaltigen Herausforderungen aus dem Klimawandel nicht bewältigen lassen.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X